The Guild of Xenolinguists

The Guild of Xenolinguists von Sheila FinchAls die Menschheit entdeckt, dass es Aliens gibt, ist eine der ersten Prioritäten, die Sprachbarriere zu überwinden. Dazu wird die Gilde der Xenolinguisten ins Leben gerufen – und im Laufe der Zeit gewinnt sie an Bedeutung für die Zivilisationen des Universums, denn es stellt sich heraus, dass der menschliche Stimmapparat besser als alle anderen dafür ausgestattet ist, die Lautäußerungen unterschiedlicher Spezies zu erlernen. Als ›Lingsters‹ sind die Gildenmitglieder begehrte und teure Experten, die nicht selten an vorderster Front eingesetzt werden und mit dem Verständnis der Sprache auch zwischen den Kulturen vermitteln sollen. Doch all das hat einen Preis …

-He was drowning in sound, so many years of alien tongues – nasal, guttural, sibilant. The cacophony of language washed over him till he slid beneath its surface. He pressed tired fingers to his skull.
»Tomas. More sojyk?«-
Babel Interface

Sprachwissenschaftler und Dolmetscher als Helden des Tages! Endlich ein Zukunftsentwurf, in dem Philologen und Übersetzer nicht kurzerhand durch einen Translator in der Hand oder einen Fisch im Ohr ersetzt werden!
Das, so lernen wir von der Autorin Sheila Finch, natürlich selbst eine Linguistin, ist ohnehin die unwahrscheinlichste aller Wendungen. Die Idee hinter den Xenolinguisten fußt auf der Sapir-Whorf-Hypothese, also verkürzt gesagt der Annahme, dass unterschiedliche Sprachen zu unterschiedlichen Denkstrukturen führen, dass die Sprache das Denken bestimmt. Für die Gilde, die es mit den absurdesten Aliens zu tun hat, bedeutet das, dass das Verständnis der Sprache nur möglich wird, wenn auch ein Verständnis für ein fremdes Sein in der Welt vorhanden ist, und diese Bewusstseinsveränderung erreichen die Lingster über Drogen.
Haben sie sich dann aber einmal auf die fremde Denke und Sprache eingelassen, greifen die strikten Gildenregeln, die diesem empathischen Ansatz geradezu entgegenstehen und die Integrität der Gilde wahren sollen: Nicht von Emotionen leiten lassen! Weder den Sender noch die Botschaft moralisch beurteilen! Der Linguist ist lediglich der Kanal, durch den die Botschaft fließt!

Solche Regeln funktionieren in der Theorie hervorragend – in der Praxis allerdings … werden die besten Geschichten aus den Fällen, in denen diese Vorgaben an ihre Grenzen stoßen.
Und genau dort setzen auch die elf Geschichten an, die in The Guild of Xenolinguists versammelt sind. Der größte Teil davon ist zwischen 1988 und 2007 bereits in anderer Form erschienen – die Lingsters begleiten Sheila Finch schon eine ganze Weile. Für diese Sammlung wurden die Geschichten aus dem stetig wachsenden Lingster-Universum chronologisch angeordnet, nicht nach ihrem Erscheinungsdatum, so dass sich vor allem aus den ersten Kurzgeschichten eine grobe Gilden-Chronologie ergibt, ähnlich wie z.B. bei Clifford D. Simaks City.

Die Geschichten sind häufig Varianten des Human-Alien-Encounter-Themas, die moralischen Implikationen sorgen aber dafür, dass diesem alten Hut nichts Unschuldiges mehr innewohnt, auch wenn viele bewährte Rezepte anklingen. Trotz der Abgeklärtheit der meisten Protagonisten schimmert hin und wieder Entdeckerfreude durch, allerdings wird ein Lingster nur selten aus reinem Forscherdrang gerufen: In Communion of Minds ist es etwa eine wohlbekannte Notsituation (Gemetzel auf einer Forschungsstation mit einem Überlebenden), deren grusliger Ansatz überraschend aufgelöst wird. In No Brighter Glory, einer der besten Geschichten der Sammlung, ein kleines Problem, das einem wissenschaftlichen Experiment im Wege steht. Wie etliche andere spielt sie auf einer Wasserwelt, wodurch ein weiteres wohlbekanntes SF-Element ins Spiel kommt: Delfine und Wale als Sprachvermittler und in diesem Fall auch Lehrer für die Linguisten.

Sheila Finch benutzt in The Guild of Xenolinguists verschiedene Erzählformen und Perspektiven – nicht immer ist es ein Lingster, der das Geschehen vermittelt, es gibt auch eine biographisch anmutende Erzählung und eine Mission auf einem fremden Planeten, die an Shakespeares Der Sturm angelehnt ist und einen bezaubernden Protagonisten bietet, der einen neuen Blick auf die Gilde ermöglichst. So stehen auch längst nicht in allen Geschichten linguistische Theorie und Praxis im Mittelpunkt, manchmal ist die Gilde nur der Rahmen, in dem die Handlung stattfinden kann. Doch mit ihren spezifischen Talenten, ihrer exponierten Rolle und der Tatsache, dass Sprache und Kommunikation bei Konflikten jeder Art eine zentrale Rolle spielen, finden sich die Lingsters häufig an Orten wieder, wo die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit besteht, etwas Großes zu vollbringen.
Nur selten sind es junge, enthusiastische Gildenmitglieder, die vor dieser Entscheidung stehen, sondern eher müde, enttäuschte, desillusionierte Veteranen, für die sich die Verheißungen, die sie einst mit ihrer Berufung und der Gilde verbanden, nicht erfüllt haben. Sie möchten aufhören, hadern mit den Gildenregeln, bezahlen für ihr Talent häufig mit Drogenabhängigkeit, weil die Gilde die Last, die ihr heilige Neutralität zu vertreten, dem Einzelnen aufbürdet. Und von so manch einem fordert ihre Arbeit am Ende wirklich alles.

Auch wenn man fast schon geneigt ist, den Translator dann doch für die humanere Variante zu halten, lassen der Variantenreichtum, mit dem Finch das Thema darstellt, und die vielen Aspekte der Gilde das Gefühl eines wimmelnden, merkwürdigen und grenzenlosen Universums zurück, in dem die Lingster die Chance haben, einen Blick auf Wunderbares zu erhaschen.
Angst haben, dass ein von einer Linguistin geschriebenes Buch mit Linguistenhelden zu verkopft oder gar von Fachtermini oder komplizierten Zusammenhängen überflutet wird, braucht man übrigens nicht: Sprachlich ist es eher einfach gehalten, und sprachwissenschaftliche Theorien stehen abgesehen vielleicht von der Eröffnungsgeschichte First Was the Word eher als Prämisse im Raum, als thematisiert zu werden.
Nicht nur für Spezialisten also, auch wenn es vermutlich ein gewisses Interesse an Geschichten abseits des Mainstreams braucht, um diese feine Sammlung ins Regal aufzunehmen.

Stand: 07. Dezember 2013
Erscheinungsjahr: USA 2007
Verlag: Golden Gryphon Press
ISBN: 1-930846-48-7
Seitenzahl: 281