: unzuverlässiger Erzähler

Cover des Buches "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" von Walter MoersEin Blaubär, wie ihn keiner kennt, entführt die Leser in eine Welt, in der die Fantasie und der Humor abenteuerlich außer Kontrolle geraten sind: nach Zamonien, wo Intelligenz eine Krankheit ist und Sandstürme viereckig sind, wo hinter jeder Idylle eine Gefahr lauert und wo all jene Wesen hausen, die aus unserem alltäglichen Leben verbannt sind.

In 13 ½ Lebensabschnitten kämpft sich der Held durch ein märchenhaftes Reich, bei dem alles möglich ist.

-Ein Leben beginnt gewöhnlich mit der Geburt – meins nicht.-
1. Mein Leben als Zwergpirat

Ich gebe zu, dass ich sehr skeptisch war, das Buch anzufangen. Eigentlich mag ich den Käpt’n Blaubär aus dem Fernsehen nicht sonderlich, mit Moers verbinde ich immer Das Kleine Arschloch und beim Durchblättern störten mich die vielen seltsamen Zeichnungen. Da ich aber gerade kein anderes Buch zur Hand hatte, warf ich doch mal einen Blick hinein – und konnte gar nicht mehr aufhören!

Moers schubst zwar den Leser, genau wie den armen Blaubär, nach Zamonien und konfrontiert ihn gleich zu Beginn damit, dass auf dieser Insel wirklich nichts ist, wie man es gewohnt ist: Zwergpiraten, fleischfressende Inseln oder kilometergroße Bolloggs ohne Kopf, die ganze Landstriche verwüsten, gehören in Zamonien zum Alltag. Stattdessen sind Menschen schon was besonders, haben in Antlantis sogar Hausverbot!

Der kleine Blaubär besteht in seinen 13 ½ Leben viele Gefahren und man hat den Eindruck, der Autor will jedes Leben davor mit noch mehr Fantasie übertreffen. Fast nebenbei werden auch noch große Fragen der Menschheit gelöst: gab es Atlantis und was ist damit passiert? Gibt es Außerirdische oder andere Dimensionen? Was geschah mit den Dinosauriern?
Der Blaubär begegnet auf seinen Reisen natürlich auch vielen Wesen, die ihm entweder helfen oder ihn fressen oder einfach nur ins Verderben stürzen wollen. Mit viel Sorgfalt erschafft Moers Hempelchen, Hutzen, Waldspinnenhexen, Finsterbergmaden, Tratschwellen, Nattifftoffen, Wolpertinger, Rikschadämonen, Mittagsgespenster, Midgardschlangen und die zig anderen Wesen, die Zamonien bevölkern.

Natürlich quillt auch Zamonien selbst fast vor originellen Ideen über: Der ewige Tornade, rechteckige Sandstürme, Unbiskant (ein unerforschter Landstrich, der seinen Namen aus “unbekannt” und “riskant” erhielt), der Malstrom – das könnte hier noch ewig so weitergehen. So viele Ideen hab ich wohl noch nie in einem Buch gesehen. Und trotzdem ist der Leser nicht gleich nach den ersten Seiten gesättigt, man wartet praktisch schon auf die nächste ungewöhnliche Idee, die Moers eingebaut hat. Die Zeichnungen, mit denen ich vorher nicht anfangen konnte, fügten sich plötzlich wie von selbst in die Geschichte und von mal zu mal gefielen sie mir besser.
Und die Reise an sich? Man darf nicht vergessen, ein Blaubär neigt zum Flunkern und ein bisschen zum Übertreiben. Man sollte also mit einem Augenzwinkern den Zufall Zufall sein lassen und einfach die Geschichte genießen. Fantasie ist schließlich keine Realität. 😉

Caine's Law von Matthew StoverWieder einmal ist Caine ganz unten: In den Händen der Regierung, ohne Zugriff auf Overworld und seine dortigen Kräfte, verkrüppelt, an ein Bett gefesselt – und seine Peiniger haben noch Schlimmeres mit ihm vor, während in seiner Wahlheimat Overworld die Erde ihren Einfluss wieder erhöht und die Dinge zum Schlechten stehen. Caine macht der Erdregierung ein Angebot, das sie leider ohne mit der Wimper zu zucken ablehnt, und ab diesem Zeitpunkt reißen die Merkwürdigkeiten nicht mehr ab …

“Two things I do,” she repeated. She touched her cheek below the brown eye. “Forgiveness.” She moved the hand to the ice-milk side. “Permission.”
The horse-witch: Feral

Drei Bände lang hat Caine gewütet und gemetzelt, hat skrupellose Gegner bekämpft, indem er noch weniger Skrupel hatte als sie, und nun, in Caine’s Law, dem zweiten Teil der mit Act of Atonement untertitelten Sub-Serie, soll er schließlich doch die Konsequenzen zu spüren bekommen und sühnen. Der nur vordergründig einfach gestrickte Haudrauf wird auf den Boden geholt, nicht nur durch die Ereignisse und seine Ermattung, was Kämpfe und Konflikte angeht, sondern vor allem durch die vielen Rückblicke, die wie schon in den vorausgegangenen Bänden erklären, wer er ist, und einen Mann mit vielen Schichten offenbaren. Ein häufig erwähnter Schlüsselsatz fasst sowohl die Figur als auch den ganzen Roman famos zusammen: »It’s complicated.«

Caine’s Law ist eine strukturell herausfordernde Lektüre – sie bietet keine lineare Erzählung, sondern springt zwischen Zeit- und Möglichkeitsebenen hin und her, stellt einen netten Warnhinweis voraus, dass es sich dabei teilweise nur um bald wieder ungeschehen gemachte Varianten der Ereignisse handelt, und man darf sich selbst zusammenpuzzeln, wie die einzelnen Kapitel zu ordnen sind, häufig nur von kleinen Hinweisen unterstützt. Aber erfahrene Caine-LeserInnen kann ohnehin nichts mehr schocken, und mit etwas Zutrauen in die Fähigkeit von Matthew Stover, einen am Ende nicht im Regen stehen zu lassen, stellt sich bald trotzdem eine Art Linearität ein, denn die Kapitel sind, auch wenn es anfangs anders scheinen mag, mitnichten zufällig angeordnet. Kausalitäten lassen sich herstellen, und letztlich gibt es tatsächlich einen sehr befriedigenden und überraschenden Blick auf das ganze Mosaikbild, das man sich beim Lesen erarbeitet hat, auch wenn es unterwegs ein ausgesprochen wilder Ritt mit wohlplatzierten Stolpersteinen aus dem Zeitreiseparadoxon-Baukasten war. Das Spiel mit der Fiktionalität, das stets ein hintergründiger Bestandteil der Caine-Reihe war, wird dadurch auf eine andere Ebene gehievt, auch wenn Caine nun schon lange nicht mehr »Entertainer Michaelson« ist.
Manch ein Kapitel wird man in diesem raffinierten Puzzle vielleicht zweimal lesen wollen, denn fast in jedem Abschnitt kommt es zu einer bahnbrechenden Erkenntnis, die das Vorausgegangene infrage stellt, und man erlebt einige erschütternde Überraschungen, in denen aus Grandiosität und Glanz plötzlich das Elend dahinter auf erschreckende Weise hervorbricht.

