Zum 35. Geburtstag von J.M. McDermott und zum 70. Geburtstag von Jack L. Chalker

Bibliotheka Phantastika gratuliert J.M. McDermott, der heute seinen 35. Geburtstag feiert. Als relativ junger und eher in der literarischen Ecke des Genres beheimateter Autor ist der am 17. Dezember 1979 geborene J.M. McDermott für die meisten deutschen Leser und Leserinnen wahrscheinlich keine bekannte Größe, zumal sein Werk nicht in Großverlagen erscheint und bisher auch nicht übersetzt wurde.
Schon sei Debütroman Last Dragon (2008) lässt erahnen, woran das vielleicht liegen könnte: Die als Rückblick erzählte Geschichte von Zhan, die einst auszog, um ihren Großvater aufzuspüren, der offensichtlich nach einem von ihm angerichteten Gemetzel an der Familie geflohen ist, besteht aus vielen ineinandergreifenden Fragmenten, in denen Zeiten, Personen und Geschehnisse verschwimmen.
Never Knew Another von J.M. McDermottVieles, was man über Last Dragon sagen könnte – etwa über die eindringlichen Einblicke ins Innenleben der Figuren, die düstere, hauptsächlich durch die unteren gesellschaftlichen Gruppen betrachtete Welt und den poetischen Stil, in dem das Ganze verfasst ist –, trifft auch auf McDermotts darauf folgende Dogsland Trilogy zu. Mit den Bänden Never Knew Another (2011), When We Were Executioners (2012) und We Leave Together (2014) – die Pause ist wohl den Problemen des Verlags Night Shade Books geschuldet – verfolgt sie das Schicksal zweier namensloser Dämonenjäger, ein Paar mit der Fähigkeit, die Gestalt von Wölfen anzunehmen und die Erinnerungen anderer nachzuerleben. Sie sehen es als ihre heilige Pflicht, die Welt von der Bedrohung durch mit Dämonenblut verseuchte Menschen zu befreien. Man erfährt gleichzeitig die Geschichte ihrer Jagd und die aufgenommenen Erinnerungen eines der Dämonen (der mit Beginn der Handlung bereits tot ist), und muss sich dabei unangenehmen Fragen stellen, etwa der, ob das angenommene absolute Böse des Dämons nicht doch ein Produkt der gnadenlosen (und argwöhnischen) städtischen Gesellschaft sein könnte, die ihm nichts anderes lässt als eine schiefe Laufbahn. Auch hier liegt ein sperriger, fragmentarischer Text vor, den man sich regelrecht erarbeiten muss, um die rückwärts aufgerollte, in Rahmen- und Binnengeschichte gegliederte Handlung nachzuvollziehen, die vor allem durch ihre Knappheit besticht und nur das Allernötigste vermittelt – und erstaunlicherweise trotzdem auf merkwürdige Weise zu faszinieren, anrühren und erschrecken weiß.
McDermotts nächster Roman Maze (2013), eine Geschichte über Leute, die in einem unerklärlichen Labyrinth verloren sind und deren Zeiten und Wege sich vielfach kreuzen, zehrt ebenfalls wieder von der ausgeprägten Vorliebe des Autors für verschachtelte Strukturen und nonlineare Abläufe, und es steht zu erwarten, dass das auch auf das just erschienene Straggletaggle (2014) zutrifft, in dem McDermott Steampunk-Sachsen und Bayern in den Krieg schickt.
J.M. McDermott bewegt sich mit seinen Romanen, in denen Magie und phantastische Elemente oft in erster Linie die Erzählparameter festlegen, aber in den Geschichten selbst nur zurückhaltend vorkommen, eher am Rande des Genres und ist sicher kein Autor für Abschalt-Unterhaltung, aber seine ungewöhnlichen Ansätze und die neuen Blickwinkel, die er aus klassischen Setups (wie der Dämonenjagd) herausholt, sind keine unspannende Lektüre.

