: lyrischer Stil

Cover des Buches "Im Bann der Sturmreiter" von Cecilia Dart-ThorntonBeim Turm der Sturmreiter, die auf ihren geflügelten Pferden Nachrichten und kostbare Güter überbringen, wird ein entstelltes und stummes Wesen gefunden, und als einer der untersten Bediensteten aufgenommen. Als er erfährt, dass es in der Hauptstadt weit weg eine Heilung für seine Entstellungen geben könnte, flieht er auf einem Luftschiff und wird von Sianadh, einem halb-verrückten Piraten, gerettet.
Sianadh verrät dem Jugendlichen, der sich an nichts aus seinem Leben erinnern kann, ein großes Geheimnis und gibt ihm einen Namen: Imrhien. Doch die unberührte Wildnis, durch die sie sich schlagen müssen, ist genau so heimtückisch und gefährlich, wie es die Geschichten berichten. An jeder Ecke lauern üble Wesen…

-Der Regen war ohne Anfang und ohne Ende, ein unentwegtes Klopfen wie das Getrommel von ungeduldigen Fingern. Das Geschöpf kannte nur den Klang des Regens und das Rasseln seiner Atemzüge. Es wußte nichts über sich selbst, hatte keine Ahnung, wie es hierhergekommen war.-
Prolog

Cecilia Dart-Thornton breitet in diesem Roman ein pittoreskes Panorama vor den Augen ihrer Leser aus, das alles enthält, was den Freunden der Fantasy Freude macht.
Imrhien, ein Geschöpf mit entstelltem Gesicht, trifft auf seiner Suche nach Heilung auf Elfen, Wichtel, Kobolde, Geister, Wasserfrauen, Trolle, Seelies und Unseelies, Glastyns, einen Magier und Heilerinnen und nur selten ist einer von ihnen Imrhien wohl gesonnen. Dieses Szenario sorgt für Spannung und gute Unterhaltung, vor allen Dingen auch dann, wenn die Helden nicht ihre Muskelkraft, sondern ihr Köpfchen gebrauchen müssen, um einer Gefahr zu entrinnen. Es gibt eine köstliche Episode, in der einer von Imrhiens Freunden sich ein Reimduell mit einem Kobold liefert, bei dem es darum geht, wer von beiden das letzte Wort hat.

Ihre Inspiration hat Cecilia Dart-Thornton vor allem aus keltischen Sagen, aber auch aus der Odyssee, den Märchen der Brüder Grimm und vielleicht auch bei Rowling geschöpft oder die beiden Damen haben zufällig eine gemeinsame Vorliebe für das Schachspiel.
Aber während die Autorin bei der Darstellung der übernatürlichen Wesen aus dem Vollen geschöpft hat, hat sie die Ausarbeitung von Imrhiens Charakter ein wenig vernachlässigt. Das liegt auch daran, dass Imrhien das Gedächtnis verloren hat, nichts über sich weiß und sogar eine ganze Weile ohne Namen ist. Man denkt unwillkürlich an Quasimodo, den Glöckner von Notre Dame, denn ebenso wie er ist Imrhien ein entstelltes, von anderen gequältes Geschöpf, das unglücklich, aber sensibel ist und trotz mangelnder Bildung intelligent und von schneller Auffassungsgabe. Daher erwartet man einen in eine Fantasygeschichte gekleideten Entwicklungsroman. Aber in diesem ersten Band macht Imrhien noch keine charakterbildende und -verändernde Entwicklung durch, sondern schöpft eigentlich nur das Persönlichkeitspotential aus, das von Anfang an gegeben ist.

Die Bienenkönigin von Thomas Burnett SwannDie Vestalin Rhea, eine Tochter des ehemaligen Königs von Alba Longa, wird zum Tode verurteilt, nachdem sie Zwillinge geboren hat. Auch ihre Söhne sollen getötet werden, doch der damit beauftragte Hirte erbarmt sich ihrer und setzt sie aus. Sie werden von der Dryade Mellonia gerettet, die sie zusammen mit der Wölfin Luperca versorgt. Als Romulus und Remus junge Männer geworden sind, wollen sie den Tod ihrer Mutter rächen und den Thronräuber von Alba Longa vertreiben.

-Aber eine Schnecke taugt auch nicht viel, nicht wahr? Aber sie kriecht, sie schwenkt die Fühler und bringt uns zum Lachen, sie hinterlässt eine silberne Spur, und wenn sie stirbt, eine hübsche Muschel, wie Perlmutt. Ich würde eine Welt ohne Schnecken hassen.-

Thomas Burnett Swann ist der einzige Fantasy-Autor, der sich mit Leidenschaft und großer Kenntnis der Mythologie der Antike verschrieben hat. Leser, die sich wünschen, dass es schnell und eindeutig zur Sache geht, sollten den Autor abhaken, denn sie werden mit seinen lyrischen und verspielten Versionen der Sagen des klassischen Altertums, angesiedelt in pastoralen Landschaften voller Fabelwesen, die einem anderen Zeit- und Werteverständnis als die Menschen folgen, nicht gut bedient. Die mythologische Fantasy von Swann funktioniert am Besten für Freunde von Geschichten voller funkelnder Details, Szenen von großer Wärme und einer generellen Wertschätzung des Wie vor dem Was einer Geschichte.

Die Bienenkönigin (Lady of the Bees) ist eine Erweiterung der älteren Kurzgeschichte Der Feuervogel und bereichert diese um einige Aspekte, wie etwa Abschnitte, die aus der Sicht der Dryade Mellonia erzählt werden – abwechselnd mit Sylvan, einem jungen Faun. Der von Swann häufig gewählte Kunstgriff, Fabelwesen als Erzähler zu nutzen, ist durch diese Dualität, die sich auch in anderen Aspekten durch den Roman zieht, besonders gelungen: Sylvans Sorglosigkeit steht die Komplexität und Altersschwere der ewig jungen Dryade entgegen, mit der Weiterentwicklung der Geschichte und ihrer Figuren kehrt sich das Verhältnis jedoch um.

Swanns Antike ist ein goldenes Zeitalter im Herbst: Die Helden blicken selbst auf eine glänzendere Zeit zurück und sind sich bewusst, dass sie einer ausklingenden Ära angehören, dass die Magie im Niedergang begriffen ist, wodurch die Geschichte stets ein Hauch der Melancholie durchweht.
Der Stil, der damit einhergeht, ist üppig, schwelgerisch, selbst in der teilweise suboptimalen Übersetzung, die aus den fließenden, poetischen Sätzen manchmal etwas sperrige Konstrukte macht. Wie kaum ein anderer Autor schafft Swann diesen Balanceakt in einer Welt, in der sich Faune im Wald tummeln und Frauen Brüste wie Melonen haben können, ohne dass der Text überladen oder unpassend wirkt.
Hintergründiger Witz lockert die Erzählung ebenso auf wie eine teils subtile, teils direkte Frivolität, wie man sie auch bei Catull oder Ovid finden könnte. Die zivilisationsfernen Erzählstimmen von Sylvan und Mellonia, die zunächst keiner menschlichen Moral folgen, lassen trotzdem keine Zweifel daran, wo im Einzelnen Gut und Böse zu finden sind, wo die Grenze verläuft zwischen Objektivierung des Gegenüber und Respekt vor dem Anderen. Auf beinahe jeder Seite strahlt eine Wärme aus der Geschichte, die ihresgleichen sucht: Sei es in der unbescheiden-drolligen (Selbst-)Beschreibung des Fauns, bei den Details, mit denen die Waldtiere auftreten, oder der Verehrung von unbedeutend scheinenden Göttern.

Die Handlung von Die Bienenkönigin ist in drei Sätzen erzählt und weder komplex noch neu, doch sie entfaltet sich trotzdem wie eine griechische Tragödie vor dem Leser, die unaufhaltsam einem Punkt entgegenstrebt, der durch Figurenkonstellation und Umstände vorgegeben ist. Die Geschichte von Romulus und Remus ist bekannt, der Konflikt der Zwillingsbrüder spielt sich allerdings fast immer unterschwellig ab, steht stellvertretend für zwei Wege, die die Menschheit einschlagen kann: einen harmonischen Weg mit der Natur und einen Weg der Gewalt, der sich durch seinen aktionistischen Charakter immer durchsetzen kann. Ein richtiger Kampf wird daraus so gut wie nie, denn der sanfte Weg von Remus ist dafür zu nachgiebig und lässt die Eskalation umso gravierender ausfallen.

So alt und vertraut der Mythos auch ist, Swann ist weit davon entfernt, einen antiken Einheitsbrei vorzusetzen – in seiner Welt ist eine ganze Bandbreite von Einflüssen sichtbar, von den Etruskern über die Minoer bis hin zum fernen Osten, Verbindungen zu anderen Swann-Werken wie der Minotaurus-Trilogie werden deutlich und vermitteln zusammen mit der fiktiven Geschichtsschreibung, von der in der Palmenblatt-Bibliothek in Die Bienenkönigin die Rede ist, ein zusammenhängendes Bild einer fiktiven, mythischen Antike.

Die lyrische Ästhetik findet sich bei Die Bienenkönigin nicht nur im Stil, sondern auch in den Beschreibungen dieser Welt, in der Mythen Wahrheit sind. Der vielbeschworene Sense of Wonder stellt sich auf unspektakuläre, beinahe spielerische Art und Weise ein, durch das Pendeln zwischen Heiterkeit und Melancholie, durch das Fernweh in eine geträumte Vergangenheit, deren Schleier Swann in seinen Romanen ein wenig lüften kann.
Die Besonderheit von Die Bienenkönigin lässt sich leichter erfahren als beschreiben, denn wenn man behauptet, dass jede Seite Freude beim Lesen macht, wird man dem Roman zwar durchaus gerecht, hat aber doch viel zu wenig gesagt. Wer Silberglocken hören und seidige Faun-Schwanzquasten spüren will, sollte sich im Antiquariat auf die Suche machen und trotz des fragwürdigen Covers einen Blick wagen.