Mit überraschenden Erzählerfiguren, Bezugnahme auf alle drei Vorgänger, auf die menschliche Geistesgeschichte und die Mythen führt Stover Konzepte und Figuren aus 15 Jahren Caine zu einem kohärenten Ganzen zusammen, und das in einem ranken und schlanken Stil, der im Verlauf dieser Jahre noch um einiges präziser und fokussierter geworden ist: So schillernd und wild flatternd Caine’s Law auf den ersten Blick auch wirkt, hier gibt es keine Schlenker, jeder Satz sitzt und leistet seinen Beitrag zu einer Geschichte, die Figur und Mythos verwebt und es tatsächlich schafft, ein Sühne-Epos zu erzählen, das sich von den meist christlich konnotierten Begriffen lösen kann.
Caines Suche nach Erlösung ist eng verwoben mit einer faszinierenden Frauenfigur, die die Vorzüge, die bereits Stovers frühere weibliche Charaktere auszeichneten, zur vollen Entfaltung bringen kann und Stärke, leisen Humor, Tragik und einen wunderbaren Ruhepol in die Geschichte einbringt. Stover kann sein Talent für die realistische Beschreibung von Beziehungen vorführen und stellt einem der ambivalentesten Protagonisten der Science Fiction und Fantasy damit eine der coolsten Frauenfiguren zur Seite, an der alle Klischees auf eine Art und Weise abperlen, dass es eine wahre Freude ist.

Die Schuld-und-Sühne-Frage wird in Caine’s Law auf vielen Ebenen gestellt, es werden mannigfaltige Verhältnisse beleuchtet, in denen sie aufkommt – gesellschaftliche, familiäre, religiöse und ganz persönliche – doch der Fokus bewegt sich trotz wechselnder Perspektiven nie weit weg von Caine, dem Über- und Unmenschen, der menschlicher wird, je mehr er sich in die Angelegenheiten der Götter verstrickt. Die Figur, die in Caine Black Knife noch filetiert wurde, wird hier zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt, und am Ende hat Caine das getan, was Antihelden seit jeher besser können als ihre strahlenden Gegenparts: uns etwas über das Menschsein beigebracht.
Auch wenn Caine’s Law die ausufernde Breite von Blade of Tyshalle fehlt, ist es doch ein mindestens ebenso philosophischer Roman, der sich mit der Ordnung der Welt, Macht, Göttlichkeit und Menschlichkeit, letzten Dingen und dem guten Leben (und den Gründen, weshalb es meist ein frommer Wunsch bleiben muss) befasst. Dass das Ganze nicht ohne Blutvergießen geliefert wird, weiß vermutlich jeder, der bis hierher durchgehalten hat. Der neue Caine ist vielleicht etwas zurückgenommener, dafür sind die Gewaltspitzen nur umso verstörender, und es entspricht der Philosophie hinter Caine’s Law (und eigentlich allen Caine-Geschichten), dass es keine Option ist, wegzuschauen, auszublenden oder trotzdem gut zu finden, sondern man die Gewalt im Kern der Handlung mit offenen Augen wahrnehmen und akzeptieren muss.

Nach diesem Entwurf, der größer ist als alles, was auf Overworld und der Erde bisher da war, ist das Ende – wieder einmal – ziemlich definitiv, bringt alles (aufgrund der besonderen Struktur des Romans sogar augenzwinkernd) zusammen und liefert Erklärungen für die wilderen Konzepte der Handlung, auch wenn die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, immer den LeserInnen überlassen bleiben.
Da bisher jeder Roman außer Caine Black Knife der letzte Caine-Roman war, muss das nicht viel heißen. Allerdings war die Reihe nie ein großer Erfolg, und Caine’s Law ist bestimmt nicht dazu angetan, diesen Erfolg herbeizuführen, daher kann man sich im Augenblick nur schwer vorstellen, dass der vom Autor angedachte darauffolgende Act of Faith je das Licht einer Buchhandlung erblickt. Andererseits: Ist es nicht genauso schwer, sich vorzustellen, dass Caine nach allem, was wir erlebt haben, wirklich erlöst sein soll?

Dr. Die ersten Menschen auf dem MondCavor, englischer Wissenschaftler par excellence, erfindet einen Stoff, welcher der Schwerkraft trotzt und es ihm ermöglicht, ein Raumschiff zu bauen, das ihn zum Mond trägt. Gemeinsam mit Bedford, einem gescheiterten Geschäftsmann, betritt er als erster Mensch den Mond. Doch schon bald wird klar, dass weder die unbarmherzige Atmosphäre, noch die absonderliche Vegetation oder die fremden Bewohner des Erdtrabanten die größten Gefahren für diese beiden englischen Gentlemen und ihre Mission sind: es sind sie selbst.

“Was haben Sie denn da?”, fragte ich.
“Haben Sie denn nichts zu lesen mitgenommen?”
“Mein Gott! Nein.”
“Wir werden in dieser Kugel den Weltraum durchfliegen und absolut nichts zu tun haben.”
– Im Inneren der Kugel, S. 56

So manche Zukunftsvision wird unsanft von der Realität eingeholt und offenbart entweder visionäre Weitsicht, naiv-optimistischen Fortschrittsdünkel oder – im besten Falle – eine von der Realität losgelöste poetische Kraft, die der (Zukunfts-)Realität immer einen Schritt voraus ist. Die Geschichte um die erste Mondlandung der beiden englischen Gentlemen Cavor und Bedford erschien erstmals im Jahre 1901 unter dem Titel The First Men in the Moon, ganze 68 Jahre, bevor Aldrin und Armstrong 1969 die Mondoberfläche betraten. Wie wir heute wissen, trafen sie weder Mondkühe noch Seleniten an, noch war es ihnen möglich, den Sonnenaufgang auf dem Mond so zu erleben, wie Bedford und Cavor es mit ehrfürchtigem Erstaunen taten. Die zahlreichen Verschwörungstheorien um die Mondlandung mögen Ausdruck dafür sein, dass unser nachbarlicher Trabant die Phantasie der Menschen auch in Zeiten von Google Moon noch beflügelt. Kein Zweifel: so beeindruckend die Geschichte der menschliche Mondfahrt ist, so ungleich schauervoll-aufregend ist die Fiktion von H.G. Wells.

Protagonisten der zeitlosen Wells’schen Mondlandung sind zwei Männer, die in ihrer Motivation, den Mond zu bereisen, nicht unterschiedlicher sein könnten. Bedford ist ein gescheiterter Geschäftsmann, der sich, auf der Flucht vor seinen Gläubigern, aufs Land zurückzieht, um ein Theaterstück zu schreiben. Zweifelsohne würde er auch daran scheitern, wenn nicht das zerstreute Pfeifen eines spazierenden Mannes erst seinen Ärger, die darauffolgende Bekanntschaft mit Cavor sein Interesse und die Entwicklung des Cavorits seine Gier entfachen würde. Die schriftstellerischen Ambitionen sind bald vergessen, als Cavor, ein exzentrischer Wissenschaftler, wie er im Buche steht, das Cavorit entwickelt. Der Stoff, der den Namen seines Meisters trägt, sprengt die Fesseln der Schwerkraft – oh, gravity, thou art a heartless bitch no more – und ermöglicht den Männern zunächst geistige Höhenflüge: Bedford, der ohne Verständnis den wissenschaftlichen Ausführungen seines Geschäftskollegen zuhört, um sich durch sein vermeintliches Interesse einen festen Platz im Mondgeschäft zu sichern, träumt schnöde vom großen Reichtum, während Cavor gänzlich vom ungetrübten, wissenschaftsromantischen Forscherdrang beseelt ist. Doch Erkenntnis um ihrer selbst willen ist nichts, was die Mägen mit Essen, die Gläubiger mit Zufriedenheit und die Börsen mit Geld füllt, und so starten die beiden Männer wenn auch nicht als Freunde, dann als Unternehmer ihr buchstäbliches Himmelfahrtskommando. Wells beweist sein Können als Satiriker besonders im prälunaren Teil seines Romanes: da auch sein Erbauer nicht weiß, wie lange die Reise mit der Cavorit-Kugel dauern wird, wählt Cavor vorsichtshalber die gesammelten Werke Shakespeares als Reiselektüre für seine Mondfahrt, um seine Bildung zu vervollständigen – wofür er vorher, vor lauter Nachdenken, nie die Zeit fand. Es gibt einfach zu viele Dinge zwischen Himmel und Erde.

