Das Wirken der magischen Kreatur Samenlos garantiert der blühenden Handelsmetropole Saraykeht Wohlstand und Macht, doch es wird allein durch den Zauberdichter Heshai erzwungen, an den Samenlos nicht länger gebunden sein möchte. So wird Heshai zur Zielscheibe, als äußere Feinde auf den Untergang der Stadt hinzuarbeiten beginnen – denn wenn der Dichter stirbt, ist auch Saraykeht verloren …
-“Tahi-kvo hat mir gezeigt, daß mein Urteil mein Kompass ist, und Milah-kvo hat mir vermittelt, daß halb gelernte Lektionen nichts wert sind. Ich hatte mich entschieden, die Schule zu verlassen, und mit dieser Entscheidung lag ich richtig. Ich hätte mich nicht dazu verleiten lassen sollen, zurückzukehren. Mehr, ehrwürdiger Dai, habe ich hier nicht gelernt.”-
Prolog
“Saraykeht ist die bedeutendste der großen Sommerstädte: vor Leben pulsierend, ein Hort des Friedens und des Fortschritts. Doch leider hat Saraykehts sagenhafter Reichtum den Neid seiner Nachbarn geweckt, die skrupellos auf den Sturz der mächtigen Metropole hinarbeiten …”
Liest man auf der Buchrückseite diesen Text, glaubt man im Inneren des Buches einiges an Kriegswirren und Schlachtengetümmel vorzufinden, doch es wird bald klar, dass man sich auf eine hinterhältige aber dennoch äußerst kunstvoll eingefädelte Intrige eingelassen hat. Intrigen – eigentlich nicht mein bevorzugtes Terrain – weder im wirklichen Leben noch in Romanen. Trotz meiner Vorbehalte habe ich mich auf Daniel Abrahams Sommer der Zwietracht (A Shadow in Summer), dem Beginn der Geschichten um die Magischen Städte, eingelassen und erlebte eine angenehme Überraschung: je weiter ich in die Geschichte vordrang, desto mehr sorgfältig, ja liebevoll beschriebene Details, z.B. zu Personen, Schauplätzen und Handlungsverlauf, konnte ich entdecken. Interessant ist die Gesellschaftsstruktur, die Abraham für die Magischen Städte gewählt hat und die auf asiatisch anmutenden Lebens- und Arbeitsverhältnissen basiert. Das gesellschaftliche Miteinander wird von komplizierten Gesten bestimmt, die das Gesagte entsprechend untermauern. In der Übersetzung wurde leider ein wenig zu oft und damit eintönig der Begriff “Gebärde” verwendet, sodass er einem mit der Zeit ein wenig lästig wird. Es wäre schön gewesen, wenn man noch ein oder zwei Synonyme für diesen Begriff gefunden hätte.
Trotz dieses kleinen Mankos war ich von dieser gesellschaftlichen Besonderheit fasziniert, denn das Zusammenspiel von Gestik, Mimik und Sprache ist so gestaltet, dass sich die handelnden Figuren bei allem Respekt die ein oder andere Unverschämtheit zu verstehen geben können, ohne sich – beispielsweise bei heftigeren Konflikten – einer plumpen Fäkalsprache bedienen zu müssen. Die Geschichte der Sommerstadt Saraykeht wird in locker-flockiger Art erzählt, die sich entspannt lesen lässt. Die Sätze sind nicht zu lang und auf überflüssige Information wird verzichtet. Alles wird so beschrieben, dass man ein klares Bild des gerade Geschilderten vor Augen hat, ohne dass sich der Autor in zu genauen Detailbeschreibungen verliert. Die Handlung wird sehr zügig vorangetrieben, sodass keine Langeweile aufkommt.
Tumbe Gewalt ist in Sommer der Zwietracht (A Shadow in Summer) nicht zu finden, obwohl durchaus Gewalt vorkommt. Abraham hält sich jedoch nicht länger als unbedingt nötig mit der Beschreibung solcher Passagen auf. Er schildert nur, was zum jeweiligen Verständnis der Situation unbedingt notwendig ist. Diese Balance zu finden und zu halten ist nicht einfach, doch Abraham ist dies hervorragend gelungen. Nicht nur bei der Schilderung von Gewaltszenen hat der Autor bewiesen, dass er mit Bildern und Sprache umzugehen weiß – gleiches gilt auch für die lebendige Beschreibung seiner Figuren, denn Abraham gelingt es vortrefflich, dem Leser die Gefühlswelt seiner Charaktere nahezubringen. Gleichzeitig offenbart sich deren Facettenreichtum erst im Laufe der Geschichte.
Nachdem aus den Magischen Städten eine Tetralogie werden soll, gibt es in Sommer der Zwietracht auch Figuren, bei denen abzusehen ist, dass eine Weiterentwicklung des Charakters geplant ist. Dies gilt vor allem für den Sohn des Khai Machi, den Dichterschüler Maati, die angehende Verwalterin Liat und das Inselmädchen Maj, die Hauptrollen in dieser Geschichte innehaben und sicher noch eine Rolle zu spielen haben werden.
Kein Fantasy-Roman ohne ein wenig Magie – doch das magische Element ist hier genauso ungewöhnlich wie die Geschichte selbst. Magie im eigentlichen Sinn kommt nicht vor, sondern nur in Form eines Geschöpfes, einem sogenannten “Andaten”. Die “Andaten” sind zu menschlicher Gestalt geformte Gedanken und Ideen, mächtig, ja nahezu gottähnlich, die allerdings fast wie Sklaven unter der Herrschaft des Menschen stehen, der sie kraft seiner Vorstellungen erschaffen hat. Nun ist es aber nicht ganz einfach ein solches Wesen zum Dasein zu erwecken, geschweige denn, es unter Kontrolle zu halten. Das Wissen, das dazu notwendig ist, wird streng gehütet und nur an Auserwählte weitergegeben. Diese Ideen sind neu und man möchte so bald wie möglich mehr über diese faszinierenden Wesen erfahren, die so gar nichts mit den bekannten Feen, Elfen und Kobolden gemein haben.
Sommer der Zwietracht arbeitet mit dem uralten Erfolgsrezept der Intrige in den höchsten (und damit entscheidungsbefugten) Kreisen, dennoch liest man hier keine abgedroschene “Königshausintrigengeschichte”, wie man sie schon zum wiederholten Mal in anderen Büchern (und Filmen) vorgefunden hat, sondern bewährte Zutaten in neuer Komposition. Erfrischend anders in der Zusammensetzung mit menschlichen Figuren, deren Gedanken und Gefühle dem Leser hier sehr nahe gebracht werden, sodass man auch für die “andere Seite” Mitgefühl und Verständnis aufbringt und die Grenzen von Gut und Böse verschwimmen.
Ich hoffe, dass Daniel Abraham mit seinem Winter des Verrats an diesen starken Auftakt anknüpfen kann.