Lilith hat den letzten Weltkrieg überlebt, aber das verdankt sie nicht anderen Menschen. Die Erde ist durch atomare Strahlung unbewohnbar geworden, die Menschheit hätte sich selbst ausgelöscht, wären da nicht die Oankali, die Lilith auf eines ihrer Raumschiffe gebracht und damit gerettet haben. Doch ihre Motive sind nicht ganz uneigennützig …
Octavia Butler ist es gelungen, mit Dawn (Dämmerung), dem Auftaktband der Trilogie Lilith’s Brood (auch bekannt als Xenogenesis Trilogy) eines der eindrücklichsten Begegnungsszenarien zwischen Menschen und Außerirdischen zu entwerfen, indem sie stets eine grundlegende Ambivalenz des Kontakts mit den Außerirdischen aufrechterhält – ein Spannungsverhältnis zwischen Dankbarkeit, Sympathie und langsam aufkommender Zuneigung einerseits, Fremdheit, Isolation und Manipulation andererseits. Damit beweist sie einmal mehr, dass sie ein Händchen für die Darstellung komplexer Beziehungen und sozialer Systeme hat. Sie nimmt sich viel Zeit, um die Aufnahme Liliths in die Gesellschaft der Oankali darzustellen, Figurenkonstellationen zu entwickeln und dem Leser/der Leserin Informationen über die Oankali zukommen zu lassen – durch Liliths Augen. Auch Lilith selbst lernt man dabei näher kennen, die klug, selbstbestimmt und tough ist, zugleich aber mit Unsicherheiten und ihrer persönlichen Vergangenheit zu kämpfen hat, die immer wieder ihr Handeln und ihre Gefühle beeinflusst. Damit erweist sie sich als faszinierende und glaubhafte Protagonistin, die sehr viel Identifikationspotential bietet.
Dass die Oankali nicht nur Lilith gerettet haben, sondern auch andere Menschen in Isolation auf dem riesigen Raumschiff der Außerirdischen festgehalten werden, ist keine große Überraschung. Wie Butler dieses Thema aufgreift, verdeutlicht jedoch erneut ihre schriftstellerischen Qualitäten, denn sie verfällt nicht in einen simplen Menschen-Außerirdische-Dualismus. Vielmehr gestattet sie dem Leser/der Leserin einen Blick auf die menschliche Entwicklung und beleuchtet in der Folge jene Themen aus einer anderen Perspektive, die bereits in der ersten Romanhälfte angesprochen werden: Gruppenzugehörigkeit und die Bedeutung (weiblicher) Sexualität für die Markierung der Grenze zwischen „uns“ und „denen“ und tatsächlich gewinnt der Roman hier nochmals an Tiefe.
Dawn kann, obwohl es als Auftaktband dient, gut für sich alleine gelesen werden, die folgenden beiden Romane haben neue Protagonisten und sind zeitlich etwas später angesiedelt. In englischer Sprache liegen alle drei Teile als Sammelband Lilith’s Brood vor, die deutsche Ausgaben – sowohl der Einzelroman Dämmerung, als auch die deutschen Sammelbände Xenogenesis bzw. Die Genhändler – sind inzwischen wohl nur noch antiquarisch erhältlich. Das hier abgebildete Cover entstammt der Ebook-Ausgabe.
Lilith’s Brood (2007), Grand Central Publishing, ISBN: 9780446676106
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