Wells ist kein Visionär – zu einfach sind manche Lösungen wissenschaftlicher Probleme, zu makellos die Theorie; vielmehr ist er ein außerordentlicher Phantast und genauer Beobachter der menschlichen Natur. Der satirische, leichte Ton der ersten Buchhälfte verkehrt sich mit der Ankunft auf dem Mond in einen extraterrestrischen Grusel, der kunstvoll gezeichnet das Bild einer, wie die beiden Protagonisten bemerken, völlig anderen, aber dennoch unheimlich ähnlichen Welt entwirft. Der Versuch, Unbekanntes zu erfassen, indem man bekannte Parameter des Begreifens anwendet, muss jedoch zwangsläufig scheitern. Cavor erkennt dies als erstes und sucht nach einem gemeinsamen Nenner, der intelligente Wesen vereinen muss. Weder auf Sprache, auf Gesten, noch auf Mimik können sie sich verlassen, und letztlich landet Cavor bei der euklidischen Geometrie.

Bedford und Cavor sind gezeichnet als satirische Gestalten, die nie aus ihrer Rolle entfliehen können. Der Moment der Ausgelassenheit und der unschuldigen Kindlichkeit, der beide gestandenen Männer in der dünnen Mondatmosphäre wie junge Lämmer über die Mondoberfläche hüpfen lässt, hat für beide furchtbare Folgen. Beim Zusammentreffen mit den Seleniten nähert sich Wells der Frage, wie die menschliche Antwort auf das Unbekannte lautet. Mit Bedford und Cavor streiten sich zwei Seelen, ach, auf dem Mond: Pectus und Ration, Angst und Neugier, Verdammen oder Verstehen. Wells’ Antwort auf diese Dichotomie ist so phantasievoll wie beklemmend und von einer außergewöhnlichen Imaginationskraft geprägt, sodass unsere Realität beinah farblos wirkt. Wells’ Version des „ersten Kontaktes“ lässt das Leserherz vor Spannung und Erstaunen schneller schlagen, und der Wissenschaftsaffine wird seine wahre Freude am Roman haben. Der Autor studiert pointiert nicht nur die Bewohner des Mondes, sondern in erster Linie den Erdenbewohner, der nun auch die Weiten des Weltalls zum Schauplatz seiner gefühlten Großartigkeit macht.
Über den Ausgang der Mondfahrt sei hier nichts verraten, nur eines ahnt man schon: letztlich verkörpert Bedford den Grund, weshalb man Extraterrestriern zu einer großräumigen Umfahrung der Erde raten möchte – denn der Mensch ist nicht nur des Menschen Wolf.

Die Furcht des Weisen von Patrick RothfussKvothe erzählt Chronicler und Bast ein weiteres Stück seiner wildbewegten Lebensgeschichte: Der Konflikt mit seinem in der Thronfolge ein wenig aufgerückten Dauerrivalen Ambrose führt an der Universität zu neuen Verwicklungen, die ein Urlaubssemester ratsam erscheinen lassen. Auf Empfehlung eines Bekannten will Kvothe die Zeit und seine musikalische Begabung nutzen, um einen mächtigen Adligen als Förderer zu gewinnen. Doch auf seiner Reise gerät er von einem Abenteuer ins nächste und sieht sich in seinen Nachforschungen über die Chandrian und den geheimnisvollen Orden der Amyr mit immer mehr Rätseln konfrontiert …

– Der Morgen nahte. Das Wirtshaus zum WEGSTEIN lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille. –
Prolog, Eine dreistimmige Stille

Zu Die Furcht des Weisen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Der Roman wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschen Bände Die Furcht des Weisen 1 und Die Furcht des Weisen 2.

Cover von Im Reich der Atlantiden von Jane Gaskell Cija ist die Gemahlin des Feldherren Zerd, der mit einem Heer unerwünschter Bürger des Nordreichs auf eine Selbstmordmission geschickt wurde. Er ist der Renegat, dem es gelang sich auf den Thron von Atlantis zu setzen. Cija ist nun seine Kaiserin, doch schon zu Friedenszeiten ist deren Beziehung problematisch. Als aber das Heer des Nordreichs mit Sedili, Zerds erster Gemahlin, an der Spitze und dann das Heer der Waldmenschen unter der Führung Laras, Zerds zweiter Gemahlin, in Atlantis landen, gegen die Zerd nur noch die Reste seines alten Heeres setzen kann, muß Cija aus dem Weg – zumal sie einen Bastard gebar, der Zerd so unähnlich sieht…

-Als ich zwanzigtausend einsame Meilen weit gewandert war, hörte ich hinter mir den Reiter.-
Die Straße

Das Geschehen findet auf dem prähistorischen Kontinent Atlantis statt, welches Zerd im Band Der Drache “erobert” hatte. Atlantis selbst hat zwei Gesichter: Zum einen ein Gewöhnliches mit einsamen Herbergen in der Wildnis, die als Bordell fungieren, Bauern, die Rüben anpflanzen, umherstreunenden Wegelagerern und gefährlichen Tieren in den weiten Wäldern – diese Seite unterscheidet sich nicht wesentlich vom Nord- oder Südreich. Der Alltag ist überall vom sozialen Stand abhängig, sonst aber gleich. Die Darstellung Atlantis’ erinnert mich vage an die minoische Palastkultur.
Daneben existiert aber noch ein altes, mystisches Atlantis: Die Tiere in den Wäldern sind nicht bloß tumbe Dinosaurier oder Mastodonten, es gibt auch gewaltige Wölfe, die etwas Geheimnisvolles an sich haben und Teil einer größeren Gemeinschaft sind, es gibt Atlantiden, die besser unterrichtet sind, als es scheinbar möglich ist, einige haben sonderbare Fähigkeiten, so tritt der Flötenspieler wieder auf und eine Hexe weiß über Tränke gut bescheid. Diese magischen Elemente sind nur schwer zu greifen und niemals genau einzuschätzen – eine originelle und durchaus gelungene Darstellung. Von der alten, fortschrittlichen Wissenschaft ist nicht mehr viel geblieben, es tritt aber ein alter Gelehrter auf, der Frankensteins Monster zu schaffen vermag. Diese Passagen sind zwar unangenehm zu lesen, das Vorbild ist aber zu deutlich zu erkennen.

Als Autorin des Tagebuchs, in dessen Form die Geschichte verfaßt ist, steht Cjia erwartungsgemäß im Mittelpunkt. Sie ist keine aktive Figur; zumeist reagiert sie nur auf veränderte Umstände, selten zeigt sie echte Initiative – die dann für gewöhnlich schnell scheitert. Ihr Verhalten paßt dazu: Entweder versucht sie zu flüchten oder sie bemüht sich anzupassen, die Lage zu ihren Gunsten zu verändern versucht sie nie. Viel Raum wird dem Gefühlsleben Cijas gewährt, welches bisweilen recht verwirrend ist. Zu Beginn taucht ihr Halbbruder Smahil kurz auf. Ihre Gefühle ihm gegenüber sind zwiespältig – sie erinnert sich an die inzestuöse Geborgenheit, welche die Beiden teilten und liebt ihn dafür, gleichzeitig verabscheut sie ihn, sich und das Kind, das aus dieser Beziehung hervorgeht, dafür. Auf die vielen Grausamkeiten, die er ihr antat, wird kaum Bezug genommen. Eigenartig ist auch, wie sie ihr feindlich gesonnenen Leuten noch in den absurdesten Situationen  gefällig sein will – Cija, so scheint es, hegt niemals Rachegedanken. Nun gibt es derartige Personen wohl, aber es gelingt der Autorin nur begrenzt, dieses nahezubringen. Ihr Gemahl Zerd, der Kaiser von Atlantis in prekärer Situation, den sie zugleich liebt und verabscheut; ihre zwei Kinder Nal, der Sohn Smahils, und Seka, die Tochter Zerds, die sie beide auf distanzierte Weise liebt; Wahnsinnsfaust, ein atlantischer Räuber, den sie irgendwie anziehend findet, Narbe, ein Strolch aus ihrem Gefolge, den sie verabscheut und Sedili, Zerds erste Gemahlin, die sie zugleich verehrt und haßt, neben weiteren. Die Figuren sind alle ambivalent, keiner ist bloß gut oder böse – dieses läßt sie aber nicht immer plausibel handeln. Hier sei ein Wort der Warnung gesagt: Cija ist eine unzuverlässige Erzählerin, je nach Stimmung bewertet sie die Dinge unterschiedlich. Manchesmal mag das unplausible Verhalten auch dem Unvermögen Cijas die Personen richtig einzuschätzen geschuldet sein.

