Auf dem fremden Planeten “Windhaven”, dessen Oberfläche zum größten Teil aus Wasser, durchsetzt nur von einigen Inseln, besteht, existiert eine Klasse von Fliegern, die mittels der Reste eines uralten Sternensegels, das einst von einem havarierten Raumschiff zurückgelassen wurde, als Botschafter zwischen den Inseln fungieren. Die Flieger gelten als privilegiert; die kostbaren Flügel werden innerhalb der Familie vererbt, und niemand, der nicht ein “geborener Flieger” ist, also einer solchen Familie angehört, hat jemals die Möglichkeit sich den Traum vom Fliegen zu erfüllen. Maris von Amberly, eine so genannte “Landgebundene” begehrt gegen diese Tradition auf, um ihre unstillbare Sehnsucht nach dem Fliegen zu erfüllen.
-Maris ließ sich von den Sturmböen über das Meer dahintreiben. Sie zähmte die Winde mit breiten Flügeln aus Metallfolie. Waghalsig flog sie über die Wellen, die Gefahr und die Gischtspritzer bereiteten ihr Vergnügen, die Kälte störte sie nicht im Geringsten. Der Himmel hatte eine ominöse kobaltblaue Färbung angenommen, der Wind frischte auf, und sie hatte Flügel, das reichte ihr. Sie hätte jetzt sterben können und wäre glücklich gestorben, im Flug.-
Teil 1: Stürme
Vorsicht: Wer George R.R. Martins glänzende Meisterwerke wie The Ice Dragon oder A Song of Ice and Fire kennt und liebt, wird von diesem Roman vielleicht enttäuscht sein. In Sturm über Windhaven (Windhaven) steht nicht wie in den obengenannten Werken die Erschaffung einer epischen Sekundärwelt mit ausgereifter Mythologie im Mittelpunkt. Stattdessen hat das kleine, aber feine Büchlein ganz andere Qualitäten. Je weiter man liest, desto bestimmter wird jedenfalls die Überzeugung, dass man eine echte Perle vor sich hat.
In dieser Zusammenarbeit mit Lisa Tuttle treten – anstelle von haarsträubenden Horroreffekten, düster-realistischen Kriegsbeschreibungen und eingängig beschriebenen, originellen Charakteren – eher die inneren Beweggründe der Charaktere und ihre Konflikte mit den gesellschaftlichen Normen in den Vordergrund.
Vergangene Ereignisse wie Kriege zwischen einzelnen Inseln, frühere Konflikte innerhalb der Fliegerkaste und die Besiedelung der Meeres- und Felsenwelt von Windhaven werden eher beiläufig erwähnt. Auch typische Elemente wie Seeungeheuer oder Priesterkasten und Fliegerfürsten, die man in einem solchen Roman geradezu erwarten würde, spielen eher nebensächliche Rollen.
So kann man sich ganz auf den der Handlung zugrundeliegenden Konflikt, die sich anbahnenden gesellschaftlichen Veränderungen auf den nahezu isolierten Inseln und die Rollen und Beweggründe der einzelnen Protagonisten darin konzentrieren.
Dreh- und Angelpunkt des gesamten Plots ist die Hauptfigur Maris von Klein Amberly, welche die elitäre Kaste der Flieger herausfordert und damit eine Dynamik auslöst, die wiederum Maris’ anfänglich feste Überzeugung erschüttert, auf jeden Fall richtig zu handeln. Insbesondere muss sie sich die Frage stellen, ob sie wirklich im Namen des Allgemeinwohls überkommene Strukturen aufbrechen wollte oder den Stein nur ins Rollen gebracht hat, um ihren persönlichen Traum wahr werden zu lassen.
Wer jetzt glaubt, es handele sich hier um eine kitschige, typisch amerikanische Du-kannst-es-schaffen-wenn-du-nur-an-dich-selbst-glaubst-Geschichte – weit gefehlt. Stattdessen wird deutlich gemacht, dass auch immer dann größere Umwälzungsprozesse im Hintergrund stehen, wenn scheinbar eine einzelne Person die Welt auf den Kopf stellt, und dass man nie ganz Herr seiner Taten ist, da man als soziales Wesen stets in Interaktion mit seiner Umwelt steht. Sicherlich ein ungewöhnliches Thema für einen Fantasyroman, jedoch eigentümlich berührend und in der Größe der Darstellung einer klassischen Tragödie angemessen.