Autor: Swann@Thomas Burnett

Die Bienenkönigin von Thomas Burnett SwannDie Vestalin Rhea, eine Tochter des ehemaligen Königs von Alba Longa, wird zum Tode verurteilt, nachdem sie Zwillinge geboren hat. Auch ihre Söhne sollen getötet werden, doch der damit beauftragte Hirte erbarmt sich ihrer und setzt sie aus. Sie werden von der Dryade Mellonia gerettet, die sie zusammen mit der Wölfin Luperca versorgt. Als Romulus und Remus junge Männer geworden sind, wollen sie den Tod ihrer Mutter rächen und den Thronräuber von Alba Longa vertreiben.

-Aber eine Schnecke taugt auch nicht viel, nicht wahr? Aber sie kriecht, sie schwenkt die Fühler und bringt uns zum Lachen, sie hinterlässt eine silberne Spur, und wenn sie stirbt, eine hübsche Muschel, wie Perlmutt. Ich würde eine Welt ohne Schnecken hassen.-

Thomas Burnett Swann ist der einzige Fantasy-Autor, der sich mit Leidenschaft und großer Kenntnis der Mythologie der Antike verschrieben hat. Leser, die sich wünschen, dass es schnell und eindeutig zur Sache geht, sollten den Autor abhaken, denn sie werden mit seinen lyrischen und verspielten Versionen der Sagen des klassischen Altertums, angesiedelt in pastoralen Landschaften voller Fabelwesen, die einem anderen Zeit- und Werteverständnis als die Menschen folgen, nicht gut bedient. Die mythologische Fantasy von Swann funktioniert am Besten für Freunde von Geschichten voller funkelnder Details, Szenen von großer Wärme und einer generellen Wertschätzung des Wie vor dem Was einer Geschichte.

Die Bienenkönigin (Lady of the Bees) ist eine Erweiterung der älteren Kurzgeschichte Der Feuervogel und bereichert diese um einige Aspekte, wie etwa Abschnitte, die aus der Sicht der Dryade Mellonia erzählt werden – abwechselnd mit Sylvan, einem jungen Faun. Der von Swann häufig gewählte Kunstgriff, Fabelwesen als Erzähler zu nutzen, ist durch diese Dualität, die sich auch in anderen Aspekten durch den Roman zieht, besonders gelungen: Sylvans Sorglosigkeit steht die Komplexität und Altersschwere der ewig jungen Dryade entgegen, mit der Weiterentwicklung der Geschichte und ihrer Figuren kehrt sich das Verhältnis jedoch um.

Swanns Antike ist ein goldenes Zeitalter im Herbst: Die Helden blicken selbst auf eine glänzendere Zeit zurück und sind sich bewusst, dass sie einer ausklingenden Ära angehören, dass die Magie im Niedergang begriffen ist, wodurch die Geschichte stets ein Hauch der Melancholie durchweht.
Der Stil, der damit einhergeht, ist üppig, schwelgerisch, selbst in der teilweise suboptimalen Übersetzung, die aus den fließenden, poetischen Sätzen manchmal etwas sperrige Konstrukte macht. Wie kaum ein anderer Autor schafft Swann diesen Balanceakt in einer Welt, in der sich Faune im Wald tummeln und Frauen Brüste wie Melonen haben können, ohne dass der Text überladen oder unpassend wirkt.
Hintergründiger Witz lockert die Erzählung ebenso auf wie eine teils subtile, teils direkte Frivolität, wie man sie auch bei Catull oder Ovid finden könnte. Die zivilisationsfernen Erzählstimmen von Sylvan und Mellonia, die zunächst keiner menschlichen Moral folgen, lassen trotzdem keine Zweifel daran, wo im Einzelnen Gut und Böse zu finden sind, wo die Grenze verläuft zwischen Objektivierung des Gegenüber und Respekt vor dem Anderen. Auf beinahe jeder Seite strahlt eine Wärme aus der Geschichte, die ihresgleichen sucht: Sei es in der unbescheiden-drolligen (Selbst-)Beschreibung des Fauns, bei den Details, mit denen die Waldtiere auftreten, oder der Verehrung von unbedeutend scheinenden Göttern.

