Wie bereits im ersten Teil angekündigt, hier ein paar weitere Gedanken zum Thema.
Grundsätzlich fällt es einem leicht, Geschichten aus einem gewissen Universum als nicht-kanonisch anzusehen, wenn die Rechte an diesen Geschichten schon lange ausgelaufen sind. Man nehme als Beispiel nur einmal die tausende von Sherlock Holmes Geschichten, die im Laufe der Jahre und Jahrzehnte entstanden sind. Schwieriger wird es nun, wenn die Autoren oder deren Nachkommen explizit das Erbe des Autors in fremde Hände legen.
Anhand von vier Beispielen möchte ich näher beleuchten, wie unterschiedlich eine Fortsetzung bestimmter Serien erfolgen kann und unter welch gravierend abweichenden Vorzeichen:
1) Marion Zimmer Bradley – Avalon und Darkover
Im Falle von MZBs literarischem Erbe haben gleich zwei Autorinnen diese Rolle übernommen. Marion Zimmer Bradley hat schon früh mit diversen anderen Autoren zusammen gearbeitet und so ist es nicht verwunderlich, dass die Weiterführung ihrer bekanntesten Serien aus dieser Gruppe hervorging. Im Falle der Darkover-Serie ist es Deborah J. Ross (auch bekannt als Deborah Wheeler), die nach ihrer Kollaboration mit MZB (einer Trilogie im Darkover-Universum) in diesem Setting weiterschreibt und das Darkover-Universum weiter erforscht.
Im Falle der Avalon-Serie ist es Diana L. Paxson, die nach dem Tode von Bradley weiterhin die Geschichte Avalons und deren Bedeutung für Britannien beleuchtet.
Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht auch die Tatsache, dass Marion Zimmer Bradley, einst glühender Verfechter von Fan-Fiction ihre Meinung nach einem Streit mit einem Fan über die Handlung eines geplanten Buches grundsätzlich änderte. Das Buch wurde danach nie veröffentlicht und MZB hat daraufhin sämtliche Fan-Fiction im Darkover-Universum untersagt.
The rumor, however, was that MZB had a skirmish with a fan who claimed authorship of a book identical to one Bradley had published and accused Bradley of “stealing” the idea, and the resultant lawsuit cost Bradley a book. Either way, her attorney advised her against reading fan fiction of her work. Versions of this incident are credited by many to have led to a “zero tolerance” policy on the part of a number of other professional authors, including Andre Norton, and David Weber. Mercedes Lackey used to strictly disallow any posting of fan fiction in her universes on the Internet, though she did allow fanfic stories published in approved fanzines with signed releases for each story).
2) Frank Herbert – Der Wüstenplanet
Hier haben wir es mit einer anderen Form der Weiterführung zu tun. Nachdem man jahrelang davon ausging, dass die Geschichte Dunes erzählt war, erschien im Jahre 1999 die erste Fortsetzung der Reihe von Frank Herberts Sohn Brian Herbert in Zusammenarbeit mit Kevin J. Anderson. Angeblich hat man im Nachlass von Frank Herbert Aufzeichnungen für weitere Bücher des Dune-Universums gefunden, auf denen diese neuen Romane basieren sollen.
Then Brian was cleaning out his garage to make an office space and he found all these boxes that had “Dune Notes” on the side. And we used a lot of them for our House books.
Neuere Romane des Autoren-Duos dürften überhaupt nichts mehr mit den Ideen des ursprünglichen Autors zu tun haben.
Die meisten Leser sehen diese Nachfolge-Romane als nicht-kanonisch an, und rätseln zumeist nur über die Rotationsgeschwindigkeit von Frank Herberts Leichnam.
(Im übrigen wäre hier mal eine Feldforschung interessant, wie viele Autoren Manuskripte oder Ideen für weitere Bücher irgendwo in alten Koffern vor ihren Erben versteckt haben. Es ist schon erstaunlich, nach wie vielen Jahren da immer wieder angebliche Manuskripte auftauchen. Eines der jüngsten Beispiele: Dracula.)
3) Douglas Adams – Per Anhalter durch die Galaxis
Eine ganz andere Form des literarischen Erbes haben wir im Falle von Douglas Adams und seiner “Trilogie in fünf Teilen”.
Relativ überraschend wurde im Jahre 2009 verkündet, dass es eine Fortsetzung der Serie durch den Autor Eoin Colfer geben wird, in Zusammenarbeit mit Adams Witwe Jane Belson. Auch wenn bekannt ist, dass Adams einen sechsten Band der Serie wirklich geplant hatte, steht zu vermuten das der sechste Teil nicht auf irgendwelchen Ideen dazu basiert.
