Zum 65. Geburtstag von Jeff Long

Mit einer Woche Verspätung gratuliert Bibliotheka Phantastika Jeff Long, der am 24. November seinen 65. Geburtstag feiern konnte. In seine Romane brachte der im Jahr 1951 in Bay City, Texas, geborene Jeffrey B. Long immer wieder seine Erfahrungen als Bergsteiger und Kletterer ein, die ihn unter anderem auf Himalayagipfel, aber auch an Krisenschauplätze wie Kambodscha und Tibet geführt haben.
Am eindringlichsten haben sich all diese Erfahrungen in The Descent (1999; dt. Im Abgrund (2001)) niedergeschlagen, das man zusammen mit seinem Nachfolger Deeper (2007) und einigen Stories durchaus als das Magnum Opus von Jeff Long sehen kann – ein Setting und ein Was-wäre-wenn-Gedankenspiel, zu dem es ihn immer wieder hinzieht.
The Descent von Jeff LongDer Roman steigt mit einer klaustrophobischen Sequenz ein, in der eine Bergsteigergruppe unter Führung des mit allen alpinen Wassern gewaschenen Ike bei einem Wetterumschwung in eine überraschend weitläufige Höhle flieht, und dort nicht nur auf völlig unbekannte Schriftzeichen stößt, sondern auf viel Schlimmeres. In den nächsten Kapiteln stoßen auch die Linguistin und Nonne Ali in Afrika und Major Branch, der für die NATO in Bosnien ist, auf Hinweise, dass unter der Erde etwas existieren könnte, das die Visionen von Dämonen und Hölle verschiedenster Kulturen recht glaubhaft erscheinen ließe.
Jahre später wird auch schon ein jegliche Vorstellung übersteigendes Höhlensystem erforscht, das die ganze Welt durchzieht. Wirtschaft, Forschung, Militär – alle haben ein riesiges Interesse an diesem neuen subterranen Raum. Als jedoch die Zwischenfälle zunehmen, wird eine Expedition zusammengestellt, an der auch jene Spezialisten teilnehmen, die schon früh mit der Unterwelt Kontakt hatten, unter anderem Ike, Ali und Branch.
Wie oft, wenn eine Geschichte um Enthüllungen und, wie in diesem Fall, auch Horror-Elemente kreist, ist The Descent am besten, solange das Geheimnis noch intakt ist, man das Monster noch nicht gesehen hat, und die Ausmaße der Veränderung, die durch die Enthüllung in Gang gesetzt wird, sich erst aufklären. So gehören die ersten 100 Seiten des Romans auch mit zu den eindringlichsten Sequenzen, die im Dunstkreis der Genres Abenteuer/Horror und Spannung zu finden sind. Aber auch die anschließende Erforschung der Untergrundwelt und ihrer Natur (und Kultur) hat es in sich. Dass der Roman zum Ende hin etwas zu einer Verschwörungsgeschichte ausdröselt und einige Fäden auch völlig ins Leere laufen, ist zwar bedauerlich (und könnte mit der Tatsache zu tun haben, dass die deutsche Ausgabe offenbar gekürzt wurde, was auch einige der sehr holprigen Übergänge erklären würde), aber mit den spannenden Konzepten und dem ansonsten sehr gelungenen Aufbau von The Descent kann man sich trotzdem sehr gut unterhalten lassen und einem phantastischen Weltentwurf folgen, der weder ganz ins Fantasyreich noch in ein futuristisches Setting führt.
Auch mit den auf The Descent folgenden Romanen, etwa Year Zero (2002, dt. Grauzone (2003) oder Zone des Grauens (2005)), bewegt sich Jeff Long im Umfeld von religiösen Mythen, Wissenschaft und Verschwörungen. In seiner 2015 erschienenen Kurzgeschichtensammlung Too Close to God kehrt er zwischen anderen Geschichten mit Bergsteigerhintergrund auch wieder ins Setting von The Descent zurück, bei dem immer noch die Frage nach einem dritten Teil im Raum steht.

2 Kommentare zu Zum 65. Geburtstag von Jeff Long

  1. Pogopuschel sagt:

    Hah, “Im Abgrund” hatten wir erst kürzlich im Buchzitaterätsel auf SF-Fan.de. Ich hab’s gelöst. 😉 Mir hat Roman seinerzeit sehr gut gefallen, aber ich stimme dir zu, was die Sache mit der Auflösung und dem Schlussteil angeht.

  2. gero sagt:

    @ Pogo:

    Ja, das habe ich gesehen (und mich anfangs gewundert, dass anscheinend niemand das betreffende Buch kennt). 😉

    Ich habe “Im Abgrund” zum großen Teil auf einem Rückflug von Gomera gelesen (das müsste 2001 gewesen sein, als das Buch gerade neu rausgekommen war), und die viereinhalb Stunden waren ratzfatz um. Soll heißen, dass ich so ungefähr das erste Drittel oder so extrem spannend gefunden habe. Danach verliert der Roman dann nach und nach seine Linie, aber ich habe ihn trotzdem schon oft empfohlen, weil der sich der Anfang mMn wirklich lohnt.

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