The Charwoman's Shadow von Lord DunsanyDer junge Ramon Alonzo wird von seinem Vater, dem verarmten Lord of the Tower and Rocky Forest, zum Haus eines Magiers tief im Wald geschickt, um dort die Kunst des Goldmachens zu erlernen. Dort als Lehrling aufgenommen, erfährt Ramon Alonzo gleich am ersten Abend die Geschichte der alten Scheuermagd: einst gab sie dem schwarzen Magier ihren Schatten im Tausch für ein ewiges Leben, aber seitdem ist sie an dessen Haus gebunden. Ramon Alonzo schwört sich, ihren Schatten zu retten und sie zu erlösen. Doch der Magier verlangt auch von Ramon Alonzo eine Bezahlung für das erteilte Wissen.

-Picture a summer evening sombre and sweet over Spain, the glittering sheen of leaves fading to soberer colours, the sky in the west all soft, and mysterious as low music, and in the east like a frown. Picture the Golden Age past its wonderful zenith, and westering now towards its setting.-
Chapter 1 – The Lord of the Tower Finds a Career for His Son

The Charwoman’s Shadow (Der Schatten der Scheuermagd) ist eine relativ kurze Geschichte, was nicht heißt, dass man sie schnell gelesen hätte. Man muss sich viel Zeit nehmen, um die Sprache nachzuvollziehen und auf sich wirken zu lassen. Das englische Original ist leider nur etwas für wirklich gute Englisch-Leser. Nicht so sehr wegen schwerer Vokabeln, sondern mehr aufgrund komplexer Satzstrukturen, für deren Erfassung man ein wenig Muße benötigt. Anfangs hatte ich beim Einlesen große Probleme, doch wenn man das Buch ganz in Ruhe (und vielleicht ein zweites Mal) angeht, kann das Geschriebene einem den Atem rauben.

Man verliert sich im Spanien am Ende des Goldenen Zeitalters mit seinem Spiel aus Licht und Schatten – dafür sorgt allein schon der erste Satz. Eine konkrete, besonders schöne Textstelle ist zum Beispiel, wenn der Zauberer seinen Schüler in das größte Mysterium seiner Magie einführt: das Lesen. Darüber hinaus beruht diese Magie sehr auf der mittelalterlichen Alchemie mit Lebenselixieren und der Herstellung von Gold. Und ähnlich wie im Mittelalter wird diese Magie mit dem Teufel in Verbindung gebracht; demgegenüber steht die Kirche, die beim einfachen Volk großen Einfluss besitzt, und deren Vertreter das Gute verkörpert.

Angesichts der Sprache und Atmosphäre spielt es dann keine Rolle mehr, ob uns die Geschichte selbst einfach erscheint: der Held tritt gegen den schwarzen Magier an, um ein unschuldiges Opfer zu retten. Viel spannender ist dabei, dass der Held selbst weniger durch Scharfsinn denn Beharrlichkeit und Großmut auffällt, und dass das unschuldige Opfer eine hässliche, alte Scheuermagd ist. Und die eigentlich interessanteste Figur ist Ramon Alonzos wesentlich intelligentere Schwester Mirandola: obwohl sie den reichen, unsympathischen Nachbarn heiraten soll, verfolgt sie unauffällig ihre ganz eigenen Hochzeitspläne.

Day of the Minotaur von Thomas Burnett SwannKreta wird von Feinden aus dem Norden überfallen, und die beiden Königskinder Thea und Icarus werden gefangen genommen und, nachdem sie sich tatkräftig gegen die Feinde zur Wehr gesetzt haben, in die Höhle des gefürchteten Minotauren geworfen, auf daß er sie verspeisen möge. Doch alles kommt anders: Eunostos, der letzte Minotaur, hat wenig Interesse an Menschenfleisch, vielmehr dagegen an der Schönheit der Prinzessin Thea – allerdings ist er ein eher schüchterner Zeitgenosse. Kurzerhand nimmt er die beiden jungen Königskinder mit in seine Behausung im Zauberwald und bietet ihnen dort Schutz.
Als die Angreifer das erfahren, ist ihnen der Zauberwald mit seinen Dryaden, Zentauren und vielen anderen Fabelwesen ein Dorn im Auge …

-My history belongs to the princess Thea, niece of the great king Minos, and to her brother Icarus, named for the ill-fated son of Daedalus who drowned in the sea when his glider lost its wings.-
Chapter 1: The Wooden Wings

Wer in seiner Jugend einmal mit Begeisterung die Sagen des klassischen Altertums gelesen hat, wird wohl aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn er sich von Thomas Burnett Swann in dessen Version der antiken, mythischen Welt entführen läßt. Auf eine ganz eigene Art beschwört der Autor den Zauber einer vergangenen Zeit herauf, bringt die Geschehnisse anschaulich vor das innere Auge, ohne aber auf eine Art Schleier zu verzichten, der den Leser niemals die paar tausend Jahre vergessen läßt, die zwischen ihm und der von Swann beschriebenen Zeit liegen. Eine Gratwanderung zwischen Fremdem und Vertrautem, die der Autor hauptsächlich anhand von poetischer Sprache und einem vermittelnden Erzähler – Eunostos, dem Minotauren selbst – meistert.

Ein gelungener Vorspann soll der Erzählung einen historischen Kontext verleihen – ein alter Kniff, der hier aber sehr schön eingepaßt ist und der Geschichte einen Rahmen gibt. Hat man dann erst einmal den erzählenden Minotauren kennengelernt, muß man den bescheidenen, ruhigen Muskelprotz mit der poetischen Ader, der sein Licht gerne unter den Scheffel stellt, von der ersten Seite an ins Herz schließen. Im Verlauf der Geschichte ergeht es ihm ohnehin nicht besonders gut: Mit den beiden flüchtenden Königskindern, die er bei sich aufnimmt, bringt er Ärger in sein Haus und seinen Wald. Anfangs ganz harmlos, fängt die liebreizende Thea an, den ursprünglichen und naturverbundenen Minotauren zu domestizieren: Sie räumt sein Haus auf, schneidet die Blumen aus seinem geliebten Kraut- und Rübengarten ab und steckt sie in Vasen und rümpft die Nase über seine rustikalen Freunde, die Dryade Zoe und den Zentauren Moschus. Als dann auch noch der wilde Ajax mit seinen Kampfgenossen den Wald angreift, weil er der beiden Königskinder habhaft werden will, wird langsam klar, daß die Zeit der Fabelwesen von der Zeit der Menschen abgelöst wird. Auch das ist ein alter Topos der Fantasy – das Schwinden des Zaubers aus der Welt. Das Ende der Erzählung, bei deren letzter Kapitelüberschrift The Passing of the Beasts man schon schlimmstes fürchtet, steht dem Ende eines Herrn der Ringe (The Lord of the Rings) diesbezüglich in nichts nach: meisterhaft werden Melancholie und Trost miteinander verbunden, wobei die versöhnlichen Elemente für die Charaktere überwiegen, die Welt aber “gemindert” zurückbleibt.

In nicht einmal 200 Seiten sollte man sich aber von Day of the Minotaur (Die Stunde des Minotauren) keine komplexe Handlung erwarten; die Gechichte plätschert eher dahin, aber nicht als langweiliger Strom, sondern eher als hübsch anzusehender, munterer Bach. Der poetische, gewitzte und manchmal auch anzügliche Stil allein ist schon ein Vergnügen, und nur in dieser gekonnt umgesetzten archaischen Atmosphäre kann man beispielsweise von den gefürchteten swelling breasts lesen, ohne gleich “Kitsch, lass nach!” zu stöhnen. Auf dem kleinen Raum sind auch die Charaktere liebevoll dargestellt, und die Atmosphäre lebt von den Fabelwesen, die gerade klischeemäßig genug sind, um vertraut zu wirken, aber kein Quentchen mehr. Märchenhaft-poetische Fantasy in einer antiken Umgebung kann man sich nach der Lektüre dieses Romans kaum mehr anders vorstellen.

Ein deutlicher Stilbruch in diesem so gekonnt ausgearbeiteten Rahmen ist das Titelbild – ein muskelbepackter Minotaur mit der falschen Haarfarbe, eine halbnackte Frau, ein Held im Hintergrund, ein reißerischer Schriftzug. Man betrachte einmal das Bild und vergleiche mit folgendem Zitat von Eunostos, als er erstmalig auf die schöne Thea trifft, und urteile selbst:

I stood awkwardly, shifting my weight from hoof to hoof, and wondered what I could say to reassure her. »He’s right,« I blurted. »I want to be your friend, and you won’t have to pleasure m-m-me.«

Cover des Buches "Flucht ins Feenland" von Hope MirrleesDas Feenland – ein magischer Ort gleich hinter der Grenze – ist den wackeren Bürgern von Dorimare seit Jahrhunderten ein Dorn im Auge. Gefährliche Früchte gelangen von dort nach Dorimare, doch der Schmuggel lässt sich nicht unterbinden. Wer davon kostet, verwandelt sich auf wundersame Weise, hängt wirrköpfigen Gedanken nach und stellt eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar – er wird empfänglich für die Wunder der Welt und rebelliert gegen Tradition und Anstand. Dorimare droht im Chaos zu versinken.
Was bleibt dem armen Bürgermeister übrig, als aufzubrechen in die verwunschenen Regionen “jenseits der Hügel” und das Unmögliche zu wagen: das Traumreich der Feen zu versöhnen mit der Realität der Alltagswelt …

-“Ihr verfügt über Phantasie? So ist es für Euch stets ein Abenteuer, einen Laubengang entlangzuspazieren. Ihr betretet ihn kühnen Schritts, doch bald wünscht Ihr Euch, Ihr wäret draußen geblieben – es ist keine Luft, die Ihr hier atmet, es ist Schweigen, das fast greifbare Schweigen der Bäume. Und die kleine runde Öffnung in der Ferne soll der einzige Ausgang sein? Ach, es wird Euch nie gelingen, Euch dort hindurchzuzwängen! Ihr müßt umkehren… zu spät! Die breite Pforte, durch die Ihr eingetreten seid, ist ebenfalls zu einer kleinen runden Öffnung zusammengeschrumpft.”-
1. Kapitel – Meister Nathan Hahnenkamm

Was die Besonderheit dieses Werkes ausmacht, verrät das Nachwort: “Das Buch beginnt als Reisebericht oder als historischer Roman, wird zu einer Pastorale, einem Schwank, einer Gesellschaftskomödie, einer Geistergeschichte und dann zu einer Detektivgeschichte. Und dennoch handelt es sich hier nicht um krude zusammengeschusterte Einzelteile, sondern um die ineinander verwobenen Stränge einer einzigen gewundenen Erzählung.”