Adams also remarked that if he were to write a sixth instalment, he would at least start with all the characters in the same place.[13] Eoin Colfer, who wrote the sixth book in the Hitchhiker’s series in 2008–09, used this latter concept but apparently none of the plot ideas from The Salmon of Doubt.
4) Robert Jordan – Das Rad der Zeit
Im Falle von James Oliver Rigney, Jr. (aka Robert Jordan) haben wir es mit einer besonders tragischen Form der Fortführung seines Erbes zu tun. Dass der Autor schon lange Zeit gegen eine quasi unheilbare Krankheit ankämpfte, war öffentlich bekannt und wurde auch von Fans mit großer Sorge verfolgt.
Leider schaffte es Jordan wirklich nicht, seine 14teilige Reihe (die ursprünglich als Trilogie angelegt war!) zu vollenden.
Allerdings hat der Autor in weiser Voraussicht Unmengen an Notizen hinterlassen und einem ausgewählten Kreis die komplette Geschichte der weiteren Bücher erzählt. Der für die weiteren Bücher ausgewählte Brandon Sanderson dürfte also in Verbindung mit Jordans Witwe Harriet McDougal ein Ende der Serie schaffen, dass so nah wie irgend möglich am Original liegen sollte.
Before his death, Jordan, whose real name was James Rigney Jr., signed over the book rights to his wife, Harriet, and requested that she find a capable author to finish the series for his fans. After his death, a eulogy posted on the website of Brandon Sanderson caught the attention of Harriet Rigney, and a successor was named. Rigney announced that Sanderson, a 32-year-old fantasy writer from Provo, Utah, would complete the final book, slated to be released in 2009.
Was die immer wieder aufkommenden Gerüchte über weitere Bücher aus diesem Universum angeht, sollte man abwarten was wirklich daraus entsteht.
Tja, und was ist davon nun Kanon?
Auch hier dürften unterschiedliche Leser unterschiedliche Ansichten haben, zumal in den Beispielen deutlich wird, auf welch unterschiedliche Art den jeweiligen Nachfolgern Glaubwürdigkeit und Deutungshoheit zugeschrieben wird. Während bei Herbert, Adams und Jordan vor allem die Berufung auf Notizen des ursprünglichen Autors dessen Autorität auf die Nachfolgewerke übertragen soll, liegt bei Marion Zimmer Bradley der Fall anders. Hier ist es besonders die langjährige und enge Zusammenarbeit mit den beiden weiterführenden Autorinnen sowie die schon lange gehandhabte Offenheit des Universums (im Fall von Darkover), die die Werke in den Kanon hieven soll. Gleichzeitig kündigt sich im Streit Bradleys um Fanfiction und in der Rezeption der Dune-Fortsetzung die Bedeutung einer dritten Partei, neben Verlag (siehe erster Teil) und Autoren, in der Streitfrage “Ist das Kanon?” an: Die Fanbasis. Mit ihrer Rolle wird sich der dritte Teil dieser Blogserie näher auseinandersetzen.
Bezüglich der “Fragmente” kann ich nur sagen: Überrascht mich überhaupt nicht. Thomas und ich sind ja nun nicht solange im Geschäft haben bestimmt 30 bis 40 Ideen, Fragmente, Textbruchstücke und ähnliches auf unseren Rechnern. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was für eine Schatzkammer wir damit unseren Nachkommen hinterlassen 😉
Beste Grüße, Ole
Ein schöner und nachdenklich stimmender Artikel. Wenn ich den Fall von Zimmer Bradley lese, kann ich gut verstehen, dass Autoren Fan Fiction streng untersagen.
Ansonsten – ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was passiert, wenn die Rechte am “Herr der Ringe” auslaufen.
Hallo,
danke für den guten Artikel.
Also wenn der Autor, wie im Falle von Robert Jordan, die literarische Nachfolge selbst regelt und instruiert, dann kann man da nicht viel dagegen sagen, denn letzten Endes hat meiner Einschätzung nach der Autor ja die Hoheit über das Werk. Und wenn er jemanden für geeignet hält, dann ist das ja fast die bestmöglichste Methode eine Serie/Welt/Universum zumindest zum Abschluss zu bringen. Auch zbsp Christopher Tolkien ist imo über alle Zweifel erhaben, schliesslich brachte er Text, Aufzeichnungen & Notizen seines Vaters lediglich in Buchform, brachte Sachen nur zu Ende.
