Autor: Pinborough@Sarah

Mayhem von Sarah PinboroughEs ist 1888 und zerstückelte Frauenkörper pflastern die Straßen in Whitechapel, London. Dr. Bond untersucht die gefundenen Überreste und kommt schon bald zu der Erkenntnis, dass Jack the Ripper nicht der einzige Serienmörder ist. Ein zweiter Killer treibt sich in den Armenvierteln herum und erlegt seine Opfer auf weit grausamere Weise. Was ist seine Motivation? Weshalb finden sich so viele Körperteile in der Themse wieder und andere bleiben verschollen? Bald schon macht Dr. Bond eine dämonische Entdeckung, die sein rationaler Verstand nicht zu begreifen bereit ist.

– »You cannot see it,« he whispered, eventually. »You cannot.« He smiled at her, and she found that she was sobbing. »But I will tell you a secret,« he whispered into her ear. There was a moment’s pause, and in it she held her terrified breath.
»It can see you.« –
Part One

»The Carnival of blood« – so nennen die Zeitungen den Sommer der ersten Morde. Mayhem zeichnet eine alternative Realität der Ripper-Morde und fügt den Fakten ein paar neue, übernatürliche Elemente hinzu, sowie einen weiteren Killer. Das zeitgleiche Agieren der beiden Mörder ist allerdings ein wenig irritierend, da der Roman nicht klar machen kann, weshalb er diese Figuren beide braucht. Zwar gibt es eine früh genannte Erklärung, die Notwendigkeit ist jedoch zweifelhaft, da Jack-the-Ripper stets nur beiläufig genannt wird und keine rechte Funktion erfüllt. Wenn man sich davon nicht zu sehr beeindrucken lässt, ist Mayhem aber ein interessantes und blutiges Leseerlebnis mit unter die Haut kriechendem Horror. Interessant daran ist, dass es nicht die Morde selbst sind, die schocken, sondern vielmehr die langsame Entdeckung des verantwortlichen Dämons und seine … Beschaffenheit.

Aufgebaut ist der Roman in drei Teilen. Im ersten Teil werden die Morde und die Nachwehen beschrieben, die die Bestie hinterlässt. Man startet also mitten im Geschehen, während den jüngsten Mordermittlungen.
Der zweite Teil ist der wirklich unheimliche Teil von Mayhem und wirkt noch besser bei stiller Umgebung und nächtlichen Lesestunden. Hierin lernen die LeserInnen die Bestie kennen, begegnen dem Menschen, von der sie Besitz ergriffen hat, und man verfolgt die schleichende Übernahme, der der Wirt wehrlos ausgeliefert ist.
Im dritten Teil schließlich folgt das Erkennen und Aufspüren der Bestie durch die Ermittler.
Entsprechend wechselt auch die Erzählperspektive. Der Hauptteil wird aus der Sicht von Dr. Bond erzählt, ein anderer Teil aus der Sicht des allwissenden Erzählers und wieder anderes durch Zeitungsschnippsel, die entsprechend optisch aufgemacht wurden. Die Erzählung verläuft nicht in chronologischer Linie, sondern mit Sprüngen in die Vergangenheit, um zur rechten Zeit ein wichtiges Detail zu verraten. Wer Rückblenden in Büchern verwirrend findet, sollte sich Mayhem vielleicht nicht unbedingt zulegen.

Die Charaktere in Mayhem sind ein wenig blass. Dr. Bond, der Arzt mittleren Alters, bietet da noch das beste Profil mit seiner Opiumsucht, seiner Schlaflosigkeit und den Alpträumen. Begleitet wird er von einem verkrüppelten Jesuitenpriester und einem tscheschichen Einwanderer, der von Visionen geplagt wird und dank einer ausgeprägten Furcht vor dem Wasser zum Himmel stinkt. Gemeinsam versuchen sie den Dämon aufzuspüren, scheinen aber immer einen Schritt hinterher zu hinken und müssen noch dazu im Schatten der offiziellen Polizeiermittlungen agieren. Denn wer würde dem seltsamen Trio schon die Geschichte von einem Dämon in Menschengestalt abkaufen? Helfen würde es Dr. Bonds Reputation freilich nicht.

Mayhem ist ein schwierig zu beurteilendes Buch. Einerseits sind die Ideen gut, doch der Ausarbeitung mangelt es zu oft an Herz, so dass alles ein wenig oberflächlich bleibt und es schwerfällt, von der Handlung mitgerissen zu werden. Wer sich aber gerne mit einer alternativen Erzählung der Rippermorde unterhalten möchte und ein wenig Gänsehaut hier und da sucht, findet in Mayhem eine solide Story mit Potential.
Ein weiteres Abenteuer von Dr. Bond ist bereits geplant, Mayhem schließt allerdings mit einem runden Ende ab und kann für sich stehend als Einzelband gelesen werden.

