Winter des Verrats

Cover des Buches "Winter des Verrats" von Daniel AbrahamKlirrend kalt sind die Winter in Machi, der nördlichsten der unermeßlich reichen Sommerstädte. Und eiskalt sind auch die Intrigen, die in diesen Tagen und Wochen die Stadt zu vergiften drohen. Denn der Herrscher von Machi liegt im Sterben, und gemäß der Tradition kämpfen seine ältesten Söhne unerbittlich um die Nachfolge. Doch was noch niemand ahnt: in den Schatten der Stadt formieren sich bislang unbekannte Kräfte. Und sie schrecken vor keiner noch so abscheulichen Tat zurück, um den Winter des Verrats zu ihrem ganz persönlichen Vorteil zu nutzen…

– Als sie sich ausgeweint hatte, sammelte Idaan die Fetzen des Briefes sorgfältig auf und legte sie unter ihr Kissen. Dann senkte sie den Kopf und betete aus ganzem Herzen zu allen Göttern, dass ihr Vater sterben möge – und zwar rasch und ohne die wahre Natur seiner Tochter entdeckt zu haben.-
Kapitel 5

… Ich hoffe, dass Daniel Abraham mit seinem Winter des Verrats an diesen starken Auftakt anknüpfen kann …
Mit diesen Worten hatte ich meine Besprechung zu Sommer der Zwietracht, dem ersten Band des Zyklus um die Magischen Städte, beendet. Nun weiß ich mehr, und soviel sei vorne weg verraten: Er kann.
Die Intrigen gehen weiter, und langsam werde ich wirklich neugierig… Was will das Volk der Galten eigentlich? Bis jetzt wird eigentlich nur von ihnen gesprochen. Sie agieren im Hintergrund und kaufen sich – wahrscheinlich mit Unsummen – in entscheidungsbefugte Kreise ein. Aber welchem Zweck dient das Ganze? Liest man Winter des Verrats, beginnt man die Zusammenhänge ein wenig zu erahnen: Der Herrscher der Winterstadt Machi liegt im Sterben, und gemäß der Tradition kämpfen nun dessen drei älteste Söhne um die Nachfolge. Ein barbarischer Brauch – nebenbei bemerkt – wobei derjenige als nächster den Thron besteigt, dem es gelingt, beim Kampf um die Nachfolge am Leben zu bleiben… Hmm… ich weiß nicht, ob es so gut für eine Stadt, ein Volk oder ein Reich ist, jemanden zum König haben, der am gewieftesten seine Familie umzubringen weiß… aber sei’s drum…
In diesem Kampf mischt diesmal jemand mit, der dafür eigentlich nicht vorgesehen ist und Hilfe vom Volk der Galten erhält. Die Galten betreiben eine hinterhältige Politik, die darauf abzielt, die Vormachtstellung der Khaistädte zu untergraben, und auch deren Reichtum – der auf den von den Dichtern des Reiches beschworenen Andaten beruht – sticht ihnen in die Augen. Es scheint wohl eines ihrer wichtigsten Ziele zu sein, das Wissen um das streng gehütete Geheimnis der Andatenbeschwörung ohne große Aufmerksamkeit an sich zu bringen.