Im Mittelpunkt der Handlung von FLucht ins Feenland (Lud-in-the-Mist) steht Meister Nathan Hahnenkamm, der sich im Laufe der Geschichte vom spießbürgerlichen Antihelden zu einer mutigen, starken Persönlichkeit mausert.
Wer Schlachten, Waffengeklirr, wilde Horden und böse Herrscher erwartet, ist hier sicherlich auf dem falschen Dampfer. Noch lange vor dem übermächtigen Einfluss Tolkiens geschrieben, hat Flucht ins Feenland keinerlei Gemeinsamkeiten mit dem Herr der Ringe – außer vielleicht, dass die Bewohner Dorimares für den einen oder anderen Leser leicht “hobbitisch” anmuten.
Wer aber neugierig auf anspruchsvolle Fantasy der etwas anderen Art ist und auch vor teilweise leicht archaischer, blumiger Sprache nicht zurückschreckt – oder wie ich vielleicht sogar eine Vorliebe dafür hat  – für den gilt: LESEN! Im Anschluss an den eigentlichen Roman findet man ein ausgezeichnetes, ca. 70seitiges Nachwort von Michael Swanwick, in dem man eine Menge über die Autorin selbst und über mögliche Interpretationen ihres einzigen Fantasyromans erfährt.

Das Geheimnis der schönen Fremden von Cecilia Dart-ThorntonImrhien, das einst namenlose Findelkind im Turm der Sturmreiter, ist weiterhin auf der Suche nach ihrer Herkunft und ihren Erinnerungen. Nun, da sie mit Hilfe der Carlin ihre Stimme und ihr Gesicht wieder hat, möchte sie auch dieses letzte Geheimnis endlich lüften und begibt sich in die Residenzstadt des Hochkönigs nach Caermelor. Um unentdeckt zu bleiben, nimmt sie einen falschen Namen an und begibt sich unter das Adelsvolk, wo sie hofft Antworten und einen Hinweis auf den Dainnin Dorn zu finden, der ihr Herz gestohlen hat. Doch was sie zunächst findet, sind Intrigen und eine Spur, die in ein längst vergangenes Zeitalter führt.

– Die junge Frau, die bei der Carlin in White Down Rory Unterschlupf gefunden hatte, fühlte sich wie neu geboren. Sie mußte sich unentwegt in Erinnerung rufen, daß die wunderbare Heilung ihrer Stimme und ihres entstellten Gesichts tatsächlich stattgefunden hatte. Ständig starrte sie in den Spiegel, berührte die makellosen Züge und die zarte Haut und murmelte mit rauher Kehle: »Ich kann reden! Ich kann reden!« –
Kapitel 1, White down Rory

Das Geheimnis der schönen Fremden (The Lady of the Sorrows) beginnt so zauberhaft und lyrisch, wie man es schon aus dem ersten Band der Feenland-Chroniken gewohnt ist. Die Sprache vermag auf Anhieb erneut zu fesseln und besitzt auch wieder die Fähigkeit, eine wahrhaft märchenhafte Welt zu erschaffen, die man sofort vor dem geistigen Auge sieht. Kleinigkeiten in der Aufmachung des Buches wie kleine Gedichte, Liedtexte und Zeichnungen zieren wie schon im ersten Teil die Kapitelüberschriften und unterstützen die märchenhafte Atmosphäre. Zum Einstieg findet der Leser außerdem eine kurze Zusammenfassung des ersten Bands, die es erleichtert, sich auch nach längerer Pause wieder problemlos in die Geschichte einzufinden.

Die eigentliche Handlung ist nicht gerade spannend. Wer Spannung sucht, der wird sie am Anfang und dann erst wieder im letzten Teil des Buches finden. Der Teil dazwischen ist im Grunde genommen nur ein langes Warten darauf, dass es endlich losgeht. In epischer Länge und Breite werden da immer wieder Sagen und Mythen keltischen und angelsächsischen Ursprungs nacherzählt, die viele Leser z.B. schon aus irischen Volksmärchen kennen dürften. Wer sie in diesem Buch das erste Mal erwähnt findet, hat Glück und kann sich der allgemein durchaus schönen Geschichten erfreuen, für den geübten Fantasy-Fan dagegen ist hier nichts Neues zu entdecken, und so harrt man der Dinge, die da hoffentlich bald folgen mögen. Erschwerend kommt hinzu, dass all diese eingeschobenen Erzählungen die Handlung weder vorantreiben, noch einen ernst zu nehmenden Einfluss auf sie haben. Erst gegen Ende des Buches werden diese Geschichten abseits der eigentlichen Haupthandlung noch einmal kurz aufgegriffen und sorgen für kleinere Aha-Effekte, die über den langatmigen Mittelteil ein wenig hinwegtrösten. Dennoch, ganz so ausufernd hätten die Erzählungen, seien sie sprachlich auch noch so schön umgesetzt, nicht sein müssen.
Während der erste Band, Im Bann der Sturmreiter (The Ill-Made Mute), wirklich zu begeistern wusste und nicht viele Wünsche offen ließ, scheint die Autorin diesmal häufig etwas ziellos an den Roman herangegangen zu sein. Das zeigt sich sowohl an den Figuren, deren Persönlichkeiten manchmal seltsame Bocksprünge machen, als auch an den vielen sinnlosen Reisen zwischen denselben zwei Orten. Derweil hat die Protagonistin schon den dritten neuen Namen angenommen, und am Ende folgt gar noch ein vierter.

Auch wenn es nach diesen Schilderungen kaum den Anschein erwecken mag, bleibt dieses Buch trotz seiner Schwächen dennoch interessant zu lesen und macht – zumindest, wenn man eine romantische Ader hat – Lust auf den dritten Band. Denn hat man den lahmenden Mittelteil samt seiner übrigen Schwächen erst einmal überstanden, nimmt das letzte Drittel noch einmal große Fahrt auf. Einige Geheimnisse werden endlich gelüftet und lang erwartete Erkenntnisse tun sich auf. Nachdem man so lange mitgefiebert und ausgeharrt hat, wird die Neugier gestillt, und man kann Imrhiens Entwicklung mit Erleichterung und Freude verfolgen. Doch gerade wenn man denkt, die gewonnene Erleichterung könne sich ausbreiten, endet auch dieses Buch mit einem bösen Cliffhanger, und man will – nun endlich von der Spannung erneut gepackt – sofort zum letzten Band der Reihe greifen.

Im Zeichen der Weide von Sharon ShinnDer junge, äußerst talentierte Magier Aubrey will seine Kenntnisse in der Zauberei vervollständigen und die Kunst des Gestaltwandelns erlernen. Sein Lehrmeister weigert sich allerdings, sie ihm beizubringen und verweist ihn an einen Meister dieser Disziplin.
Aubrey macht sich auf in die einsame Gegend mitten im Wald, die der berühmte Magier Glyrenden bewohnt – und trifft in dessen Haus auf allerlei seltsame Gestalten. Ihn fasziniert vor allem Glyrendens junge Frau, die ihren Mann offensichtlich haßt und dennoch an der Seite des charismatischen Magiers bleibt. Während Glyrenden Aubrey ausbildet, entdeckt dieser nach und nach das dunkle Geheimnis das Magiers.

Zu Im Zeichen der Weide liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Der Kampf des Rabenprinzen von Cecilia Dart-ThorntonTahquil ist die Einzige, die den Schlüssel zu den geheimen Toren zwischen dem Reich der Menschen und dem der Feen besitzt. Der Rabenprinz, dessen Plan einst scheiterte und ihn selbst in die Welt der Menschen verbannte, ist nun auf der Jagd nach Taqhuil, um vor seinem Zwillingsbruder, dem Hochkönig Angavar, zurückzukehren, die Herrschaft an sich zu reißen und seinen Bruder zu töten. Doch der Rabenprinz ahnt noch nichts von dem Geheimnis, welches Taqhuil und Angavar teilen, und davon, dass dieses Geheimnis seinen Sieg endgültig vereiteln könnte.

– Die Qual der Langothe wuchs Tag für Tag. Sie raubte Tahquil zunehmend den Appetit und den Schlaf, die Kraft und die Lebensfreude – und würde ihr letzten Endes das Leben selbst rauben. Dazu kam eine weitere unstillbare Sehnsucht, die sie unerbittlich dem Wahnsinn entgegentrieb, ein aus verzweifelter Liebe geborener Schmerz. Die Gedanken an den einen, der sie verzaubert und in seinen Bann geschlagen hatte, ließen sie Tag und Nacht nicht los, und die Ungewissheit, ob er noch unter den Lebenden weilte, wurde unerträglich. –
Kapitel 3 – Lallillir, Seite 153

Mit Der Kampf des Rabenprinzen (The Battle of Evernight) befördert die Autorin ihre Buchreihe leider endgültig völlig ins Aus. Alles, was den ersten Band sprachlich und storytechnisch so lesenswert und bezaubernd machte, ließ bereits im zweiten Band häufig zu wünschen übrig, aufgrund einer vermehrt dahinschleichenden Handlung und einem leicht erhöhten Schnulzenfaktor. Dieser finale Roman übertrifft darin nun leider nicht nur seinen Vorgänger, sondern auch so manchen Groschenroman – um Längen.

