Bibliotheka Phantastika gratuliert Vonda N. McIntyre, die heute 65 Jahre alt wird. Die am 28. August in Louisville, Kentucky, geborene Vonda Neel McIntyre studierte Biologie mit dem Schwerpunkt Genetik, ehe sie sich dem Schreiben zuwandte. Sie war eine der ersten Absolventinnen des Clarion Writers Workshop und gründete ein Jahr später den Clarion West Writers Workshop. Ihre erste Story “Breaking Point” erschien 1970 in dem kurzlebigen SF-Magazin Venture, auf die weitere Erzählungen in diversen Anthologien folgten. Ihren großen Durchbruch hatte sie schließlich 1973 mit der Geschichte “Of Mist, and Grass, and Sand” in der Oktober-Ausgabe von Analog (die Geschichte ist mehrfach auf Deutsch erschienen, siehe Anmerkung), für die sie mit dem Nebula Award ausgezeichnet wurde.
McIntyres erster Roman The Exile Waiting (1975; dt. Die Asche der Erde (1981)) spielt in einer der letzten Städte einer postapokalyptischen Erde und ist eindeutig der SF zuzurechnen, wohingegen ihr zweiter Roman Dreamsnake (1978; dt. Traumschlange (1979, NA 1999)), der sich des gleichen Hintergrundszenarios bedient und in den die bereits erwähnte Kurzgeschichte “Of Mist, and Grass, and Sand” eingearbeitet wurde, sich über weite Strecken wie Fantasy liest. Dreamsnake erzählt die Geschichte der jungen Heilerin Snake (aka Schlange), die über eine von einem Atomkrieg verwüstete Erde zieht, auf der die Menschen zwar überlebt haben, die meisten aber kulturell und gesellschaftlich auf eine frühere Zivilisationsstufe zurückgefallen sind. Als Snake einen kleinen Jungen bei einem Wüstenstamm heilen will, töten die übrigen Stammesangehörigen aus Angst und Aberglaube Grass, ihre Traumschlange, deren Biss die Kranken beruhigt und ihnen die Schmerzen nimmt bzw. ihnen in aussichtslosen Fällen auch einen schmerzlosen Tod ermöglicht. Eine Heilerin braucht aber eine Traumschlange, denn ihre anderen beiden Schlangen sind Giftschlangen, die dazu dienen, Impfstoffe und Heilmittel herzustellen. Die Traumschlangen stammen allerdings nicht von der Erde und konnten bisher auch nicht gezüchtet werden, sodass Snake nichts anderes übrigbleibt, als sich zur großen Stadt aufzumachen, wo die Außerirdischen leben, die die Traumschlangen mitgebracht haben. Doch die Reise nimmt alsbald einen unerwarteten Verlauf …
Der mit dem Nebula, dem Hugo und dem Locus Award ausgezeichnete Roman bietet eine überaus gelungene Synthese aus SF- und Fantasyelementen, ein interessantes, glaubhaftes Setting und eine vielleicht ein kleines bisschen zu kompetente Heldin, schreckt aber auch vor Themen wie dem Missbrauch von Frauen und Kindern nicht zurück (die damals in der SF und der Fantasy größtenteils noch tabu waren) und liefert als Dreingabe noch einen originellen Entwurf zukünftiger menschlicher Beziehungen.
Nach Dreamsnake schrieb Vonda McIntyre ein paar Jahre lang fast ausschließlich Stories und wandte sich dann dem Star-Trek-Universum zu, verfasste beispielsweise die Novelisationen der Star-Trek-Kinofilme II, III und IV. Ein paar weitere SF-Romane folgten, doch 1997 erschien schließlich mit The Moon and the Sun ein Roman, der der (in diesem Fall historischen) Fantasy zuzurechnen ist, wobei das Fantasyelement zugebenermaßen eher gering ist. Am Hofe des Sonnenkönigs (1999) spielt größtenteils genau dort und stellt mit der 20-jährigen Marie-Josèphe de la Croix, der Schwester des Jesuiten und Naturphilosophen Père Yves de la Croix, ein weiteres Mal eine überaus – oder eher ein bisschen zu – kompetente Frauenfigur in den Mittelpunkt der Handlung. Besagte Handlung dreht sich einerseits um ein “Seemonster”, das Père Yves im Auftrag des Sonnenkönigs gefangen hat, und in dem Marie-Josèphe früher als alle anderen ein denkendes, fühlendes Wesen erkennt, andererseits um das Leben und die Ereignisse am Hofe des vielleicht schillerndsten Monarchen des 17. Jahrhunderts, und letztlich auch ein wenig um den Widerstreit zwischen Alchemie und moderner Wissenschaft. Die Szenen, in denen Marie-Josèphe und das “Monster” miteinander zu kommunizieren versuchen, sind zweifellos interessant, und der Hof von Versailles bietet einen glanzvollen Rahmen für kleine und große Gegebenheiten (und natürlich auch für eine Liebesgeschichte), aber insgesamt bewegt sich der ebenfalls mit dem Nebula Award ausgezeichnete Roman – und nebenbei bemerkt der letzte, den Vonda N. McIntyre bislang geschrieben hat – doch sehr gemächlich voran.
Anmerkung: “Of Mist, and Grass, and Sand” ist mehrfach auf Deutsch erschienen: als “Die Schlange” im Science Fiction Story Reader 11 (1979) und in der Anthologie Von Lem bis Varley (1993), als “Dunst und Gras und Sand” in der Kurzgeschichtensammlung Feuerflut (1981), und als “Von Nebel, Gras und Sand” in der Anthologie Der Plan ist Liebe und Tod (1982); die (unterschiedliche) Betitelung ist ein wunderbares Beispiel dafür, warum es für Übersetzer bzw. Übersetzerinnen manchmal sinnvoll sein kann, nicht einfach zu übersetzen, “was dasteht”, wie es manche Leser und Leserinnen immer mal wieder fordern.