Zum 105. Geburtstag von Edgar Pangborn

Bibliotheka Phantastika erinnert an Edgar Pangborn, dessen Geburtstag sich heute zum 105. mal jährt. Wer sich für Fantasy interessiert und diesen Namen noch nie gehört hat, braucht sich nicht zu wundern, denn ganz egal, wie man es betrachtet – Fantasy im engeren Sinn hat der am 25. Februar 1909 in New York City geborene Edgar Pangborn nie geschrieben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sein zweiter unter seinem richtigen Namen erschienener Roman A Mirror for Observers 1955 mit dem International Fantasy Award ausgezeichnet wurde (denn den gab’s für das beste SF- oder Fantasybuch). Warum wir Edgar Pangborn an dieser Stelle dennoch erwähnen, hat mit seinen Tales of a Darkening World zu tun, einer Reihe locker miteinander verbundener Romane und Geschichten über eine Welt, die ein als “Twenty Minutes War” bezeichneter Atomkrieg drastisch verändert hat.
Bevor Pangborn mit der Story “Angel’s Egg” 1951 in der Juniausgabe von Galaxy das erste Mal als SF-Autor von sich reden machte – und gleich einen nachhaltigen Eindruck hinterließ – hatte er bereits mehr als zwanzig Jahre lang unter Pseudonym Krimigeschichten für die Pulps geschrieben (und davor hatte er zwei Mal ein Musikstudium – das erste Mal mit fünfzehn – angefangen und nach relativ kurzer Zeit wieder abgebrochen). In der SF machte er sich rasch einen Namen, und nachdem bereits sein erster Roman West of the Sun (1953; dt. Westlich der Sonne (1989)) wohlwollend aufgenommen worden war, erhielt er für A Mirror for Observers (1954; dt. Der Beobachter (1978), auch: Der Spiegel des Beobachters (1986)) den o.e. Preis. Danach verfasste er einen historischen Roman und einen Krimi (seinen zweiten – der erste war bereits 1930 unter dem Pseudonym Bruce Harrison erschienen), ehe er sich in den 60er Jahren wieder verstärkt der SF zuwandte und jene Romane und Erzählungen veröffentlichte, die die Tales of a Darkening World bilden.
Davy von Edgar PangbornDen Auftakt machte Davy (1964; dt. Davy (1978)), ein Roman, den man ein bisschen flapsig als “Huckleberry Finns Abenteuer in Post-Doomsday-Land” bezeichnen könnte. Davy wird rund 300 Jahre nach einem verheerenden Atomkrieg, der den größten Teil der menschlichen Bevölkerung ausgelöscht hat, als Sohn einer Prostituierten in eine in unzählige feudalistische Kleinstaaten zerfallene Welt geboren, die sich technisch und zivilisatorisch auf einem pseudo-mittelalterlichen Niveau befindet. Es gibt zwar noch Überbleibsel aus der Alten Zeit, aber die Menschen können mit ihnen nichts anfangen – und sie sollten sich besser auch gar nicht allzu sehr mit ihnen beschäftigen, wenn sie nicht als Ketzer auf den Scheiterhaufen der mächtigen Kirche enden wollen. In diesem Umfeld erlebt Davy, der in einem Waisenhaus der Kirche aufwächst und als Schuldknecht an einen Gastwirt verkauft wird, seine Abenteuer, die an dem Tag beginnen, als er aus dem Gasthaus flieht, und von denen er uns in der Rückschau als erwachsener, mittlerweile verheirateter Mann erzählt. Das allerdings sehr eigenwillig, denn Davy neigt zu Abschweifungen und Zeitsprüngen – und zu Andeutungen, die nie mit Inhalten gefüllt werden. Dessen ungeachtet entsteht aus diesem Flickwerk aus mal mehr, mal weniger ausgemalten Geschehnissen, Orten und Begegnungen mit Männern und Frauen das Bild einer in vielerlei Hinsicht faszinierenden Welt, die allen widrigen Umständen zum Trotz nicht mit den typischen düsteren Post-Doomsday-Szenarien zu vergleichen ist und auf der tatsächlich so etwas wie Heiterkeit und Lebensfreude Platz haben – zumindest durch die Augen Davys betrachtet, der die Geschichte gelegentlich mit einem ironischen Seitenhieb auf sein abergläubisches und noch nicht zu selbstständigem Denken fähiges jüngeres Ich garniert.