Die Handlung von Die Bienenkönigin ist in drei Sätzen erzählt und weder komplex noch neu, doch sie entfaltet sich trotzdem wie eine griechische Tragödie vor dem Leser, die unaufhaltsam einem Punkt entgegenstrebt, der durch Figurenkonstellation und Umstände vorgegeben ist. Die Geschichte von Romulus und Remus ist bekannt, der Konflikt der Zwillingsbrüder spielt sich allerdings fast immer unterschwellig ab, steht stellvertretend für zwei Wege, die die Menschheit einschlagen kann: einen harmonischen Weg mit der Natur und einen Weg der Gewalt, der sich durch seinen aktionistischen Charakter immer durchsetzen kann. Ein richtiger Kampf wird daraus so gut wie nie, denn der sanfte Weg von Remus ist dafür zu nachgiebig und lässt die Eskalation umso gravierender ausfallen.

So alt und vertraut der Mythos auch ist, Swann ist weit davon entfernt, einen antiken Einheitsbrei vorzusetzen – in seiner Welt ist eine ganze Bandbreite von Einflüssen sichtbar, von den Etruskern über die Minoer bis hin zum fernen Osten, Verbindungen zu anderen Swann-Werken wie der Minotaurus-Trilogie werden deutlich und vermitteln zusammen mit der fiktiven Geschichtsschreibung, von der in der Palmenblatt-Bibliothek in Die Bienenkönigin die Rede ist, ein zusammenhängendes Bild einer fiktiven, mythischen Antike.

Die lyrische Ästhetik findet sich bei Die Bienenkönigin nicht nur im Stil, sondern auch in den Beschreibungen dieser Welt, in der Mythen Wahrheit sind. Der vielbeschworene Sense of Wonder stellt sich auf unspektakuläre, beinahe spielerische Art und Weise ein, durch das Pendeln zwischen Heiterkeit und Melancholie, durch das Fernweh in eine geträumte Vergangenheit, deren Schleier Swann in seinen Romanen ein wenig lüften kann.
Die Besonderheit von Die Bienenkönigin lässt sich leichter erfahren als beschreiben, denn wenn man behauptet, dass jede Seite Freude beim Lesen macht, wird man dem Roman zwar durchaus gerecht, hat aber doch viel zu wenig gesagt. Wer Silberglocken hören und seidige Faun-Schwanzquasten spüren will, sollte sich im Antiquariat auf die Suche machen und trotz des fragwürdigen Covers einen Blick wagen.

Day of the Minotaur von Thomas Burnett SwannKreta wird von Feinden aus dem Norden überfallen, und die beiden Königskinder Thea und Icarus werden gefangen genommen und, nachdem sie sich tatkräftig gegen die Feinde zur Wehr gesetzt haben, in die Höhle des gefürchteten Minotauren geworfen, auf daß er sie verspeisen möge. Doch alles kommt anders: Eunostos, der letzte Minotaur, hat wenig Interesse an Menschenfleisch, vielmehr dagegen an der Schönheit der Prinzessin Thea – allerdings ist er ein eher schüchterner Zeitgenosse. Kurzerhand nimmt er die beiden jungen Königskinder mit in seine Behausung im Zauberwald und bietet ihnen dort Schutz.
Als die Angreifer das erfahren, ist ihnen der Zauberwald mit seinen Dryaden, Zentauren und vielen anderen Fabelwesen ein Dorn im Auge …

-My history belongs to the princess Thea, niece of the great king Minos, and to her brother Icarus, named for the ill-fated son of Daedalus who drowned in the sea when his glider lost its wings.-
Chapter 1: The Wooden Wings

Wer in seiner Jugend einmal mit Begeisterung die Sagen des klassischen Altertums gelesen hat, wird wohl aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn er sich von Thomas Burnett Swann in dessen Version der antiken, mythischen Welt entführen läßt. Auf eine ganz eigene Art beschwört der Autor den Zauber einer vergangenen Zeit herauf, bringt die Geschehnisse anschaulich vor das innere Auge, ohne aber auf eine Art Schleier zu verzichten, der den Leser niemals die paar tausend Jahre vergessen läßt, die zwischen ihm und der von Swann beschriebenen Zeit liegen. Eine Gratwanderung zwischen Fremdem und Vertrautem, die der Autor hauptsächlich anhand von poetischer Sprache und einem vermittelnden Erzähler – Eunostos, dem Minotauren selbst – meistert.

