Zyklus: Shadowmarch

Shadowmarch von Tad WilliamsIm Norden des Kontinents Eion liegen die Königreiche der Marschen. Von den ehemaligen vier Reichen ist nur noch Southmarch bewohnt, die anderen wurden schon vor einigen Jahrhunderten von den Twilight People, märchenhaften Wesen, die schon lange Zeit zuvor weit in den Norden des Landes zurückgetrieben worden waren, zerstört. Der König von Southmarch wird festgehalten, wo er hoffte ein Bündnis gegen den diktatorischen Herrscher des Kontinents Xand zu schmieden, der nun auch seine Fühler nach dem Kontinent des Nordens ausstreckt. Schon bald obliegt die Verantwortung über Southmarch des Königs Zwillingskindern, Briony und Barrick, die den Intrigen am Hofe ausgesetzt sind.

-The belling of the hounds was already growing faint in the hollows behind them when he finally pulled up.-
1 – A Wyvern Hunt

Shadowmarch (Die Grenze) war zu Beginn seiner Entstehung als Fernsehprojekt, in Serienform, geplant. Doch nachdem das Projekt schließlich doch nicht verwirklicht werden konnte, versuchte Tad Williams die Geschichte im Internet umzusetzten. Durch Anregungen und Kritiken der Leser sollte auch die Meinung der Fans in den Fortlauf der Handlung einfließen. Doch das Projekt war finanziell nicht sehr erfolgreich und brachte auch Williams’ andere Pläne in Verzug, so dass er sich entschloss, Shadowmarch in dieser Form einzustellen. So kam es schließlich zu einer Veröffentlichung in klassischer Buchform.

Shadowmarch beginnt mit einem gelungenen, kurzen Abriss der Geschichte der Kontinente Eion und Xand, der dem Leser einen schnellen Überblick verschafft. Die ersten Kapitel des Buches lesen sich sehr gut und vor allem kurzweilig, was bei anderen Werken von Williams, insbesondere Otherland und seinem ersten größeren Fantasy-Werk, den Büchern über die Fantasy-Welt Osten Ard, nicht immer der Fall war. Doch schon bald tritt Ernüchterung ein, die Intrigen am Hof von Southmarch können nicht wirklich überzeugen, gerade weil den beiden Hauptcharakteren, den Zwillingen Briony und Barrick, deutlich die Charaktertiefe fehlt, die der Funderling Chert, eine weitere Hauptfigur, oder auch der Hauptmann Ferras Vansen aufweisen können. Bei der gesamten Geschichte vermisst man die Originalität und den Wortwitz, der Tad Williams, gerade auch in Otherland, so ausgezeichnet hat. So ist die Geschichte zwar interessant, aber nicht unbedingt außergewöhnlich oder innovativ, und weil vor allem im mittlerem Teil des Buches kaum Entscheidendes passiert, fragt man sich, wo die erzählte Zeit von rund einem Jahr Handlung vergangen ist.

Hat man sich schließlich in Richtung Ende vorgearbeitet, nimmt das Geschehen noch einmal stark an Tempo auf, aber das Ganze wirkt eher aufgesetzt und die Erklärungen gegen Ende wirken nicht wirklich überzeugend und schon gar nicht befriedigend, da man sie im Verlaufe des Geschehens kaum erahnen konnte. Williams hat die ganze Geschichte über kaum Hinweise zur Lösung der meisten Fragen ausgestreut, und so fehlt am Ende die Nachvollziehbarkeit. Wirkliche Vorfreude auf die Fortsetzung, die unter dem Titel Shadowplay erschienen ist, mag bei mir nicht aufkommen.

Mit Sicherheit ist Shadowmarch kein schlechtes Buch, aber es kann in kaum einem Punkt (gerade was die Geschichte, ihre Entfaltung und die Schaffung der Spannung angeht) mit den Autoren, die sich auf ähnlich komplexem Gebiet der Fantasy versuchen, wie Greg Keyes, Robin Hobb oder auch George R.R. Martin messen. Tad Williams hat schon brilliante Bücher geschrieben, aber wenn Briony Eddon schon zum dritten Mal wieder vergessen hat, was sie eigentlich tun wollte und ihr Kapitelabschnitt fast wieder denselben Ablauf wie schon der vorige einnimmt und man sich nicht mal ordentlich über sie aufregen kann, weil man ihr wegen der mangelnden Charaktergestaltung eigentlich gleichgültig gegenübersteht, dann macht das ganze keinen Spaß mehr. Die Highlights des Romans findet man in den Nebengeschichten, in den Gesprächen zwischen Chert und dem kleinen “Rooftopper” Beetledown oder den Erlebnissen von Ferras Vansen, wo ab und zu tatsächlich so etwas wie Spannung und Action aufkommt, oder sogar in der Geschichte von Qinnitan, die im interessant gestalteten Reich des Gottgleichen Herrschers des Kontinents Xand überleben muss.
Aber auch diese Punkte können den nur durchschnittlichen Eindruck von der Hauptgeschichte nicht retten.

