Zum 60. Geburtstag von Orson Scott Card

Bibliotheka Phantastika gratuliert Orson Scott Card, der heute 60 Jahre alt wird. Der am 24. August 1951 in Richmond, Washington, geborene Card hat zwar hauptsächlich als SF-Autor Furore gemacht (so gelang ihm beispielsweise das bisher einmalige Kunststück, mit Ender’s Game (1985) und der Fortsetzung Speaker for the Dead (1986) in zwei aufeinanderfolgenden Jahren die beiden wichtigsten SF-Preise – den Hugo und den Nebula Award – zu gewinnen), doch auch die Fantasy nimmt in seinem Oeuvre einen nicht unbedeutenden Stellenwert ein. Bereits der 1980 erschienene Roman Songmaster (dt. Meistersänger (1981)) fühlt sich stellenweise wie Fantasy an und verwendet Motive wie etwa das mit einer außerordentlichen Begabung (in diesem Fall für Musik) gesegnete Kind, die Card auch später wieder häufig aufgriff. 1983 folgte dann mit Hart’s Hope (dt. Die Hirschbraut (1985)) ein richtiger Fantasyroman, der vor allem aufgrund seines vordergründig naiven, ein bisschen an – allerdings grausame – Märchen erinnenden Erzählduktus und seiner Hauptfigur (bzw. deren sehr spezieller besonderer Fähigkeit) interessant ist.
Vier Jahre später sollte sich herausstellen, dass das nur eine Fingerübung war, denn 1987 erschien mit Seventh Son der erste Band der Alvin Maker Saga (fortgesetzt mit Red Prophet (1988), Prentice Alvin (1989), Alvin Journeyman (1995), Heartfire (1998) und The Crystal City (2003)), die – wenn Card es denn schaffen sollte, sie eines Tages auf dem Niveau zu beenden, auf dem er sie begonnen hat – zu den faszinierendsten und originellsten Fantasyzyklen gezählt werden müsste. Denn die Geschichte Alvins, des siebten Sohns eines siebten Sohns, der in einem Parallelwelt-Amerika zum großen Gegenspieler des Unmaker werden muss, wenn er sein Land (und letztlich die ganze Welt) retten will, bedient sich zwar einerseits altbekannter Motive (wie eben des bereits erwähnten, besonders begabten, auserwählten Kindes), trumpft jedoch darüber hinaus mit einem Setting auf, das beweist, dass Fantasy keinen europäisch-pseudomittelalterlichen Hintergrund braucht, um zu funktionieren. Besagtes Setting (eine Alternativwelt, in der es nie eine amerikanische Revolution gegeben hat und somit auch die USA nie gegründet wurden, und in der die Indianer – nicht zuletzt dank ihrer Magie – eine ganz andere Rolle spielen als in unserer Realität) und Cards unbestreitbare Fähigkeiten in der Charakterzeichnung von kindlichen Hauptfiguren machen es leichter, darüber hinwegzusehen, dass auch in diesem Zyklus (wie eigentlich in fast allen Werken Cards) bestimmte Aspekte seiner religiösen Überzeugungen durchschimmern bzw. sich als Analogien dazu lesen lassen.
Die ersten drei Bände der Alvin Maker Saga erschienen noch im Jahresabstand, doch dann änderte sich der Erscheinungsrhythmus, die Lücken wurden größer – und auf Master Alvin, den Band, der den Zyklus vermutlich abschließen wird, warten die Leser und Leserinnen bis heute. Es bleibt die große Frage, ob – und wann – Card die Saga tatsächlich zu einem runden Ende bringen wird. In den letzten Jahren hat sein Renommée in der angloamerikanischen SF- und Fantasyszene aufgrund seiner allzu drastisch vorgetragenen politischen und religiös-moralischen Überzeugungen spürbar gelitten, und neuere Fantasyromane wie Enchantment (1999; im Prinzip die Nacherzählung einer russischen Dornröschen-Version) oder Magic Street (2005; Cards erster Ausflug in die Urban Fantasy) kommen an die Klasse der ersten Alvin-Maker-Bände nicht heran.
Cards Frühwerk liegt – sowohl was die SF wie auch die Fantasy angeht – praktisch komplett auf Deutsch vor; das gilt auch für seine Kurzgeschichten und Erzählungen, von denen sich einige ebenfalls der Fantasy zuordnen lassen. Was die Saga um Alvin Maker angeht, sind bisher allerdings nur die ersten vier Bände veröffentlicht worden (Der siebente Sohn (1988), Der rote Prophet (1989), Der magische Pflug (1990) und Der Reisende (1997)), und solange der Zyklus im Original nicht beendet ist, dürfte sich daran auch kaum etwas ändern.

2 Kommentare zu Zum 60. Geburtstag von Orson Scott Card

  1. Elric sagt:

    Hm, die Ender-Reihe klingt mir nach ziemlich guter SF…?
    Oder liege ich da völlig falsch? Jedenfalls lässt sich der deutsche Wiki-Artikel da doch sehr drüber aus und zumindest der Anfang klingt für mich doch sehr vielversprechend – besonders wenn’s dafür gleich doppelte Auszeichnungen gab.
    Funktionieren denn die Geschichten immer noch? Oder merkt man ihnen ihr “Alter” schon an? Du kennst dich da ja aus, Gerd… 😀
    Was den 7. Sohn angeht: Tja, da haben sich sogar Iron Maiden von inspirieren lassen – das erscheint gerade mir als gutes Argument! 😉
    Wobei ich in dem Fall doch lieber warte, bis der letzte Band erscheint…

  2. gero sagt:

    Ich bin von “Ender’s Game” jetzt nicht ganz so beeindruckt wie manche amerikanischen Blogger, aber der erste sowie der zweite (mMn bessere) Ender-Roman (eben “Speaker for the Dead”) sind in meinen Augen schon gute SF. Ob man den Geschichten ihr Alter anmerkt, kann ich jetzt nicht so sagen, dazu müsste ich selbst nochmal reinschauen. Das Problem der Ender-Saga sind (wie immer: mMn) die Bände drei und vier, also “Xenocide” und “Children of the Mind”, die dann doch ziemlich abstürzen. Ich kann auch mit der Shadow-Serie (die parallel zu den Ender-Bänden spielt und auf so manches, was dort erzählt wird, ein neues Licht wirft) nicht mehr so viel anfangen wie mit Cards frühen Romanen.

    Für mein Empfinden hat es in Cards Oeuvre so etwa zu Anfang der 90er einen eigenartigen Bruch gegeben, so dass das meiste von dem, was er nach ~ 1990 veröffentlicht hat, nicht mehr mit den Sachen mithalten kann, die vorher entstanden sind. (Ein ähnliches Phänomen kann man mMn auch bei Piers Anthony beobachten, auch wenn ich da auf die Schnelle keine entsprechende Jahreszahl zur Hand habe.)

    Die ersten Bände der Alvin-Maker-Saga finde ich übrigens wirklich gut bis teilweise großartig – ist halt so ein bisschen “Lederstrumpf mit Magie”, hat aber sowohl vom Worldbuilding wie von den Personen her (darunter auch viele “historische”) Einiges zu bieten. Und einem meiner liebsten indianischen Helden wird in den Bänden ein Denkmal gesetzt. 😉

    Ich warte eigentlich nur darauf, dass “Master Alvin” endlich erscheint, dann steht der Zyklus bei mir ganz weit oben auf der Wiederlesen-Liste.

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