Von einem Plot läßt sich in dieser Geschichte nur begrenzt sprechen, da Cija eine ungewöhnlich passive Figur ist, die für gewöhnlich bloß auf veränderte Umstände reagiert. So wird sie schließlich von den Handlungen Anderer und zufälligen Ereignissen umhergetrieben. Es ist eine Odyssee durch die Schattenseiten von Atlantis aus der Opferperspektive. Nur wer die Darstellung des massiven Leidens von Hauptfiguren schätzen kann, sollte sich hier herantrauen – wem Frodos Qualen zu penetrant waren, der sollte einen großen Bogen um Cija machen – sie wird verprügelt, vergewaltigt und immer wieder gedemütigt. Die Zufälle nehmen einen ähnlich großen Raum wie in der ersten Geschichte ein, nur wird dieses Mal Cijas Göttlichkeit nicht bemüht – eine bessere Aufklärung gibt es aber auch nicht. Es mangelt deutlich an plausiblen Verknüpfungen der Ereignisse. Das offene und unbefriedigende Ende paßt zur Geschichte. Der Leser bleibt oftmals im Unklaren, manches Mal ist das vorteilhaft – wie bei den magischen Elementen, vielfach jedoch eher lästig. So fragt sich der Leser, warum das erste Kapitel von Narbe erzählt wird oder was aus Juzd geworden ist. Es bleibt im Dunkeln. Ärgerlich ist auch, das der dritte Teil nicht sauber an den zweiten anknüpft. An dessen Ende hatten Zerds Soldaten der mächtigen Reiche im Norden und Süden bezwungen, am Anfang dieses Teils aber ist das Südreich plötzlich bedeutungslos geworden, dafür droht die Armee der Waldstämme, die vormals sehr unorganisiert waren, und die des Nordreiches Zerd zu besiegen.

Wer nun die geteilte erste Geschichte kennt, wird sich fragen, warum er diese Fortsetzung lesen sollte; auch wenn die Handlung schneller voranschreitet, ist die Geschichte nicht spannender, während es in den Vorgängern auch lange Erläuterungen gab, hielten diese den Verlauf nicht auf – hier schildert die Erzählerin sich in einer lebensgefährlichen Situation befindend schon einmal über eine Seite das gepflegte Äußere der Feindin. Auch endet die erste Geschichte deutlich runder. Nur wer ein Interesse an Cija entwickelt hat oder eine werdende bzw. junge Mutter durch ihre Leiden begleiten mag, braucht die Fortsetzung zur Hand nehmen.
Der Stil ist immer noch gut und angemessen, aber viel zu poliert – er klingt weniger nach Tagebuch als nach Roman.

Der Name des Windes von Patrick RothfussIn einem Gasthaus wird zwei auserwählten Zuhörern die Geschichte des berühmt-berüchtigten Kvothe erzählt – eines Meisterbarden, großen Magiers, Königsmörders.
Seine jungen Jahre verbringt er in der Gauklertruppe seiner Eltern, sammelt Bühnenerfahrung und lernt die Lieder und Geschichten der Welt kennen, und er findet einen Lehrmeister, der ihm erste Schritte in der Magie beibringt.
Doch Kvothes Welt bleibt nicht so unbeschwert: Als er sich selbst schwört, ein tödliches Rätsel um sagenhafte, dämonische Wesen zu lösen, beschreitet er damit einen Weg, der ihn in ein miserables Dasein als Straßenkind und später an die Schule der Magier und darüber hinaus führt…

– Es war wieder Abend geworden. Das Wirtshaus zum WEGSTEIN lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille. –
Eine dreistimmige Stille

Zu Der Name des Windes liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

The Name of the Wind von Patrick RothfussIn einem Gasthaus wird zwei auserwählten Zuhörern die Geschichte des berühmt-berüchtigten Kvothe erzählt – eines Meisterbarden, großen Magiers, Königsmörders.
Seine jungen Jahre verbringt er in der Gauklertruppe seiner Eltern, sammelt Bühnenerfahrung und lernt die Lieder und Geschichten der Welt kennen, und er findet einen Lehrmeister, der ihm erste Schritte in der Magie beibringt.
Doch Kvothes Welt bleibt nicht so unbeschwert: Als er sich selbst schwört, ein tödliches Rätsel um sagenhafte, dämonische Wesen zu lösen, beschreitet er damit einen Weg, der ihn in ein miserables Dasein als Straßenkind und später an die Schule der Magier und darüber hinaus führt…

-It was night again. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts.-
Prologue: A Silence of Three Parts

Das Fantasy-Genre samt Leserschaft gilt gemeinhin als anachronistisch, rückwärtsgewandt. Dagegen mag man mit Recht protestieren, aber zumindest in den Sphären des Musikbusiness, wo circa alle drei Wochen the next big thing durch die Presse gejagt wird, sind wir tatsächlich noch nicht angekommen. Und so horcht man durchaus auf, wenn ein Raunen durch Blogs und Foren geht, Kritikerstimmen sich zu den allgegenwärtigen Verlagslobeshymnen gesellen, und immer wieder derselbe Name auftaucht: Patrick Rothfuss.
Forscht man der Sache nach, stößt man auf eine jener Geschichten – von Fall zu Fall künstlich generiert oder authentisch anmutend – die den Weg des Schriftstellers in die Veröffentlichung als eine eigene abenteuerliche Queste erscheinen lassen: Sieben Jahre Schreiben, sieben Jahre Überarbeiten – und eine Flut von Absagen, bis auf wunderbaren Umwegen doch noch verlegerische Aufmerksamkeit auf das Werk fällt.
So lernt man Patrick Rothfuss’ Helden Kvothe in dem Roman kennen: Mit einem ganzen Sack voll hoher Erwartungen an ihn und seine Geschichte – und findet einen hochbegabten Gauklerjungen, in Magie und Musik ein Überflieger, eine Berühmtheit schon in jungen Jahren, der in diesem ersten Band nebst einiger anderer Abenteuer die Schule der Magier auf den Kopf stellt. Übermächtige, legendäre Feinde schafft er sich ebenso wie profane, aber gefährliche Schulrivalen – und es ist ein Auf und Ab zwischen Wohlmeinenden und Neidern, Wunderleistungen und finanziellen Nöten, Liebesleid und der ureigenen Queste Kvothes, ein Rätsel zu lösen, das ihn verfolgt, seit er in seinem Leben zum ersten Mal Tragisches durchmachen mußte.