Daniel Abraham gelingt es abermals mit seinen detailreichen Beschreibungen, die Figuren sehr lebendig wirken und deren Konflikte, Leidenschaften und inneren Sehnsüchte den Leser miterleben zu lassen. Eine der faszinierendsten Figuren des zweiten Bandes ist Idaan, die Tochter des sterbenden Herrschers von Machi. Sie ist im Grunde eine unspektakuläre Erscheinung: nicht besonders hübsch, aber auch nicht ausgesprochen hässlich. Sie versteht es allerdings meisterhaft, sich mit Lidschatten, Make-Up und Kajal gebührend in Szene zu setzen. Diese Kunst ist durchaus von Vorteil, und sie weiß ihre dadurch erreichte äußere Erscheinung geschickt für ihre Ziele einzusetzen. Sie hasst die Konventionen, in die sie als Frau und Herrschertochter hineingeboren wurde, und kämpft auf ihre Weise dagegen an. Sie weiß genau, was sie will, und spinnt – mit Hilfe mächtiger Verbündeter … – eine folgenschwere Intrige…
Obwohl sie einen anderen Mann heiraten soll, teilt Idaan mit Chemai, dem Dichter der Stadt, das Bett, und man wird beim Lesen den Eindruck nicht los, dass sie ihn ziemlich zum Narren hält. Sie sucht seine Nähe zunächst auch nur, um sich nicht mit ihren schweren Schuldgefühlen herumplagen zu müssen, doch bald wird aus dieser anfänglichen Zerstreuung Liebe – oder sagen wir: Leidenschaft, und das wiederum bringt sie bald arg in Bedrängnis. Idaan ist eine Figur, die mit ihren psychischen und charakterlichen Abgründen vom Autor am genauesten ausgearbeitet wurde. Da gibt es den – verständlichen – Wunsch, etwas darzustellen, jemand zu sein und beachtet zu werden. Diese Bedürfnisse setzt sie allerdings äußerst rücksichtslos durch. Ihr Geltungsbedürfnis und Machtstreben geht auf Kosten anderer, ohne dass sie selbst dazu bereit wäre, Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen. Andererseits empfindet sie Reue, sie sehnt sich nach der Unschuld ihrer Kindertage und würde am liebsten alles ungeschehen machen. Diese Beschreibung der Figur der Idaan ist Daniel Abraham so gut gelungen, dass man ohne Schwierigkeiten nachvollziehen kann, was in ihr (und – nebenbei bemerkt – auch in den anderen Figuren des Romans) vorgeht.
Gleiches gilt für Chemai: Der Autor beschreibt ihn als Menschen, dem es aufgrund seiner Jugend an Reife und Abgeklärtheit fehlt. Idaan ist seine erste große Liebe, und das trübt nicht nur sein Urteilsvermögen, sondern lässt ihn auch einen Fehler begehen: er schwört, sie bedingungslos vor allem zu beschützen. Dieser Schwur hat bei seiner besonderen Stellung auch ein besonderes Gewicht und Chemai gerät dadurch auch bald in eine besondere Zwickmühle… Sein Andat Steinerweicher meint es erstaunlich gut mit ihm, obwohl er natürlich – wie alle Andaten – in erster Linie um jeden Preis seine Freiheit herbeiführen will. Steinerweicher gibt Chemai – für lediglich gestaltgewordene Gedanken und Ideen – erstaunlich pragmatische Empfehlungen im Umgang mit sich und seinen Gefühlen. Diese Passagen lesen sich recht amüsant, vor allem, weil Steinerweicher mit seinen lakonischen Bemerkungen den Nagel oftmals auf den Kopf trifft. Doch nicht nur bei der Beschreibung der Figuren beweist Abraham einmal mehr, dass er mit Sprache umzugehen weiß, sondern auch die Schauplätze, Szenen und Situationen sind wieder in wunderbarer Klarheit umrissen. Da findet sich kein überflüssiges Wort und kein langatmiges Abgleiten in allzu genaue Detailbeschreibungen. Die Handlung wird einmal mehr rasch vorangetrieben, so dass keine Langeweile aufkommt, und es finden sich überall die passenden Worte, um etwas so darzustellen, dass man es sich deutlich vorstellen kann.
Alles in allem ein Band, in dem die Karten im Machtgefüge der Magischen Städte neu gemischt werden, und der einen die Vorgehensweisen der mächtigen Kreise erahnen lässt. Ein wesentlicher Aspekt der Handlung in Winter des Verrats ist, dass Otah, der nie der Tradition gemäß auf den Thron verzichtet hat, nun als brudermordender Teufel an die Wand gemalt wird, um dahinter die wahren Machenschaften um die Thronfolge zu verbergen. Das alles kommt einem irgendwie bekannt vor, und auch die Tatsache, dass der Einzige, der an die Unschuld des Angeklagten glaubt, mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen hat, als er sich daran macht dessen Unschuld zu beweisen…
Es bleibt also spannend im Reich der Magischen Städte

Stand: 29. Juli 2013
Originaltitel: A Betrayal in Winter
Erscheinungsjahr: USA 2007, D 2008
Verlag: Blanvalet
Übersetzung: Andreas Heckmann
ISBN: 978-3-442-24447-8
Seitenzahl: 445