Außerdem möchten wir die Gelegenheit nutzen, an Jack L. Chalker zu erinnern, der heute 70 Jahre alt geworden wäre. Im Gegensatz zu seinem gerade einmal halb so alten Kollegen hat sich der am 17. Dezember 1944 in Norfolk, Virginia (oder in Baltimore, Maryland, so ganz einig sind sich die diversen Quellen da nicht), geborene Jack Laurence Chalker immer mitten im Genre bewegt, und zwar da, wo es vor allem bunt und abenteuerlich ist. Das gilt für seine ganze Karriere, sei es als Fanzinemacher, als Verleger und Autor eines Kleinverlags, der sich auf Bibliographien phantastischer Literatur und Studien zu Pulp-Größen wie H.P. Lovecraft oder C.A. Smith spezialisiert hatte, und last but not least als professioneller Schriftsteller.
Chalkers letztgenannte Karriere begann mit der Space Opera A Jungle of Stars (1976; dt. Armee der Unsterblichen (1978)), in der Menschen und andere Lebewesen sozusagen als Stellvertreter den Konflikt zweier Aliens (die sich als ehemalige Götter entpuppen) auf einer als Arena dienenden Welt auszutragen haben.
Midnight at the Well of Souls von Jack L. ChalkerSein nächster Roman Midnight at the Well of Souls (1977) wurde zum Überraschungserfolg, was mehrere Konsequenzen hatte: zunächst einmal wurde aus ihm im Nachhinein der Auftakt zur Saga of the Well of Souls, einer mit den Bänden Exiles at the Well of Souls, Quest for the Well of Souls (beide 1978), The Return of Nathan Brazil und Twilight at the Well of Souls (beide 1980) in kurzen Abständen fortgesetzten Serie, die Chalkers größter Erfolg bleiben sollte, und die er folgerichtig Jahre später zunächst mit der Trilogie The Watchers at the Well (Einzeltitel: Echoes of the Well of Souls (1993), Shadow of the Well of Souls und Gods of the Well of Souls (beide 1994)) und schließlich mit den beiden Bänden The Sea is Full of Stars (1999) und Ghost of the Well of Souls (2000) weiterführte. Da zudem auch seine zweite Serie – der von 1981 bis ’83 erschienene SF-Vierteiler The Four Lords of the Diamond – ebenfalls recht erfolgreich war, verlegte sich Chalker in den 80er und 90er Jahren hauptsächlich auf das Verfassen von mehrbändigen Werken (die er nach eigener Aussage auch leichter an die Verlage verkaufen konnte), so dass der Großteil seiner fast 60 Romane aus serienabhängigen Titeln besteht.
Während einige dieser Serien eindeutig der SF zuzurechnen sind, bewegen sich andere in einer Grauzone zwischen SF und Fantasy bzw. lesen sich wie Fantasy vor einem SF-Hintergrund, der mal deutlicher ausgeprägt ist – wie in der Saga of the Well of Souls oder The Rings of the Master (vier Bände, 1986-88) –, mal weniger deutlich oder fast gar nicht zum Tragen kommt, wie in Flux & Anchor (auch als Soul Rider, fünf Bände, 1984-86), The Dancing Gods (fünf Bände, 1984-95) oder Changewinds (drei Bände, 1987-88). Auffällig ist dabei, dass in so ziemlich allen diesen Serien (und auch fast allen anderen) immer wieder zwar leicht abgewandelte, aber sich doch sehr ähnliche Plotelemente und thematische Aspekte auftauchen, die sich bereits in Chalkers Erstling andeuteten und in Midnight at the Well of Souls erkennbarer wurden.