Diese alltäglichen Zutaten sind es also nicht, die The Name of the Wind (Der Name des Windes) zu einem Meisterwerk machen – und dennoch kann man das Buch mehr als zufrieden aus der Hand legen, sich davon begeistern lassen: Man hört einem mit allen Wassern gewaschenem Erzähler zu, der aus anfangs ganz unspektakulären Mitteln eine zwingende Atmosphäre strickt. Dazu benutzt Rothfuss einen alten, aber hier ausgesprochen effektiv umgesetzten Trick: Eine Geschichte in der Geschichte. Eine Rahmenerzählung, wunderbar zart auktorial erzählt, schafft eine greifbare Gegenwart, in der ein mysteriöser Gastwirt die Geschichte des überaus berühmten und berüchtigten Kvothe von Kindesbeinen an berichtet. Diese rückwärts-gewandte Erzählsituation läßt einen an der Geschichte teilhaben, als würde man zufällig lauschen und könne sich ihrem Bann nicht mehr entziehen. Selbst durch im Grunde „belanglose“ Szenen wird ganz subtil die Neugier des Lesers geweckt: In den Rahmenkapiteln bekommt man nebenbei, ohne direkte Hinweise und Erklärungen eine Ahnung, wie „groß“ Kvothe im Laufe seines Lebens geworden ist; Andeutungen von Ruhm und Tragik (die alle auch in diesem ersten Band nicht zu sparsam auftretenden ruhmreichen und tragischen Szenen noch überflügeln) ziehen sich durch den ganzen Text.
Dazu kommt ein hoher Authentizitätsgrad des Erzählers, er berichtet aus einer erhabenen Position mit absoluter Gültigkeit, so daß Beobachtungen des Menschlichen und pathetische Anmutungen bei Weitem nicht nur nach dem Versuch klingen, etwas Geistreiches zu sagen – zu den besten Szenen des Buches gehört beispielsweise auch ein kurzer Bericht Kvothes über die vier Arten, mit Trauer umzugehen.

Aber weshalb leidet und fiebert man eigentlich mit Kvothe mit, einem immer Überlegenen, der ohnehin meistens gewinnt und besser als alle anderen ist, der nicht einmal übermäßig sympathisch dargestellt wird? Es ist die Diskrepanz, die durch die verschachtelte Erzählsituation zwischen den Zeilen hervortritt – zwischen seinem immer wieder bewiesenen Talent und seiner ganz offensichtlichen (wenn auch noch ungeklärten) Tragik und seinem Scheitern.
Nebst diesen erzählerischen Spezialitäten Rothfuss’, anhand derer man versuchen kann, die Besonderheit von The Name of the Wind zu fassen zu bekommen, bietet der Roman auch konventionellere Attraktionen des Fantasy-Genres: Die ganzen profanen Plot- und Welt-Zutaten schaden keineswegs, wenn daraus ein authentisches und mitreißendes Ambiente gestrickt wird, und Rothfuss versteht es, seine fahrende Gauklertruppe, seine typische Ausbildungsitiation, seine Straßenkind-Episode einmalig zu gestalten. Von den ersten Seiten an wird ersichtlich, daß in der Welt viel Detailarbeit steckt – und auch hier ist die Tugend nicht die absolute Aufklärung des Lesers, sondern eine gewisse Selbstverständlichkeit, mit der Begrifflichkeiten eingebracht werden.

Selbst das Magiesystem, das unter anderem auf der Kenntnis des wahren Namens der Dinge beruht, und die in den Text eingearbeiteten Lieder und Gedichte erinnern an die Klassiker des Genres – und in diesem Kontext ist The Name of the Wind auch zu sehen, als eine in der Ausführung durchaus moderne Variante, in Stoff, Aussage und Wirkung aber deutlich näher an Tolkien und Williams als an Martin oder Erikson. Doch – je nachdem, wie die vielen noch ausstehenden und bis in die Erzählgegenwart reichenden Abenteuer Kvothes weiterhin laufen – durchaus in derselben Größenordnung.

Cover von Der Ritter von Gene WolfeEin Junge entdeckt auf einer Wanderung eine Wolke, die die Gestalt einer riesigen Burg hat. Er folgt ihr und landet in einer Höhle in Mythgarthr, einer fantastischen und mittelalterlichen Welt, welche die mittlere von sieben übereinanderliegender Welten ist. Dort sagt ihm eine alte Frau, sein Name sei Able of the High Heart. Able begibt sich auf eine abenteuerliche Entdeckungsreise, auf welcher er nicht nur mehrere Welten kennenlernt, sondern auch viele Geschöpfe, freundliche wie feindliche, trifft. Eine Liebesnacht mit der Königin der Moosalfar verleiht Able den Körper eines Mannes, schlägt ihn zum Ritter und schickt ihn auf die Suche nach dem Schwert Eterne. Diese führt den jungen Ritter zur Burg des Herzog Marders und schließlich nach Jotunland, wo die Riesen wohnen.

-Und so kam es, daß ich bei Bold Berthold lebte. Er war irgendwie verrückt, und manchmal ist er hingefallen. Aber er war der tapferste Mann, den ich kannte, und er hatte keinen Gram Falschheit an sich.-
Kap. 2, Die zerstörte Stadt

Mit diesem ersten Band der Saga unterstreicht Gene Wolfe seine bemerkenswerte schriftstellerische Klasse, indem er der alten Geschichte vom Ritter auf der Suche nach Ehre und Abenteuern neues Leben einhaucht. Was macht das Buch so außerordentlich? Der Leser wird sofort in den Bann geschlagen von dem ungewöhnlichen, aber zauberhaft leicht anmutenden Erzählstil aus der Sicht des Heldens Able, welcher sich in Form eines Briefes an seinen Bruder Ben richtet. Mythgarthr sowie die anderen Welten sind nach dem Vorbild der nordischen Mythologie erschaffen, wobei es dem Autor gelungen ist, diese sofort vor dem geistigen Auge lebendig werden zu lassen. Dasselbe gilt für die zahlreichen Nebencharaktere, von denen keiner uninteressant oder fehl am Platze wirkt, denn jeder hat eine ureigene magische Wirkung.

Einen zusätzlichen Reiz bekommen die Figuren dadurch, dass der Leser sie (subjektiv) durch die Augen von Able sieht. Gleichzeitig erfährt man viel durch den sehr offen berichtenden Helden: Seine Gedanken und Motive, sein Gebahren und die Auseinandersetzung, sowie die Suche nach Ehre, Liebe und Freundschaft. Es entsteht ein vielschichtiger, auch widersprüchlicher Charakter, der jedoch auch seine Geheimnisse hat (Wer zum Beispiel war er vorher auf der Erde, und was geschah in der Zeit, an die er sich nicht mehr erinnern kann?). Er steht dem Leser sowohl nah als auch distanziert gegenüber. Während der Leser Able auf seinen zahlreichen Abenteuern begleitet, wächst er einem immer mehr ans Herz, doch muss man dabei höllisch aufpassen, nicht aufzuhören, Ables Verhalten moralisch zu hinterfragen. Dies zeigt einem der Autor etwa durch Sätze wie: “Jetzt kommt etwas, worauf ich nicht stolz bin”.
Zusätzliche Spannung wird durch Vorwegnahme von Ereignissen und auftretenden Figuren erziehlt, was einem förmlich zum Weiterschmöckern zwingt. Insgesamt ist Wolfe mit Der Ritter (The Knight) ein sehr überzeugender Roman gelungen, welcher sowohl literarische Ansprüche erfüllt als auch ein ungeheures Lesevergnügen bereitet. Man darf gespannt sein auf den zweiten und abschließenden Band Der Zauberer.

Soldat des Nebels von Gene WolfeLatro hat in der Schlacht des Großen Königs eine Kopfwunde erhalten und sein Gedächtnis verloren, und damit seine Identität, seine Freunde und sein bisheriges Leben. Als ob das nicht schon genug wäre, vergißt er auch jeden Tag aufs Neue und muß von vorne beginnen. Aus diesem Grund führt er dauernd eine Schriftrolle mit sich, in die er bei jeder Gelegenheit seine Erlebnisse notiert, um sie wieder nachlesen zu können. Bald stellt er fest, daß er als einziger die Götter sehen und mit ihnen sprechen kann – und er findet heraus, daß ihm vielleicht die Erdgöttin helfen kann, seinen Fluch loszuwerden. Er macht sich auf die Reise, erschwert von seinem ständigen Vergessen, findet einige Freunde – und kann sich dennoch nie sicher sein, ob ihn die Götter nicht doch nur benutzen.