Ein gelungener Vorspann soll der Erzählung einen historischen Kontext verleihen – ein alter Kniff, der hier aber sehr schön eingepaßt ist und der Geschichte einen Rahmen gibt. Hat man dann erst einmal den erzählenden Minotauren kennengelernt, muß man den bescheidenen, ruhigen Muskelprotz mit der poetischen Ader, der sein Licht gerne unter den Scheffel stellt, von der ersten Seite an ins Herz schließen. Im Verlauf der Geschichte ergeht es ihm ohnehin nicht besonders gut: Mit den beiden flüchtenden Königskindern, die er bei sich aufnimmt, bringt er Ärger in sein Haus und seinen Wald. Anfangs ganz harmlos, fängt die liebreizende Thea an, den ursprünglichen und naturverbundenen Minotauren zu domestizieren: Sie räumt sein Haus auf, schneidet die Blumen aus seinem geliebten Kraut- und Rübengarten ab und steckt sie in Vasen und rümpft die Nase über seine rustikalen Freunde, die Dryade Zoe und den Zentauren Moschus. Als dann auch noch der wilde Ajax mit seinen Kampfgenossen den Wald angreift, weil er der beiden Königskinder habhaft werden will, wird langsam klar, daß die Zeit der Fabelwesen von der Zeit der Menschen abgelöst wird. Auch das ist ein alter Topos der Fantasy – das Schwinden des Zaubers aus der Welt. Das Ende der Erzählung, bei deren letzter Kapitelüberschrift The Passing of the Beasts man schon schlimmstes fürchtet, steht dem Ende eines Herrn der Ringe (The Lord of the Rings) diesbezüglich in nichts nach: meisterhaft werden Melancholie und Trost miteinander verbunden, wobei die versöhnlichen Elemente für die Charaktere überwiegen, die Welt aber “gemindert” zurückbleibt.

In nicht einmal 200 Seiten sollte man sich aber von Day of the Minotaur (Die Stunde des Minotauren) keine komplexe Handlung erwarten; die Gechichte plätschert eher dahin, aber nicht als langweiliger Strom, sondern eher als hübsch anzusehender, munterer Bach. Der poetische, gewitzte und manchmal auch anzügliche Stil allein ist schon ein Vergnügen, und nur in dieser gekonnt umgesetzten archaischen Atmosphäre kann man beispielsweise von den gefürchteten swelling breasts lesen, ohne gleich “Kitsch, lass nach!” zu stöhnen. Auf dem kleinen Raum sind auch die Charaktere liebevoll dargestellt, und die Atmosphäre lebt von den Fabelwesen, die gerade klischeemäßig genug sind, um vertraut zu wirken, aber kein Quentchen mehr. Märchenhaft-poetische Fantasy in einer antiken Umgebung kann man sich nach der Lektüre dieses Romans kaum mehr anders vorstellen.

Ein deutlicher Stilbruch in diesem so gekonnt ausgearbeiteten Rahmen ist das Titelbild – ein muskelbepackter Minotaur mit der falschen Haarfarbe, eine halbnackte Frau, ein Held im Hintergrund, ein reißerischer Schriftzug. Man betrachte einmal das Bild und vergleiche mit folgendem Zitat von Eunostos, als er erstmalig auf die schöne Thea trifft, und urteile selbst:

I stood awkwardly, shifting my weight from hoof to hoof, and wondered what I could say to reassure her. »He’s right,« I blurted. »I want to be your friend, and you won’t have to pleasure m-m-me.«

