Zum Gedenken an Randall Garrett

Bibliotheka Phantastika erinnert an Randall Garrett, der heute vor 25 Jahren gestorben ist. Die Schriftstellerkarriere des am 16. Dezember 1927 in Lexington, Missouri, geborenen Gordon Randall Phillip David Garrett begann im Jahre 1944 mit der Veröffentlichung der Kurzgeschichte “The Absence of Heat” (als Gordon Garrett) im SF-Magazin Astounding. In den 50er Jahren etablierte er sich rasch als überaus fleißiger Vielschreiber, der unter seinem eigenen Namen sowie unter diversen Pseudonymen (und teilweise in Zusammenarbeit mit Robert Silverberg und anderen Autoren) bis in die 60er Jahre hinein unzählige Geschichten für Magazine wie Amazing, Fantastic und Astounding (bzw. Analog) verfasste. Am bekanntesten von diesen frühen Arbeiten dürften die gemeinsam mit Silverberg geschriebenen Geschichten um den Planeten Nidor sein, die nach ihrer Magazinveröffentlichung auch als “Fix-Ups” erschienen sind: The Shrouded Planet (1957) und The Dawning Light (1959), dt. zuletzt als Sammelband Planet der Dämmerung (1987).
Too Many Magicians con Randall GarrettIn Analog hatte im Januar 1964 dann auch die Figur ihren ersten Auftritt, deren Abenteuer den wichtigsten Beitrag Garretts zur SF und Fantasy bilden: Lord Darcy, der in “The Eyes Have It” das erste Mal einen Kriminalfall in einem Alternativwelt-England lösen muss, in dem Magie funktioniert. Im September des gleichen Jahres folgte mit “A Case of Identity” die zweite, im Juni 1965 mit “The Muddle of the Woad” die dritte Geschichte, und 1966 wurde dort auch in vier Teilen Too Many Magicians (1967; dt. Komplott der Zauberer (1981)), der einzige Lord-Darcy-Roman, vorabgedruckt. Der Reiz dieser Geschichten liegt einerseits in ihrem Setting, einem immer noch von den Plantagenets beherrschten anglo-französischen Reich (das nicht nur England und Frankreich, sondern auch einen großen Teil Westeuropas und Nordamerikas umfasst), in dem eine mehr oder weniger wissenschaftlichen Gesetzen gehorchende Magie (die ein bisschen an PSI-Kräfte erinnert, was in Anbetracht des Entstehungszeitraums besagter Geschichten nicht ungewöhnlich ist) die Weiterentwicklung der Naturwissenschaften unnötig gemacht hat, vor allem aber an dem eindeutig nach dem Vorbild Sherlock Holmes modellierten Lord Darcy und seinem “Watson”, dem Justizhexer (im Original ein “forensic sorcerer”, was wesentlich besser passt) Master Sean O’Laichlann, sowie an den Kriminalfällen, die sich in Bezug auf ihre Figurenkonstellation oder ihren Plot häufig an den klassischen Krimis eines Rex Stout oder John Dickson Carr orientieren.
In den 70er Jahren erschienen weitere Geschichte, die zusammen mit den früheren in zwei Sammelbänden veröffentlicht wurden: Murder and Magic (1979; dt. Mord und Magie (1982)) und Lord Darcy Investigates (1981; dt. Des Königs Detektiv (1986)). Lord Darcy (2002) beinhaltet schließlich sämtliche Erzählungen und den Roman und gruppiert die Texte gemäß der Handlungs-Chronologie (was für den deutschen Sammelband Lord Darcy – Die vollständigen Ermittlungen in Sachen Mord und Magie (1989) nicht gilt).
