Zum 70. Geburtstag von Phyllis Ann Karr

Bibliotheka Phantastika gratuliert Phyllis Ann Karr, die heute ihren 70. Geburtstag feiern kann. Die schriftstellerische Karriere der am 25. Juli 1944 in Oakland, Kalifornien, als Phyllis Ann Karmilowicz geborenen Autorin, die ihren Nachnamen irgendwann (vermutlich, als sie zu schreiben begann bzw. als die ersten Veröffentlichungen anstanden) zum griffigeren Karr verkürzte, nahm 1974 auf den Seiten von Ellery Queen’s Mystery Magazine (logischerweise mit Krimikurzgeschichten) ihren Anfang. Doch schon im gleichen Jahr erschien mit “Toyman’s Trade” im von ihr gemeinsam mit Jessica Amanda Salmonson herausgegebenen Literary Magazine of Fantasy & Terror ihre erste Fantasystory um den vom Magier zum Spielzeugmacher gewordenen Torin, der später in einigen weiteren Stories und einem Roman die Hauptrolle spielen sollte. Doch bis dahin sollte noch ein bisschen Zeit vergehen, in der kaum etwas von Phyllis Ann Karr veröffentlicht wurde.
Frostflower and Thorn von Phyllis Ann Karr1980 kamen dann gleich mehrere Romane von ihr auf den Markt: zwei Liebesromane (auf die 1981/82 noch drei weitere folgten) und Frostflower and Thorn, ein Heroic-Fantasy-Roman mit zwei weiblichen Hauptfiguren. Es ist natürlich reine Spekulation, aber der Gedanke, dass die im Jahr zuvor von ihrer Freundin Jessica Amanda Salmonson herausgegebene Anthologie Amazons! (dt. Amazonen! (1981)) – in der nebenbei bemerkt keine Karr-Story enthalten ist – sie wie einige ihrer Kolleginnen dazu inspiriert hat, einen Roman mit starken Frauenfiguren zu schreiben, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber egal, was letztlich der Impetus war, der zu Frostflower and Thorn geführt hat – das Ergebnis ist interessant. Und zwar nicht nur, weil mit der jungfräulichen Vegetarierin und Zauberin Frostflower, die so gerne ein Kind will, und der vulgären hedonistischen Kriegerin Thorn, die ungewollt schwanger geworden ist, zwei Figuren aufgrund gewisser Umstände miteinander auskommen müssen, die nicht nur auf den ersten Blick wenig gemein haben. Sondern auch, weil Phyllis Ann Karr in diesem Roman eine in sich stimmige Welt entwirft, die vage mittelalterliche Züge trägt und deren Strukturen sich im Denken und Handeln ihrer Figuren niederschlagen. Es ist eine Welt, in der nur Frauen Krieger werden können, und in der trotzdem alle Macht in den Händen der Männer liegt; eine Welt, in der magische Fähigkeiten an Jungfräulichkeit gebunden sind und die an einen Gott glaubenden Sorceri (wie Frostflower eine ist) von den herrschenden “farmer-priests” – die ein ganzes Pantheon aus Fruchtbarkeitsgöttern verehren und folgerichtig polygam leben – im besten Fall misstrauisch beäugt, im schlimmsten verfolgt werden. Kurz gesagt: das Ganze ist eine (zumindest für die damalige Zeit) relativ typische patriarchalische Fantasywelt, die fast ausschließlich aus der Sicht von Frauen geschildert wird. Vor allem aus der zweier Frauen, die trotz all ihrer Gegensätzlichkeiten allmählich eine tiefe Freundschaft entwickeln.
Frostflower and Thorn ist zweifellos Heroic Fantasy bzw. Sword & Sorcery (die Grenzen sind da ja fließend), allerdings wird in diesem Roman deutlich mehr gedacht und diskutiert als in den häufig von erst handelnden, dann – wenn überhaupt – denkenden Testosteronbolzen beherrschten Romanen von so manchem von Karrs Kollegen, was natürlich ein bisschen zu Lasten der Action geht.
Auch in Frostflower and Windbourne (1982) stehen trotz des Titels, der etwas anderes zu suggerieren scheint, Frostflower und Thorn (und ihre Entwicklung) im Mittelpunkt der Handlung, in der natürlich auch der Magier Windbourne eine Rolle spielt. Interessanterweise ist hier ein Krimiplot in die ansonsten immer noch den Gesetzmäßigkeiten der S&S folgende Handlung eingewoben – etwas, das Phyllis Ann Karr noch öfter gemacht hat. Gleichzeitig war dieser Roman auch der letzte Auftritt der beiden Heldinnen in Buchlänge. Es gibt allerdings noch (mindestens) vier Geschichten um Frostflower und Thorn; drei davon sind 1984 und 1985 bzw. 2000 in den ersten beiden Bänden und in Band XX der von Marion Zimmer Bradley herausgegebenen Anthologiereihe Sword and Sorceress erschienen, eine weitere in der Sommerausgabe 1990 des Magazins Marion Zimmer Bradley’s Fantasy.