Cover des Buches "Der letzte Minotaur" von Thomas Burnett SwannDie lebenslustige Dryade Zoe erzählt die Geschichte von Eunostos, dem letzten Minotaur des Zauberwaldes der Tiere auf Kreta.
Der junge Tiermensch ist in die wunderschöne Dryade Kora verliebt, doch diese mag ihn nicht erhören, denn sie träumt einen sonderbaren Traum und will daher warten. Aber warum folgt Saffron, die Königin eines der neu angekommenen Stämme der Thriae, dem Minotaur mit so lüsternem Blick? Als sich schließlich der Paniskus Phlebas, ein Ziegenjunge mit ungewöhnlich kriminellen Charakter, besonders aufdringlich gegenüber Kora verhält, nimmt das Unheil seinen Lauf …

-Ich bin dreihundertsechzig und stolz darauf, daß ich in all dieser Zeit bestimmt gut doppelt so viele Liebhaber erfreuen durfte, wie ich Jahre genoß.-
Erster Teil, Eunostos, 1.

Die Geschehnisse im Zauberwald finden zur Zeit der Minoischen Palastkultur statt, als der legendäre Minos noch König ist und die Archäer zwar schon Überfälle unternehmen, aber noch keine ernste Bedrohung darstellen. Kreta wird von freundlichen, den Augenblick lebenden Menschen bewohnt, auf dem Lande geht es zwar etwas einfacher und zurückhaltender zu, doch in der Stadt Knossos herrscht ein freizügiges und buntes Treiben, welches sich in den farbenfrohen und vielgestaltigen Palästen widerspiegelt; dort hat der weise und gerechte König Minos seinen Herrschersitz.
Doch die Menschen haben einen Pakt geschlossen mit den Tiermenschen Kretas, deren Heimat soll von Menschen nicht betreten werden. Der Zauberwald ist hauptsächlich ein Wald, in dem seine Bewohner sehr angepasst an diesen leben, so sind die Häuser nicht aus dem Wald gebaut, sondern mit dem Wald gebaut. Das Zauberhafte beschränkt sich allerdings auf die Bewohner.

Die Tiermenschen sind der Mythologie Kretas entlehnt, einige, wie der Minotaur, sind sehr bekannt und im stärkeren Maße an die Mythologie angelehnt, andere, wie die Thriae, sind weniger bekannt und mit mehr Phantasie ausgestaltet. Ein Eigenart der meisten Tiermenschenvölker ist es, entweder nur aus Frauen, wie die Dryaden, oder nur aus Männern, wie die Minotauren, zu bestehen. Nur in wenigen finden sich sowohl Frauen als auch Männer, wie bei den Thriae. Die kriegerischen und draufgängerischen Zentauren werden angeführt vom weisen Chiron; die Panisken – vom Äußeren Satyren sehr ähnlich – entwickeln sich nicht weiter als Jugendliche, sie sind stets auf Nonsens aus; die Artemisbärinnen, zur Hälfte Bär, zur Hälfte Frau, sind auf ewig scheue Mädchen; die Telchin sind großartige Handwerker mit der Gestalt einer übergroßen Ameise; die Thriae, die Bienen, sind sehr dünne mit Flügeln versehene menschenartige Wesen, deren Volk aus Königin, Arbeiterinnen und Drohnen besteht; die Dryaden sind schöne Frauen, die sich nicht lange von ihrer Eiche trennen können.

Eunostos, der letzte Minotaur, ist zur Hälfte Bulle, zur Hälfte Mensch, statt Füße hat er Hufe und aus seinem seidigen, roten Haar ragen Hörner heraus. Wenn er erst ausgewachsen ist, wird er eine gewaltige Statur haben. Wie für Minotauren üblich, arbeitet er als Zimmermann. Er ist ein lebhafter und stürmischer junger Bulle, doch kann er auch sehr sanft und poetisch sein. Er ist unsterblich in die Dryade Kora verliebt.
Diese ist eine junge, romantische Dryade, vielleicht die älteste Jungfrau (sie ist schon neunzehn) im ganzen Wald. Sie wirkt durch ihre Zurückhaltung auf viele erhaben, vielleicht ist sie aber einfach nur unsicher.
Saffron ist die Königin eines Thriae-Stammes, sie ist lüstern und arrogant; sie erwartet von anderen, dass diese sich ihr – der schönen Königin! – fügen. Zudem ist sie eitel und gierig.