In besagtem Roman bzw. dem ganzen Zyklus, dessen erste fünf Bände als Sechseck-Welt-Zyklus auch auf Deutsch erschienen sind (Einzeltitel: Die Sechseck-Welt, Exil Sechseck-Welt, Entscheidung in der Sechseck-Welt (alle 1980), Rückkehr auf die Secheck-Welt und Dämmerung auf der Sechseck-Welt (beide 1981)), finden sich Menschen und andere Wesen plötzlich auf einer Welt wieder, deren Oberfläche aus unzähligen, scharf voneinander abgegrenzten Sechsecken besteht, in denen völlig unterschiedliche Bedingungen herrschen (physikalisch, technologisch und zivilisatorisch) und die unterschiedlichesten Lebensformen leben. Wobei alle Neuankömmlinge nackt und in einem fremden Körper auf der Sechseck-Welt landen und es keineswegs sicher ist, dass sie diesen Körper längere Zeit behalten. Die Sechseck-Welt ist nämlich eigentlich ein vom ausgestorbenen Volk der Markovier gebauter Supercomputer, dessen unterschiedliche Oberflächensegmente als eine Art Labor für ihre Forschungen gedient haben. Doch dann ist irgendetwas schiefgegangen …
Gewöhnliche Sterbliche, die ihrer normalen Umgebung entrissen werden und fast immer splitternackt (aber nicht immer im eigenen Körper) in einer exotischen und manchmal völlig unverständlichen Umwelt auftauchen, die körperlich oder geistig versklavt werden und zum Teil mehrfach groteske Metamorphosen durchlaufen, bis sie schließlich erkennen, dass sie nur Spielfiguren in einem Spiel sind, das unfassbar alte oder mächtige Wesen zum Zeitvertreib spielen oder gespielt haben, und die am Schluss häufig mit dem belohnt werden, was sie sich am meisten wünschen – das ist in etwa das Muster, nach dem Chalkers Science-Fantasy-Zyklen (mit gelegentlichen leichten Abweichungen) aufgebaut sind. Seine bunten, anschaulich beschriebenen exotischen Szenarien und seine immerhin äußerlich wirklich fremdartigen Aliens (die allerdings wie Menschen denken und handeln) machen seine frühen Zyklen zu typischen Beispielen für die Abenteuer-SF und -Fantasy der 80er Jahre (die man lesen kann, wenn man über die mal mehr, mal weniger deutlichen sexistischen Tendenzen hinwegsehen kann), während seine späteren (und auch die nachgeschobenen Bände der Saga of the Well) die ehemalige Erfolgsformel nur noch schematisch wiederholen.
And the Devil Will Drag You Under von Jack L. ChalkerNeben all seinen Serien – von denen es beispielsweise der der Fantasy zuneigende Fünfteiler Flux & Anchor als Flux und Anker (fünf Bände, 1989-91) ebenfalls nach Deutschland geschafft hat – hat Chalker auch ein knappes Dutzend Einzelromane geschrieben; einer davon ist And the Devil Will Drag You Under (1979; dt. Fünf Zaubersteine zu binden fünf verschied’ne Welten (1981)), ein humoristischer Fantasyroman, in dem der Unterteufel Asmodeus Mogart eigentlich die Welt retten sollte – doch dafür müsste er aufhören, sich ständig zu besaufen. Da das für ihn nicht in Frage kommt, schickt er Menschen auf die Jagd nach den titelgebenden Zaubersteinen, die sich natürlich auf alternativen Welten befinden, auf denen es teilweise seltsam zugeht …
Neben diesem für Freunde humoristischer Fantasy durchaus lesbaren schrulligen Garn sei noch auf Dancers in the Afterglow (1978; dt. Der Touristenplanet (1982)) verwiesen, einen Einzelroman, den Chalker schon früh in seiner Karriere geschrieben hat, und der zeigt, dass er mehr gekonnt hätte als einen oberflächlich schillernden, aber ziemlich belanglosen Zyklus nach dem anderen zu verfassen.
Jack L. Chalker war immer ein – wenn auch zeitweise sehr erfolgreicher – Midlist-Autor, an dem allerdings die Entwicklung des bzw. der Genres ein bisschen vorbeigegangen ist. Die veränderten Marktbedingungen und gesundheitliche Probleme haben seinen zuvor zeitweise enormen Ausstoß in seinen letzten Lebensjahren verringert, und am 11. Februar 2005 ist er an den Folgen einer anderthalb Jahre zuvor diagnostizierten Herzinsuffizienz gestorben.

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