Zum 70. Geburtstag von Phyllis Eisenstein

Bibliotheka Phantastika gratuliert Phyllis Eisenstein, die heute 70 Jahre alt wird. Auch wenn die am 26. Februar 1946 in Chicago, Illinois, geborene Phyllis Leah Kleinstein bereits seit Anfang der 70er Jahre immer mal wieder als SF- und Fantasy-Autorin aktiv war, dürfte der Name Phyllis Eisenstein (den neuen Nachnamen verdankt sie ihrer Heirat mit Alex Eisenstein) hierzulande nur den wenigsten Lesern und Leserinnen bekannt sein. Zum einen, weil sie in dieser Zeitspanne vor allem Kurzgeschichten und Erzählungen – teils allein, teils zusammen mit ihrem Mann – geschrieben hat, zum anderen, weil nur ein sehr kleiner Teil ihres aus sechs Romanen und etwa fünfzig Geschichten bestehenden Œuvres hierzulande veröffentlicht wurde.
Phyllis Eisensteins professionelle Karriere begann mit der SF-Kurzgeschichte “The Trouble with the Past” in der von Robert Silverberg herausgegebenen Anthologie New Dimensions 1 (1971), an der ihr Mann als Co-Autor mitgearbeitet hatte, doch noch im gleichen Jahr erschien mit “Born to Exile” in der Augustausgabe des Magazine of Fantasy and Science Fiction die erste von ihr allein verfasste Erzählung. In ihr hat Alaric the Minstrel seinen ersten Auftritt, der im Abstand von jeweils ungefähr anderthalb Jahren drei weitere Abenteuer auf den Seiten des Magazins erleben sollte, die – um eine zusätzliche Story ergänzt – unter dem Titel Born to Exile (1978) schließlich auch in Buchform auf den Markt kamen.
Born to Exile von Phyllis EisensteinAlaric ist ein Findelkind; er wurde als Säugling, dessen Knöchel eine blutige, abgetrennte Hand umklammerte, einst von seinen Stiefeltern am Wegesrand gefunden. Das erfährt er im Alter von sieben Jahren, als seine Stiefmutter stirbt und sein Stiefvater, der dieses Kind im Gegensatz zu seiner Frau nie geliebt hat, das Balg endlich loswerden will. Alaric flieht, da nun nichts mehr zwischen ihm und der Brutalität seines Stiefvaters steht, und entdeckt dabei, dass er über eine ungewöhnliche Begabung verfügt: er kann sich kraft seines Geistes an Orte versetzen, die er sich bildhaft vorstellen kann. Allerdings ist diese Begabung mehr Fluch als Segen, denn wenn die Menschen um ihn herum ihrer gewahr werden, wird er rasch auf dem Scheiterhaufen enden. Doch Alaric hat Glück, denn er begegnet vier Jahre später Dall, einem fahrenden Troubadour, der ihn unter seine Fittiche nimmt und ihm das Singen und Lautespielen beibringt – doch als Dall nochmals vier Jahre später eines Nachts von Räubern getötet wird, ist Alaric völlig auf sich allein gestellt … All diese Hintergrundinformationen flicht Phyllis Eisenstein bereits auf den ersten Seiten der o.g. ersten Episode ein, in der Alaric eine Burg besucht, um sich dort einige Zeit als Troubadour zu verdingen, und prompt in eine Palastintrige gerät – mal ganz abgesehen davon, dass er sich in die Prinzessin verliebt. Ebenso wie in den folgenden Episoden, in denen Alaric u.a. in einer gefährlichen Schenke landet und in ein sehr merkwürdiges Dorf kommt, findet er Freunde und stößt auf Widersacher, so dass er letztlich immer weiterzieht, um für sich einen Platz in der Welt zu finden und das Rätsel seiner Vergangenheit zu lösen.
Wenn man sich klar macht, wann die einzelnen Episoden entstanden sind, aus denen sich Born to Exile zusammensetzt – nämlich deutlich vor jenem Zeitpunkt, ab dem ein Schwert und ein Leprakranker die Fantasywelt nachhaltig verändern sollten –, wird deutlich, dass dieses Buch allein schon aus genrehistorischen Gründen interessant ist, denn es unterscheidet sich nicht nur spürbar von der damals marktbeherrschenden Sword & Sorcery, sondern nimmt auch Elemente vorweg, die erst einige Jahre später vermehrt in der (nicht nur tolkienesken) Fantasy auftauchen sollten. Darüber hinaus punktet das Buch – das als Alaric (1985) auch auf Deutsch erschienen ist – mit einer sympathischen, sich langsam und nicht ohne Mühen entwickelnden Hauptfigur und einem ökonomischen, dichten Stil, der in der – bereits 1977 mit der Erzählung “The Land of Sorrow” (im Magazine of F&SF) begonnenen, aber erst 1989 als Buch erschienenen – Fortsetzung In the Red Lord’s Reach (in der es Alaric in den eisigen Norden seiner Welt verschlägt) elegischer und metaphernreicher wird.
