Rezensent: trible

Cover von Anansi Boys von Neil Gaiman“Fat” Charly Nancy, der eigentlich gar nicht mehr dick ist, ist ärgerlich, verwirrt und (wenn er ehrlich ist) mehr als nur ein bisschen verängstigt. Sein Leben ist nämlich dabei, außer Kontrolle zu geraten und das ist alles nur die Schuld seines (toten) Vaters. Wäre der nämlich nicht gestorben, hätte Fat Charly niemals erfahren, dass er einen Bruder namens Spider hat, der wie sein Vater ein Gott ist. Da dieser Bruder nun aber versucht sein Leben, seinen Job, seine Wohnung und seine Verlobte zu übernehmen, muss sich Fat Charly etwas einfallen lassen, um ihn wieder los zu werden.

-It begins, as most things begin, with a song.
In the beginning, after all, were the words, and they came with a tune.-
Chapter One

Es war ja nun noch nie so, dass Neil Gaimans Bücher durch eine stringente, spannende Handlung geglänzt hätten, noch sind seine Helden besonders heroische Charaktere. Im Gegenteil, die Hauptperson ist meist ein Verlierer, der eine zum Scheitern verurteilte Beziehung zu einer Frau hat. Dann gerät er in eine fantastische, aberwitzige Situation, die er zunächst nicht kontrollieren kann, an der er dann aber wächst.
Das alles ist meist nicht so wahnsinnig spannend, wenn auch gespickt mit absurden und nicht selten extrem komischen Situationen und Figuren. Und da wären wir auch schon bei Gaimans größtem Talent, nämlich seiner wunderbaren Art, die Fiesen, die Gemeinen, die Hinterhältigen und die schlichtweg Brutalen darzustellen. Dieses Gesindel stiehlt dann auch gemeinhin den Guten ganz lässig die Show. Zwar zwingt einen das als Leser immer, sich beim Lesen von einem Auftritt der Bösen zum nächsten zu hangeln, aber was soll’s, Spaß macht das allemal.
Da aber liegt der größte Schwachpunkt von Anansi Boys (Anansi Boys): es gibt keinen Bösen. Es gibt nicht einmal jemand Zwielichtigen. Nichts. Einzig Spider hat den Ansatz dazu, der sich jedoch in eine andere Richtung entwickelt.
Was bleibt, ist die übliche, etwas wirre und von Mythen durchzogene Neil-Gaiman-Geschichte, ein paar witzige Situationen, und ein furchtbarer Jammerlappen als Hauptperson. Fat Charlie ist bis zur Mitte des Romans unerträglich, er ist peinlich, weinerlich und ein Verlierer, wie er im Buche steht. Klar, das ändert sich im Verlauf der Geschichte, aber bis dahin habe ich mir ein paar Mal ernsthaft gewünscht, er möge sein Elend (und meins) doch bitte durch sein Verschwinden aus der Geschichte beenden.
Im übrigen sind die Schauplätze, die ja sonst auch immer recht eigenwillig daherkamen, diesmal ebenfalls etwas lahm. London ist ganz einfach London und Miami ist nun auch nicht eben aufregend. Ansonsten gibt es noch eine lauschige Karibikinsel und die obligatorische Mythen-Parallelwelt, also alles wie gehabt.
Sprachlich ist das Ganze auf gewohnt hohem Niveau, da gibt es nichts zu meckern, und auch Neil Gaimans bizarrer Humor ist immer wieder für einen Lacher gut. Alles in allem ist das aber einfach zu wenig, um aus Anansi Boys ein richtig gutes Buch zu machen. Fans werden es vermutlich trotzdem mögen, alle anderen lesen lieber American Gods oder Neverwhere, da ist eindeutig mehr geboten.

Cover von Rheingold von Stephan Grundy Rheingold ist eine sehr freie Nacherzählung der Völsunga Saga.

-Der wilde Sturm peitschte die Tannen und heulte wie ein hungriger Wolf. Er jagte die rabenschwarzen Wolken so schnell vor sich her wie ein gallopierendes achtbeiniges Schattenroß.-
(Der Otter)

Wenn man für heldenhafte Taten wirklich nach Wallhall kommt, habe ich mir mit dem kompletten Durchlesen von Rheingold (Rhinegold) wahrlich einen Ehrenplatz an Odins Seite verdient.

Stephan Grundy war sich wohl nicht so ganz sicher, was das Ganze eigentlich werden soll. Eine Saganacherzählung? Ein romantisch-erotisches Fantasyabenteuer? Eine mythische Heldengeschichte? Ein historischer Roman? Eine Werbebroschüre für esoterische Runenmagie? So schlingert die Geschichte zwischen schmierigen Sexszenen, seichtem historischem Roman, albern-romantisiertem Heidengetue und der prosaischen Brutalität des Orginals herum, ohne auf irgendeinem Terrain irgendwie überzeugen zu können.
Im übrigen wird dem erstaunten Leser im Nachwort mitgeteilt, dass die Völsunga Saga ja sehr brutal sei und deshalb zu gewalttätige Stellen weggelassen oder entschärft wurden. Warum sich Grundy dann ausgerechnet die blutrünstigste aller nordischen Sagas zur Nacherzählung ausgesucht hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Umso ärgerlicher, weil sich aus dieser Zensur logische Brüche in der Handlung ergeben. So war das Abfackeln einer Halle inklusive der schlafenden Bewohner wohl zu heftig, stattdessen ergibt sich ein kleines Heer dem Ansturm von zwei Leuten. Allerdings könnte das auch auf das Konto der Übersetzer gehen, da das Nachwort mehrfach von der deutschen Fassung spricht.

Noch dazu ist die Erzählung oft unfreiwillig komisch. So verhütet Siglind mittels Eisrunen, mit denen sie sich den Muttermund zufriert. Die realistische Darstellung einer vergangenen Religion ist immer eine Gratwanderung, aber was Grundy hier abliefert, ist ein ziemlich wirres Gebräu aus heftigstem spätromantisch-teutonischem Kitsch und billiger Fantasymystik. Wenn schließlich eine Seherin in bester van-Helsing-Manier einen Werwolf mittels Exorzismus (sie zertrampelt eine Trommel …) und Pfählung ins Jenseits befördert, wünscht man sich endgültig ein Horn mit starkem Met. Da erstaunt es auch nicht mehr wirklich. wenn zwei (!) Männer ein geopfertes Pferd stemmen, oder Leute, die noch nie das Meer gesehen haben, plötzlich im tobenden Sturm über die Nordsee segeln können.

Ganz nebenbei gelingt es Grundy Figuren, die im Original durchaus interessant sind, zu absoluten Witzfiguren zu degradieren. Loki ist ein schleimiger, nervtötender Kasper und Wotan verkündet ununterbrochen Horoskopweisheiten wie: “Kämpfe nicht gegen die Sonne, sie wird dich blenden” (ne echt …). Da wundert die Ausbreitung des Christentums wirklich niemanden mehr.
Eine echte Zumutung ist auch die Sprache. Der Stil bewegt sich auf Groschenheftniveau und ist der Thematik völlig unangemessen. So teilt uns der Autor in einer der diversen Sexszenen mit: “Ein heftiger Schlag wie von Honig auf einem faulen Zahn ließ Sigmund erbeben, […] als das Vergangene ihn wie ein reißender Strom erfasste und er in einem rotgoldenen Blitz seinen Samen ergoß”.
Auch die Übersetzung ist nicht gelungen, es werden englische Ausdrücke falsch übersetzt, sodass ganze Sätze keinen Sinn mehr ergeben, und nebenbei strotzt das Buch auch noch vor grammatikalischen Fehlern.