Wer sich noch an die scheinbar endlosen Wanderungen aus Das Geheimnis der schönen Fremden erinnert, der wird in Der Kampf des Rabenprinzen doppelt viel Freude damit haben. Es ist schwer, etwas über die Handlung dieses Romans zu sagen, denn es dauert extrem lange, bis überhaupt irgendetwas Nennenswertes passiert. Das geht los mit einer völlig sinnlosen Wanderung, die mal eben 200-250 Seiten schluckt, nur um dann darin zu gipfeln, dass man die Suche abbricht, um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Zäh und nahezu ohne Spannungsmomente wirkt auch die Hauptfigur mit ihren ständig wechselnden Namen die inzwischen so gut wie keine Eigeninitiative, keine Entschlossenheit und auch keine Willenskraft mehr zeigt, und von der ersten bis zur letzten Seite an der herzzerreißenden Langothe leidet – der schrecklichen Krankheit, die den Menschen befällt und unweigerlich zum Tod führt – oder ihrer noch schrecklicheren Sehnsucht nach ihrem Geliebten Dorn. Es ist fast schon wieder amüsant, wie die eine leidvollere Sehnsucht unsere Protagonistin davor bewahrt, an der anderen zu sterben. Schlimmer ist, dass dabei so wenig Stimmung aufkommt, dass einen dieses schier unmenschliche Leiden eigentlich nicht berührt. Die Sätze zeigen keine Wirkung, außer der, dass man auf die Uhr schaut, um die persönliche Langothe mit diesem Buch zu beenden. Unser männlicher Held Dorn legt derweil auch eine zweite Identität an den Tag, und schon wieder hat man jemanden mit drei Namen/Identitäten mehr im Buch. Welche Wonne!

Sicher, die Autorin beherrscht ihr Handwerk und vermag es noch immer, wunderschöne, lebendige Bilder mit ihrer Sprache zu erschaffen, doch das Gesamtergebnis wirkt in diesem Roman wie ein missglückter und bruchstückhafter Textbausatz. Häufig kommt das Gefühl auf, hier wurden Szenen eingesetzt, die in sich wunderschön geschrieben sind, aber auch nur deswegen noch irgendwie in die Handlung hinein gequetscht wurden. Die Charaktere sind stupide geworden, haben völlig überzeichnete Eigenschaften angenommen oder legen restlos unglaubwürdige Reaktionen an den Tag. Die Figur Dorn wird außerdem zu einer zusätzlichen Probe für die eigenen Nerven. Es lässt sich kaum zählen, wie oft erwähnt wird, wie das makellose Gesicht Dorns von den glänzenden Locken seiner schwarzen Haare eingerahmt wird, wie das Haar ihm in sanften Wasserfällen locker über die perfekte Schulter fällt, wie Imrhien/Taqhuil/Rohain/Ashalind vor Begierde zu zittern beginnt und seiner Anziehungskraft nicht widerstehen kann. Das Ganze wiederholt sich wirklich unerträglich oft!
Auch anfängliche Ideen wie das Metall Sildron z.B., welches eine faszinierende Basis für viele interessante technische Entwicklungen hätte sein können, gerät in diesem letzten Band schließlich völlig in Vergessenheit, und man fragt sich, wozu es ursprünglich in die Handlung eingeführt wurde.
Gegen so viele schwere Mängel kommt letztlich auch die lyrische Sprache der Buchreihe nicht mehr an.

Wer noch nicht gänzlich davon überzeugt ist, die Finger von diesem bedauernswerten Buch zu lassen, dem sei noch ein wenig zum längst erwarteten Endkampf gesagt (keine Spoiler): Es gibt selten Momente, in denen ein finales Aufeinandertreffen zweier Kontrahenten derart sanft verpufft wie in diesem Fall. Nach all den langen Schilderungen und dem Aufbau eines bösen Gegenspielers erwartet man natürlich wenigstens einen fulminanten Schluss, sofern man bis hierher überhaupt durchgehalten hat. Von den ca. zwei Seiten, die dieser Kampf in Anspruch nimmt, muss man locker nochmal eine halbe Seite für die fallende Haarpracht und entsetzliche Sehnsüchte abziehen. Nichts mit heroischem Endkampf, statt dessen kindische Rangelei gefolgt von 100 Seiten höfischem Geplänkel, Händchen halten, Liebesbekundungen, noch ein Dinner, nochmal Händchen halten, nochmal Liebesbekundung. Wer meint, damit aber müsse nun endlich das Ende von Der Kampf des Rabenprinzen erreicht sein, der irrt schon wieder.
Nachdem doch noch alles höchst dramatisch im letzten Moment gescheitert ist, um dann auf fünf weiteren Seiten alles aus den drei Büchern der Feenland-Chroniken noch einmal schnell passieren zu lassen, endet das Ganze in einem krönenden Epilog, der ein dermaßen unbefriedigendes Leseerlebnis zurück lässt, dass man das Buch auf der Stelle zerreißen und in einen offenen Kamin werfen möchte.

Dieses Buch ist von A bis Z gähnend langweilig und bietet einem nichts als Entschädigung. Ein trauriges Ende für einen so vielversprechenden Anfang, wie es Im Bann der Sturmreiter war.

Cover von Die Königin der Träume von Patricia A. McKillipAls Talis in einem versteckten Winkel der Zaubererschule von Chaumenard ein Buch mit magischen Anleitungen entdeckt, ahnt er noch nicht, dass es unberechenbare Kräfte in sich birgt. Als er dies erkennt, ist es zu spät und er ist bereits in den Bann der Königin des Waldes geraten, die ihn darum bittet, ihr bei der Suche nach ihren Angehörigen zu helfen, die vor zwanzig Jahren durch einen mächtigen Zauberbann in Talis’ Welt geraten sind …

-Er ließ die Feder fallen und stand auf. Bevor er sich bewegen konnte, hörte er im Nachbarzimmer Schritte auf ihn zukommen. Murehtrhekrev, sagte eine fremde Stimme. Und der Nachtjäger vom Jägerfeld stand auf der Schwelle.-
Kapitel 6

Als erstes: Punktabzug für die deutsche Übersetzung des Buchtitels. Die geht nämlich am Kern der Sache gründlich vorbei und die “Königin”, die hier gemeint ist, regiert mitnichten über irgendwelche Träume sondern über eine Art Feenreich, das durch die verquere Magie des Magiers Arun Wulf in eine andere Welt “geknotet” wird. Hätte man dem Buch einfach den Titel “Das Buch des Arun Wulf”, also gleichsam die 1:1-Übersetzung des englischen Originals gegeben, wäre der Sache mehr gedient gewesen. – Denn genau darum geht es in dieser Geschichte: Um das “Magie-Lehr-Buch” von Arun Wulf, das ein dunkles Geheimnis in sich trägt … denn alle Zaubersprüche, die in diesem Buch aufgeschrieben wurden, gehen entweder “nach hinten los” oder es kommt etwas ganz anderes dabei heraus. Die Magie dieses Buches ist “verdreht” und warum das so ist, ist die Handlung der Geschichte, in der die “Königin” zwar eine tragende und wichtige, aber keineswegs die ausschließliche Hauptrolle spielt.
Die drei wichtigsten Personen im Buch sind der bebrillte Prinz Talis, des Reiches von Pelucir und Chaumenard mächtigster Magier Arun Wulf und eine Topfwäscherin namens Trawa, die schlussendlich eine Schlüsselposition in der Handlung einnimmt.

Das Buch dreht sich wieder um Patricia McKillips Lieblingsthema Magie: Hier ist die Handlung allerdings gleichsam in zwei Teile geteilt. Der eine Handlungsstrang befasst sich mit den Versuchen des Prinzen Talis mit dem Buch Arun Wulfs. Diese Teile des Romans sind in der für Patricia McKillip typischen, kryptischen Sprache verfasst, die ein wenig Mitdenken und Aufmerksamkeit erfordert.
Der andere Teil spielt sich in der Schlossküche von Pelucir ab, in der das einfache Volk zu Wort kommt. Hier wird getratscht und geschwatzt, gelästert und gestritten. Diese Teile sind eine Erholung im Handlungsablauf, denn sie sind, eben weil das einfache Volk hier die Bühne betritt, auch in einfacher, klarer Sprache geschrieben.

Diese beiden Handlungsstränge gehören zusammen, was man aber nicht gleich auf den ersten Blick bemerkt. Sie werden im Lauf des Romans immer weiter miteinander verwoben und man versteht immer mehr, wie eigentlich alles zusammengehört. Am Ende der Geschichte wird buchstäblich alles “Verstrickte” (Königreiche und Magie) aufgelöst und “verkehrt herum” wird wieder “richtig herum”, wenn auch zu einem hohen Preis …

Das Kristallhaus von Ralf LehmannFernd, den der Alte Niemand zu seinem Erben bestimmt hat, ist eigentlich alles andere als ein Abenteurer und schon gar kein Einzelkämpfer. Von den Ereignissen dennoch zu einem Alleingang gezwungen zieht er eher widerstrebend aus, um das legendäre Kristallhaus zu suchen, in dem der entscheidende Hinweis zur Überwindung des Schwarzen Prinzen verborgen sein mag. Obwohl er unterwegs immer wieder Helfer und neue Freunde findet, verlangt die Reise ins Ungewisse ihm alles ab, denn schon bald erweist sich, dass von äußeren Bedrohungen wie den dämonischen Gifalken, die ihm im Auftrag des Schwarzen Prinzen auf der Spur sind, gar nicht die größte Gefahr ausgeht, der er sich stellen muss …

“Das Holzland ist ein Teil Araukariens und dem Alten Reich als einzige Provinz bis zum Untergang treu geblieben. Die Holzländer, wie sie sich selber nennen, haben dem Born gern Tribut gezahlt – in der Gewisstheit, dass er sie dann meist in Ruhe lässt. Deswegen hat diese Gegend immer eine ziemliche Eigenständigkeit bewahrt.”
(1. Im Holzland)