Die Ansätze in Richtung Entwicklungsroman, die in Born to Exile zu erkennen waren, sind in Sorcerer’s Son (1979), Phyllis Eisensteins zweitem Roman – dem ersten Band der Cray-Ormoru-Sequenz – wesentlich stärker ausgeprägt. Cray Ormoru ist der Sohn eines Zauberers, allerdings weiß er das anfangs nicht, sondern hält sich für den Sohn eines Ritters, der seine Mutter, die Zauberin Delivev Ormoru, verlassen hat. Cray will selbst ein Ritter werden und begibt sich auf eine Queste, um seinen vermeintlichen Vater zu finden bzw. um herauszufinden, warum er niemals wie versprochen zu Delivev zurückgekehrt ist. Diese Queste kann jedoch zu keinem vernünftigen Ergebnis führen, denn … die Sache ist kompliziert. Geschwängert wurde Delivev nämlich von Gildrum, einem Dämon in Menschengestalt, wobei das Sperma von dem mehr als ein bisschen durchgeknallten Zauberer und “Demonmaster” Smada Rezhyk stammt, der sich dadurch dafür rächen wollte, dass Delivev ihn verschmäht hat. Gildrum wiederum ist durch den langen Umgang mit den Menschen längst nicht mehr der Dämon, der er einst war, und er liebt Cray wie seinen eigenen Sohn. Was die Dinge so richtig kompliziert macht, als Cray sich nach einigen Abenteuern entschließt, selbst ein Zauberer bzw. Demonmaster zu werden (da er als Ritter keine Chance sieht, mehr über seinen Vater zu erfahren), und sich dem einzigen Zauberer als Lehrling andient, den er kennt: Smada Rezhyk …
Sorcerer's Son von Phyllis EisensteinWas vielleicht ein bisschen schräg klingen mag, ist es in der Umsetzung eigentlich nicht. Im Gegenteil, die Geschichte entwickelt sich ziemlich folgerichtig und zeigt in Gestalt von Cray, dass man an unangenehmen Antworten und Wahrheiten wachsen kann, behandelt aber auch Themen wie Sklaverei oder die Frage, wie Eltern und Kinder miteinander umgehen sollten – und verpackt das Ganze in eine spannende, mitreißende Handlung.
Auch in der Fortsetzung The Crystal Palace (1988) begibt sich der mittlerweile erwachsene Cray auf eine Queste: dieses Mal, um ein junges Mädchen zu retten, das er in einem magischen Spiegel gesehen hat … Die beiden Romane um Cray Ormoru sind auch in einem Sammelband – The Book of Elementals, Vol. 1 and 2 (2003) – erschienen, und parallel dazu sollte eigentlich ein dritter Band – The City in Stone – herauskommen, der die mittlerweile Book of Elementals genannte Trilogie abschließen sollte, aber besagter dritter Band ist nie erschienen, obwohl er dem Vernehmen nach fertig geschrieben ist.
Was irgendwie zu der sehr merkwürdig verlaufenen Karriere von Phyllis Eisenstein passt, denn was die Qualität ihrer vier Fantasyromane angeht, braucht sie sich ganz gewiss nicht vor vielen ihrer weitaus bekannteren und erfolgreicheren Kollegen und Kolleginnen zu verstecken (die sie – nebenbei bemerkt – durchaus schätzen, was z.B. George R.R. Martin in der Widmung von A Storm of Swords zum Ausdruck gebracht hat). Aber zumindest, was Erzählungen angeht, ist sie auch weiterhin aktiv, denn mit “The Caravan to Nowhere” ist eine weitere Geschichte um Alaric the Minstrel vor gar nicht allzu langer Zeit – genauer: in der von GRRM und Gardner Dozois herausgegebenen Anthologie Rogues (2014) – erschienen.

Ein Kommentar zu Zum 70. Geburtstag von Phyllis Eisenstein

  1. Pogopuschel sagt:

    Hm, also irgendwoher kommt mir der Name Eisenstein bekannt vor. Ich meine nicht den berühmten Filmemacher Sergej Eisenstein, sondern im amerikanischen Kontext. Aber vielleicht gibt es da noch jemanden mit dem Namen im kreativen Geschäft.

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