Der widerspenstige Planet

Der widerspenstige PlanetIch traf Helden, Schizophrene, Selbstmörder, Alien-Jäger, Menschen-Jäger, Roboter und (mein persönlicher Held) einen Kalkstein, der auf einem Planeten in der Unwahrscheinlichkeitsschlaufe seit Anbeginn der Welt – seit 300 Jahren – eine „melancholische, leicht sehnsuchtsvolle Schnulze“ singt. Yeah, Baby. Willkommen auf dem widerspenstigen Planeten Robert Sheckleys.

“Probe, eins, zwei, drei”, sagte Upmann. “Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?”
“Sie sagten, ‘Probe, eins, zwei, drei'”, erwiderte Detringer und ein Seufzen der Erleichterung ging durch die Reihen der Umstehenden, denn die ersten Worte eines Menschen zu einem Extraterrestrier waren endlich gesprochen. –
Ein erster Kontakt, S. 635

Das gewaltige Œuvre des US-amerikanischen Sciene-Fiction-Schriftstellers Robert Sheckley umfasst hunderte Kurzgeschichten sowie einige Romane und sticht durch seine visionär-humorvolle Schreibe aus der Masse hervor. Der Kurzgeschichtenband Der widerspenstige Planet versammelt chronologisch geordnete 16 Geschichten aus dem Jahren 1953 bis 1974.
Der satirische, ironische Unterton und die keineswegs dazu gegenläufige Thematisierung des Sterbens ziehen sich wie ein roter Faden durch den Band. Sheckleys Figuren verkriechen sich zum Sterben oder suchen den heroischen Tod auf einer Hetzjagd; sie inszenieren ihr Ableben im Fernsehen oder finden ganz grundlos den Tod – das Ende des Lebens ist in vielen Geschichten der Dreh- und Angel-, aber nicht unbedingt der Endpunkt. Im Gegenteil: mit einem (zugegebenermaßen kostspieligen) Vertrag mit der Jenseits-Corporation ist der Tod erst der Anfang.
Wer Schwermut erwartet, wird dennoch enttäuscht werden. Sheckley ist bissig, böse und überzeichnet unsere Realität in einer Weise, dass es mitunter weh tut  – denn die Wahrheit zu hören schmerzt bekanntlich –, doch Sheckleys Hang zu Absurditäten, gemischt mit seiner Pointierungskunst machen die Geschichten zu einem ungetrübten Lesevergnügen. Erst in den letzten beiden Geschichten – Ein erster Kontakt und Endstation Zukunft – bricht Sheckleys Humor aus seiner gekonnten Hintergründigkeit aus und weicht einem Witz, der den Leser lauthals lachen lässt. Der geneigte Leser ahnt es schon: auf den singenden Kalkstein trifft man in einer dieser Geschichten. Und gemäß dem Credo von Brian W. Aldiss – „Einmal im Leben sollte jeder eine Robert-Sheckley-Geschichte gelesen haben!“ – möchte ich an dieser Stelle einige aus dem Geschichtenband Der widerspenstige Planet vorstellen. Wer sich das Buch nicht kaufen möchte, dem sei geraten, sich in einer Buchhandlung den Band aus dem Regal zu nehmen und wenigstens eine der im folgenden vorgestellten Geschichten zu lesen – die Kürze erlaubt es, die Qualität verlangt es!