Zoe, die Dryadin, ist die Erzählerin der Geschichte, sie ist äußerst beliebt und hat sowohl zu Kora und deren Mutter als auch zu Eunostos, mit dessen Mutter sie befreundet war, ein gutes Verhältnis. Eunostos nennt sie Tante Zoe, obgleich sie sich diesen Titel nicht wünscht, da sie heimlich andere Gefühle für ihn hegt. Schließlich ist da noch der menschliche Kreter Aeacus, der Bruder König Minos’. Ihn verschlägt es im zweiten Teil der Geschichte in den Wald – auch er verliebt sich in die schöne Dryade Kora.
Die Charaktere sind einfach, was nicht weiter stört, da die Tiermenschen einfache Geschöpfe sind, doch manchmal agieren sie ein wenig zu typisch. Dieses mag im Konzept so angelegt sein, um die Schlichtheit der Natur besser gegen die komplizierte Zivilisation abheben zu können, nimmt der Geschichte aber ein wenig an Spannung.

Die Geschichte ist in zwei Teile geteilt, die durch die Liebe Eunostos’ zu Kora zusammengehalten werden. Im ersten Teil geht die Bedrohung von der Königin Saffron aus, dieser Teil ist wesentlich humorvoller und handlungsreicher. Während hier Liebe und Lust die Figuren motivieren, sind es im zweiten Teil Liebe und Pflicht. Aeacus ist der Mann in Koras Traum, aber er hätte nicht in das Reich der Tiere kommen dürfen, denn auch wenn er und die Dryade sich lieben, werden seine Kinder doch königlichen Geblütes sein. Hinzu kommt, dass der sanfte Eunostos viel besser mit den Kindern umgehen kann. Wenn Tugend und Laster einander gegenüberstehen, ist ein gutes Ende immer möglich, aber wenn zwei Tugenden sich gegenüberstehen, dann ist eine Tragödie am Ende unausweichlich. So gibt es zwar wiederum komische oder harmonische Episoden, dieser Teil ist aber deutlich melancholischer und dem Leser wird schnell klar, dass am Ende das Leid unvermeidbar sein wird.

Auch wenn die Geschichte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Märchen Die Schöne und die Bestie von Jeanne Marie Leprince de Beaumont hat, ist Eunostos der Einzige, der seine Physis negativ beurteilt. Auch wenn die Thematik Liebe sehr dominant ist, gibt es doch einige gefahrvolle Momente und überraschende Wendungen zu überstehen in dieser ungewöhnlichen Geschichte. Dieses ist zwar der zweite Teil aus der Minotaurus Reihe, aber er kann völlig unproblematisch nur für sich gelesen werden.

Die Erzählung wird zwar von Zoe erzählt, doch diese gibt bisweilen sogar die Gedanken der Figuren wieder, wie ein antiker Historiograph seinen Protagonisten eine Rede in den Mund legen mag. Die Geschichte ist somit aus einer unüblichen Perspektivenmischung von auktorialer Erzählstruktur und Ich-Erzählsituation dargestellt. Die flüssigen Sätze und die treffende Wortwahl passen gut zu dieser schnellen und frivolen Geschichte.

Cover des Buches "Prinzessin der Haie" von Thomas Burnett Swann Als Charlie auf einen Schlag Mutter und Bruder verliert, verfällt er in eine tiefe Depression. Damit endet sein bisher so glückliches und behütetes Leben. Er verlässt die Universität und bewirbt sich für eine Stelle als Hauslehrer auf einer einsamen Karibikinsel.
Dort findet er nicht nur einen guten Freund und seine erste große Liebe, sondern er begegnet auch dem seltsamen Mädchen Jill und Curk, einem mysteriösen Fremden, der der eigentliche Herr der Insel zu sein scheint. Während Charlie versucht, Jill ein wenig Benehmen und klassiche Bildung zu vermitteln, gerät er in große Gefahr.

