The Fall of Arthur

The Fall of Arthur von J.R.R. TolkienChristopher Tolkien präsentiert und analysiert ein episches Gedichtfragment seines Vaters und ordnet es nicht nur in dessen Schaffen, sondern auch in die Tradition der Artusepik allgemein ein: Auf einem Feldzug fern der Heimat erfahren König Artus und sein loyaler Ritter Gawain, dass Mordred verräterisch die Macht an sich gerissen und es zudem auf Königin Guinever abgesehen hat. Beim Aufbruch zur Rückeroberung wird deutlich, dass ein wichtiger Gefolgsmann fehlt: Lancelot, der zur Strafe für sein Verhältnis mit der Königin vom Hofe verbannt worden ist und insgeheim auf die Gelegenheit hofft, sich noch einmal zu beweisen  …

Arthur eastward in arms purposed
his war to wage on the wild marches,
over seas sailing to Saxon lands,
from the Roman realm ruin defending.
(The Fall of Arthur, I, 1-4)

Ein episches Gedicht von Tolkien über einen Sagenstoff? Das Konzept kommt einem bekannt vor, und in der Tat handelt es sich bei The Fall of Arthur um ein ganz ähnliches Projekt wie bei The Legend of Sigurd and Gudrún: Wieder stellt Christopher Tolkien ein nach mittelalterlichem Vorbild geschaffenes Werk seines Vaters vor und liefert eine ausführliche Einordnung der Dichtung in Tolkiens Schaffen. Doch gerade im Vergleich zu der älteren Veröffentlichung erweist sich The Fall of Arthur als ein wenig unbefriedigend. Da Tolkiens Fassung der Artussage unvollendet blieb, erlauben Text und Kommentarteil vor allem einen Blick auf das, was hätte sein können, bilden aber kein so rundes und in sich abgeschlossenes Ganzes, wie man sich wünschen könnte.
Der Primärtext selbst wirkt, wenn man eher mit der kontinentaleuropäischen Artustradition vertraut ist, trotz aller unbestreitbaren Qualitäten weniger harmonisch als die altnordisch inspirierten Gedichte, da Form und Inhalt aus zwei verschiedenen Welten zu stammen scheinen. Die archaischen Stabreime bilden einen ungewohnten Rahmen für den Stoff, der letztlich erst im Hochmittelalter seine klassische Prägung erfahren hat, obwohl es, wie Christopher Tolkien in seinen Erläuterungen auszuführen weiß, für die auf den ersten Blick so sonderbare Kombination durchaus englische Vorbilder im 14. Jahrhundert gibt. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, inwieweit Tolkien sprachlich dennoch Anpassungen an die höfische Epoche vornimmt: So verwendet er hier etwa häufiger als sonst in seinen Werken gezielt Begriffe französischen Ursprungs (z.B. Almain für „Deutschland“ oder die Namensform Lancelot du Lake).
Anderes dagegen ist schon aus den Wälsungengedichten vertraut und durchaus tolkientypisch, so etwa der breite Raum, den poetische Landschafts-, Wetter- und Stimmungsbeschreibungen einnehmen, die eine dramatische Handlung untermalen. Auf diesem Gebiet erweist sich Tolkien wieder einmal als Magier der Sprache, dessen Meisterschaft bereits aus den im Analyseteil wiedergegebenen Prosanotizen spricht. Schon bloße Skizzen des Handlungsverlaufs enthalten dort lyrische Passagen wie Wind blew fair from the south and the sea lay green beneath the white cliffs oder The storm fell. The sun shone forth and his heart lifted. Dieser Formulierungskunst, die sich in einzelnen Versen zu einer noch größeren Sprachgewalt verdichtet, kann man sich schwer entziehen, und so lässt man sich gern in die Geschichte voll Krieg und Intrigen mitreißen, die aber leider unmittelbar nach der mit einer ersten Schlacht erkämpften Landung des Königs in Britannien abbricht. Die Figuren sind so zwar alle in Stellung gebracht – Mordred als erfolgreicher Usurpator, aber zugleich als verhinderter Liebhaber der geflohenen Königin, Artus und Gawain auf Rückeroberungszug, Lancelot fern vom Geschehen in der unhaltbaren Position, sowohl seine Geliebte als auch seinen Herrn und seine Ritterehre eingebüßt zu haben –, doch was sich aus dieser packenden Ausgangssituation hätte ergeben können, muss man aus Tolkiens Notizen oder eigener Kenntnis der zugrundeliegenden Sage ergänzen.