-Ich schreibe auf, was gerade geschehen ist. Der Heiler kam in der Morgendämmerung in mein Zelt und fragte mich, ob ich mich an ihn erinnere.-
Kapitel 1: Lies dies jeden Tag

Für seinen Zyklus um den Soldaten Latro hat Gene Wolfe ein wirklich faszinierendes Konzept verwirklicht: Latro hat sein Gedächtnis verloren und vergißt auch das gerade Erlebte täglich wieder. Da man, wie in der Rahmenerzählung eröffnet, die das Folgende als Inhalt uralter antiker Papyrus-Rollen vorstellt, innerhalb des Romans nichts anderes als Latros sporadische Niederschriften seiner Tage liest, die er anfertigt, um seine Erlebnisse nachlesen zu können, wenn er sie wegen seiner Kopfverletzung vergessen hat, taumelt man beinahe genauso nichtsahnend, verwirrt und zusammenhanglos durch die Handlung wie der Protagonist selbst.
Wie Latro muß man sich beim Lesen darauf verlassen, daß die Niederschriften möglichst vollständig sind, daß Latro keinen allzu großen Fehleinschätzungen aufgesessen ist und daß er alles korrekt notiert hat. Kurzum, Latro ist der unzuverlässigste Erzähler, den man sich vorstellen kann – manchmal hat er vor einem neuen Eintrag das bisher Aufgeschriebene nicht lesen können und interpretiert alles falsch oder neu, manchmal gibt es lange Lücken in der Handlung, wenn Latro keine Zeit zum Schreiben hatte.

Wie die Hauptfigur weiß man nicht, welche Persönlichkeit Latro vor dem Gedächtnisverlust war, aber zumindest der “neue” Latro macht einen liebenswerten Eindruck, und durch Wolfes Stil  – ein vermeintlich ganz einfach gehaltenes Erzählen, das die komplexen Hintergründe recht gekonnt verbirgt – werden die einzelnen Einblicke, die in Latros Suche nach sich selbst gewährt werden, zu einem Lesevergnügen: Da gibt es eher komische Einlagen, mit einem tanzenden Gott oder einem turbulenten Hurenhaus, Verstörendes mit düsteren Göttern, durchaus auch actiongeladenere Kampfszenen und vieles mehr. Latros mit dem Gedächtnisverlust einhergehende Fähigkeit, die Götter zu sehen, beschert ihm immer wieder Begegnungen der besonderen Art, und bald interessieren sich auch mächtige Anführer für den einfachen Soldaten.

So geht es auf einer turbulenten Reise mit wenigen konstanten Freunden – die sich Latro tagtäglich neu erklären müssen – und etlichen Brückenfiguren, die immer wieder einmal auftauchen, durch das antike Griechenland. Wenn man aber Latros Odyssee durchschauen möchte, wird es mit einer rudimentären Kenntnis geschichtlicher und mythologischer Hintergründe schwierig, denn die Bezüge zur antiken Mythologie und Geschichte, die in Massen eingestreut sind, sind nicht nur durch Latros Unwissenheit verschleiert, sondern auch, weil  für Orte und Götter übersetzte Namen verwendet werden, wie Latro sie versteht: So wird aus Sparta Seil, aus Athen Gedanken, und auch die Götter tragen bezeichnende Namen. Dieses gar nicht unisono handelnde Pantheon sorgt für zusätzliche Verwirrung.
Man hangelt sich also an Latros unzuverlässigen Tagebucheinträgen entlang durch unbekanntes Terrain – für ein Gefühl der Fremdheit und Andersartigkeit ist somit durchaus gesorgt.

An Auflösungen, Zusammenhängen und fortlaufenden Handlungssträngen fehlt es allerdings gewaltig, Latros Odyssee scheint vielmehr ein Experiment mit der besonderen Ausgangslage und der resultierenden Erzählform zu sein als eine strukturierte Einheit. Jede Szene ist ein Neubeginn, daran ändert sich bis zum Ende des Buches nichts, und auch, wenn man als Leser dem Text einige Zusammenhänge abringen kann, schwimmt man doch mit Latro im Nebel und kann sich zumindest in diesem Band nur auf die wenigsten Geschehnisse einen Reim machen (da die deutsche Ausgabe nicht mehr fortgesetzt wurde, ist das besonders unbefriedigend). Hinter den meisten Fakten stehen noch große Fragezeichen: Hat Latro einen Göttin verletzt und erleidet nun die Strafe? Spielen die Götter nur mit ihm? Ist er ihr Instrument? Wem kann er trauen? Dieser authentisch  vermittelte Gedächtnisverlust ist faszinierend, kostet die Geschichte aber Schwung und läßt sie etwas richtungslos in Mehrdeutigkeiten schwimmen.
Dennoch hat man aber am Ende  das Gefühl, gleich nochmal von vorne beginnen zu wollen, um weitere Schlüsse zu ziehen – durch  die faszinierenden Konzepte und den raffinierten Stil ist das ein durchaus erstrebenswertes Ansinnen.

Traveller von Richard AdamsNachdem das Pferd Traveller eine schöne Zeit als Fohlen erlebt hat, hört es immer wieder, daß viele Pferde in den Krieg ziehen, und bald auch ist er selbst unterwegs zu diesem seltsamen Ort, den unbedingt alle erreichen wollten. Nach einigen Besitzerwechseln und ersten schrecklichen Kriegserlebnissen geht Traveller endlich in den Besitz seines richtigen “Meisters”, General Robert E. Lee, über und dient ihm treu durch den ganzen amerikanischen Bürgerkrieg hindurch.
Nach dem Ende des Krieges hat er ein schönes Leben im Ruhestand und erzählt dem teilweise im Stall residierenden Kater Tom Beißer seine Erinnerungen an die schreckliche Zeit …

-Die blauen Männer! Die blauen Männer! Sie sind hinter uns gelangt, sie sind da drin unter den dichten Bäumen.-
1

Ein Kriegsveteran, der seine Erinnerungen teilen will, gibt sie wohl immer auf ganz subjektive, eigene Art und Weise preis, und so erzählt in Traveller Robert E. Lees gleichnamiges Pferd auch dem Stallkater Stück für Stück seine ganze Lebensgeschichte, berichtet vom Krieg mit dem Verständnis eines Pferdes. Allerdings ist Traveller – auch für ein Pferd, wie man erfährt – eher simpel gestrickt, aber eine durch und durch gute Seele; und er spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ist das ein wunderbar lebensnaher Stil – im Original war es wohl tiefster Südstaatenakzent, und die Übersetzung ist ein einfach gehaltener Soziolekt, der ganz hervorragend zu Travellers Charakter paßt.