Mit Das Kristallhaus legt Ralf Lehmann einen stimmigen Abschluss seiner Trilogie um den Kampf gegen den Schwarzen Prinzen vor. Wie schon in den ersten beiden Bänden erschüttern Ausgangsidee und Plot das Genre nicht gerade in seinen Grundfesten, aber die liebevoll ausgearbeitete, in oftmals poetischen Wendungen heraufbeschworene Welt überzeugt mit ihrer Fülle ansprechender Handlungsorte weiterhin, unter denen das titelgebende Kristallhaus, eine Bibliothek aus Eis, sicher einer der originellsten und eindrucksvollsten ist.
Ohnehin ist es wieder einmal das Setting mit seiner Verknüpfung von Naturgewalten und Sagen, das die Geschichte trägt, wenn etwa der winterliche Frost personifiziert über eine abgelegene Siedlung hereinbricht oder die aus dem Eingangsband bekannten Tanzenden Berge noch einen unerwarteten Auftritt bekommen. Auch die übrigen Landschaften, die Fernd durchwandert, sind mit ihren naturräumlichen Gegebenheiten und den Eigenarten ihrer Bewohner so detailverliebt geschildert, dass man den Verdacht nicht abschütteln kann, dass Lehmann immer wieder Kenntnisse aus seinem Beruf als Erdkundelehrer in den Weltenbau einfließen lässt. Dieses spürbare Wissen um geographische Zusammenhänge hebt Araukarien und die umliegenden Gebiete über die oft abziehbildartigen Kulissen manch anderer Fantasyromane hinaus.
Zudem steht mit dem verträumten Fernd in diesem Buch ein ganz anderer Figurentypus im Mittelpunkt als der praktisch veranlagte Bolgan oder der abenteuerlustige Hatib, so dass die Wendung ins Innerliche, die seine Queste trotz aller äußeren Fährnisse und Kämpfe nimmt, folgerichtig und glaubhaft wirkt. Entsprechend anders sind auch die Freundschaften, die er schließt, etwa mit dem ähnlich phantasiebegabten Gaetan, der ein weit traurigeres (und realistischeres) Schicksal erleidet, als es bei Hals über Kopf ins Abenteuer ausziehenden Jugendlichen in der Fantasy sonst der Fall ist. Trotz aller amüsanten bis tragischen Begegnungen mit solch gelungenen Nebenfiguren ist Fernd jedoch letzten Endes auf sich selbst zurückgeworfen, was nicht nur darin sinnfällig zum Ausdruck kommt, dass die beiden anderen Helden Bolgan und Hatib zum entscheidenden Zeitpunkt nicht mehr in Lage sind, aktiv auf den Fortgang der Ereignisse einzuwirken. Die durchaus nicht uninteressante Schwerpunktsetzung, die sich daraus ergibt, lässt einen die ansonsten klassische Handlung um den militärischen wie magischen Widerstand gegen einen übermächtigen Gegner gespannt bis zum Ende verfolgen.
Trotz aller positiven Aspekte muss man freilich auch weiterhin mit einigen Schwächen leben, die schon in den ersten beiden Bänden deutlich waren. So bleibt etwa Fernds Beziehung zu seiner großen Liebe Reika weiterhin sehr blass und wenig fassbar, mag sie auch noch so oft als Motivation des jungen Mannes beschworen werden, und manch einem Nebenhandlungsstrang hätte man vielleicht eine ausführlichere Auflösung anstelle knapper Andeutungen gewünscht.
Doch das sind im Grunde Kleinigkeiten. Alles in allem bleibt ein positiver Leseeindruck, gepaart mit leisem Bedauern darüber, dass Das Buch des Schwarzen Prinzen anscheinend bisher Ralf Lehmanns einziges (veröffentlichtes) Werk geblieben ist.

Der magische Stein von David ZindellVor vielen Jahrtausenden, so sagen es die Legenden der Menschen, brachte Elahad, der König des Sternenvolks, den Lichtstein nach Ea, in die Welt der Menschen. Der Stein verleiht seinem Besitzer unermesslich große Macht, doch ging er vor Jahrhunderten verloren. Und nun sucht Morjin, der Herr der Lügen, den Stein, um mit seiner Hilfe die Welt zu unterwerfen. Doch auch Valashu, Prinz eines der letzten freien Königreiche Eas, macht sich, unterstützt von seinen treuen Gefährten, im Auftrag des Königs von Tria auf die Suche nach dem Lichtstein.

-In klaren Winternächten habe ich manchmal Berge bestiegen, nur um den Sternen näher zu sein.-
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Sieben mutige Gefährten, ein jeder mit eigenen Fähigkeiten und eigenen Träumen, machen sich auf die lange und gefahrvolle Suche nach einem mächtigen, vor Zeiten verschollenen magischen Artefakt, mit dem die Welt entweder zum Guten oder zum Bösen gewendet werden kann, verfolgt von den grausamen Schergen des finsteren Herrschers, der diesen sensationellen Lichtstein gerne für sich allein hätte. Hach, wie schön, eine klassische Queste! Wie, das hat man schon tausendmal gelesen, in ungefähr jedem zweiten Buch mit dem Label “Fantasy”?
Für alle, die sich dem ersten begeisterten Seufzer nicht anschließen können und die nicht gleich loslesen und Valashu und seine Getreuen auf der Suche nach dem Lichtstein begleiten möchten, gibt es hier ein paar Gründe, weshalb sich der Blick in diese potentielle Ansammlung von Fantasy-Klischees durchaus lohnt:

David Zindell hat eine ganze Menge Inhalt in seinen Roman gepackt – in den über tausend Seiten steckt weit mehr als die Geschichte der Questenreise, die durch etliche Königreiche und die Wildnisse Eas führt. Dabei ist vor allem die innere Entwicklung von David Zindells Helden interessant, allen voran Valashu, aus dessen Sicht die Geschichte in der Ich-Perspektive erzählt wird. Valashu ist ein widerwilliger Held, eher ein Philosoph als ein Schwertschwinger, und sowohl in seine Überlegungen als auch in die “Heilsgeschichte” der Welt Ea hat der Autor eine Menge ethischer Fragestellungen und einen religiösen Hintergrund einfließen lassen, der von vielfältigen Inspirationsquellen spricht und durchaus zum Mitdenken anregt, die Geschichte aber zum Glück nie überrollt, sondern angenehm begleitet. Dabei hat sich Zindell nicht dogmatisch bei einer Lehre bedient, sondern verschmilzt östliche und westliche Weisheiten – der Lichtstein etwa ist ganz klar an den Heiligen Gral angelehnt, wohingegen das Warten der Welt auf den sogenannten Maitreya dem Buddhismus entnommen wurde, um nur wenige Beispiele anzuführen – das ganze Werk ist durchzogen von Anspielungen auf diverse Lehren und Legenden, die allerdings nicht einfach abgespult werden, sondern als essentielle Bestandteile tief in der Haupthandlung verankert sind und in den Figuren wirken.

Trotz der actionreichen Questengeschichte ist die Handlung eher von Ruhe bestimmt, und einige Längen sind nicht zu verleugnen. Zindell lässt so gut wie nichts unerzählt, so beginnt das Buch erst einmal mit einer 200-seitigen Reise durch diverse kleine Königreiche, wo begrüßt, übernachtet und überstürzt am Morgen geflohen wird (weil der Schwerenöter unter den Gefährten sich mit der Schwester/Nichte/Tochter des jeweiligen Burgherren vergnügt hat). Beinahe jede Rast und Mahlzeit darf der Leser sozusagen in Echtzeit miterleben. Das Tempo ändert sich auch später kaum, nur nimmt mit Beginn der Queste auch die Handlung an Fahrt auf, und dann freut man sich über jede Pause zwischen den aufreibenden Ereignissen. Figuren und Welt nach der ausführlichen Einleitung und Vorstellung so gut kennengelernt zu haben, zahlt sich im weiteren Verlauf der Handlung auch aus – es gibt nicht viele Fantasy-Geschichten, bei denen eine ganze, große Gefährtengruppe so intensiv ausgearbeitet wird und jeder auf seine Weise den LeserInnen dauerhaft ans Herz wächst.

Sprachlich lohnt sich Valashus Queste allemal – Zindell versteht es, beinahe poetische Töne anzuschlagen (die auch in der deutschen Übersetzung zu finden sind) und passend zu den oft ins Transzendente reichenden Inhalten kann man sich davon wunderbar bezaubern lassen.
Wer sich also an der fehlenden Originalität nicht stört – denn wie der Hase laufen wird, ist nicht weiter schwer zu erraten – und wer vom Umfang des Buches und der entsprechenden Ausführlichkeit der Erzählung nicht abgeschreckt wird, der sollte Valashus Queste eine Chance geben – mit diesen Voraussetzungen ist das Buch eher eine Offenbarung als eine Enttäuschung.