Verglichen mit diesem pikaresken Entwicklungsroman fällt The Judgment of Eve (1966; dt. Die Prüfung (1979)) spürbar ab, was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass der Roman kurz nach der großen Katastrophe und somit zu einem Zeitpunkt spielt, da die alten Strukturen verschwunden sind, sich aber noch keine neuen gebildet haben. Eve ist die Tochter der blinden Alma Newman, die mit ihrer Mutter auf einer heruntergekommenen Farm lebt und sich eines Tages drei Männern gegenübersieht, die sich in sie verliebt haben und sie zur Frau nehmen wollen. Eve schickt die drei mit der Aufgabe in die Welt hinaus, ihr Antworten auf ihre Fragen zu bringen, die sich um Mut, Ehrlichkeit, Reife und Liebe drehen. Die Suche der drei Männer nach den richtigen Antworten ist fraglos interessant, aber dem Buch – das mehr Allegorie als Roman ist – geht die Leichtigkeit vollkommen ab, die selbst in den düsteren Szenen von Davy durchschimmert. Was andererseits nicht weiter verwunderlich ist, denn in einer Welt, in der nur das Recht des Stärkeren zählt, führen die o.g. Fragen ebenso wie die Geschehnisse der Vergangenheit fast zwangsläufig zu Fragen, in denen es um Verantwortung und Schuld geht, und darauf gibt es keine leichten oder leichthin gesagten Antworten.
In The Company of Glory (1975; dt. Ein glorreicher Haufen (1985)) liegt die Katastrophe 47 Jahre zurück, und allmählich etabliert sich eine an mittelalterliche Strukturen erinnernde Gesellschaft. In den Dörfern und Städten dieser Welt ist Demetrios der Geschichtenerzähler ein gern gesehener Gast, denn er, der knapp über 60 ist, kann auf packende Weise von der Alten Zeit erzählen – und davon, was es damals alles gegeben hat: wunderbare Dinge wie Telefone, Autos, Fernseher und Düsenflugzeuge, unter denen sich keiner der Nachgeborenen noch etwas vorstellen kann. Doch nicht alle Menschen wollen die Erinnerung an die Alte Zeit wachhalten, und Demetrios spürt, dass er keine Kraft mehr für große Auseinandersetzungen hat … Der Roman schildert die Anfänge der Entwicklung, die zu der Welt führt, wie man sie aus Davy kennt, und zeichnet über weite Strecken ein überzeugendes Bild davon, wie die Menschen möglicherweise wieder Tritt fassen und sich neu organisieren können. Doch zum Ende hin scheinen Pangborn ebenso wie den etwa gleichaltrigen Demetrios ein bisschen die Kräfte verlassen zu haben.
Abgerundet werden die Tales of a Darkening World durch ein knappes Dutzend Geschichten, von denen sieben in Still I Persist in Wondering (1978; dt. Tiger Boy (1986)) gesammelt sind; sie verteilen sich über einen Zeitraum, der vom Jahr Eins nach der großen Katastrophe bis ins 8. Jahrhundert reicht, in dem die Menschheit annähernd wieder auf dem Niveau unseres 20. Jahrhunderts angekommen ist – allerdings mit einigen signifikanten Unterschieden, denn Pangborn hat hier seinen Vorstellungen von einer idealen menschlichen Gesellschaft ziemlich freien Lauf gelassen.
A Mirror for Observers von Edgar PangbornEdgar Pangborns Werk ist nicht sonderlich groß, und seine Tales of a Darkening World haben Höhen und Tiefen, doch vor allem Davy und etliche der Kurzgeschichten sind mehr als lesenswert (ebenso wie der Roman A Mirror for Observers), weil sich Pangborn in ihnen immer wieder als einer der großen Humanisten des Genres erweist, von dem u.a. Ursula K. Le Guin und Peter S. Beagle (der auch sein Nachlassverwalter ist) beeinflusst wurden. Und eigentlich trifft der bekannte SF-Herausgeber und -Kritiker Damon Knight recht gut, um was es bei Pangborn letztlich immer wieder geht: “… very like the thing that Stapledon was always talking about and never quite managing to convey: the regretful, ironic, sorrowful, deeply joyous – and purblind – love of the world and all in it.”

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