Shadowplay von Tad WilliamsEine scheinbar unaufhaltsame, riesige Elbenarmee überschreitet die Schattengrenze. Als Barrick in die Hände der Feinde fällt, ist Briony gezwungen, aus der Südmarkfeste zu fliehen. Andernorts flieht auch die ehemalige Novizin des Bienentempels Qinnitan mit dem stummen Jungen Pigeon aus dem Harem des Autarchen. Auf einem Schiff gelangen sie nach Hierosol, wo das Mädchen als 100. Ehefrau des Monarchen von Xis erkannt wird. Während sie und Pigeon eine neue Unterkunft finden, schickt der Monarch einen Auftragsmörder los, um Qinnitan zu beseitigen.
Viele Schicksale stehen auf dem Spiel, und überall lauert der Verrat.

-The older ones in the household had hunted the missing boy for an hour without result, but his sister knew where to look.-
Prelude

Shadowplay (Das Spiel) schließt lückenlos an den ersten Teil der Reihe an und berichtet sowohl vom Schicksal der aus Southmarch Vertriebenen als auch derjenigen, welche sich immer noch dort aufhalten. Neben dem Schwerpunkt von Brionys Flucht und Barricks und Vansens Erkundung des Feenlands werden in vielen Handlungssträngen die Schicksale von bereits bekannten und ein paar bisher unbekannten Personen beschrieben. So erfährt der Leser zum Beispiel etwas vom Schicksal König Olins, während er nach wie vor auch über Chert und Qinnitan auf dem Laufenden bleibt.

Meine Meinung zu dem Buch ist ziemlich gespalten. Zum einen vermag es Tad Williams natürlich zu erzählen, was er auch mit diesem Buch wieder beweist. Zum anderen gibt es aber auch eine Reihe von Kritikpunkten, die den Gesamteindruck trüben. Beginnen wir mit den positiven Aspekten:

Tad Williams Stil vermittelt einem die Welt, die er beschreibt, und die Figuren in ihr sehr gut, so dass man keine Probleme damit hat, schnell wieder in die Geschichte einzusteigen. Auch sind einem eigentlich alle Charaktere recht sympathisch oder wenn sie es einmal nicht sind, so doch zumindest interessant.
Nachdem die Grundvoraussetzungen für ein gutes Buch erfüllt sind, kommen jedoch die Schwachstellen im Detail zum Vorschein. So weist auch dieses Buch eine etwas geruhsame Geschwindigkeit der Handlung auf. Für deutlich über 600 Seiten ist am Ende des Buches rückblickend nicht sehr viel geschehen. Insgesamt wirkt die Handlung zwar etwas schneller als beim ersten Teil, letztlich wird aber auch in Shadowplay sehr viel geredet und angedeutet, aber wenig geschieht wirklich. Das liegt sicherlich auch an der sehr großen Zahl von Figuren, die Williams auftauchen lässt. Dabei nutzt er sie aber nicht als eine Art Stein in einem großen Mosaik, sondern behandelt jeden einzelnen wie den Hauptcharakter einer eigenen Geschichte, was den Fluss des Buches logischerweise bremst.

Neben der lahmenden Geschwindigkeit sind die zahlreichen Klischees ein großer Kritikpunkt. Man hat das Gefühl, als habe Williams von allerlei Geschichten, die ihm gefallen haben, Schnipsel genommen und sie zu seiner eigenen Geschichte verknüpft. Dadurch folgt die Handlung leider viel zu sehr ausgetretenen Pfaden. Hier eine Weissagung, dort ein Orakel und am Ende werden sie wahrscheinlich alle Recht haben. Man bleibt jedoch im Unklaren und wünscht sich regelmäßig, es würde sich endlich etwas Konkretes ergeben. Auch in anderen Punkten ist die Handlung ebenso festgefahren: Die Bösen sind natürlich böse und die Guten müssen leiden. Stirbt jemand, wird vorher deutlich mit einem bunten Strauß Zaunpfähle gewunken, so dass es sogar die betroffene Figur selbst merkt und zum Glück noch notwendige Vorkehrungen für ihre Begleiter treffen kann. Manches fügt sich entschieden zu glatt ineinander ein, mit teils recht weit hergeholten Erklärungen. Aber schließlich folgt die Geschichte ja einer oder mehrerer Prophezeiungen. Als abschließenden und besonders störenden Punkt empfinde ich übrigens die Tatsache, dass Williams jeden (wirklich JEDEN) Handlungsstrang mit einem Cliffhanger enden lässt.

Was Shadowplay letztlich aber doch nicht ganz verkommen lässt, ist Williams ansprechender Schreibstil. Dieser tröstet über die teils sehr störenden Kritikpunkte hinweg und macht das Buch doch noch unterhaltsam.