Die Melodie der Masken von Ralf LehmannNach dem Tod des Alten Niemand haben sich die drei Gefährten Bolgan, Hatib und Fernd getrennt, um ihren Kampf gegen den Schwarzen Prinzen fortzusetzen und den Erft zu finden, einen sagenumwobenen, in mehrere Stücke zerteilten magischen Stein, der ihnen gegen den übermächtigen Feind helfen soll. Während Bolgan als Sklave des Schwarzen Prinzen auf eine Gelegenheit lauert, ihm seinen Teil des Edelsteins zu stehlen, und dabei in eine Gefahr gerät, die er niemals hätte voraussehen können, organisiert Hatib den militärischen Widerstand. Er findet neue Freunde und Verbündete, muss aber bald erkennen, dass kämpferische Tugenden allein nicht zum Sieg führen werden …

In den Nördlichen Königreichen regieren Nebel und Wolken. Grüne, sanfte Hügel prägen das Land, so dass die Gegend auf den ersten Blick einen fruchtbaren Eindruck macht, aber das täuscht. Weiß gewaschene Kalksteinblöcke durchbrechen die dünne Bodendecke und machen größeren Ackerbau unmöglich. Wenn Nebel über die Hügel zieht, sehen die Blöcke wie stumme Pilger aus, die sich auf eine unbekannte Suche gemacht haben.
(3. In den Ruinen von Thingal)

Auch im zweiten Teil seiner Trilogie Das Buch des Schwarzen Prinzen wartet Ralf Lehmann inhaltlich auf den ersten Blick mit klassischer Questenfantasy auf, die jedoch bei näherer Betrachtung sehr individuelle und originelle Züge entwickelt. Zwar sind einige Schwachpunkte des ersten Bandes auch im zweiten vorhanden (so scheinen bis auf Fernds Freundin Reika, die keine sehr aktive Rolle spielt, in Araukarien weiterhin kaum Frauen unterwegs zu sein), aber wenn man darüber hinwegsieht, lässt sich der erneute Ausflug in die detailliert und liebevoll ausgearbeitete Welt wieder sehr genießen.
Zum besonderen Charme des Romans trägt in hohem Maße bei, dass der Weltenbau nicht nur für eine ansprechende Kulisse sorgt, sondern untrennbar mit der Handlung verwoben ist: Zum Beispiel gestatten es die spezifischen Eigenschaften der Lande dem Kundigen, Menschen, die durch ihre Naturverbundenheit dafür empfänglich sind, auch aus weiter Entfernung zusammenzurufen. Ohnehin besteht zwischen Übernatürlichem und Naturgewalten ein enges Verhältnis, wie sich etwa an der Gestalt des Tanzenden Todes zeigt, der als mörderisch tobender Sturmwind in Erscheinung tritt, aber in Wirklichkeit ein verfluchter Riese ist. Seine Ursprungsgeschichte, in der auch eine diabolische Hexe und in Berge verwandelte Riesen erscheinen, verrät vielleicht noch stärker als andere Einzelheiten, wie sehr Lehmann sich von kontinentaleuropäischen (Orts-)Sagen inspirieren lässt und damit auf einen Bereich setzt, der, abgesehen von manchen Anklängen in Kinder- und Jugendbüchern, in der Fantasy eigentlich viel zu wenig genutzt wird. Gerade aus dieser unmittelbaren Anbindung an eine gewachsene Tradition außerhalb des Genres gewinnt der Roman jedoch einen Anschein von Authentizität.
Auch erzähltechnisch weicht Lehmann wieder vom Gewohnten ab: Statt sich der heute in der epischen Fantasy so weitverbreiteten Montagetechnik zu bedienen, in der mehrere Handlungsstränge parallel erzählt werden, führt er erst die Geschichte um Bolgan zu einem durchaus packenden vorläufigen Ende, bevor er sich Hatibs Abenteuern widmet, deren Endergebnis man zumindest in Ansätzen schon aus der Schilderung von Bolgans Erlebnissen kennt. Der Reiz besteht also nicht so sehr in der Frage, was aus Hatib wird, sondern darin, zu verfolgen, wie er dort ankommt, wo man ihn auf den letzten Seiten der Geschichte um Bolgan findet.
Hatibs Weg ist dabei recht unterhaltsam geschildert, ganz gleich, ob es ihn nun in ein wahres Spitzwegidyll von Kleinkönigreich verschlägt, das er zum Kampf gegen das bisher unbesiegte Heer des Schwarzen Prinzen motivieren muss, oder seine Reise durch unwirtliches Gebiet führt und zahlreiche Unbilden zu überstehen sind. Mit dem Waldläufer Imril ist ihm eine der lebensvollen Nebenfiguren an die Seite gestellt, die Lehmann fast mehr zu liegen scheinen als seine eigentlichen Helden.
Wie schon Die Legende von Araukarien zeichnet sich Die Melodie der Masken zudem durch wohltuende Unaufdringlichkeit aus; Tod und Verderben werden keineswegs ausgeblendet, doch setzt Lehmann eher darauf, stillere Aspekte auszuloten und sich vor allem auch mit psychischem Leid auseinanderzusetzen, statt vordergründiges Blutvergießen breit auszuwalzen. Gerade aus den Episoden um die Zwangsarbeiter zu Anfang der Bolgan-Handlung bleibt einem in dieser Hinsicht einiges im Gedächtnis, und man hofft, manch eine Gestalt im Folgeband noch einmal wiederzutreffen.
Trotz aller wohlbekannten Elemente sieht man daher am Ende des zweiten Buchs dem dritten mit Spannung entgegen und bedauert, dass Fantasy dieser Prägung es anscheinend in der Lesergunst schwerer hat als formelhaftere und nicht selten auch effekthascherische Werke.

Cover von Der Prinz und der Feuervogel von Patricia A. McKillipDer Feuervogel ist ein prächtiges Wesen voller magischer Kräfte. Mit einem Schrei, der so schrecklich ist, daß kein menschliches Ohr ihn erträgt, verwandelt er alles, was ihm in die Quere kommt, in Gold und Edelsteine. Als aber der Mond über den Mauern von Ro Haus aufgeht, verwandelt sich dieser seltsame Vogel in einen jungen Mann, auf dem ein dunkler Fluch lastet. Fast zur selben Zeit stört noch jemand den Frieden von Ro Haus: Ein fremder Magier, der die Gestalt eines weißen Drachen annehmen und die Zeit anhalten kann. Er benötigt einen Schlüssel, der in Ro Haus versteckt gehalten wird, und will ihn unbedingt an sich bringen. Dazu entführt er Meguet, die Wächterin des Jungen Schwans, in seine Heimat, wo unsichtbare Drachen das Land beherrschen.

-“Ja”, flüsterte er. “Der Vogel schreit um Hilfe – er verwandelt seine Schreie in Edelsteine, Gold, in irgend etwas Wertvolles, das ins Auge fällt.” “Woher wußtest du, daß du hier Hilfe finden kannst?” “Der Vogel wußte es.”-
Kapitel 3

Man könnte den Roman Der Prinz und der Feuervogel (The Cygnet and the Firebird) durchaus unabhängig vom ersten Teil des Cygnet-Zyklus Die Zauberin und der Schwan (The Sorceress and the Cygnet) lesen. Die beiden Bände hängen nur relativ lose miteinander zusammen, und man dürfte kaum Verständnisschwierigkeiten haben, wenn man den ersten Band nicht gelesen hat.
Für den Lesegenuß und das Verständnis ist es jedoch besser, die chronologische Reihenfolge einzuhalten.
Die Geschichte wird vom englischen Originaltitel The Cygnet and the Firebird (“Der Junge Schwan und der Feuervogel”) wesentlich besser umrissen, der verwendete deutsche Titel ist etwas irreführend. Die kurze Inhaltsangabe auf der Rückseite des Buches ist ebenfalls verdreht und bringt Patricia McKillips poetischen Roman erheblich durcheinander. Genau genommen stimmt eigentlich gar nichts von dem, was da zusammenfassend auf der Buchrückseite vom Verlag geschrieben wurde, und man hat, wie auch beim ersten Teil, das Gefühl, dass dieser Band wohl eher für den Bahnhofsverkauf konzipiert wurde. Diese Ausgabe dürfte auch kaum von einem Lektor mit großem Aufwand nachbearbeitet worden sein, denn es häufen sich auch hier zum Teil gravierende Rechtschreibfehler. Darüber hinaus wurde qualitativ schlechtes Papier verwendet und auch das nicht eben gelungene Cover vervollständigen den Eindruck einer lieblosen Produktion.
So wenig das Äußere dieses Taschenbüchleins zum Schmökern und Lesen einlädt, so schade wäre es, ließe man es sich entgehen:
Die Handlung des zweiten Teils spielt in einem Land, das von seinen Gegebenheiten ein wenig an den vorderen Orient erinnert, und seine magische Natur, die sich vollständig von jener in Ro Holding unterscheidet, ist das zentrale Thema dieses Buches:
Es ist ein Roman voller Exotik, und dem Zauber, den eine Kultur auf einen fremden Besucher ausüben kann, nämlich die des Landes Saphier und der Wüste Luxour, in der immer wieder Schatten von Drachen beobachtet werden. Die geisterhafte Anwesenheit dieser legendären Geschöpfe macht die Luxour zu einem Ort voller traumgleicher, geheimnisvoller Magie.
Patricia McKillip beschreibt das Wesen der Drachen auf eine neue und eigentümliche Weise. Ihre Drachen sind keine “greifbaren” Geschöpfe, wie sie sonst in den Märchen, Sagen und Legenden der Welt vorkommen. Man ahnt hier lange Zeit nur ihre Präsenz, man glaubt zum Beispiel “aus dem Augenwinkel” hier mal eine Flügelspitze zu entdecken oder dort mal ein Auge oder eine Klaue aufblitzen zu sehen. Sie tauchen in den Träumen einiger weniger auf und hinterlassen geheimnisvolle Botschaften. Bei manchen ist es eine unbestimmte Sehnsucht – bei anderen eine namenlose Furcht. Bei McKillip sind sie sehr mächtige magische Wesen, die nicht eindeutig gut oder böse sind, und die sich nicht für die armseligen menschlichen Begierden und Leidenschaften interessieren oder gar benutzen lassen.
Auch das mystisch-mythische Moment der menschlichen Protagonisten bleibt in diesem Teil des Romans erhalten, so dass man die typisch menschlichen Regungen nach wie vor fast vergebens sucht. Viele Figuren bleiben unnahbar und deren Beweggründe für ihre Handlungsweise sind genauso selten wirklich zu verstehen, wie das bei den meisten Figuren des ersten Teils der Fall war.
Patricia McKillip versteht es, ihre Romane so zu schreiben, als erzähle sie einen Traum: Ihre menschlichen Figuren sind meist halb feenhafter Natur mit Fähigkeiten, die weit jenseits unseres alltäglichen Erfahrungshorizontes liegen, und ihre Drachen sind keine unförmigen, häßlichen und grünbeschuppten Ungeheuer. Ihre Drachen sitzen nicht Jungfrauen verspeisend, Feuer spuckend und Angst und Schrecken verbreitend groß und plump auf irgendwelchen unermesslichen Schätzen, sondern sie schafft es mit ihrem magisch-poetischen Stil, sogar solche riesigen und beeindruckenden Wesen wie die Drachen in gleichsam nebelhafte Magie zu verwandeln …

Der Schatten der Scheuermagd von Lord DunsanyDer junge Ramon Alonzo wird von seinem Vater, dem verarmten Lord of the Tower and Rocky Forest, zum Haus eines Magiers tief im Wald geschickt, um dort die Kunst des Goldmachens zu erlernen. Dort als Lehrling aufgenommen, erfährt Ramon Alonzo gleich am ersten Abend die Geschichte der alten Scheuermagd: einst gab sie dem schwarzen Magier ihren Schatten im Tausch für ein ewiges Leben, aber seitdem ist sie an dessen Haus gebunden. Ramon Alonzo schwört sich, ihren Schatten zu retten und sie zu erlösen. Doch der Magier verlangt auch von Ramon Alonzo eine Bezahlung für das erteilte Wissen.