-Ich richte meine Geschichte nicht an meine Mitdelphine, obwohl ich sie natürlich, wie es bei meiner Rasse üblich ist, immer und immer wieder meinem erstgeborenen Sohn erzählen werde, bis er sie, Wort für Wort, einmal an seinen Erstgeborenen weitergeben kann.-
1

In Prinzessin der Haie (The Goat without Horns) wendet sich Thomas Burnett Swann von der klassischen antiken Mythologie ab und verarbeitet Elemente aus der Sagenwelt der Karibik und der Seefahrt.
Gleich zu Beginn lernt der Leser “Grübler”, den Erzähler, kennen. Dessen Perspektive wechselt im Laufe der Geschichte mehrfach: so gehen Passagen, die in der ersten Person erzählt werden, nahtlos in Kapitel über, in denen Grübler eine reine Beobachter- oder Nacherzählerstellung einnimmt. Diese für Swann typische Art des Erzählens schafft eine fast authentische Atmosphäre, da sie das Gefühl vermittelt, die Geschichte von einem direkt Beteiligten zu hören.
Und wie für Swann auch typisch, ist Grübler nicht einfach ein Mensch, sondern diesmal lässt er die Geschichte von einem Delphin erzählen. Ähnlich wie Charlie, die Hauptperson der Erzählung, hat Grübler vor kurzem seine Mutter verloren und hat sich von seinen Artgenossen zurückgezogen. So ist es nur logisch, dass die Beiden gleich bei ihrer ersten Begegnung einen Seelenverwandten im jeweils anderen finden und sofort Freundschaft schließen. Nachdem Grübler kurz erzählt hat, wie er selber zur Insel “Oleandra” kam und den Leser bei dieser Gelegenheit mit der Welt der Delphine vertraut gemacht hat, wendet er sich bald Charlie und dessen Geschichte zu.

Charlie wirkt, aus Grüblers Sicht beschrieben, wie der perfekte Held einer romantischen Geschichte: gutaussehend, sportlich, empfindsam, bescheiden und klug. Auf Grund des Erzählstils wird aber schnell klar, dass Grübler ein sehr junger Delphin ist. So relativiert sich die beschriebene Perfektion zur Schwärmerei eines Jugendlichen, dessen fehlende Lebenserfahrung einen Großteil seines Urteilsvermögens ausmacht. Genauso unerfahren kommt auch Charlie auf die Insel. Bis zum gleichzeitigen Tod seiner Mutter und seines Zwillingsbruders wohlbehütet aufgewachsen, in einer Atmosphäre der Liebe und Harmonie, begegnet er seiner Umwelt mit einer Selbstgerechtigkeit, die nahezu kindlich wirkt und den Leser eher nachsichtig lächeln lässt, als dass er Charlies Verhalten übel nimmt.
Sicher trägt auch Swanns leichte und poetische Sprache zu diesem Lächeln bei, die gerade in den Begenungen Charlies mit Elisabeth, seiner Arbeitgeberin, so weit aufblüht, dass sie fast ironisch wirkt.

Elisabeth, um einiges älter als Charlie, doch in ewiger Jugend erstarrt, ist die Frau, in der Charlie seine erste große Liebe findet. Beide schwärmen für die gleichen Dichter und nehmen ihre Umwelt durch einen romantisch verklärten Schleier der Melancholie wahr. So erschafft Swann mit Elisabeth einen Charakter, der für Charlie tröstende Mutter, geheimnisvolle Fremde und romantische Geliebte zugleich sein kann.
Ihre Tochter Jill ist so ganz anders als Elisabeth. Ihre direkte, forsche Art des Auftretens, frei von jeglicher Konvention, wirkt fast brutal in diesem Umfeld und lässt Charlie anfangs heftig erschrecken. Da ihre Mutter gesundheitlich stark angeschlagen ist, wurde Jill von Curk erzogen.
Dieser wiederum ist ein Eingeborener, der fest in den Werten und Mythen seines Volkes verankert ist. Er besetzt für Jill die Vaterrolle und Elisabeth kann seiner kraftvollen und düsteren Ausstrahlung wenig entgegensetzen. Da erstaunt es den Leser wenig, dass Jill mit einer Art Geringschätzung auf ihre Mutter herabschaut und Curk nahezu vergöttert.

