Bibliotheka Phantastika gratuliert Sheri S. Tepper, die heute 85 Jahre alt wird. Wenn es mit Ursula K. Le Guin nicht bereits eine Autorin gäbe, die schon seit vielen Jahren als Grande Dame der amerikanischen SF & Fantasy gilt – und das völlig zu recht –, dann wäre die am 16. Juli 1929 in Littleton, Colorado, geborene Sheri Stewart Tepper eine der aussichtsreichsten Anwärterinnen auf diesen Titel. Und das, obwohl sie eigentlich eine Spätberufene ist, denn ernsthaft phantastische und nichtphantastische Genreliteratur begann sie erst zu schreiben, als sie bereits in den 50er war – von da an allerdings mit Nachdruck. So hat sie zwischen 1983 – in diesem Jahr erschien ihr erster Roman King’s Blood Four – und 2000 mehr als 40 Romane veröffentlicht, gut dreißig davon zählen zur SF & Fantasy, und bei ihnen steht Sheri S. Tepper auf dem Cover; hinzu kommen ein Horrorroman (als E.E. Horlak) und ein gutes Dutzend Krimis (als A.J. Orde und B.J. Oliphant). Hier wird es im Folgenden natürlich nur um einige ihrer Fantasyromane gehen, die sie fast alle am Anfang ihrer Karriere in den 80er Jahren verfasst hat (und die häufig gar keine richtigen Fantasyromane sind, auch wenn sie sich über weite Strecken als solche lesen bzw. lesen lassen).
Sheri S. Teppers Erstling war – wie bereits erwähnt – King’s Blood Four (1983), und dieser Roman bildet zusammen mit den Folgebänden Necromancer Nine (ebenfalls 1983) und Wizard’s Eleven (1984) eine Trilogie mit dem Titel The True Game (auch als Sammelband (1985)). In den drei Bänden wird die Geschichte von Peter erzählt, einem 15-jährigen Jungen unbekannter Herkunft, der wie viele andere Menschen auf seiner Welt über eine besondere Gabe verfügt. Peter erlernt in einem Internat die Regeln eines komplizierten (ein bisschen an Schach erinnernden) Spiels, um sich auf das echte, titelgebende und tödliche “wahre Spiel” vorzubereiten, nach dessen Regeln die Machtkämpfe der anscheinend magisch begabten Mächtigen dieser Welt ablaufen. Doch für Peter entwickeln die Dinge sich nicht wie geplant, denn er wird nicht nur von einem seiner Lehrer verführt, sondern auch verraten und viel zu früh in das True Game hineingezogen … King’s Blood Four enthält viele Elemente eines typischen Fantasyromans, die allerdings bereits in diesem Roman, vor allem aber in den Folgebänden gebrochen werden, so dass man die gesamte Trilogie mit einer Art Wohlfühlgefühl beginnt – und am Ende ein gewisses Unbehagen verspürt.
Die drei True-Game-Romane waren erfolgreich genug, dass danach auch Sheri S. Teppers eigentlicher Erstling The Revenants (1984) auf den Markt kommen konnte, der dem Verlag als erster Roman einer bislang unbekannten Newcomerin zu lang gewesen war, und in dem es um eine etwas andere Queste mit kleinen Haken geht. Kurz darauf erschien mit Marianne, The Magus, and the Manticore (1985) der erste Band der einige Jahre später mit Marianne, The Madame, and the Momentary Gods (1988) und Marianne, the Matchbox, and the Malachite Mouse (1989) fortgesetzten bzw. vollendeten Marianne Trilogy (1990 auch als SB), die vor allem bei Teppers Leserinnen als ihr bestes Werk gilt.
Doch vor den Bänden zwei und drei der Marianne Trilogy erweiterte Sheri S. Tepper die ursprüngliche True-Game-Trilogie auf eine insgesamt neun Bände umfassende Sequenz, die ebenfalls unter dem Obertitel True Game läuft: Zuerst um ein Prequel, in dem die Geschichte von Peters Mutter, der Gestaltwandlerin Mavin Manyshaped erzählt wird und die aus den Romanen The Song of Mavin Manyshaped, The Flight of Mavin Manyshaped und The Search of Mavin Manyshaped (alle 1985; 1986 auch als SB The Chronicles of Mavin Manyshaped) besteht, danach um drei Bände, die anfangs mehr oder weniger parallel zur ersten Trilogie spielen, danach zeitlich über sie hinausreichen; diese drei Romane, in denen mit Jinian eine interessante Figur die Hauptrolle spielt – Jinian Footseer (1985), Dervish Daughter und Jinian Star-Eye (beide 1986) – offenbaren einige Hintergründe über die Welt und das “wahre Spiel” und schließen die Sequenz schlüssig (wenn auch mit einer zumindest fragwürdig zu nennenden Komponente) ab, was sich auch am Titel des Sammelbands – The End of the Game (1987) – erkennen lässt.