1982 war für Phyllis Ann Karr ein sehr produktives Jahr, denn mit Idylls of the Queen und Wildraith’s Last Battle kam zwei weitere Romane von ihr auf den Markt. In Idylls greift sie auf eine Episode zurück, die Sir Thomas Malory in seinem Le Morte d’Arthur schildert, und macht daraus einen Krimi – den vermutlich einzigen, dessen Schauplatz der Hof König Artus’ ist: Bei einem Essen, das Königin Guenevere zu Ehren von Artus’ Rittern gibt, fällt Sir Patrise einem Giftanschlag zum Opfer. Seine Verwandten klagen die Königin an, deren Schuld oder Unschuld durch ein Duell ermittelt werden soll. Der Ausgang dieses Duells ist aus mehreren Gründen alles andere als gewiss – und wenn Gueneveres Kämpfer verliert, wird sie auf dem Scheiterhaufen enden. Daher begibt sich Sir Kay, der weiß, dass seine Königin unschuldig ist, unterstützt von Gawaine, Gareth und Mordred auf die Suche nach dem wahren Mörder. Der von der Kritik hochgelobte Roman gilt als hervorragendes Beispiel dafür, dass man einen Krimi in einer Welt spielen lassen kann, in der Magie existiert, und den Fall dennoch lösen kann, ohne auf Magie zurückzugreifen.
Wildraith's Last Battle von Phyllis Ann KarrDer Unterschied zwischen der mittelalterlichen, von höfischen Intrigen durchzogenen Welt von Idylls zu der von Wildraith’s Last Battle könnte kaum größer sein. Denn die Welt, in der Wildraith ihren letzten Kampf ausfechten muss, ist weitaus archaischer, entspricht etwa der Eisenzeit. Den Hintergrund der Handlung bildet ein Krieg zwischen drei Völkern, doch in erster Linie geht es um Ylsa, eine junge Frau, die alles verliert, was ihr lieb und teuer ist, und die Wildrava, die Göttin des Waldes und aller Geschöpfe, die in ihm leben, für ihren Verlust verantwortlich macht und sie verflucht. Der Fluch erweist sich als wirkungsvoll – und aus der Göttin wird eine (mehr oder weniger) menschliche weibliche Inkarnation ihrer selbst namens Wildraith. Verständlicherweise macht sich Wildraith auf die Suche nach Ylsa – denn nur der Mensch, der sie verflucht hat, kann sie von dem Fluch befreien – und gerät dabei immer tiefer in die Kriegswirren, bis ihr schließlich eine Schlüsselrolle in dem Konflikt zufällt. Wildraiths Suche führt sie und die Leser tief in eine Welt, die bis ins letzte Detail glaubwürdig gestaltet ist, die düster und grausam ist, und die sich von den meisten Fantasywelten unterscheidet. Etwa durch die wandernden Geschichtenerzähler, die vor allem in Kriegszeiten die einzige Quelle für Neuigkeiten sind – aber wie zuverlässig ist diese Quelle, wenn die Erzähler fast alle für eine der Kriegsparteien spionieren und außerdem natürlich ihre Geschichten den Erfordernissen anzupassen wissen? Phyllis Ann Karr hat eine Menge Handlung in diesen Roman gepackt, sie hat mit Ylsa und Wildraith zwei Hauptfiguren, die einen vollkommen unterschiedlichen Blickwinkel auf die Geschehnisse haben – hier die einfache Frau, die nur zu überleben versucht, da die (gefallene) Göttin, deren Wissen und Gedanken weit über das hinausgehen, was sich die Menschen in ihrem Umfeld vorstellen können. Erzählt wird das alles in einem etwas distanzierten, teilweise beinahe legendenhaften Sprachduktus, auf den man sich einlassen muss – aber wenn man es tut, wird man mehr als reich belohnt.
Mit The King Arthur Companion (1983) – erweitert als The Arthurian Companion (1997; rev. u. korr. als The Arthurian Companion: Second Edition (2001)) – bewies Phyllis Ann Karr, was man angesichts der Idylls of the Queen bereits vermuten konnte: dass sie eine exzellente Kennerin des Artus-Mythos ist. Nach diesem Ausflug ins Sachbuch durfte dann Torin the Toymaker – der zwischenzeitlich noch ein paar kurze Auftritte in Anthologien hatte – in At Amberleaf Fair (1986) ein romanlanges Abenteuer erleben, in dem es wieder einmal auch um einen Kriminalfall in Fantasyland geht. Darüberhinaus besticht auch dieser Roman durch ein glaubhaftes Worldbuilding (das sich hier z.B. in der Integration der Magie in den Alltag der geschilderten Welt zeigt).
Danach ist Phyllis Ann Karr zumindest als Autorin von Romanen viele Jahre verstummt, erst 2001 kam mit The Follies of Sir Harald (2001) ein weiterer – diesmal wohl humoristischer – Roman aus dem Artus-Umfeld heraus, während The Gallows in the Greenwood (2005) dem Vernehmen nach einen etwas anderen Blick auf Robin Hood vermitteln soll. Die Neuauflage ihrer Fantasyromane aus den 80ern scheint sie allerdings noch einmal beflügelt zu haben, denn mit dem historischen Roman Inqusitor Dreams (2013) und The Bloody Herring: A Gilbert & Sullivan Space Fantasy (2014) sind recht aktuell zwei neue Romane von ihr erschienen.
Deutschsprachige Leser und Leserinnen, die an den Werken von Phyllis Ann Karr interessiert sind, erreichen ziemlich schnell das Ende der Fahnenstange. Die beiden Geschichten um Frostflower und Thorn aus den 80ern sind in Schwertschwester und Wolfsschwester, den Übersetzungen der ersten beiden Sword-&-Sorceress-Bände erschienen, dazu kommen noch vier weitere Geschichten in verschiedenen Anthologien – und das war’s.

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