Unser Buch des Monats Januar stammt vom äußersten Rand des Genres: Rosemary Sutcliffs Sword at Sunset (1963, bisher keine deutsche Übersetzung; ISBN: 978-1556527593), eine Artussagenvariante, die den phantastischen Stoff in ein vorzüglich recherchiertes historisches Gewand kleidet. Wer Fantasy vor allem liest, um tief in unvertraute Welten eintauchen zu können, ist hier gut bedient, denn die Spätantike in all ihrer Fremdheit und Vielfalt, vergänglichen Pracht und gelegentlichen Schrecklichkeit ist wohl selten so atmosphärisch eingefangen worden wie hier. Dennoch wäre es verfehlt, den Roman rein auf die Handlung um den Abwehrkampf der romanisierten Kelten und insbesondere des eindrucksvollen Ich-Erzählers Artos gegen die angelsächsischen Eroberer reduzieren zu wollen. Denn was all die Geschehnisse, die sich zumindest theoretisch so oder so ähnlich abgespielt haben könnten, im Hintergrund begleitet und mit zusätzlicher Bedeutung auflädt, ist die subtile Möglichkeit des Übernatürlichen.
Sehen die Helden nur Polarlichter oder doch ein himmlisches Zeichen, das auf eine entscheidende Entwicklung vorausverweist? Ist Artos nach seiner ungewollten Verwicklung in eine inzestuöse Beziehung traumatisiert, oder hat ihn in Wahrheit ein düsterer Fluch getroffen? Löst ein symbolträchtiger Edelstein sich nur zufällig aus der Fassung, oder deutet sich hier auf wundersame Weise die Zukunft zweier Menschen an? Ist die weise Alte aus der marginalisierten Urbevölkerung nur eine gewiefte Menschenkennerin, oder verfügt sie tatsächlich über die hellseherischen Fähigkeiten, die sie sich zuschreibt?
All das steht nicht fest und muss aufgrund der Erzählperspektive auch ein ungelöstes Rätsel bleiben, doch es offenbart, wie dicht unter der Oberfläche des Realistischen Zauber und Poesie angesiedelt sein können. In gewissem Maße ist sich auch Artos selbst dessen bewusst und lässt es gezielt für seine eigene Legende arbeiten, nicht etwa aus Geltungsdrang, sondern aus der Sehnsucht heraus, in chaotischen Zeiten zumindest einen Teil der Ideale und der Schönheit einer dem Untergang geweihten Epoche in die Zukunft zu retten und den Menschen Hoffnung zu spenden. Das Dichterische und Phantastische ist – so könnte man die Botschaft des Romans vielleicht zusammenfassen – kein schierer Eskapismus, sondern vielmehr ein Werkzeug zur Bewältigung der Tücken des wirklichen Lebens.
In der Hoffnung, dass auch euch 2014 manch eine schöne Geschichte (vielleicht ja diese hier?) den Alltag versüßt, euch allen ein gutes neues Jahr!