Poison von Sarah PinboroughErst vor kurzem hat der König seine neue blutjunge Königin geheiratet, da ruft ihn der Krieg auch schon wieder auf das Schlachtfeld. Während er im Kampf für sein Königreich steckt, zeigt sich, dass seine Angetraute einen unerklärlichen Hass auf die kaum jüngere Tochter Snow hat. Je mehr Zeit vergeht, desto düsterer werden die Gedanken der Königin …

– She’s too old for that nickname, the queen said. She was standing at the window of the royal bedchamber and looking down at the courtyard below. Morning sun beat on the ground, but the air was still chilly. She shivered. »She needs to start behaving like a lady. A princess.« –
1, Air and Earth, Light and Dark

Man braucht wohl eine spezielle Art Buchgeschmack, um ein Buch wie Poison mögen zu können, denn in diesem Roman ist nichts so, wie man es aus den zahlreich eingeflochtenen Märchen kennt. Das ist doch gut, denkt ihr? Nö.
So eine Märchennacherzählung kann man richtig oder falsch machen. Sarah Pinborough ist letzteres mit absoluter Bravour gelungen – das könnte man freilich auch als Leistung betrachten. Auf der einen Seite jedenfalls ist dieser kurze Roman natürlich tatsächlich völlig anders, als man es erwartet, und es stecken gute Ansätze drin, auf der anderen Seite ist die Geschichte auf nur 200 Seiten derart pervertiert und gestört (und damit meine ich nicht einmal die negativ behafteten Sexszenen), dass man das dringende Bedürfnis verspürt, der Autorin eine Therapie zu spendieren. Harsche Worte, ich weiß, aber harte Zeiten erfordern harte Maßnahmen, nicht wahr? Angesichts dessen, was dieser Roman für Charaktere zeichnet, ist das leider nur einer der vielen unfeinen Gedanken, die einem in den Sinn kommen.

Hat jemand Charaktere gesagt? Gut, dann auf zum wichtigsten, verkorksten Akt dieses Dramas.

Die Charaktere sind eine Katastrophe. Von Anfang bis Ende hat man nie das Gefühl, sie wenigstens halbwegs zu kennen, und sie alle erfüllen mindestens ein nicht tot zu kriegendes Klischee, besser noch mehrere auf einmal. Klar, es ist eine Märchennacherzählung, von der wir hier reden, da ist kein Platz für lange Charakterentwicklung, aber es gibt Kurzgeschichten, die kriegen auf einem Zehntel der Seiten mehr zustande als Poison im ganzen Roman. Es kann also kein Seitenlimit schuld sein, dass Pinboroughs Figuren dermaßen hohl geraten sind wie das Innere einer von Termiten zerfressenen Wand. Wenn sie gerade mal etwas aktiver werden, sind sie gleich ziemlich abstoßend oder verhalten sich völlig anders als noch in der Szene davor, als hätten sie eine gespaltene Persönlichkeit. Die böse Königin ist mal die Inkarnation des Bösen und plötzlich doch wieder nur unglücklich, weil sie so schrecklich missverstanden wird. Schneewittchen ist einerseits das perfekte, brave Prinzesschen und dann doch wieder die wilde, ungezähmte Kraft der Mutter Erde. Prince Charming ist erst der klassische naive junge Mann und schlägt dann plötzlich eine Richtung ein, bei der man nur noch zusehen kann, wie alles weiter den Bach hinuntergleitet. Man weiß einfach nie, woran man bei den Figuren ist. Es gibt keine klare Linie bei der Charakterzeichnung. Die Autorin versucht ihnen teils schwierige Vergangenheiten zu geben, damit sie mehr Tiefgang bekommen, leider bleibt es auch da bei dem kläglichen Versuch.

Eigentlich handelt es sich bei Poison explizit nicht um ein Jugendbuch. Die angekündigten Sexszenen machen das deutlich klar. Komischerweise ist der Rest des Buches dann aber doch eher jugendbuchig. Angefangen bei der märchenhaften Covergestaltung und den verspielten Illustrationen im Innenteil, die man sonst nur in Kinderbüchern antrifft. Inhaltlich hat sich die Autorin mehr an der Disneyvorlage orientiert als am ursprünglichen Märchen (Stichwort: Zwerge mit Namen wie Dreamy und Grumpy). Auch sprachlich ist Poison nicht gerade der weite Wurf, eher auf dem Niveau eines Lesers ab ca. 10-12 Jahren, und das trägt im Gesamtbild dazu bei, dass die Autorin den Eindruck vermittelt, nicht gewusst zu haben, was dieses Buch am Ende eigentlich werden sollte.

Poison ist als Titel vermutlich die einzig gelungene Idee an diesem Machwerk, denn das Buch verstärkt so ziemlich alle negativen Vorurteile, die man gegen das jeweils andere Geschlecht haben kann. Man spürt den Hass praktisch wie Gift durch die eigenen Adern fließen, aber ob das mal so gesund für das Zusammenleben mit anderen ist? Männer jedenfalls sind alle Schweine oder Psychopathen oder Killer oder Vergewaltiger oder alles auf einmal, Frauen sind alle geld-/machtgeil oder Schlampen oder launenhaft oder naiv (oder alles auf einmal …). Noch Fragen? Und entschuldigt die plumpe Wortwahl, es gibt leider Momente, da sollte man es einfach nicht höflich umschreiben.
Wer hier also schon etwas sensibilisiert ist für das Thema, sollte tunlichst die Finger von dem Buch lassen. Schlechte Laune und Abscheu für das andere, aber auch für das eigene Geschlecht, sind garantierte Folgeerscheinungen. Um es kurz zu sagen, Poison liefert ein Happily ever after für die schlechten Menschen ab und lässt alles andere offen, um auch hier noch ein letztes Mal Frustration zu schaffen. Damit ist Poison nicht nur als Märchennacherzählung eine Enttäuschung, es lässt einen auch bereuen, Geld dafür zum Fenster hinaus geworfen zu haben.