Schon zu Beginn seiner Karriere hatte Randall Garrett gerne und häufig mit anderen Autoren zusammengearbeitet, da erscheint es nur folgerichtig, dass er das auch an ihrem Ende wieder tun sollte. Denn nachdem er von Mitte der 60er bis Ende der 70er vergleichsweise wenig geschrieben hatte, konzipierte er Ende der 70er Jahre zusammen mit seiner dritten Frau Vicki Ann Heydron den Gandalara Cycle. In den sieben Bänden The Steel of Raithskar (1981), The Glass of Dyskornis (1982), The Bronze of Eddarta (1983), The Well of Darkness (1983), The Search for Kä (1984), Return to Eddarta (1985) und The River Wall (1986) wird die Geschichte des alternden, todkranken Romanistikprofessors Ricardo Carillo erzählt, der während einer Mittelmeerkreuzfahrt eine Katastrophe miterlebt und sich plötzlich in einer brennend heißen Wüste im Körper eines jungen Mannes namens Markasset wiederfindet, den ein telepathisches Band mit Keeshah, einer säbelzahntigerartigen Großkatze, verbindet. In der Folge entwickelt sich eine – vielleicht ein bisschen zu breit ausgewalzte – abenteuerliche Handlung, in der Ricardo sich nicht nur in der fremden Umgebung und dem fremden Körper zurechtfinden, sondern zudem sich bzw. Markasset, der wegen Mordes und Diebstahls gesucht wird, rehabilitieren muss. Und natürlich muss er herausfinden, wo er sich überhaupt befindet.
The Search for Kä von Randall GarrettAuch wenn Randall Garrett und Vicki Ann Heydron gemeinsam als Verfasser der sieben Bände genannt werden – die auf Deutsch als Der Stahl von Raithskar, Das Glas von Dyskornis, Die Bronze von Eddarta, Der Quell der Dunkelheit, Die Suche nach Kä, Die Rückkehr nach Eddarta (alle 1988) und Der heilige Stein (1989) erschienen sind – stammen von Garrett selbst nur das Konzept und ein Rohentwurf des ersten Bandes. Denn nachdem er 1979 an Enzephalitis erkrankt war, wurde er 1981 zum Pflegefall und starb am 31.12. 1987.
Randall Garrett mag – gemessen an seinem Gesamtausstoß – wenig Bedeutendes zur SF und Fantasy beigetragen haben. Die Lord-Darcy-Geschichten gelten allerdings zu recht als früher Meilenstein des Genres und eine der gelungensten Synthesen aus Motiven und Elementen der Fantasy und des Krimis. Darüberhinaus ist bemerkenswert, dass Lord Darcy – im Gegensatz zu den meisten anderen Fantasyhelden, die ihre Geburtsstunde in den Pulps oder den etwas weniger pulpigen Magazinen der 50er und 60er Jahre erlebten – mehr auf sein Köpfchen bzw. seine deduktiven Fähigkeiten als auf seine Körperkräfte oder ein Breitschwert vertraut (obwohl es natürlich kein Schaden ist, dass Master Sean über diverse Verteidigungszauber verfügt), und dass Religion und vor allem priesterliche Magie in den Lord-Darcy-Erzählungen überaus positiv dargestellt werden. Und auch der Gandalara-Zyklus ist nur vordergründig eine etwas andere Heroic-Fantasy-Saga mit einem originellen Bonding zwischen Gandalarern und Großkatzen, denn die abenteuerlich-spannende Handlung wird von einem spirituellen Konzept getragen, das durchaus bemerkenswert ist.