Zusammen mit Traveller und dessen Herrn, Marse Robert, der für das Pferd das Gute in der Welt repräsentiert und damit sehr liebevoll dargestellt ist, erlebt der Leser den amerikanischen Bürgerkrieg auf der Südstaatenseite. Kaum nötig zu erwähnen, daß sämtliche Details minutiös exakt recherchiert wurden, bei der Fülle an Informationen und Umsetzungen, die zu diesem Thema schon zu haben sind. Wer nun ein blutiges, für Mensch und Tier leidvolles Gemetzel erwartet, liegt nur teilweise richtig. Aus Travellers etwas eingeschränkter Perspektive rauscht das Geschehen regelrecht am Leser vorbei – teilweise auch ohne große Abwechslung mit seitenlangen Wanderungen durch den Matsch und immer wieder aufflackernden Scharmützeln. Die großen Ereignisse werden eher beiläufig berichtet – Traveller versteht die Menschen und ihren Tötungswahn ohnehin nicht – und nur an wenigen Stellen rücken einzelne Grausamkeiten in den Blickpunkt. Allgegenwärtig sind allerdings das langsame Ausmergeln und die Strapazen während des langen Feldzuges.
Das Geschehen ist in viele chronologisch ablaufende Episoden zerpflückt, die Traveller nach und nach Tom Beißer erzählt, und läßt sich daher auch recht gut in Häppchen lesen. Zwischendurch stehen hin und wieder neutrale Passagen, die den genauen Ablauf des Krieges zum Inhalt haben. Und die hat man als Leser – sofern man nicht ohnehin mit der Materie vertraut ist – auch bitter nötig: Traveller, einfach gestrickt und das Pferd, das er nun einmal ist, leidet nämlich an einer katastrophalen Fehleinschätzung der Ereignisse und ist damit ein unzuverlässiger Erzähler, wie er im Buche steht.

Durch die einzelnen Häppchen ist Traveller nicht so sehr für eine spannende, durchgehende Handlung ausgelegt – es handelt sich eher um einzelne Episoden zwischen Mensch und Pferd, erzählt aus einer in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlichen Perspektive. Aber aus dem Flickwerk ergibt sich nach und nach ein großes Bild, eine Pferdebiographie, eine halbe Menschenbiographie aus einem neuen Blickwinkel, eine andere Geschichte des Bürgerkriegs und eine enthüllende Betrachtung des Menschbleibens in unmenschlichen Zuständen.
Mythische Aspekte und ein drängendes Tempo fehlen vielleicht in dieser Tierfantasy, Richard Adams’ gewohnte tiefgehende Wärme ist der Geschichte aber erhalten geblieben, und spricht besonders auch aus dem versöhnlichen Ende des Romans.

Cover des Buches "Der Turm der Göttin" von Jane GaskellCija ist die Tochter der Königin, deren Geschlecht sich von den Göttern ableitet. Um eine Prophezeiung, die Fremdherrschaft für das Land verheißt, zu verhindern, wurde sie siebzehn Jahre lang in einem Turm fernab der Gesellschaft gehalten, doch nun verlangt der mächtige Feldherr Zerd, der mit seinen Truppen das Land besetzt hält, einige Geiseln, so auch Cija. Sie erhält die Aufgabe ihn zu verführen und dann in der Nacht zu ermorden. Zerd aber scheint zunächst an ihr nicht interessiert zu sein, sein Ziel ist es, das ferne und unerreichbare Atlantis zu erobern. Dazu jedoch benötigt er die Flotte des Südreiches. So macht sich Cija, die Tochter der Götter, auf eine lange Reise in den tiefen Süden, auf der sie in der Gesellschaft immer tiefer sinkt…

-Von keinem anderen Fenster aus kann ich die Dinge so gut sehen.-
Der Turm

Das Geschehen findet wohl in einem prähistorischen Mittel- und Südamerika statt, es könnte aber genauso auf einer Sekundärwelt stattfinden, so wenig hat diese Welt mit der unseren gemein. In Cijas Heimat herrscht eine matriarchalische Dynastie, die allerdings von den Priestern stark unter Druck gesetzt wird. Die Nordländer, deren Feldherr Zerd ist, haben einen sehr militaristischen König als Herrscher, die Südländer einen militaristischen Gottkaiser.

Bei der Beschreibung der Techniken der Kulturen bleibt Gaskell einigermaßen vage: Es gibt Bauern, die Pflüge und künstlichen Dünger benutzen, Brennstoffhändler, die mit Torf und Holz handeln, prachtvolle Steinbauten und Springbrunnen. Großer Reichtum Weniger ist mit allgemeiner Armut gepaart. Die Soldaten nutzen Speere und Schwerter, die Nordländer reiten große straußenähnliche Reitvögel, die Südländer Pferde. Die sehr phantasievoll und prachtvoll herausgeputzten Frauen werden z.T. detailliert beschrieben. Gaskell hat eine sehr originelle Welt geschaffen, die bis heute ungewöhnlich geblieben ist.
Die magischen Elemente sind jedoch auf einem sehr niedrigen Niveau angesiedelt, z.T. muss der Leser schon genau hinsehen um eines als solches zu erkennen. Einige sind jedoch für den Verlauf der Geschichte nicht unerheblich.

Die phantastischen Elemente, die sich am Feldherrn Zerd manifestieren, gehören zu den weniger bedeutsamen, aber dafür offensichtlicheren, denn seine Mutter entstammt einer dunkel-schuppigen nicht-menschlichen Rasse, nur sein Vater war ein Mensch. Zerd selbst hat ebenfalls eine Haut wie von einer Schlange – daher rührt auch sein Spitzname: Der Drache.
Zerd ist ein begnadeter Feldherr und gewiefter Politiker, auch physisch ist er herausragend, dennoch ist er kein Übermensch – auch er kann nur das Machbare schaffen. Er kann grausam und hart sein, aber auch mitfühlend und freundlich – generell scheinen andere Menschen aber nur Instrumente für ihn zu sein.

Cija ist die Hauptperson, die ihr Tagebuch schreibt. Da sie Gespräche z.T. wörtlich wiedergibt, gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen, wenn Cija jemand ihr Verhalten vorwirft. Sie ist feinfühlig und naiv, auch wenn sie  sehr schnell und sehr viel hasst, so wird sie doch eher von ihrem Mitgefühl bestimmt. Sie ist nicht dumm, denn sie hat in ihrer Jugend ihre Bibliothek ausgiebig genutzt. Daher kann sie z.B. erkennen, dass die meisten Männer nur den Körper der Frauen gebrauchen und deren Aussehen relativ egal ist – dennoch will sie Zerd, den sie doch hasst, gefallen und schön für ihn aussehen.
Mal reflektiert sie bewusst über derartige Zwiespältigkeiten, mal nicht. Je nachdem, in welcher Lage sie sich gerade befindet, übernimmt sie passende Ansichten, um sich in der Situationen zurecht zufinden – sie ist auf der Suche nach einer Gemeinschaft, der sie sich anschließen kann, dafür gibt sie viele ihrer alten Positionen auf.

Daneben gibt es noch unzählige weitere Figuren, einige spielen größere Rollen, wie Smahil, der auch eine Geisel ist, die ungewöhnliche Priesterin Ooldra, die kleine Narra, die Cija verehrt oder die Schönste, welche die Konkubine Zerds ist, andere treten nur kurz auf. Alle Figuren wirken glaubwürdig, vielfach streiten kleine Eitelkeiten, das Gewissen und Rationalität der Figuren miteinander. Auch ist es der Autorin gelungen eine ungewöhnliche Bandbreite von Charakteren darzustellen. Die Figuren sind sicherlich eines der Glanzstücke der Geschichte.

Cija beschreibt in ihrem Tagebuch ihren Alltag, der allerdings von Leiden massiv geprägt ist. Auch wenn Cijas Geschichte zunächst einigermaßen geradlinig aussieht, wird sie im Laufe der Zeit doch immer verworrener und zielloser.
Es werden viele unangenehme Themen angeschnitten: Es geht um Gewaltanwendung als Strafmaßnahme und aus Langeweile, es geht um Vergewaltigung und die Stellung der Frau in der Gesellschaft, insbesondere wenn ein feindliches Heer in ein Territorium eindringt, Armut, Sklaverei, Fremdenfeindlichkeit und Genderbending. Vieles davon erfährt Cija am eigenen Leib, so muss sie sich eine Zeit lang als Junge verkleiden und lernt einen Jungen kennen, der lieber eine Frau wäre. In seinem Heimatdorf würden ihn die Mitbewohner töten, würden sie von seiner “Perversion” erfahren.

