Der Zwerg liest fremd: Age of Bronze

It was long ago and it was far away…
Nachdem letztes Mal mit Paolo Bacigalupi ein Blick in die Zukunft geworfen wurde, geht es diesmal in die ferne Vergangenheit, in die Zeit des Trojanischen Krieges.

Schon 3000 Jahre hat dieser Mythos auf dem Buckel – und ist doch noch quicklebendig. Noch immer wird die Geschichte weitererzählt, sei es in italienischen Sandalenfilmen, Hollywoodproduktionen mit Happy End (Damn you, Wolfgang Petersen!) oder indem man den armen Odysseus nach Dublin, in den Deep South, auf ein Raumschiff des 31. Jahrhunderts oder ins Hallo-Spencer-Dorf versetzt. Achillessehne und die sprichwörtliche Odyssee, Tales of Brave Ulysses und Temporary like Achilles, Trojanisches Pferd und Trojanischer Hase, Homer Simpson und eine Forumosin, auf die niemand hört – man könnte meinen, wo man nur hinspuckt, tönt einem ein “Malaka!” entgegen.

Irgendwann war dann bei mir der Punkt erreicht, an dem mir dieses diffuse Halbwissen aus Filmen und ins Märchenhafte entrückten Sagen, die sich in den Details irgendwie alle nicht auf eine Version einigen konnten, nicht mehr reichte und ich wissen wollte, was denn jetzt stimmt, was im “Original” steht.

Also griff ich zu Homers Ilias – und erlebte eine Überraschung.
Denn was ich nicht bedacht hatte: Homer hat seine Epen natürlich nicht aus dem Nichts geschaffen, sondern einen wesentlich älteren Mythos aufgegriffen, aus dem er sich zwei Episoden heraus pickte und diese ausbaute.
Iphigenie, Laokoon und das hölzerne Pferd sucht man vergeblich, Trojas Untergang, Achills Tod und Agamemnons Schicksal werden nur beiläufig erwähnt – wieso auch nicht, die Geschichten waren ja schließlich wohlbekannt.

Um die “komplette” Geschichte zu erfahren, muss man sich durch über 700 Jahre griechisch(-römisch)er Literatur wühlen, angefangen bei Homer über Euripides Iphigenie und Aischylos Orestie bis hin zu Vergils Aeneis. Alternativ kann man natürlich auch auf die zurückgreifen, die dies bereits für einen getan haben, wie z.B. Gustav Schwab mit seinen Sagen des Klassischen Altertums.
Oder, um endlich auf den Titel dieses Posts zu kommen: man liest einen Comic.

Age of Bronze

1991 war nämlich bei Eric Shanower, einem Comiczeichner, der sich bis dahin hauptsächlich mit L. Frank Baums Oz beschäftigt hatte, der oben erwähnte kritische Punkt erreicht und er setzte es sich in den Kopf, die Geschichte des Trojanischen Krieges als Comic umzusetzen. Er begann sich in die Materie zu vertiefen, las die griechischen und römischen Klassiker, Geschichtsbücher und Ausgrabungsberichte, studierte die damalige Architektur und Landschaft – und 1998 war es dann schließlich soweit: das 1. Heft von Age of Bronze erschien bei Image Comics.
Seitdem sind pro Jahr zwei bis drei Hefte erschienen, die zu bisher drei (von rund sieben geplanten) Sammelbänden zusammgefasst wurden: A Thousand Ships, Sacrifice und Betrayal: Part 1.

Südtor von Troja - in echt und im Comic (c) Eric Shanower

Man mag sich jetzt denken: Okay, ein Comic über den Trojanischen Krieg. So what? Den gibt es auch von Marvel.
Nur zeichnet sich Age of Bronze nicht nur durch einen, besonders im Vergleich zu Marvels grausigen Photoshopexzessen, wunderbar klaren Schwarzweißstil aus, sondern vor allem durch unzählige kleine Details, die zeigen, dass man es mit jemandem zu tun hat, der wirklich Ahnung von der Materie hat.
Besonders sind mir zwei Details aus dem Palast des Nestor in Pylos in Erinnerung geblieben: nicht nur entsprechen die Wandbemalungen den Rekonstruktionen aus dem Ausgrabungsbericht, sondern selbst das Zackenmuster am Rande der zentralen Feuerstelle, das heute noch teilweise zu erkennen ist, wurde übernommen. Und wenn Agamemnon später (in Mykene) ein Trankopfer darbringt, so gießt er dies in eine kleine Mulde neben seinem Thron – wie man sie auch in der Ausgrabungsstätte in Pylos findet.

Gerade diese kleinen Details sind es, die Age of Bronze für mich nicht nur zu einem wirklich guten, sondern zu einem herausragenden Comic machen.
In meinen Augen ein Muss für alle, die sich für die Antike, alte Sagen – oder einfach nur für gute Comics interessieren.

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Bisher sind bei Image Comics drei Sammelbände erschienen: A Thousand Ships (ISBN 1-58240-200-0, 224 S.), Sacrifice (ISBN 1-58240-399-6, 224 S.) und Betrayal: Part 1 (ISBN 978-1-58240-755-5, 176 S.), die für je um die 14€ erhältlich sind. Eine deutsche Ausgabe scheint derzeit leider nicht geplant zu sein.

Mehr gibt es auf der offiziellen Website Age-of-Bronze.com, z.B. einen Bericht von Shanowers Besuch in Troja (bei dem er nicht nur den Fanboy raushängen lässt, sondern auch noch alle Vorurteile über Amis im Ausland bestätigt) und eine Leseprobe zu Band 2. Außerdem kann man über die Seite auch die Age of Bronze-Hefte abonnieren.

Von Homers Ilias sind vor allem zwei Übersetzungen hervorzuheben: Johann Heinrich Voß’ aus dem Jahr 1793 (erhältlich z.B. bei Fischer Klassik) überzeugt vor allem durch ihre sprachliche Wucht, während Wolfgang Schadewaldts (z.B. bei Insel) von 1975 den Fokus eher auf Detailtreue setzt. Die vor ein paar Jahren erschienene Übersetzung von Raoul Schrott ist hingegen eher etwas für Fans von Erkan und Stefan.

Wer einmal filmisch in griechische Dramen hineinschnuppern möchte, dem seien Michael Cacoyannis Filme Elektra, Die Troerinnen und vor allem Iphigenia empfohlen, die er mit der wunderbaren Irene Papas gedreht hat.

Ein Kommentar zu Der Zwerg liest fremd: Age of Bronze

  1. Ivy sagt:

    Danke, lieber Zwerg. Das kriegt mein Mythologie-Nerd zum Geburtstag 🙂

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