Zum 55. Geburtstag von Paul Witcover

Bibliotheka Phantastika gratuliert (aus technischen Gründen leicht verspätet) Paul Witcover, der heute 55 Jahre alt wird. Der nun schon seit etlichen Jahren in New York City lebende Paul Witcover wurde am 09. August 1958 in Zürich geboren und ist in den Randbezirken von Washington, D.C. aufgewachsen. Seine Schriftsteller-Karriere begann 1984 mit der Veröffentlichung der Erzählung “Red Shift” (als Judith Lessing) in der Januarausgabe von Isaac Asimov’s Science Fiction Magazine. Einige weitere Geschichten folgten ungefähr im Jahresabstand in Magazinen wie Night Cry oder Rod Serling’s The Twilight Zone Magazine, und mit “Jangletown” (in The Further Adventures of Batman (1990)) und “Lucifer over Lancaster” (in The Further Adventures of Superman (1993)) unternahm er zusammen mit Elizabeth Hand erste schriftstellerische Abstecher ins DC-Superheldenuniversum. Dort war auch die 16-teilige Comicserie Anima angesiedelt, die er ab Dezember 1993 – wieder zusammen mit Elizabeth Hand – getextet hat.
Waking Beauty von Paul WitcoverNach dem – wie immer in solchen Fällen auf mangelnde Verkaufszahlen zurückzuführenden – Ende von Anima blieb es einige Jahre ruhig um Witcover, bis er 1997 mit seinem ersten Roman auf die literarische Bühne zurückkehrte. Und diese Rückkehr hatte es in sich, denn Waking Beauty ist einer der ungewöhnlichsten und verstörendsten Fantasyromane der letzten zwanzig Jahre. In der einem Kastensystem nicht unähnlichen Welt des Hierarchats lockt ein nachts aus dem Wald aufsteigender Duft die Männer – die diesen Duft im Gegensatz zu ihren Frauen nicht nur wahrnehmen, sondern sich auch seiner Anziehungskraft nicht widersetzen können – aus ihren Häusern und weg von ihren Familien. Es sei denn, ihre Frauen oder Mütter oder Töchter binden sie auf ihren Betten fest und verschließen ihnen die Nasenlöcher. Atmen können sie schließlich zur Not auch durch einen Atemschlauch, der ihnen durch einen während ihres Mannbarkeitsrituals erfolgten rituellen Luftröhrenschnitt direkt in die Luftröhre eingeführt werden kann. Natürlich müssen die Frauen trotzdem die ganze Nacht wach und wachsam bleiben – und das sollten sie auch, denn eine Frau, die ihren Mann, ihren Sohn oder ihren Vater an den nur als “Beauty” bezeichneten Duft verliert, macht sich des schlimmsten Verbrechens schuldig. Zur Strafe wird sie ihren Namen und ihre Haare los und als “Cat” – als Prostituierte – an eines der in der zwar überaus religiösen, aber gleichzeitig auch dekadenten Gesellschaft wohlgelittenen offiziellen Bordelle verkauft. Genau das passiert Rose Rubra, die ihren frisch angetrauten Ehemann in der Hochzeitsnacht an Beauty verliert, und deren Leben dadurch schlagartig auf den Kopf gestellt wird. Aber die neue Cat ist nur eine der Figuren, durch deren Augen die Leser und Leserinnen die Welt des Hierarchats und ihre ebenso faszinierenden wie erschreckenden Geheimnisse – zu denen natürlich auch das der erwachenden Beauty zählt – nach und nach entdecken. Stilistisch anspruchsvoll im Präsens erzählt, gewinnt Waking Beauty an vielen Stellen die Qualität eines surrealen Traums, der nur allzuschnell zu einem Alptraum wird.
Es dauerte acht Jahre, bis mit Tumbling After (2005) Witcovers zweiter Roman auf den Markt kam, ein SF-Roman, dessen einer Handlungsstrang – in dem ein Rollenspiel mit einem postapokalyptischen Szenario eine wichtige Rolle spielt – 1977 angesiedelt ist, während im zweiten genau dieses Szenario das Setting bildet. Schon ein Jahr später erschien mit Dracula: Asylum die “offizielle” Fortsetzung von Tod Brownings Dracula aus dem Jahre 1931.
2009 kam schließlich der Sammelband Everland and other Stories heraus, der einige der nach Meinung des Autors besten frühen und ein halbes Dutzend neue bzw. bislang unveröffentlichte Geschichten enthält. Und vor kurzen ist mit The Emperor of all Things (2013) der erste Teil des während des Siebenjährigen Kriegs spielenden Zweiteilers The Productions of Time erschienen, in dem u.a. die im 17. Jahrhundert gegründete Worshipful Company of Clockmakers und eine ganz besondere Uhr eine wichtige Rolle spielen; das klingt zumindest nach einem mit originellen Fantasyelementen ausgestatteten historischen Roman.
Paul Witcover gehört zu einer kleinen Gruppe von Autoren und Autorinnen, die sich mit ihren Romanen und Erzählungen an den Rändern oder auch in den Grauzonen der verschiedenen Subgenres der phantastischen Literatur tummeln. Was sie dort zu Tage fördern, ist nicht immer angenehm – aber zumindest im Fall von Waking Beauty von schrecklich schöner, alptraumhaft morbider Eleganz.

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