Erscheint Curk dem Leser geheimnisvoll und stark, so kommen seine Stammesgenossen gar nicht gut weg. Sie werden durchgehend als böse, faul und degeneriert dargestellt. Ob Swann mit dieser Art der Beschreibung provozieren wollte, ob er der Meinung war, dass diese Darstellung einer richtigen Abenteuergeschichte angemessen ist oder ob er wirklich in dieser typisch kolonialen Sichtweise gefangen war, muss wohl jeder Leser für sich selbst entscheiden.
Auch verlangt die Erzählung die Bereitschaft, sich auf die Idealisierung des viktorianischen Frauenbildes einzulassen: wunderschön, gebildet aber auch zurückhaltend und wohlerzogen soll SIE sein. Zwar wird dieses Idealbild zwischendurch gebrochen – erst durch die Grenzüberschreitung Elisabeths wird die Romanze zwischen ihr und Charlie möglich, und auch Jill fasziniert diesen anfangs mit ihrem betont “unweiblichen” Auftreten – doch am Ende unterwerfen sich beide Protagonistinnen wieder dem klassischen Frauenbild ganz bewusst und nahezu begeistert: “Auf dem Schiff werde ich mein Haar wachsen lassen. Es wächst sehr schnell. In ein paar Monaten müßte ich eigentlich präsentabel aussehen.” (Jill, Kap. 12) und können nur dadurch wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden.

So begegnet dem Leser hier also eine Erzählung, die nicht frei von Ecken und Kanten ist. Doch hier ist es nun wieder Grübler, dessen ganz eigene Sicht auf das menschliche Verhalten die Ecken abmildert, der Geschichte ihre Unschuld bewahrt und ihr einen heiteren Nebenton verleiht. Grüblers jugendliche, ja fast kindliche Sicht auf die Geschehnisse, gepaart mit Swanns schon erwähntem blumigen Schreibstil und einem fast schwülen kolonialen Setting, machen aus Prinzessin der Haie das, was es ist: eine unterhaltsame Geschichte für Liebhaber poetisch-melancholischer Abenteuer mit einem Hauch Mystik.

Cover des Buches "Die Stunde des Minotauren" von Thomas Burnett SwannThea und Ikaros sind die Kinder des Königs von Kreta, welches von einer Invasion der kriegsliebenden Archäer erschüttert wird. Nachdem sich Thea aber nicht von deren Anführer Ajax vergewaltigen lässt, wirft man sie in die Höhle des Minotauren. Doch dieser entpuppt sich aber als ihr Pate und nimmt die beiden bei sich auf. Nach einigen anfänglichen Problemen können die beiden königlichen Flüchtlinge auch den Wald und das Erbe der Tiermenschen akzeptieren, denn ihre Mutter war eine Dryade. Doch werden die gewalttätigen Archäer mit ihren Totengöttern das Tabu einhalten, welches die Große Mutter auf den Wald der Tiermenschen legte, wie die Kretaer es tun?

Diese wahre Geschichte, die ich hier niederschreibe, berichtet hauptsächlich von Prinzessin Thea, der Nichte des großen Königs Minos, und von ihrem Bruder Ikaros, benannt nach dem bedauernswerten Sohn Dädalus’, der im Meer ertrank, als das Wachs seiner Schwingen schmolz.-
1. Die Hölzernen Schwingen

Das Geschehen in Die Stunde des Minotauren (Day of the Minotaur) findet zum Großteil im Wald der Tiere statt, nur die ersten zwei Kapitel spielen im antiken Kreta der minoischen Palastkultur und diese sind sehr handlungsreich, daher spielt die Kultur Kretas nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Der Zauberwald ist in erster Linie nur ein Wald mit ungewöhnlichen Bewohnern. Im Gegensatz zum zweiten Teil (der allerdings später geschrieben wurde) könnte hier die Fremdartigkeit stärker hervorgehoben werden, zumal die Kinder zunächst Fremde aus dem zivilisierten Teil Kretas sind.