Auch wenn es sich vielfach ausgedehnte Beschreibungen gibt, besonders am Anfang, ist die Geschichte doch spannend und der Leser will erfahren, wie es mit Cija weitergeht. Als Manko könnte man aber die vielen Zufälle, die sich ereignen, werten. Der Stil ahmt den eines Tagebuchs tadellos nach, selbst die Wandlungen, denen Cija unterliegt, werden leicht angedeutet.
Jane Gaskell hat The Serpent als einen Roman verfasst, erst später wurde dieser zweigeteilt – in den “ersten” Band The Serpend/Der Turm der Göttin und den “zweiten” Band The Dragon/Der Drache, das Ende ist daher nicht besonders befriedigend – man muss dafür schon den “zweiten” Teil lesen.

The Wise Man's Fear von Patrick RothfussKvothe erzählt Chronicler und Bast ein weiteres Stück seiner wildbewegten Lebensgeschichte: Der Konflikt mit seinem in der Thronfolge ein wenig aufgerückten Dauerrivalen Ambrose führt an der Universität zu neuen Verwicklungen, die ein Urlaubssemester ratsam erscheinen lassen. Auf Empfehlung eines Bekannten will Kvothe die Zeit  und seine musikalische Begabung  nutzen, um  einen mächtigen Adligen als Förderer zu gewinnen. Doch auf seiner Reise gerät er von einem Abenteuer ins nächste und sieht sich in seinen Nachforschungen über die Chandrian und den geheimnisvollen Orden der Amyr mit immer mehr Rätseln konfrontiert …

– Dawn was coming. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts. –
Prologue – A Silence of Three Parts

Patrick Rothfuss ist wahrscheinlich ein zu fähiger Autor, als dass er ein völlig misslungenes Buch vorlegen könnte, aber im Vergleich mit seinem großartigen Debüt The Name of the Wind (Der Name des Windes) fällt The Wise Man’s Fear (Die Furcht des Weisen) enttäuschend aus. Bis zu einem gewissen Grade ist dieser Eindruck sicher der Tatsache geschuldet, dass die Qualität des ersten Romans und die vergleichsweise lange Zeit bis zur Veröffentlichung des zweiten überhöhte Erwartungen geweckt haben, aber auch unabhängig davon weist der Text strukturelle und inhaltliche Schwächen auf, die alles Erzähltalent des Autors nicht ausgleichen kann.

Auf erzählerischer Ebene ist nämlich durchaus manches gewohnt gut: Einige Szenen sind von poetischer Intensität, und das Wechselspiel von Rahmenhandlung und Binnenerzählung ist weiterhin geschickt genutzt. Rothfuss’ sehr bewusster Umgang mit literarischen Techniken schimmert auch an den Stellen durch, die das Erzählen selbst zum Thema machen und fein beobachtet die Umformung von Realität in Geschichten und wiederum deren Einfluss auf die Wirklichkeit schildern. Humor und bitterer Ernst liegen dabei oft nahe beieinander: Schmunzelt man im ersten Augenblick noch darüber, wie Kvothe und Bast sich gegenseitig darin überbieten, eine wilde Lügengeschichte über Chronicler in die Welt zu setzen, ist im nächsten Moment schon die nachdenkliche Überlegung präsent, welche Auswirkungen sich verselbständigende Märchen auf Individuen oder ganze Volksgruppen haben können.

Bestimmte inhaltliche Aspekte liegen Rothfuss dabei erkennbar besonders am Herzen (so übt er etwa wiederholt Kritik an Rassismus und Vorverurteilungen), doch immer wieder steht auch der Akt des Erzählens oder der Informationsvermittlung selbst im Vordergrund, wobei neben den omnipräsenten Mitteln der Sprache und der Musik auch andere Kommunikationsformen ausgelotet werden, die sich dinglicher Symbole oder bestimmter Gesten bedienen.

Rothfuss’ eigener Sprachgebrauch genügt nicht immer den Ansprüchen, die man aufgrund seiner theoretischen Reflexionen an ihn heranzutragen versucht ist. I am no poet. I do not love words for the sake of words. I love words for what they can accomplish, lässt er seinen Helden sagen – und vielleicht trifft das auch auf ihn selbst zu, denn manches, was er hier mit Wörtern zu erreichen versucht, wirkt zu bemüht und gekünstelt. Generell schreibt Rothfuss zwar weiter auf hohem Niveau, doch dort, wo er mit Sprache spielt, ist das Ergebnis bestenfalls durchwachsen. Während der Varianten- und Bedeutungsreigen, den er um den Familiennamen „Lackless“ entwickelt, durchaus funktioniert (und eine gehörige Herausforderung für jeden Übersetzer darstellen dürfte), hat er sich zu viel vorgenommen, wenn er mit ziemlich schlechten Stabreimen arbeitet oder einen Teil der Dialoge in Versform präsentiert. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Letzteres gilt auch für die Fülle von Versatzstücken, aus denen Rothfuss seine weiterhin bunte Welt, sein Panoptikum von archetypischen bis skurrilen Figuren und die über weite Strecken etwas ziellos dahinmäandrierende Handlung zusammenfügt. Die Tempelritter, das Rechtsprinzip des benefit of clergy, eine Fee vom Schlage einer Belle Dame Sans Merci, eine bekannte Anekdote über Schiller und eine schiere Überfülle geläufiger Motive aus dem Fundus der (Fantasy-)Literatur sind alle irgendwie eingeflossen, wirken aber bisweilen recht willkürlich kombiniert.

Zu diesem Anschein von Beliebigkeit trägt sicher bei, dass die übergreifende Geschichte nur sehr langsam vorankommt und letztlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Besonders in der zweiten Hälfte des Buchs kommt einem Kvothe fast wie ein Rollenspieler vor, der auf einer Nebenquest nach der anderen Erfahrungen und Artefakte sammelt, ohne in der Sache große Fortschritte zu machen.

Das wäre sicherlich zu verschmerzen, wenn seine etwas episodisch angelegten Abenteuer wenigstens gute Unterhaltung bieten würden, doch leider hat man spätestens im letzten Drittel des Romans den Eindruck, dass Rothfuss mithilfe seines Helden recht pubertäre Träume auslebt: Von einer lüsternen übernatürlichen Partnerin zum kundigen Liebhaber ausgebildet gelangt Kvothe zu einem Kriegervolk, das ihn nicht nur in Fremden gewöhnlich vorenthaltene Kampfkünste einweiht, sondern auch ein höchst entspanntes Verhältnis zur Sexualität pflegt. Die entsprechenden Schilderungen bleiben zwar dezent, sind aber darum inhaltlich nicht weniger albern. Auch kämpferisch darf Kvothe aktiver als zuvor werden, und anfängliche Gewissensbisse über das ein oder andere Gemetzel an Schurken sind rasch überwunden, mangelt es doch nicht an Gelegenheiten, sich edel und hilfsbereit zu geben und zu fühlen.

Es nützt nur wenig, dass Rothfuss seinen Erzähler hier einiges selbst unter dem Hinweis auf seine damalige Jugend ironisieren lässt oder den Initiationscharakter bestimmter Plotelemente betont. Wäre nicht die Rahmenhandlung, die einem immer wieder die Erzählsituation ins Gedächtnis ruft und vor allem einen auf Menschenmaß zurechtgestutzten Kvothe zeigt, hätte man wahrscheinlich bald genug von dem Wunderknaben und seinen Erlebnissen. So aber bleibt immerhin die Hoffnung, dass es Rothfuss irgendwie gelingt, im letzten Band seiner Trilogie eine überzeugende Hinführung zur tragischen Jetztzeit seines Helden zu finden und zu demonstrieren, dass seine Erzählkunst zu mehr taugt als nur dazu, die Klammer um eine Loseblattsammlung mehr oder minder offenkundiger Entlehnungen zu bilden.