Zum 65. Geburtstag von Lillian Stewart Carl

Bibliotheka Phantastika gratuliert Lillian Stewart Carl, die heute 65 Jahre alt wird. Zwar ist die am 22. Juni 1949 in Columbia, Missouri, geborene Lillian Stewart Carl heutzutage in ihrer Heimat vor allem als Autorin von Krimis mit mehr oder weniger phantastischem Einschlag bekannt, doch angefangen hat ihre schriftstellerische Karriere mit Fantasy – oder, genauer gesagt, mit Sword & Sorcery. Denn “The Borders of Sabazel”, ihre erste, in der von Jessica Amanda Salmonson herausgegebenen Anthologie Amazons II (1982) veröffentlichte Story, ist eine waschechte Sword-&-Sorcery-Story, in der Danica, die Kriegerin und Königin des Amazonenreiches Sabazel, ihren ersten Auftritt hat und zum ersten Mal dem Eroberer und zukünftigen Gottkönig Marcos Bellasteros begegnet.
Danica und Bellasteros sind auch die Hauptfiguren von Sabazel (1985), dem ersten Band der Sabazel Series, in dem ihre Geschichte weitergesponnen wird (und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn die ursprüngliche Kurzgeschichte bildet leicht abgewandelt die ersten beiden Kapitel des Romans). Die Amazonenkönigin und der Eroberer – für den unzweifelhaft Alexander der Große Pate stand – müssen ihre gegenseitigen Vorbehalte überwinden, um ein politisches Bündnis zu schmieden, doch je näher die beiden sich kommen, desto größer werden die Widerstände im Lager von Bellasteros, dessen Reich alsbald von innen und außen bedroht wird, und der mehr als je zuvor der Unterstützung der Amazonen und ihrer Göttin bedarf.
The Winter King von Lillian Stewart CarlSabazel bietet einerseits typische und weniger typische S&S-Elemente – Zweikämpfe und blutige Schlachten, Magie, übermenschliche Heldenfiguren beiderlei Geschlechts und ein Amazonenreich, das zumindest funktionieren könnte –, die mit einer glaubhaft umgesetzten Liebesgeschichte verwoben sind; andererseits gibt der Roman den Rahmen vor, in dem sich auch die weiteren Bände des Zyklus bewegen: eine alternative antike Mittelmeerwelt, in der die Mythen unserer Welt ebenso real sind wie Magie, und in der sich die Götter wie in den griechischen Sagen und Legenden gern mal ins Geschehen einmischen. Und ebenso, wie man in Bellasteros rasch einen alternativen Alexander erkennen kann, lassen sich auch die realen Vorbilder zumindest der nächsten beiden Bände – in denen Andrion, der Sohn von Danica und Bellasteros die Hauptrolle spielt – leicht ausmachen, egal, ob er es in The Winter King (1986) mit der Crimson Horde, dem Reitervolk der Khazyari aus den westlichen Steppen, zu tun bekommt, oder sich in Shadow Dancers (1987) nach der Entführung seiner Frau in das Inselkönigreich Minras begeben und sich nicht nur mit dessen von Dämonen besessener Königin auseinandersetzen muss, sondern auch mit dem Gott im Labyrinth. In Wings of Power (1989) schließlich verschlägt es Gard, einen Enkel der ursprünglichen Hauptfiguren, dem sein Erbe (nicht das weltliche) ebenso viele Probleme macht wie sein jugendlicher Leichtsinn, weit nach Osten, ins exotische Königreich India, wo er dessen Sklavenmärkte und dunkle Verliese kennenlernt und sich bösartiger Magier erwehren muss – und so ganz nebenbei einen Krieg auslöst.
Insgesamt ist die Sabazel Series ein gelungenes Beispiel für mit leichter Hand erzählte, aber keineswegs unspannende oder unblutige Sword & Sorcery in einem an der griechischen Antike orientierten, farbig und plastisch gestalteten Setting, in der es ungeachtet aller Kämpfe und Kriege und magischen Attacken auch immer wieder um die Annäherung einander zunächst fremder Kulturen geht. Auf Deutsch ist von Lillian Stewart Carl weder ihr Fantasy-Zyklus noch einer ihrer übersinnlichen Krimis erschienen. Einzig und allein “The Borders of Sabazel” hat es als “Die Grenzen von Sabazel” im Rahmen der Anthologie Neue Amazonen-Geschichten (1983) nach Deutschland geschafft. Somit können rein deutschsprachige Leserinnen und Leser Danica und Bellasteros zwar kennenlernen, doch das Potential, das in den Figuren und dem Setting steckt, lässt sich anhand der zwar ganz netten, aber letztlich nicht mehr als durchschnittlichen Kurzgeschichte allenfalls erahnen.

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