Zu Der Schatten der Scheuermagd liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Schatten über Ombria von Patricia A. McKillipNach dem Tod des Fürsten von Ombria setzt sich die machthungrige, alte Hexe Domina Perle als Regentin für den kleinen Thronerben Kyel ein und reißt die Macht über die Stadt an sich. Um den Jungen zu kontrollieren, verjagt sie außerdem alle Menschen, denen wirklich etwas an ihm liegt. Nur Kyels erwachsener Cousin bleibt, doch der scheint ausschließlich mit seinen Kohlezeichnungen beschäftigt zu sein. Dabei entwickelt er eine besondere Faszination für Schatten und zeichnet immer wieder vom Licht vergessene Türen, Fenster und Durchgänge, die alle in die Schattenwelt Ombrias führen. Und auch in dieser Welt leben Wesen, die sich um die Zukunft des kleinen Prinzen und der Stadt sorgen.

-Während der Herrscher der uralten Stadt Ombria im Sterben lag, glitt seine Geliebte, verscheucht vom eisigen Blick der Domina Perle, wie ein Vogel auf einer Welle aus dem Raum, durch Kyel Greves unbewachte Tür, bis sie an sein Bett stieß, wo er mit seinen Puppen spielte.-
Eins- Rose und Dorn

Einfach zu lesen sind Patricia McKillips Geschichten nicht.
Ihre Sprache ist mehr Poesie denn simple Prosa und wie man bei Gedichten mehrmals hinschauen muß, um hinter die Worte zu sehen, so auch bei Patricia McKillips Romanen: Für ihre Bücher sollte man sich Zeit nehmen – man sollte die Worte und Sätze, die heraufbeschworenen Bilder in sich wirken lassen. Ich betone das absichtlich gleich zu Anfang, weil oftmals vor Beginn einer Lektüre das Lesen des Klappentextes steht, aber dieser ist schlicht mißlungen.
Da werden Tatsachen verdreht und es werden Figuren falsch dargestellt. Kaum ein Satz dieser kurzen Inhaltsangabe gibt den sehr poetischen Roman richtig wieder, so daß man sich die Frage stellen muß, ob das Buch vorher vom Verfasser aufmerksam gelesen wurde.

In Schatten über Ombria (Ombria in Shadow) geht es vor allem um Politik – um die häßliche Seite der Politik, die sich wohl überall im Verborgenen und Geheimen abspielt. Hier ist dafür von der Autorin ein recht greifbares Bild geschaffen worden: in Gestalt des Palastes, der sich hoch über der Stadt erhebt.
Es ist ein Gebäude, in das ein zweites hineingebaut wurde: Auf der einen Seite der offen zugängliche Palast, in dem sich das Leben abspielt, welches nach außen gezeigt werden soll. Hier gibt es weite Flure, helle und gepflegte Räume mit großen Fenstern, die auf den Garten oder das Meer blicken. Hier finden offizielle Ratssitzungen, aber auch rauschende Feste statt. Die Autorin versinnbildlicht hier, mit diesem schönen und sichtbaren Teil des Palastes, gleichsam die “Tag- oder Lichtseite” dieser Welt. Auf der anderen der verborgene Palast, dessen Zugänge nur wenigen bekannt sind. Dieser “unsichtbare” Palast, in den das Tageslicht niemals dringt und der nur über versteckte Türen zugänglich ist, stellt gleichsam die “Nacht- oder Schattenseite” dar. Auch die Stadt selbst ist in eine Tag- und Nachtseite, in eine Licht- und Schattenwelt geteilt, die Patricia McKillip mit fein gezeichneter Poesie wunderschön heraufzubeschwören versteht.

Die Geschichte beinhaltet nur einen Handlungsstrang, der sich im Palast, in den Straßen der Stadt bzw. darunter abspielt. Das umliegende Land wird ein ums andere Mal kurz erwähnt, aber die Handlung führt niemals dorthin. Der Roman ist in überschaubare Kapitel eingeteilt, in denen meist jeweils eine der Hauptfiguren im Vordergrund der Ereignisse steht. Die drei wichtigsten, Lydea, Ducon und Mag, begleitet man auf ihren Wegen durch Palast, Stadt und Geschichte. Man begegnet mit ihnen zusammen interessanten, bedrohlichen, gefährlichen und wichtigen Gestalten, die alle mehr oder weniger ihren Teil zum seltsamen Ende der Geschichte beitragen.
Es ist an einem selbst, die Rollen der Figuren zu interpretieren und an die “richtige” Stelle zu rücken. Jeder wird in dieser poetischen Geschichte etwas anderes lesen und jeder Leser wird seine Sichtweise dazu haben, denn es fällt schwer, sich mit einem oder mehreren der Protagonisten zu identifizieren. Einerseits liegt das an der Erzählweise der Autorin: man liest die Geschichte, als würde man einen Film oder ein Theaterstück ansehen. Man ist gewissermaßen nur Zuschauer und betrachtet alles von außen. Zweitens sind einige der Charaktere mit Fähigkeiten und physischen Eigenheiten ausgestattet, die es einem schwermachen, sich die betreffende Person bildlich vorzustellen und last but not least sind einige Vorgänge in der Erzählung einfach schwierig zu (be)greifen.
Licht und Schatten, Tag und Nacht werden als Metapher für zwei Welten gebraucht, die nebeneinander bzw. ineinander existieren, die sich gegenseitig im Gleichgewicht halten, sich aber niemals überschneiden dürfen. Beide Welten durchdringen sich gegenseitig mit Macht und Magie – sie sind davon durchwoben.

Es lohnt sich, Schatten über Ombria mehrmals zu lesen, denn erst dann werden die Poesie und der Sinn hinter den Worten der Geschichte deutlicher. Wenn man manche Konsequenzen im Handlungsverlauf erst einmal nicht verstanden hat, weil man beim ersten Lesen vielleicht ein wichtiges Detail überlesen hat, wird einem das beim zweiten oder dritten Mal eventuell klarer. Dennoch muß man sich die Erklärung für manche Dinge und Ereignisse aus zahlreichen Andeutungen und Anspielungen selbst zusammenreimen.
Das mag vielleicht der einzige Wermutstropfen in dieser wunderbaren Geschichte sein …

Die Schule der Rätselmeister Patrica K. McKillipMorgon ist nach dem Tod seines Vaters der Landerbe von Hed und muß sich um die Belange der Bauern dort kümmern. Allerdings ist er auch einer der berühmten Rätselmeister von Caithnard, und er hat schon verschiedenste schwierige Rätsel gelöst, bis auf eines: Ein Mal aus drei Sternen prangt auf seiner Stirn und verheißt ihm ein besonderes Schicksal – doch Morgon will lieber in Hed bleiben und keine Rätsel mehr lösen.
Allerdings hat er aufgrund eines gelösten Rätsels die Köngistochter Rendel für sich gewonnen, und als er in Begleitung des Harfners Thod zu ihr aufbricht, holt ihn sein Schicksal langsam, aber unerbittlich ein – und es scheint nicht nur ihn, sondern das ganze Land zu betreffen.

-Morgon von Hed begegnete dem Harfner des Erhabenen an einem Herbsttag in Tol, als dort, wie alle Jahre um diese Zeit, die Handelschiffe zum Austausch der Güter anlegten.-
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Eigentlich passiert gar nicht viel in diesem relativ kurzen Bändchen – Morgon wird immer wieder mit dem Schicksal, das ihm die drei Sterne verheißen, konfrontiert, kehrt ihm den Rücken, wird davon eingeholt oder von anderen auf den Pfad zur Lösung dieses Rätsels gelockt, nur um sich wenig später abermals zur Umkehr zu entschließen. Auf lange Sicht kann er seinem Schicksal nicht entkommen, und da die ganze Welt davon betroffen scheint, stellt das Buch nicht bloß die Frage nach Vorsehung und Eigenbestimmung des Lebens, sondern auch die, ob eine solche Eigenbestimmung noch möglich ist, wenn andere dadurch beeinträchtigt werden.

Interessant ist vor allem die Art, wie die Geschichte erzählt wird. Sie läßt sich langsam und ruhig an, und ist mit der wunderschönen, aber niemals überladenen Bildersprache der Autorin eher auf der märchenhaft-romantischen Seite der Fantasy angesiedelt, obwohl sich durchaus eine Handlung von epischer Breite anbahnt. Uralte Harfen und Schwerter, die Magie der Musik und des Gestaltwandels verleihen der Welt eine ganz eigene Atmosphäre, die einem dennoch vertraut vorkommt – der Rückgriff auf keltische Mythologie ist unübersehbar und bestimmt das Setting des Romans maßgeblich mit. Der Zauber, der dadurch über der Welt liegt, erinnert ein wenig an Tolkien, und tatsächlich ist die Erdzauber-Trilogie auch eines der älteren Fantasy-Werke, dem man deutlich das Streben nach einer Erdung in einem eigenen mythologischen Entwurf statt der bloßen Nachahmung eines erfolgreichen Konzepts anmerkt. Was allerdings vielen anderen Romanen aus den 70ern verwehrt geblieben ist – nämlich heute noch genauso gut lesbar zu sein – schafft McKillip mit ihren wahrhaft zeitlosen Motiven mit Leichtigkeit.