3 Kommentare zu Zum Gedenken an Randall Garrett

  1. Pegasus sagt:

    Vielen Dank für den (erhellenden) Beitrag, Gerd.
    Dass nur das Konzept und der Rohentwurf des ersten Bandes vom Gandalara-Zyklus, an dem ich wirklich meine Freude hatte, von ihm stammen, wusste ich gar nicht.

  2. Carlo sagt:

    Mittlerweile neigt sich das Jahr 2016 seinem Ende entgegen (reale Zeitrechnung:)) und ich habe jetzt erst den Gandalara-Zyklus entdeckt.
    Nach einem schwierigen Einstieg (mit Band drei) besorgte ich die restlichen Bände. Randall Garrett war mir durch die “Lord D’Arcy-Geschichten” und “Planet der Dämmerung” durchaus ein positiver Begriff.
    Zum Zyklus: Erst einmal ist festzustellen: im Gegensatz zu den ‘modernen’ Reihen baut jeder Band stringent auf dem Vorläufer auf. Man muss also wirklich bei Band Eins beginnen, damit sich der Sinn des Gesamten erschließt.
    Zum zweiten ist die Hauptperson wirklichkeitsnah beschrieben; inklusive Ungeduld, Zorn, aber auch Wohlwollen, Erfahrung usw.
    Die Gesamtidee vermag zu überzeugen, auch wenn der Eifall einer teiltelepatischem Nebenlinie der Menschheit (mich) heute etwas befremdet. Absolut köstlich ist die Schilderung des Riesenkaters Keeshah; kätzisches Verhalten genau beobachtet und auf die Spitze getrieben. Das vieles von der späteren Ehefrau stammt, mag damit zusammenhängen.
    Es ist wirklich Schade, dass diese Feder nicht mehr schreibt.
    Daher Danke für den “Luctuläums”-Lebensabriss (luctus, lat. Trauern).
    Übrigens ist von Vicki Ann Heydron ausser “Gandalara” nichts auf Deutsch erschienen – anscheinend hat sie nichts mehr veröffentlicht; ebenso Schade.
    P.S. Es gibt zwei spätere Lord D’Arcy-Geschichten, von einem anderen Autor, deren Qualität ich aber nicht kenne. Wie wär’s
    mit einer Kurzkritik bei den fantastischen Couchpotatoes?

  3. gero sagt:

    Hallo Carlo,

    eigentlich wollte/sollte ich schon längst auf deinen Kommentar geantwortet haben, aber wie man an der derzeitigen Frequenz der Blogposts vielleicht erkennen kann, läuft hier momentan alles ein bisschen unrund …

    Zunächst einmal freut es mich, dass du den Gandalara-Zyklus entdeckt hast und er dir gefallen hat; denn auf ganz oder halb “vergessene”, an den Rändern des Genres angesiedelte oder nie zu Bestsellerehren gekommene Autoren und Autorinnen bzw. Werke hinzuweisen, ist – wie schon mehrfach erwähnt – einer der Gründe, warum wir diese Beiträge bringen.

    Was Vicki Ann Heydron angeht, hat sie anscheinend außer dem Gandalara-Zyklus nur noch zwei Erzählungen geschrieben. Die erste – “Keepersmith” – hat sie gemeinsam mit Randall Garrett noch vor Gandalara verfasst (möglicherweise war das ein Test, wie es mit der Zusammenarbeit läuft, denn ich gehe stark davon aus, dass Garrett ursprünglich selbst an dem Zyklus mitschreiben wollte und nur durch seine Krankheit Vicki Ann Heydron praktisch die gesamte Schreibarbeit übernehmen musste); erschienen ist sie in der Frühjahrsausgabe 1979 von Asimov’s SF Adventure Magazine. Die zweite – “Cat Tale” – stammt von ihr allein und ist parallel zum Gandalara-Zyklus erschienen, und zwar in der von Marion Zimmer Bradley herausgegebenen Anthologie Greyhaven (1983), die es als Geschichten aus dem Haus der Träume (1985) auch nach Deutschland geschafft hat (die Story selbst heißt auf Deutsch “Katzengeschichte”).

    Bei dem Autor, der zwei zusätzliche Lord-D’Arcy-Geschichten (genauer gesagt sind es Romane) verfasst hat, handelt es sich um Michael Kurland. Besagte Romane – Ten Little Wizards (1988) und A Study in Sorcery (1989) – sind ebenfalls übersetzt worden und hierzulande als Zehn kleine Zauberer (1990) und Eine Studie in Zauberei (1992) erschienen. Ich habe zumindest einen davon sogar gelesen, kann mich aber nicht mehr an irgendwelche Einzelheiten erinnern. Anfang 2018 wird Michael Kurland 80 Jahre alt – das wäre dann vielleicht eine Gelegenheit, ihm einen Beitrag im Blog zu widmen und dafür nochmal in die beiden Romane reinzuschauen. Vorher wird das ziemlich sicher nicht passieren …

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