Bibliotheka Phantastika gratuliert Melanie Rawn, die heute 60 Jahre alt wird. In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat es ganz danach ausgesehen, dass die am 12. Juni 1954 in Santa Monica, Kalifornien, geborene Melanie Robin Rawn einer der neuen Stars des Genres werden würde. Bereits mit ihrer aus den Romanen Dragon Prince (1988), The Star Scroll (1989) und Sunrunner’s Fire (1990) bestehenden ersten Trilogie – die genauso hieß wie der Auftaktband – war sie recht erfolgreich. Die Dragon Prince Trilogy erreichte nicht nur in den USA sehr gute Verkaufszahlen, sondern wurde u.a. auch nach Deutschland verkauft, wo sie als Drachenprinz-Saga in sechs Bänden (Das Gesicht im Feuer, Die Braut des Lichts (beide 1992), Das Band der Sterne, Der Schatten des Bruders, Die Flammen des Himmels und Der Brand der Wüste (alle 1993)) auf den Markt kam. Die Geschichte spielt in einem typischen pseudo-mittelalterlichen Setting und dreht sich um Prinz Rohan, den neuen Herrscher der Wüste, der zusammen mit seiner Braut, der Sonnenläuferin Sioned, nicht nur die umliegenden zerstrittenen Reiche einen, sondern auch die Drachen schützen will, die gemeinhin als gefährliche Raubtiere gelten und gejagt werden. Es geht (wenn auch mit deutlichen Zeitsprüngen) in aller Ausführlichkeit um Magie, politische Winkelzüge, Intrigen und die Liebe, was die Drachenprinz-Saga – die in Deutschland vor kurzem noch einmal in drei Bänden als Sonnenläufer, Mondläufer und Sternenläufer (2011-2012) neu aufgelegt wurde – zu einer dynastischen Fantasy mit Soap-Opera-Anleihen macht, wie man sie auch heute noch (allerdings meist grimmer & grittier) auf den Bestsellerlisten findet.
In der daran anschließenden, eine Generation später handelnden Dragon Star Trilogy – Stronghold (1990), The Dragon Token (1992) und Skybowl (1993) – sehen sich Rohan und sein Sohn Pol gefährlichen, ein bisschen an Wikinger erinnernden Invasoren gegenüber, die die Wüstenvölker und die Sonnenläufer auszulöschen drohen. Obwohl wesentlich düsterer als die erste Trilogie, gelang Melanie Rawn mit der Dragon Star Trilogy in den USA der Sprung ins prestigeträchtige Hardcover. Darüberhinaus konnte sie mehrere Projekte (sprich: noch ungeschriebene Romane) zu jeweils sehr ordentlichen Vorschüssen verkaufen; dabei handelte es sich neben einer Trilogie mit dem Titel Exiles noch um ein Gemeinschaftswerk mit Kate Elliott und Jennifer Roberson und um Keftiu, einen historischen Roman, der im minoischen Kreta spielt. Wie gesagt – ein neuer Star des Genres schien geboren.
Auf The Ruins of Ambrai (1994), den ersten Band der Exiles Trilogy, die auf einer Welt spielt, auf der es vor langer Zeit infolge eines Magierkriegs zu einer magischen Katastrophe gekommen ist, und mit einem inversen Gesellschaftssystem – einem strengen Matriarchat, in dem die Männer völlig unterdrückt werden – aufwartet, folgte mit The Golden Key (1996) das o.e. Gemeinschaftswerk (zu dem sich im Text anlässlich von Kate Elliotts Geburtstag ein paar Zeilen finden), ehe die Exiles Trilogy mit The Mageborn Traitor (1997) fortgesetzt wurde. Und dann kam … nichts mehr. Weder The Captal’s Tower, der dritte Exiles-Band, noch Keftiu noch The Diviner, das ebenfalls angekündigte Prequel zu The Golden Key, erschien in den folgenden Jahren.
Logischerweise begann die Gerüchteküche zu brodeln, und aus den Informationsfetzen, die sich hier und da finden ließen, lässt sich wohl ableiten, dass Melanie Rawn gegen Ende der 90er Jahre mit einer Reihe persönlicher Probleme und Krisen (so ist u.a. von Depressionen die Rede) zu kämpfen hatte.
Erst 2006 erschien schließlich wieder ein neuer Roman von ihr, doch dabei handelte es sich um keines der lange zuvor angekündigten Werke. Stattdessen legte sie mit Spellbinder den Auftakt einer Urban-Fantasy-Triloge mit Hexen vor, von der aber nur noch der zweite Band – Fire Raiser (2009) – erschienen ist, ehe die Reihe aufgrund schlechter Verkaufszahlen vom Verlag eingestellt wurde. Anscheinend wollte die an ihrer High Fantasy interessierte Leserschaft ihr nicht in dieses neue Subgenre folgen. In die Welt von Exiles scheint Melanie Rawn aber nicht zurückkehren zu wollen oder zu können, was ihr böse Kommentare in ihrem Forum eingebracht hat – vor allem, als mit Touchstone (2012) der erste Band eines vollkommen neuen High-Fantasy-Zyklus erschienen ist, in dem es um eine magische Theatergruppe geht. Glass Thorns – so der Titel des Zyklus – wurde mittlerweile mit Elsewhens (2013) und Thornlost (2014) fortgesetzt, und mindestens ein weiterer Band soll noch folgen.
Immerhin gibt es für all jene, die auf The Captal’s Tower warten, einen Hoffnungsschimmer: mit The Diviner ist 2011 das ebenfalls schon in den 90er Jahren zum ersten Mal erwähnte Prequel zu The Golden Key erschienen, und vielleicht schafft Melanie Rawn es ja irgendwann doch noch, die Exiles Trilogy abzuschließen. Ganz unabhängig davon wäre es ihr zu wünschen, dass sie die Probleme, die sie jahrelang am Schreiben gehindert haben, dauerhaft überwindet und wieder die Bücher schreiben kann, die sie schreiben will.
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