Die Bewohner des Waldes sind eng an die antike griechisch-minoische Mythologie angelehnt, wenngleich zuweilen mit einem Kniff versehen.
Es gibt die weisen und kriegserfahrenen Zentauren, angeführt vom mächtigen Chiron; die schönen und frivolen Dryaden, die eng mit ihrer Eiche verbunden sind; die ewig unreifen und frechen Panisken, Wesen zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Ziege; die scheuen und ängstlichen Artemisbärinnen und die heimtückischen und kriminellen Thriae, Wesen die viel Ähnlichkeit mit Bienen aufweisen.
Schließlich ist da der letzte Minotaur, der gewaltige Eunostos. Er ist ein sieben Fuß großes Muskelpaket, anstelle von Füßen hat er Hufe und Hörner ragen aus seinen roten Haaren hervor – eine einschüchternde Gestalt, besonders dann, wenn er mit dröhnender Stimme brüllt. Dennoch ist er ein sanftes Wesen, ein Handwerker, der seinen Garten, die Poesie – und Thea liebt.
Sie ist die Tochter von Aeacus, des Königs von Minos, und einer Dryade, daher ist die 16jährige Frau bezaubernd schön, mit leicht grün schimmernden Haaren und spitzen Ohren. Sie fürchtet den Wald und die Tiere, auch wenn sie sich zum Minotauren hingezogen fühlt, will die zurückhaltende Kreterin ihn eher kultivieren als akzeptieren. Ihrem Bruder Ikaros fällt es viel leichter das Erbe ihrer Mutter anzunehmen und schnell wird aus dem Jungen ein junger Mann.
Daneben gibt es noch einige weitere, wie Zoe, die Dryade, eine gute Freundin von Eunostos; Moschus, ein alternder Zentaur und der Liebhaber von Zoe und Pandia, die Artemisbärin, die sich stets in der Nähe des jungen Ikaros aufhält; sie kommt allerdings nicht über den Status des comic-relief hinaus. Auch wenn diesen Figuren nicht viel Raum zugestanden wird, sind es keine bloßen Abziehbilder, denn ihr Verhalten lässt Stärken und Schwächen vermuten – selbst Ajax, der Anführer der Archäer, ist kein Monster.

Auch wenn der Plot mittlerweile nichts ungewöhnliches mehr darstellt – es geht um die unterschiedlichen Möglichkeiten der Menschen mit der Natur umzugehen – so ist die Geschichte doch schwer einzuordnen. Zu Beginn und am Ende gibt es einiges an physischer Action, der Mittelteil ist eher ruhig und gibt Dialogen, inneren Monologen und Beschreibungen viel Raum. Der Spannungsbogen verläuft somit parabelförmig, wobei der Scheitelpunkt zugleich der Tiefpunkt ist.
Im Zentrum des Geschehens steht die Liebe zwischen Eunostos und Thea, doch diese müsste eindringlicher geschildert werden, damit sie ganz wirken kann. Ein anderer Strang ist das Erwachsenwerden von Thea und Ikaros, dieses verläuft aber leider zu sprunghaft – einzelne Augenblicke markieren deutlichen Wandel. Auf der anderen Seite stehen die plündernden Archäer, die möglichst viel Reichtum aus der Beutefahrt schlagen wollen und in ihrer Gier vor alten Tabus nicht halt machen.

Die Geschichte wird von Eunostos aus der Ich-Perspektive erzählt, wenn er anwesend ist, sonst aus der Personalen-Perspektive einer der zentralen Figuren. Die Sätze sind flüssig und die Wortwahl ist treffend, passt aber nicht immer gut zu dieser vielfach langsamen und leicht melancholischen Geschichte.

Die Aufmachung ist – wie für die Terra Fantasy Reihe üblich – sehr spartanisch, es gibt keine Extras außer einem Vorwort von Hugh Walker und auch das ist dieses Mal nicht besonders interessant – Walker fasst kurz die Ereignisse des zweiten Teils der Reihe zusammen (was Swann auch in der Geschichte macht, nur dieser ist etwas ausführlicher) und gibt eine Kurzbiographie hinzu. Das Titelbild ist wieder einmal nicht besonders gelungen – welcher streitlustige Zentaur schleppt wann welche nackte Frau umher? Eine solche Szene gibt es nicht, tatsächlich dreht sie den Impetus der Geschichte sogar um!