Fütterungszeit, die erste Geschichte im Sammelband, bereitet den Leser in aller Kürze auf Sheckleys literarisches Vorgehen vor, doch schon der zweite Streich – Das siebte Opfer – überwältigt mit seiner skurrilen, dabei aber nicht abwegigen Handlung und thematisiert den unbändigen Drang des Menschen nach Nervenkitzel und dem letzten Kick, den der Protagonist der Erzählung freilich nicht als solchen, sondern als nötiges Aggressionsventil begreift. Verfilmt wurde die Erzählung 1965 von Elio Petri mit dem Titel Das zehnte Opfer – eine unfreiwillig komische Titeländerung, da für einen Film sieben Mordopfer scheinbar nicht ausreichen.
Die Geschichte Spezialist stellt als erste ein extraterrestrisches Wesen in den Mittelpunkt. Geschildert wird die Geschichte aus den, nun, Sinnensorganen von mehreren hochspezialisierten Wesen, die zusammen ein organisches Raumschiff bilden und das Weltall durchpflügen. Während die Wände mit ihrem ungezügelten Alkoholkonsum die Moral der Gruppe ins Wanken bringen, droht schon bald dem ganzen Schiff Gefahr: sie müssen sich in ihrer Not auf das wohl unspezialisierteste Wesen verlassen, welches sich im Universum die Ehre gibt: den Menschen.
Scharfzüngig spielt der Autor mit der anthropologischen Betrachtungsweise des unspezialisierten Menschen und verleiht zugleich den ungemein fremd anmutenden, außerirdischen Wesen bemitleidenswert menschliche Züge. Eine ähnliche Grundidee verfolgt Sheckley auch in seiner Geschichte Pfadfinderspiele, die den Menschen einmal mehr zum Gejagten werden lässt. Auch in dieser Geschichte beweist der Autor, dass er nicht nur ein begnadeter Phantast ist, sondern auch ein Menschenkenner: in allen Erzählungen begegnen uns Wesen – Menschen wie Außerirdische –, die wir meinen, gut zu kennen. Sie ähneln unseren Nachbarn, fernen Bekannten, guten Freunden und zuletzt auch uns selbst. In ihren Dia- und Monologen erscheinen sie arrogant, verängstigt, furchtlos, tollkühn, kurz: zutiefst menschlich. In dieser Hinsicht gleichen Sheckleys Erzählungen einem Spiegel, in dem wir uns, trotz Tentakel oder einer Vielzahl an Augen, selbst erkennen.
Utopia mit kleinen Fehlern
führt einen selbsterklärenden Titel. In der Geschichte spielt Sheckley gewohnt brillant-boshaft mit den scheinbar naiven Wünschen nach einer besseren Welt, die uns allen in Momenten der Resignation nicht fremd sind. Ein Staat ohne Arbeitslosigkeit, ohne Schulden, ohne Verbrechen – in Utopia ist all das bittere Realität.

Der hier vorgestellte Kurzgeschichtenband enthält zudem den Roman Die Jenseits-Corporation (auch erschienen unter dem Titel Lebensgeister GmbH), der all das bietet, was ein Science-Fiction-Roman so braucht: eine Femme fatale, Zombiehorden, eine dubiose, intransparente Firma, eine ordentliche Spannungskurve und eine beschwingte Prise Gesellschaftskritik. Herausragend wird dieser scheinbar nach Schema F gestrickte Roman durch seine intelligente Verkehrung gewohnter Motive, die Sheckley konsequent, aber nie langweilig anwendet.

Und schließlich: Der erste Kontakt. Die vorletzte Kurzgeschichte im vorliegenden Band schlägt, wie bereits erwähnt, eine völlig neue Saite an Sheckleys literarischem Instrument an. Nicht minder beißend, aber mit unverhohlenem Humor treibt die Geschichte von einem gestrandeten außerirdischen Exilanten mit seinem loyalen Haushaltsroboter, der zufällig das erste Alien ist, auf den die Menschheit trifft und von Journalisten der Zeitungen Chic!, Weltmoden und  New York Times interviewt wird, dem Leser die Lachtränen in die Augen. Ebenso wie Endstation Zukunft, die Geschichte eines missglückten und deshalb glückenden Versuches, eine Zeitmaschine zu bauen. In dieser Erzählung löst Sheckley auch eines der letzten mathematischen Rätsel der Menscheit – die Transformation von Äpfeln in Apfelsinen:

Geschmack
+ √Farbe (Samen)^2
Aroma

Wenn Sie noch weitere Fragen haben, lösen Sie einfach ein Ticket zum Widerspenstigen Planeten. Guten Flug!

Stand: 27. Oktober 2012
Erscheinungsjahr: D 2009
Verlag: Heyne
Übersetzung: Michael Görden, Tony Westmayr, Wolfgang Eisermann
ISBN: 9783453525627
Seitenzahl: 698