Zentrales Thema des Buches ist das Lösen von Rätseln: Fast jede der Figuren, denen Morgon begegnet, hat ein Geschenk für ihn und führt ihn mit einem neuen Rätsel weiter auf dem Weg zu seinem Schicksal. Der junge Held bleibt während alldem etwas passiv und läßt sich treiben, wirklich große Geschehnisse dürfen erst für die Fortsetzung erwartet werden; aber vor allem die sprachliche Qualität des Buches unterscheidet es von anderen Entwicklungsgeschichten – dafür lohnt es sich, sich die Zeit zu nehmen, die die Gerschichte mit ihrem zögerlichen Helden braucht. Nur die Eigennamen lassen ein wenig zu wünschen übrig – viele davon sind nur einsilbig und einander recht ähnlich; das sorgt nicht nur für Verwirrung, sondern fällt bei der sonst so phantasievollen Welt als eher unschönes Detail auf.

The Shapechanger's Wife von Sharon ShinnDer junge, äußerst talentierte Magier Aubrey will seine Kenntnisse in der Zauberei vervollständigen und die Kunst des Gestaltwandelns erlernen. Sein Lehrmeister weigert sich allerdings, sie ihm beizubringen und verweist ihn an einen Meister dieser Disziplin.
Aubrey macht sich auf in die einsame Gegend mitten im Wald, die der berühmte Magier Glyrenden bewohnt – und trifft in dessen Haus auf allerlei seltsame Gestalten. Ihn fasziniert vor allem Glyrendens junge Frau, die ihren Mann offensichtlich haßt und dennoch an der Seite des charismatischen Magiers bleibt. Während Glyrenden Aubrey ausbildet, entdeckt dieser nach und nach das dunkle Geheimnis das Magiers.

-Until Aubrey arrived in the village to study with Glyrenden, he had no idea that the great wizard had taken a wife.-
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Epische Breite, bombastische Action, eine Vielzahl an unterschiedlichen Charakteren und Abenteuern kann The Shapechanger’s Wife (Im Zeichen der Weide) alles nicht bieten – und dennoch ist es ein Kleinod, das es gestattet, sich beim Lesen in eine andere Welt zu träumen. Liebhaber von poetischer, märchenhafter Fantasy liegen mit diesem Buch richtig und werden von der einfachen, kleinen Geschichte nicht enttäuscht werden.
Die sich langsam aufbauende Handlung ist so gut strukturiert, daß man förmlich die finsteren Wolken, die sich allmählich drohend über der anfänglich halbwegs normalen und friedlichen Szenerie zusammenballen, sehen kann. Gewalt und Grausamkeiten finden in diesem Roman hinter verschlossenen Türen statt, treten nur als Ahnungen auf und sind daher umso prägnanter.

Obwohl die Weltschöpfung hier nicht im Vordergrund steht, malt Shinn nach und nach ein schlüssiges und subtiles Bild ihrer Welt und läßt sie vor allem durch die Charaktere leben. Die Konstellation der Hauptfiguren – ein Magier, der selten zu Hause ist, seine frustrierte Frau und sein junger, empfindsamer Schüler – lassen auf eine einfache Liebesgeschichte schließen. Damit liegt man einerseits nicht ganz falsch, andererseits ist von kitschiger Romantik hier nicht einmal ein Echo geblieben. Die Perspektive ist während der ganzen Handlung bei Aubrey, und mit ihm errät der Leser nach und nach die Geheimnisse um Glyrenden und sieht sich mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert.

Shinn bedient sich dabei einer schlichten, und doch fast lyrischen Sprache (garniert mit einigen sprechenden Namen) die man mit viel Genuß lesen kann. Auf gut 200 Seiten ist zwar kein riesiges Panorama an Welt und Handlung zu erwarten, aber diese kleine feine Geschichte unterhält hervorragend, gibt einige Denkanstöße und hält außerdem ein sehr liebevoll gestaltetes Ende bereit, so daß sie in der Nachbarschaft der gängigeren mehrbändigen Werke durchaus bestehen und glänzen kann.

Das silberne Einhorn von Max KruseEin König verscherzt es sich mit einer mächtigen Fee, als er es versäumt, sie zum Geburtstagsfest seiner kleinen Tochter einzuladen, und steht fortan unter einem Fluch, der nur gebrochen werden kann, wenn der Fee eines der seltenen – vielleicht gar ausgestorbenen – Einhörner übergeben wird.  Geschieht dies nicht, bleibt der König zu ewiger Traurigkeit verdammt, was sich auch auf sein ganzes Reich äußerst nachteilig auswirkt. Herangewachsen begegnet die Prinzessin wider Erwarten tatsächlich einem silbernen Einhorn und macht sich mit ihm und ihrem Spielkameraden, einem Müllerjungen, zur fernen Insel der Fee auf, um den Bann zu brechen …

Diese Geschichte fängt an wie ein Märchen, das wir alle kennen. Und wie alle Märchen erzählt sie uns etwas über uns, was wir vielleicht noch nicht wissen.
(Die Fee)

Max Kruse dürfte den meisten Lesern wohl vor allem als Kinderbuchautor vertraut sein; seine für Jugendliche und Erwachsene bestimmten Werke (z.B. der historische Roman Hazard der Spielmann) haben nie einen vergleichbaren Bekanntheitsgrad wie die Klassiker Urmel aus dem Eis oder Der Löwe ist los erreicht. Mit Das silberne Einhorn. Eine Geschichte vom Wünschen richtet Kruse sich abermals an ein erwachsenes Publikum, aber wer mit einem regelrechten Fantasyroman rechnet, wird enttäuscht sein. Die kleine, feine Erzählung ist halb Märchen, halb Parabel und erörtert in scheinbar naiver Form manche Frage des menschlichen Daseins und des Umgangs miteinander.

Als vergleichbares Werk kommt einem noch am ehesten Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz in den Sinn, doch dessen melancholische Grundstimmung fehlt bei Kruse. Er zeichnet eher eine hoffnungsvolle Utopie, die in ihrer Tendenz, selbst lebensbestimmende Konflikte als überwindbar darzustellen, bisweilen fast ein wenig zu optimistisch anmutet. Doch in gewisser Weise ist dieser idealistische Glaube an Lernfähigkeit und Gutwilligkeit des Menschen durchaus subversiv, fühlt man sich doch gerade von dieser Überzeugung zutiefst in eingefahrenen und nicht selten etwas zynischen Denkmustern ertappt. Ist man dann erst einmal zu dem (gerade für den modernen Fantasyleser gewiss nicht immer einfachen) Eingeständnis gelangt, dass eine abgeklärt-pessimistische Weltsicht weder die einzig mögliche noch allein wünschenswerte ist, fällt es leichter, sich auf den Zauber von Kruses Geschichte einzulassen, die nicht zuletzt auch von ihrer poetischen und zugleich einfachen Sprache lebt. Ganz schlichte, aber treffende Wendungen wie “Sie wanderten durch den Sommer”, “Grau wurden die Bäume, grau wurden die Wiesen” oder “Sie waren umgeben von Bläue und Licht” beschwören eine märchenhafte Kulisse für die vordergründig simple Handlung herauf, die ihrerseits den Rahmen für zahllose kleine Einsichten und Erkenntnisse bildet.

Im Mittelpunkt steht dabei immer wieder die Frage nach Entscheidungsgewalt, Zwang und Freiheit, teilweise auch in Situationen, die unterschwellig schon in anderen Werken Kruses anklingen und womöglich nicht ohne autobiographische Bezüge sind (so spielt z.B., wie in Hazard, ein Sohn, der zunächst die Mitarbeit im Betrieb der Mutter über das Ausleben eigener Träume stellt und sich dann doch unerwartet mit der Welt und der Frage nach seinen eigenen Wünschen konfrontiert sieht, eine zentrale Rolle).

Bemerkenswert ist in diesem Kontext auch, wie Kruse bekannte literarische Motive adaptiert und seiner eigenen Philosophie gemäß umdeutet. Zu denken ist dabei nicht nur an die leicht dornröschenhafte Ausgangssituation, sondern beispielsweise auch an den Topos der zum Dank für eine Lebensrettung gewährten Wunscherfüllung oder die Fähigkeit des Gestaltwandelns. Auch das titelgebende Einhorn selbst stellt eine interessante Uminterpretation bestimmter Züge des klassischen Fabeltiers dar und ist gleichwohl für ein derart mit Symbolik aufgeladenes Geschöpf erstaunlich niedlich. Dieser Hauch von Individualität, der ein Erstarren der Figuren in der Allegorie verhindert, trägt viel zum Charme der Erzählung bei.

Ihren Reiz für den genreerfahrenen Leser gewinnt sie aber vor allem auch daraus, dass sie einem vor Augen führt, dass sich aus den klassischen Zutaten wie Magie, Fabelwesen und verfluchten Königen auch etwas völlig anderes zusammensetzen lässt als typische Fantasy. Wer auch nur ansatzweise auf diese hofft, sollte sich wohl andere Lektüre suchen, aber wer seinen Spaß an liebenswert verpackten Lebensweisheiten hat und dabei vielleicht auch nicht böse ist, sich einmal in das wohlige Kinderbuchlesegefühl zurückflüchten zu dürfen, dass schon nichts ganz Entsetzliches in der Geschichte geschehen wird, kann die Begegnung mit dem Silbernen Einhorn genießen.