Sheri S. Tepper ist eine Autorin mit Überzeugungen, in deren Büchern immer wieder Themen wie die Unterdrückung der Frauen und Schwachen, die rücksichtslose Durchsetzung der Macht des bzw. der Stärkeren oder der ökologische Raubbau an der Umwelt eine Rolle spielen. Vielleicht hat sie festgestellt, dass ihr die SF mehr Möglichkeiten für die Behandlung feministischer und ökologischer Themen bietet, denn ab Ende der 80er hat sie sich (abgesehen von den beiden letzten Marianne-Bänden und einer weiteren Ausnahme) verstärkt der SF zugewandt (wobei die SF-Komponente auch in den späteren Bänden der True-Game-Sequenz deutlicher wird). So fühlt sich etwa der aus den Romanen Northshore und Southshore (beide 1987) bestehende Zweiteiler The Awakeners (1988 auch als SB) anfangs auch wie Fantasy an, doch schon bald tauchen eindeutige SF-Elemente auf. Und ab The Gate to Women’s Country (1988) kann ungeachtet der Tatsache, dass Teppers SF (fast) immer auch eine phantastische oder fantasyhafte Komponente enthält, kein Zweifel mehr daran bestehen, wo ihre Romane zu verorten sind.
Oben erwähnte Ausnahme ist Beauty (1991, rev. 1992; dt. Die Schöne (1995)), ein mit dem Locus Award als bester Fantasyroman ausgezeichneter Roman, der sich nur schwer einem Genre zuordnen lässt. Beauty ist eine düstere, verzerrte, nicht mehr als Nacherzählung zu betrachtende Transformation des Märchens Dornröschen in eine Welt, in der SF-Elemente ebenso auftauchen wie solche aus typischen Märchen, deren Hauptfigur dem eigentlichen Fluch entgeht, nur um per Zeitreise in eine dystopische Zukunft zu gelangen, wo sie nicht nur mit einer ökologischen Katastrophe konfrontiert wird, sondern auch auf der persönlichen Ebene allerhand Schlimmes erleiden muss. Beauty ist ein toll erzählter Roman, der einem trotzdem – oder gerade deswegen? – einen Schlag in die Magengrube versetzt, der lange nachwirkt. Und er ist ein hervorragendes Beispiel dafür, warum Tepper bei ihren Leserinnen und Lesern alles andere als unumstritten ist: wer leicht konsumierbare Fluchtlektüre sucht, wird bei ihr nicht fündig werden (bzw. allenfalls in einigen Bänden der True-Game-Sequenz) – schließlich sagt sie von sich: “I’m a preacher who writes!”* Und sie scheut sich nicht, die Probleme, die sie zu erkennen glaubt, einerseits drastisch zu schildern, und andererseits mindestens ebenso drastische Lösungsvorschläge anzubieten. So nachvollziehbar der Zorn ist, der in ihren Werken und Interviews erkennbar wird, so bedauerlich ist dennoch, dass sie bei ihren neueren Werken gelegentlich über das Predigen ein bisschen das Erzählen zu vergessen scheint, denn grundsätzlich ist Sheri S. Tepper eine sehr gute Erzählerin, was sich an fast allen ihren Werken bis etwa Mitte der 90er erkennen lässt.
In Deutschland sind neben dem o.g. Die Schöne nur fünf SF-Romane (aus der zwischen 1987 und 1992 liegenden Phase ihres Schaffens) und die ersten drei Romane um das True Game erschienen. Letztere als Der Königszug, Der Nekromant und Das dreizehnte Talent (alle 1999) unter dem – dieses Mal wirklich treffenden – Obertitel Das wahre Spiel.
* – in einem Interview in Strange Horizons, das man hier nachlesen kann (aber Vorsicht: auch wenn man Manches von dem, was Sheri S. Tepper hier sagt, gewiss nachvollziehen kann, gilt das gewiss nicht für alle ihre Aussagen – im Gegenteil)