Auch das, was Christopher Tolkien interpretatorisch daraus macht, fällt diesmal notwendigerweise etwas mager aus. Die Betrachtungen zu den Quellen von Inhalt und Stil sind zwar kenntnisreich und umfassend, aber wahrscheinlich eher für Experten spannend als für eine breite Leserschaft. Dies gilt auch für den vom älteren Tolkien stammenden Text über altenglische Stabreimdichtung allgemein, der wieder einmal von seiner feinfühligen Auseinandersetzung mit Sprache zeugt: Von seinen Überlegungen dazu, dass bildliche Wendungen immer auch an eine bestimmte Lebenswelt geknüpft sind und in gewandelten Verhältnissen nur noch eine abgeschwächte Wirkung entfalten, könnte manch ein Autor profitieren.
Dagegen ist die minutiöse Analyse der Genese des Gedichts selbst für ein Fachpublikum nicht allzu ergiebig, besonders, da dem eigentlich faszinierendsten Ansatzpunkt – Tolkiens Abweichen von seinen Vorbildern hin zu einer eigenen Interpretation der Sage – weit weniger Raum gewidmet wird als der Auflistung aller möglichen frühen Versionen. Der für Fantasyfans eigentlich nicht unwichtige Vergleich zum Silmarillion schließlich krankt daran, dass Christopher Tolkien die hauptsächlichen Parallelen in den Teilen des Gedichts erblickt, die nie über ein Entwurfsstadium hinausgelangt sind (vor allem in Tolkiens Plan, Lancelot dem entrückten Artus in einen fernen Westen nachsegeln zu lassen), statt mehr Material aus den tatsächlich vollendeten Strophen heranzuziehen. Dabei hätten sich durchaus Verbindungen zum Silmarillion und zum Herrn der Ringe aufzeigen lassen, vor allem, was den fast exzessiven Gebrauch einer (hier stark christlich konnotierten) Lichtmetaphorik betrifft.
Aber vielleicht tut man ohnehin am besten daran, The Fall of Arthur nicht so sehr als Teil von Tolkiens Gesamtwerk wie als originelle und durchaus etwas gegen den Strich gebürstete Gestaltung des Artusstoffs zu lesen, die sogar den ein oder anderen historischen Insiderwitz enthält (so dürfte es z.B. kein Zufall sein, dass ein überzeugt heidnischer Friese, der Mordred eine Botschaft überbringt, ausgerechnet Radbod heißt). Gerade die Figurenzeichnung weicht teilweise von der mittelalterlichen Tradition ab, etwa wenn Gawain (den man gemeinhin als eher weltlich geprägten Ritter vor Augen hat) hier durchaus auch spirituell aufgeladen zur wahren Lichtgestalt gerät: Gold was Gawain, gold as sunlight. Auffällig ist aber vor allem Tolkiens Blick auf Königin Guinever, die er weder als vorbildliche höfische Dame, noch als tragische Liebende, noch als reuige Büßerin zeichnet. Guinever erscheint vielmehr als Frau voll andersweltlicher Schönheit und kalter Berechnung, die alles andere als passiv agiert und aus dem Ringen der verschiedensten Männer um sie und die Herrschaft das Beste zu machen gedenkt. Von ihr hätte man gern mehr gelesen, ebenso von dem gebrochenen Lancelot, der sich durch seine Liebe zu der ihrer im Grunde unwürdigen Königin ins soziale Abseits manövriert hat.
So hat man am Ende viel Verständnis dafür, dass Christopher Tolkien die Tatsache, dass sein Vater The Fall of Arthur nie vollendete, als one of the most grievous of his many abandonments charakterisiert. Was bleibt ist die leicht wehmütige Freude an einem hübschen Fragment.

Stand: 15. Juni 2013
Erscheinungsjahr: 2013
Verlag: HarperCollins
ISBN: 978-0-00-748994-7
Seitenzahl: 233