Summers at Castle Auburn

In der Wahrnehmung der Fantasyleserschaft haben “Frauenromane” es oft schwer, wie so manch eine Diskussion in unserem Forum belegt. Während an chronischer Testosteronvergiftung leidenden Helden in der Regel die Existenzberechtigung nicht abgesprochen wird, stehen eindeutig weiblich konnotierte Geschichten schnell unter Generalverdacht, zumal wenn Liebesleben und soziale Beziehungen der Protagonistinnen eine wichtige Rolle spielen: Ist das nicht alles nur seichter Kitsch um lüsterne Vampire, der bestenfalls als belächelnswerter Zeitvertreib taugt?
Grund genug für uns, als Buch des Monats September einen Roman vorzustellen, der belegt, dass es sich lohnen kann, dieses Vorurteil noch einmal zu überdenken: Sharon Shinns Summers at Castle Auburn (ISBN 978-0-441-00928-2, bisher keine deutsche Übersetzung).Summers at Castle Auburn von Sharon Shinn
Als uneheliche Tochter eines Adligen müsste die Ich-Erzählerin Coriel sich damit begnügen, dereinst ihrer Großmutter als Kräuterhexe nachzufolgen, wäre da nicht ihr Onkel Jaxon, der sie allsommerlich auf den titelgebenden Königssitz mitnimmt. Dort wird der Hofstaat von den elfengleichen Aliora umsorgt, gefügigen Sklaven, an deren Los niemand Anstoß nimmt, gelten sie doch als kaum besser als sprachbegabte Tiere. Genießt Coriel es zunächst noch unbefangen, wie alle Mädchen auf der Burg den strahlenden Kronprinzen Bryan anzuhimmeln und sich von der gebändigten Magie der Aliora aufheitern zu lassen, erkennt sie auf einer Aliorajagd, zu der Jaxon sie einlädt, zum ersten Mal, dass nicht alles ist, wie es scheint: Unter dem oberflächlichen Glanz des Hoflebens lauern Abgründe, die ihr und ihrer heißgeliebten Halbschwester Elisandra zum Verhängnis zu werden drohen.
Doch die Gefahr kommt – ganz wie die Geschichte selbst – auf leisen Sohlen daher: Schlachtengetümmel, menschenfressende Monster oder physisch herausfordernde Abenteuer sucht man hier vergebens, und wenngleich das Geschehen auf Castle Auburn nicht frei von Gewalttaten ist, treiben überwiegend nicht sie die Handlung voran, sondern die alltäglichen Interaktionen der glänzend geschilderten Charaktere und die allmähliche Erweiterung von Coriels Sicht von der einer naiven Jugendlichen zur Perspektive einer herangereiften (wenn auch vielleicht nicht von allen Lebenslügen freien) jungen Frau.
Nur ein um feenhafte Magie, Kräuterzauber und Andersweltthematik angereicherter, aber ansonsten unspektakulärer Entwicklungsroman? Ja und nein, denn von der Präsenz mehrerer unaufdringlich erzählter Liebesgeschichten, dem Schwelgen in gesellschaftlichen Anlässen und dem Gebrauch manch eines Märchenklischees sollte man sich nicht einlullen lassen. Zwischen Ballkleidauswahl und Hexenküche wird hier viel über das Scheitern von und an Erwartungen, das Abfinden mit Unerquicklichem (und den etwaigen Preis dafür, sich ihm zu verweigern), Freiheit und Unfreiheit erzählt. Selbst das scheinbar so konventionelle Ende ist auf den zweiten Blick weitaus ambivalenter und offener, als man bei flüchtiger Lektüre glauben könnte.
Wer also Lust hat, es einmal mit einem Fantasyroman abseits von Krieg, Weltrettung und vordergründiger Dramatik zu versuchen, dem sei ein Ausflug nach Castle Auburn ans Herz gelegt.

4 Kommentare zu Summers at Castle Auburn

  1. Neyasha sagt:

    Ein großes Danke dafür, dass hier im Rahmen des “Buch des Monats” der Blick auf diesen wunderbaren Roman gelenkt wird.
    Dieses Buch war in diesem Jahr eins meiner Lesehighlights. Ich bin eigentlich nur deshalb darauf aufmerksam geworden, weil ich dank einer Rezension hier “The Shape-Changer’s Wife” von Shinn entdeckt habe und dann mehr von der Autorin lesen wollte.
    “Summers at Castle Auburn” hat auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit verdient und ich finde es sehr schade, dass leise Romane, in denen es vor allem um innere Entwicklung geht, so häufig zwischen epischen Schlachten untergehen.

  2. Wulfila sagt:

    Vielen Dank zurück für den netten Kommentar! Die Beobachtung, dass “leisere” Romane häufig untergehen (oder dann, wenn sie doch Beachtung finden, nicht ganz ernstgenommen werden), war neben der Qualität von “Summers at Castle Auburn” zugegebenermaßen auch mit ein Grund für die Auswahl als “Buch des Monats”.

  3. Darkstar sagt:

    Vielen Dank für den Tipp. Ich kenne die Autorin zwar von “The Shape-Changers Wife” (welches ich sehr gut fand), aber dieser Roman sagte mir bisher nichts.
    Ist jetzt aber sofort auf meine To-Read-Soon-List gewandert!!!

  4. Wulfila sagt:

    Dann viel Spaß damit, ich hoffe, er macht viel Vergnügen!

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