Lud-in-the-Mist

Ein heute leider nur noch wenig beachteter Klassiker aus dem Jahre 1926 ist unser Buch des Monats Juni: Hope Mirrlees’ Lud-in-the-Mist (ISBN: 978-1857987676; auf Deutsch als Flucht ins Feenland erschienen).
Im Kleinstaat Dorimare mit seiner HauptstLud-in-the-Mist von Hope Mirrleesadt Lud-in-the-Mist herrscht biedere Wohlanständigkeit. Die durch Handel zu Reichtum gelangten Bewohner ignorieren geflissentlich die Existenz des angrenzenden Feenreichs, in dem nicht nur die Toten, sondern auch der sinnenfrohe abgesetzte Herzog von Dorimare und seine Entourage ihr Unwesen treiben. Schmuggel und Genuss der drogengleichen Feenfrüchte sind ein Tabuthema. Auch Bürgermeister Nathaniel Chanticleer wahrt nach außen hin eine propere Fassade, doch als sich sonderbare Vorfälle häufen und sogar seine eigenen Kinder in Kontakt mit der Feenwelt geraten, muss er sich auf Langverdrängtes besinnen und gegen die eingefahrenen Überzeugungen seiner Landsleute handeln …

Die Inhaltsskizze allein verrät noch nicht, was diesen poetischen Roman ausmacht, der im Grunde jegliche Genregrenzen sprengt und neben dem ausgeprägten Fantasyelement zugleich ein halber Krimi und ein wenig auch Gesellschaftskomödie ist. Auf einem sprachlichen Niveau, das viele jüngere Fantasywerke leider nicht einmal ansatzweise erreichen, beschwört Mirrlees mit viel Humor und Leichtigkeit Wunderbares ebenso wie Unheimliches herauf (wobei sich beides nicht gegenseitig ausschließt). In ihren nostalgischen bis märchenhaften, aber niemals altbacken wirkenden Schauplätzen lässt es sich schwelgen, und die Wendungen, die der Plot einschlägt, wirken durchaus frisch und unerwartet.
Doch einen Gutteil seines Charmes verdankt Lud-in-the-Mist auch dem auf den ersten Blick gänzlich unheldenhaften Nathaniel Chanticleer, der einem im Laufe der Geschichte immer stärker ans Herz wächst und anders als etwa Tolkiens Bilbo Baggins nicht aus seinem beschaulichen Dasein in ein scharf abgegrenztes Abenteuer aufbricht, sondern beide Aspekte seines Lebens vereinen kann und muss.
So ist das wunderschöne Buch zugleich eine Auseinandersetzung mit der im frühen 20. Jahrhundert auch in der nichtphantastischen Literatur (man denke etwa an Thomas Mann!) populären, aber eigentlich zeitlosen Frage, ob und wie die wilden, dunkleren und nicht zuletzt auch künstlerischen Elemente des Menschseins in eine gebändigte Zivilisation zu integrieren sind. Die Antwort, die Mirrlees darauf findet, stimmt hoffnungsvoll.

Ein Kommentar zu Lud-in-the-Mist

  1. Raskolnik sagt:

    Schön, dass “Lud-in-the-Mist” doch noch nicht völlig vergessen ist! 🙂 Der Roman verdient wirklich eine kleine Renaissance!

Hinterlasse einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst diese HTML Tags und Attribute nutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>