Zum 65. Geburtstag von Lynn Abbey

Bibliotheka Phantastika gratuliert Lynn Abbey, die heute 65 Jahre alt wird. Ihre ersten schriftstellerischen Gehversuche machte die am 18. September 1948 in Peekskill im us-amerikanischen Bundesstaat New York geborene Lynn (eigentlich Marilyn Lorraine) Abbey 1979 mit der Kurzgeschichte “The Face of Chaos” in der ersten Thieves’-World-Anthologie (die den gleichen Titel wie die ganze Reihe hatte), und sie ist diesem Shared-World-Projekt auch in den Folgejahren treugeblieben, hat für die Bände II-IV jeweils eine Geschichte beigesteuert und die Reihe ab 1983 schließlich mit herausgegeben. In der Folgezeit hat sie sich ein paar Jahre lang fast ausschließlich mit Thieves’ World und anderen Franchise-Produkten befasst; kurz zuvor hatte sie allerdings noch drei Romane geschrieben, die bis heute zu ihren besten zu zählen sind.
Daughter of the Bright Moon von Lynn AbbeyZwei davon – Daughter of the Bright Moon (1979) und The Black Flame (1980) – sind vor allem wegen ihrer Hauptfigur interessant, denn mit Rifkind hat Lynn Abbey hier eine Heldin geschaffen, wie man sie im Genre weder vorher noch nachher oft gesehen hat. In Daughter of the Bright Moon lernen wir Rifkind kennen, die ihre Heimat, die Wüste von Asheera, verlassen muss, nachdem ihr Stamm getötet wurde. Immerhin besitzt sie hervorragende Voraussetzungen, eine Reise ins ferne Dro Daria zu überleben, denn als Tochter des Stammesoberhaupts hat sie von Kindheit an gelernt, mit Waffen umzugehen; darüber hinaus ist sie eine empathische Heilerin und als Auserwählte der Mondgöttin des Titels auch eine mächtige Magierin. Und dann ist da noch Turin, ihr gehörntes Schlachtross, mit dem sie sich telepathisch verständigen kann. Doch trotz all dieser Vorzüge ist Rifkind alles andere als eine Mary Sue, das verhindern ihr rauer und keineswegs herzlicher Ton und ihr ungehobeltes Verhalten – Eigenschaften, die es ihr im feudalistisch geprägten Dro Daria nicht unbedingt leicht machen. Schon gar nicht, da dort eine Verschwörung im Gange ist und Rifkind auf einen Gegner stößt, mit dem sie ohnehin noch eine Rechnung offen hatte …
Daughter of the Bright Moon ist in vielerlei Hinsicht ein recht gelungener Sword-&-Sorcery-Roman mit einer zwar nicht unbedingt sympatischen, aber durchaus glaubhaften Heldin, die zudem den Pluspunkt aufweist, eine der wenigen echten kick-ass heroines zu sein, mit denen das Genre aufwarten kann. Dass die meisten anderen Charaktere neben Rifkind ein bisschen verblassen, fällt dabei nicht sonderlich ins Gewicht – weniger jedenfalls als im Folgeband The Black Flame, wo nicht nur die in Daughter sehr zurückgenommene Liebesgeschichte eine wesentlich prominentere Rolle spielt, sondern auch die Götterwelt stärker ins Geschehen eingreift. Das Ergebnis ist immer noch lesbar, kommt aber an den ersten Band – der immerhin ganz nebenbei auch Genderfragen und Rassismus thematisiert – nicht heran.
Mit The Guardians (1982), ihrem dritten Roman, hat Lynn Abbey dann Neuland betreten, denn bei diesem Roman handelt es sich um Urban Fantasy (in der Form, wie der Begriff vor der Vampir-Invasion verstanden wurde), und er erzählt eine Geschichte über Risse in der Wirklichkeit, die in andere Welten führen, über Wicca-Magie und über eine junge New Yorkerin, die einfach dadurch, dass sie ein günstiges Apartment mietet, in einen großen Schlamassel gerät.
Ab 1983 konzentrierte Lynn Abbey sich wie bereits erwähnt zunächst auf die Arbeit an den Thieves’-World-Anthologien. Ab Mitte der 80er Jahre hat sie darüberhinaus als Autorin und Mitherausgeberin an zwei Anthologien mit Geschichten zur Comicserie Elfquest mitgewirkt, mit Unicorn & Dragon (1987) und Conquest (1988) zwei Artus-Romane geschrieben, sich Anfang der 90er an zwei Romanen zur Ultima Saga versucht und später Romane zu diversen Franchise-Universen verfasst. Eigenständige Werke in dieser Zeit waren der Valensor-Zweiteiler (The Wooden Sword (1991) und Beneath the Web (1994)) und die Einzelromane Siege of Shadows (1996) und JerLayne (1999).
Von 2001 bis 2005 folgte dann die bisher vierteilige Emma-Merrigan- bzw. Orion’s-Children-Reihe, ehe sie sich mit Rifkind’s Challenge (2006) nach mehr als 25 Jahren noch einmal ihrer ersten und immer noch überzeugendsten und interessantesten Heldin zuwandte. Seither sind anscheinend keine neuen Romane mehr von ihr erschienen, aber ob Lynn Abbey ihre Schrifststellerkarriere tatsächlich beendet hat oder nur eine Weile pausiert, wird erst die Zukunft weisen.

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