Der Feigling und die Bestie

Der Feigling und die Bestie von Barış MüstecaplıoğluPerg ist eine Inselwelt voller unterschiedlicher Kulturen, doch Fürst Asuber schickt sich an, die Inseln zu unterwerfen: Er wird vom Buch Tshermons verführt, das Asuber schreckliche Zauber lehrt. Nur der Zauberer Geryan weiß, wie man das Unheil aufhalten kann, doch er schafft es nicht ohne Hilfe. Leofold, ein einstiger Ritter, der inzwischen in ein Ungetüm verwandelt wurde und sich ständig fürchten muss, die Kontrolle zu verlieren, und der Bauer Guorin, der nicht den Mut hatte, zum Krieger zu werden und seine Heimat zu verteidigen, schließen sich ihm an.

-»Reißt euch ein wenig zusammen, ich will schließlich nicht wegen eines dummen Gerüchts zu spät zu der Hochzeit kommen!«, herrschte Harkul seine Familie an, die ängstlich am Eingang des Tunnels wartete.-
Prolog

Fantasy, ganz besonders in ihrer klassischen und epischen Ausprägung, findet das deutsche Lesepublikum in der Regel bei der Handvoll Großverlage, die ein Genreprogramm auflegen. Der Verlag von Der Feigling und die Bestie, dem Auftaktband eines vierbändigen Zyklus, ist keiner davon, vielmehr ist die Spezialität von Binooki das Veröffentlichen türkischer Autoren und Autorinnen in Deutschland. Eine spannende Sache, die natürlich getestet werden muss!
Fantasy scheint in der Türkei keine große Tradition zu haben – tatsächlich wurde Barış Müstecaplıoğlu durch das Lesen englischsprachiger Fantasy dazu angeregt, ein eigenes Epos in diesem Stil zu verfassen. Bei Der Feigling und die Bestie findet man letztlich beides: An der Oberfläche viele Elemente, die man aus der generischen Fantasy kennt, im Detail, vor allem bei den Erzählkonventionen und dem Erzähltempo, allerdings auch viel Eigenwilliges und Ungewohntes.

Die Inselwelt von Perg mit ihren Piraten, Ungeheuern, Magiern und auf jeder Insel unterschiedlichen Gesellschaften macht einen ganz klassischen Eindruck und ist auch nicht sonderlich detailliert ausgestaltet, die Queste, die nötig ist, um den finsteren Asuber zu stoppen, wird höchst simpel eingeflogen – der Zauberer Geryan weiß Bescheid und rekrutiert Mitstreiter. Mit dieser effektiven, relativ knappen Konstruktion, die sich nicht groß mit Erklärungen und lang und breit vorbereiteten Hintergründen aufhält, geht es auch weiter, was zwischen den aktuellen, oft extrem geschliffen konstruierten Plots kantig und auch ein wenig wie aus dem Jugendbuch wirkt.
Dazu passen auch die Abenteuer, die im schnellen Wechsel auf Leser und Leserinnen einprasseln – Kämpfe, Bootsfahrten, Schlachten, wilde Fluchten und letztlich, nach dem Übergang in eine Welt, die nach anderen Regeln funktioniert, etliche bizarre Begegnungen. Genauso schnell wechseln die Personen, die die Perspektive haben, manchmal sogar zeilenweise.

Das erstaunliche ist der menschenfreundliche, warme Umgang, den der Autor mit den Figuren pflegt. Trotz des knappen Stils können sich ihre inneren Dramen entfalten und werden sehr feinfühlig zur Sprache gebracht, sei es nun das Ringen des Feiglings Guorin mit seinem Versagen und seiner Furcht, oder der mühsam zurückgehaltene Selbsthass des ehemaligen Ritters Leofold, der, verwandelt in eine Bestie, ständig um die Güte in seinem Herzen bangen muss. Die beiden sind wahrhaft kein klassisches Abenteurergespann, und auch der zurückhaltende und nur begrenzt mächtige Zauberer Geryan kann sie zunächst nicht dazu zusammenschweißen. Aber an ihnen werden ständig ganz leise die moralischen Werte infrage gestellt, die gerade eine Geschichte tragen, in der Gut und Böse an der Oberfläche so eindeutig festzustehen scheinen. Die Figuren entwickeln sich zum Teil auf geradezu verschmitzte Weise weiter, müssen etliche Proben bestehen, und ob sie zu Helden werden, muss der Leser oder die Leserin am Ende selbst entscheiden.
Die Einblicke in ihr Gefühlsleben finden aber mitunter ruckartig statt, und ihre Geheimnisse werden sehr offen angekündigt, was man vielleicht auch als etwas plumpes Vorausdeuten verbuchen könnte.
Die Figuren und ihre Rollen lassen die Welt von Perg wie eine Männerwelt aussehen, allerdings gibt es Ausnahmen, die dann sehr zu überraschen wissen, und für den zweiten Band scheint sich auch ein weibliches Mitglied in der Truppe anzudeuten. Schön wäre im Übrigen auch, wenn sich die Figuren demnächst entscheiden würden, ob sie sich Siezen oder Ihrzen, das wechselt sich nämlich munter ab.

Durch die verknappte Erzählweise bekommt Der Feigling und die Bestie auch etwas von einem Mosaik, in dem immer wieder kleine Geschichtensplitter auftauchen, die später im großen Bild noch ungeahnte Bedeutung erlangen. Gleichzeitig ereignet sich Großes oft schnell und plötzlich, und auch das Finale geht rasch über die Bühne, überrascht aber mit seiner Konsequenz, auch wenn Perg am Ende noch lange nicht gerettet ist. Zum Guten oder Schlechten holt Müstecaplıoğlu nicht überall den größten Effekt heraus – seine Stärke liegt in der Figurenzeichnung und im unumwundenen und dadurch manchmal unspektakulären Vorwärtsdrängen der Erzählung. Bis zum Schluss oszilliert das Ganze zwischen “etwas in die Jahre gekommener Standardfantasy” und “originell”, aber wenn man mit einem distanzierteren und kargen Erzählstil keine Probleme hat, kann man durchaus einmal einen Blick auf diese Fantasy-Reihe werfen, die andere Akzente setzt als die übliche Genre-Kost.

Stand: 26. März 2014
Originaltitel: Korkak ve Canavar
Erscheinungsjahr: TR 2002, D 2013
Verlag: Binooki
Übersetzung: Monika Demirel
ISBN: 978-3943562248
Seitenzahl: 301