Aber allgemein würde ich sagen: “Finger Weg”, und Autor und Werk in Frieden ruhen lassen.
Sherlock Holmes ist da ein gutes Negativbeispiel: Was da an Rotz unter dem Label “Sherlock Holmes” in den verschiedensten Medien herausgebracht wurde, spottet jeder Beschreibung. Es gibt natürlich auch einige Rosinen, aber die muß man sich ersteinmal herauspicken. Den meisten geht es imo nicht um Holmes an sich, sondern um die Reichweite des Namens bzw. der Marke, und diese Gefahr besteht bei anderen Klassikern leider auch !
Grüße
Sebert
P.S: Der Link bzgl. Frank Herbert’s Aufzeichnungen tut nicht !
Also was den Jordan angeht, kann ich nur sagen, dass es bisher sehr gut weitergeführt ist. Ich bin zwar gerade erst beim 12. Band (also dem ersten Sanderson), aber noch fühlt es sich sehr nach Wheel of Time an.
Über Bradley kann ich (noch) nichts sagen, ich hab noch ein paar Bücher von Frau Paxson zu Hause…
Bei Herbert hat mir schon die Zusammenfassung von dem ganzen Zeug gereicht um zu wissen, dass ich es nicht genauer wissen will! 😉
@ Sebert: Danke für den Hinweis mit dem Link, sollte gefixed sein.
Here by courtesy of Google search for Darkover, albeit belated. Sorry!
“Hier ist es besonders die langjährige und enge Zusammenarbeit mit den beiden weiterführenden Autorinnen sowie die schon lange gehandhabte Offenheit des Universums (im Fall von Darkover), die die Werke in den Kanon hieven soll.”
Wenn man sich die Qualität dieser Fortsetzungen ansieht, und ihren zum Teil sehr oberflächlichen und nachläsigen Umgang mit dem etablierten Canon des Darkover-Zyklus als MZB die Bücher selbst schrieb, bleibt jedoch leider wenig positives übrig, was diese Fortsetzungen als Canon erscheinen lässt. Die Stories von Deborah J. Ross sind im allgemeinen von guter Qualität und gehen sorgfältig mit dem früher etablierten Darkover-Universum um, obgleich auch “Hastur Lord” und “The Alton Gift” vor dem Hinterdrund der von MZB tatsächlich in früheren Büchern etablierten Gesellschaftsstruktur und Struktur der Comyn (ganz bzu schweigen von den Verwandschaftsverhältnisen unter diesen) nur selten bruchlos funktionieren; bei “Hastur Lord” ist man gelegentlich versucht, daran zu zweifeln, dass dies wirklich die Welt ist, in der Regis Hastur nur kurz zuvor den Kampf mit der Sharra Matrix ausgefochten und bestanden hat, ganz zu Schweigen davon, dass dies der selbe Regis Hastur sein soll. Was jedoch die Stories von Adrienne Martine-Barne betrifft, so funktioniert hier gar nichts mehr. Die Autorin hat sich offenbar nicht die Mühe gemacht, wirklich tief in den in den früheren Büchern etablierten Canon einzusteigen oder diesen zu respektieren. Hier stimmt nichts: nicht die Art, wie der Comyn-Rat tagt (Kristall-Kammer? Thelepathische Dämpfer? Fehlanzeige…), nicht die Art, wie die Erbschaftsstrukturen funktionieren, nicht die Art, wie die etablierten Abstammungslinien verlaufen, etc cetera. Man kann diese Bücher nicht mit Genuss lesen; und das bedeutet leider, dass es besser gewesen wäre, sie wären eben nicht geschrieben worden – oder zumindest nicht unter der Prämisse, den Canon fortzuführen. Ich kaufe jedenfalls keine weiteren Darkover Romane mehr, nachdem ich mich durch einige dieser “Fortführungen” gezwungen, und schließlich enttäuscht aufgegeben habe. Dagegen, Hastur’s Erbe? Sharras Exil? Die “Blutige Sonne”? Die anderen alten Original-Romane? Lese ich gelegentlich immer noch wider einmal.
Fazit: es hängt wohl gleichermassen vom Geschick des fortführenden Autors/ der Autorin ab, als von deren Respekt für das Original-Universum und ihrer Bereitschaft, dessen Canon und Strukturen zu recherchieren. Eine “Fortsetzung”, die respektlos mit dem Original umgeht und sagt “was kümmert mich, was die original-Autoren geschrieben haben, dies ist *meine* Vision” kann niemals Canon sein.
Aislynn