Bibliotheka Phantastika gratuliert Christopher Tolkien, der heute 90 Jahre alt wird und nicht in seinem ursprünglichen Beruf als Mediävist bekannt wurde (obwohl er etwa die Hervarar Saga herausgab und übersetzte), sondern vor allem als Verwalter und Bearbeiter des literarischen Erbes seines Vaters J.R.R. Tolkien im allgemeinen Bewusstsein präsent ist.
Wie stark es Christopher Tolkien dabei um eine ernsthafte Würdigung des Œuvres seines Vaters geht, spricht vielleicht am ehesten aus seiner Haltung zu Peter Jacksons Tolkien-Verfilmungen, die in seinen Augen aufgrund ihrer Actionlastigkeit und Kommerzialisierung den Werken, auf denen sie basieren, nicht gerecht werden.
Seine erste Publikation aus dem Nachlass seines Vaters dürfte bis heute die bekannteste sein: Gemeinsam mit Guy Gavriel Kay gab er The Silmarillion (Das Silmarillion) heraus, das in die heroische Vorzeit der Welt Mittelerde entführt, die im Herrn der Ringe bereits einer schleichenden Entzauberung anheimfällt. Bald darauf folgte mit den Unfinished Tales of Númenor and Middle-earth (Nachrichten aus Mittelerde) eine weitere Veröffentlichung, die für die folgenden programmatisch werden sollte, bietet sie doch statt des im Silmarillion unternommenen Versuchs, ein leidlich kohärentes Ganzes herzustellen, nur kommentierte Einzeltexte aus J.R.R. Tolkiens umfangreichem Schaffen. Einem ähnlichen Prinzip folgt die zwölfbändige History of Middle-earth, ein wahres Labyrinth aus Fragmenten, Notizen und Vorstufen bekannter Texte, das einen faszinierenden, wenn auch in seiner Ausführlichkeit und akribischen Kommentierung bisweilen etwas ermüdenden Einblick in das Schaffen des älteren Tolkien bietet.
Seit der Jahrtausendwende gab Christopher Tolkien noch einige Einzelbände mit Werken seines Vaters heraus. Während in The Children of Húrin (Die Kinder Húrins) noch einmal die schon seit dem Silmarillion immer wieder behandelte Geschichte um den tragischen (Anti-)Helden Túrin aufgegriffen wird, führen die neuesten Veröffentlichungen von Mittelerde weg: The Legend of Sigurd and Gudrún (Die Legende von Sigurd und Gudrún) und The Fall of Arthur (bisher nicht auf Deutsch erschienen) erschließen jeweils Dichtungen, die nicht nur inhaltlich, sondern auch formal stark an mittelalterliche Vorbilder angelehnt sind. Natürlich bietet dieses Material Christopher Tolkien mehr Gelegenheit denn je, sein eigenes mediävistisches Wissen auszuspielen. Was er hier leistet, lässt einen leise bedauern, dass er meist nur als Sohn eines berühmten Vaters wahrgenommen wird, erweist er sich doch als fähiger Wissenschaftler mit interessanten Denkansätzen. Hätte er nicht zeitlebens im Schatten J.R.R. Tolkiens gestanden und sich fast ausschließlich dessen Nachlass gewidmet, hätte er vielleicht stärker eine eigene Stimme entwickelt. Als Fantasyfan jedoch muss man ihm fast dankbar sein, dass er es nicht getan hat, und sein unermüdliches Bemühen um die Werke seines Vaters würdigen.
Allen Französischlesern sei übrigens ein 2012 erschienener Artikel in Le Monde ans Herz gelegt, der eine persönlichere Annäherung an Christopher Tolkien bietet, als sie in unserem kleinen Geburtstagspost gelingen kann.
-
Rezensionen
-
Die fünf neuesten Rezensionen
Die jüngsten Kommentare
- Carlos Feliciano on Zum 100. Geburtstag von Kenneth Bulmer
- Kevin Korak on Zum 70. Geburtstag von Bernard Cornwell
- Klassiker-Reread: Esther Rochons „Der Träumer in der Zitadelle“ (3/3) – Sören Heim – Lyrik und Prosa on Zum 65. Geburtstag von Esther Rochon
- Neiden on Zum Gedenken an Hans Bemmann
- gero on Zum 65. Geburtstag von Gillian Bradshaw