Zum 75. Geburtstag von Suzy McKee Charnas

Bibliotheka Phantastika gratuliert Suzy McKee Charnas, die heute 75 Jahre alt wird. Auf den allerersten Blick könnte man Walk to the End of the World (1974), den Erstling der am 22. Oktober 1939 in New York City geborenen Suzy McKee Charnas, für einen dieser typischen Post-Doomsday-Romane halten, die es vor allem Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre recht häufig gegeben hat – aber schon bei ein bisschen genauerem Hinsehen entpuppt er sich als eine bedrückende feministische Dystopie, die sich eines postapokalyptischen Settings bedient und das Bild einer neo-barbarischen Gesellschaft auf die Spitze treibt. Denn in Holdfast, einem der Orte, an dem mehrere Generationen nach einem weltweiten Atomkrieg noch Menschen leben, haben ausschließlich Männer etwas zu sagen (auch wenn sie The Slave and the Free von Suzy McKee Charnassich einer rigiden hierarchischen Struktur unterwerfen müssen). Die Frauen hingegen, denen man die Schuld an der weltweiten Katastrophe gibt, werden geringschätzig als “Fems” bezeichnet und sind praktisch Sklaven, die man zum Arbeiten und (leider) zur Fortpflanzung braucht. Auch wenn das wie ein Gestalt gewordener feministischer Alptraum klingt (und letztlich auch ist), nutzt Suzy McKee Charnas dieses Szenario nicht für eine plakative Darstellung der Leiden der Fems oder der Grausamkeit der Männer; ihr Interesse gilt vielmehr einer Gesellschaft, die so vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten ist, dass auch die Herrschenden in ihr alles andere als glücklich sind (was nicht bedeutet, dass sie auf die Idee kommen, das System zu hinterfragen).
In der Fortsetzung Motherlines (1978) stößt Alldera, eine der Fems, der die Flucht aus Holdfast gelungen ist, zunächst auf ein Volk von Amazonen, die frei und ungehindert auf dem Rücken ihrer Pferde durch das Grasland streifen, und trifft später auf die (deutlich mehr organisierten) Free Fems. Erst 1994 setzte Suzy McKee Charnas die mittlerweile als solche betitelten Holdfast Chronicles mit The Furies (und einem Angriff auf Holdfast durch die Free Fems) fort und brachte den Zyklus – dessen erste beide Bände gleichzeitig als Sammelband (The Slave and the Free) neu aufgelegt wurden – schließlich mit The Conqueror’s Child (1999) zum Abschluss. Die gesamte Sequenz gilt trotz des bitterbösen Auftaktbands als eines der grundlegenden sich der Genderthematik und -problematik widmenden Werke des Genres – und Band eins und zwei haben es als Tochter der Apokalypse (1983) und Alldera und die Amazonen (1984) erstaunlicherweise auch nach Deutschland geschafft.
Während vor allem Walk to the End of the World allerhand Aufsehen erregte und überaus kontrovers diskutiert wurde (und Suzy McKee Charnas in der SF-Szene nicht unbedingt viele Freunde verschafft hat – so musste sie z.B. knapp ein Jahr lang nach einem Verlag für den zweiten Band suchen), war The Vampire Tapestry bei Kritikern und Leserinnen gleichermaßen ein großer Erfolg. Im Mittelpunkt dieses aus fünf längeren Erzählungen – von denen “The Unicorn Tapestry” gesondert veröffentlicht und 1981 mit dem Nebula Award ausgezeichnet wurde – bestehenden Episodenromans steht der Anthropologe Dr. Edward Lewis Weyland, der außerdem ein Vampir ist. Allerdings ein etwas anderer Vampir, denn er fürchtet weder Knoblauch, noch schläft er in einem Sarg oder verwandelt sich in eine Fledermaus, und er hat auch nicht die typischen Fangzähne; seine Methode, seinen Opfern das Blut auszusaugen, ist unauffälliger. Mit diesem auf Deutsch als Der Vampir-Baldachin (1984) erschienenen Roman (oder Sammelband) hat Suzy McKee Charnas dem Vampir-Mythos eine originelle, zu Unrecht inzwischen leider ziemlich vergessene Facette hinzugefügt.
Verglichen mit den Holdfast Chronicles oder The Vampire Tapestry sind Charnas’ weitere Werke – wie z.B. die aus den Bänden The Bronze King (1985), The Silver Glove (1988) und The Golden Thread (1989) bestehende Fantasy-Jugendbuch-Trilogie Sorcery Hall (in der ein paar Jugendliche unsere Welt vor einer bösartigen Anderswelt schützen müssen) oder Dorothea Dreams (1986; ein Geisterroman) – relativ unbedeutend. Eine Erwähnung wert wäre aber vielleicht noch ihre mit dem Hugo Award ausgezeichnete Story “Boobs” (1989; dt. als “Möpse” in Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin 35 (1990)), eine feministische Werwolf-Story, in der sich ein Mädchen an den Männern dafür rächt, wie sie mit ihr während ihrer Pubertät umgegangen sind.

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