Zum 55. Geburtstag von Richard Burns

Bibliotheka Phantastika erinnert an Richard Burns, der heute 55 Jahre alt geworden wäre. Über den am 01. September 1958 in Sheffield, England, geborenen Richard Burns lässt sich heutzutage selbst im ansonsten schier allwissenden Internet kaum noch etwas finden, da die Spuren, die er hinterlassen haben mag, größtenteils von anderen Personen mit dem gleichen Namen überdeckt werden. Sicher ist immerhin, dass er mit seinem ersten Roman A Dance for the Moon (1986) – in dem es um die traumatischen Auswirkungen geht, die die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs bei seinem Protagonisten hinterlassen haben – den Jonathan Cape First Novel Contest gewonnen hat und 1987 im Sunday Express neben u.a. Jeanette Winterson und Kazuo Ishiguro auf einer Liste mit vielsprechenden jungen Autoren und Autorinnen (aka potentiellen zukünftigen Booker-Prize-Gewinnern) auftauchte.
Khalindaine von Richard BurnsIm gleichen Jahr wie sein literarischer Erstling erschien mit Khalindaine auch der erste Band einer zweiteiligen Fantasysequenz bei Allen & Unwin, einer damals sehr angesehenen Adresse für Fantasy. Khalindaine beginnt mit einer beeindruckenden Szene (die ganz gewiss ein heißer Kandidat für eine der nächsten Ausgaben von Unsere liebsten Anfänge ist), in der die alternde Kaiserin Elsban sich dem Rite of Endyear unterzieht und dabei erkennt, dass es an der Zeit ist, sich um die Thronfolge zu kümmern. Am liebsten würde sie ihren Bastardsohn nach ihr auf dem Thron sitzen sehen, doch sie hat den Jungen als Kleinkind aus Gründen der Staatsräson weggegeben und weiß nur, dass er sich vermutlich irgendwo im gebirgigen Norden Khalindaines befindet. Ihr Wunsch passt allerdings so gar nicht in die Pläne zweier mächtiger Adliger, die ihrerseits Anspruch auf den Thron erheben können, da auch in ihren Adern das Blut Akhbars des Goldenen, des Staatsgründers fließt – und dieses Blut ist erforderlich, um das Rite of Endyear durchführen zu können. Während sich alsbald zwei Gruppierungen mit sehr unterschiedlichen Zielsetzungen auf die Suche nach Elsbans Sohn machen, wird der kaiserliche Palast von Verdre zu einem Hort der Intrigen. Und schließlich gesellt sich auch noch eine äußere Bedrohung zur inneren, als die Agaskan die Grenzen des Reichs angreifen.
In Troubadour (1988), dem Nachfolgeband, sitzt dann tatsächlich ein neuer Kaiser auf dem Thron. Doch da er sich – aus nachvollziehbaren Gründen – weigert, sich dem Rite of Endyear zu unterziehen und damit die Legitimität seiner Herrschaft zu bestätigen, gerät er mehr und mehr unter den Einfluss einer fanatischen Bruderschaft, die der Bevölkerung mittels rigider Methoden bis hin zu Autodafés ihre genussfeindliche Doktrin aufzuzwingen versucht – was schließlich zu einem Bürgerkrieg zu führen droht, da sich die einfachen (und auch die nicht ganz so einfachen) Menschen nach und nach aller Vergnügungen beraubt sehen.
Khalindaine und Troubadour sind gelungene Beispiele dafür, was passieren kann, wenn ein Autor mit einem gewissen literarischen Anspruch sich des Genres annimmt. Eher auktorial als personal erzählt (wenn auch mit gelegentlichen Abstechern auf eine personale Erzählebene), entwirft Richard Burns in diesen beiden Romanen eine Welt, die generell eher mit sparsamen Pinselstrichen in Szene gesetzt wird, sich aber gelegentlich als opulentes Gemälde darstellt. Und die vor allem durch ihre allen Gesellschaftsschichten entstammenden Figuren lebt. Wer an Fantasy in erster Linie das Worldbuilding schätzt, dem mag das Setting ein bisschen zu fragmentarisch erscheinen, da es zwar etliche Andeutungen einer langen, reichen Historie gibt, diese aber meist nicht weiter ausgeführt werden. Andererseits erinnern die Szenen am kaiserlichen Hof von Verdre bzw. vor allem die in der Hauptstadt Cythroné mit ihrem krassen Gegensatz zwischen arm und reich und ihren von republikanischen Gedanken erfüllten Studenten an Versailles bzw. Paris am Vorabend der Französischen Revolution – und das war und ist eine angenehme Abwechslung zum weitaus häufigeren Standard-Mittelaltersetting, dessen sich die Fantasy so gerne bedient. Auch was die Magie betrifft, beschreitet Richard Burns eigene Wege, indem er dieses fantasytypische Element zwar recht sparsam einsetzt, aber stimmig und vor allem absolut handlungsrelevant ins Gesamtbild integriert.
Richard Burns war ein überaus vielseitiger Autor: zwischen Khalindaine und Troubadour hatte er bereits The Panda Hunt (1987) – ein in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts spielender Roman über eine Expedition nach China auf der Suche nach “merkwürdigen schwarz-weißen Bären” – veröffentlicht, und nach seinen beiden Fantasyromanen folgten noch Why Diamond Had to Die (1989; ein Thriller), Fond and Foolish Lovers (1990) und Sandro and Simonetta (1992; ein Boticelli-Roman). Möglicherweise ist ihm genau diese Vielseitigkeit zum Verhängnis geworden, denn kommerziell erfolgreich waren seine Romane allesamt nicht. Kommerzielle Erfolglosigkeit, gepaart mit einer eigenen Einschätzung seiner schriftstellerischen Fähigkeiten, die man vielleicht arrogant nennen könnte (die aber aus meiner Sicht – zumindest in Bezug auf seine ersten drei Romane – gerechtfertigt ist), sowie dem Gefühl, als nicht in London oder Oxford lebender Autor vom literarischen Establishment nicht wahr- bzw. ernst genommen zu werden, und – ganz entscheidend – dem anscheinend vorhandenen Drang, unbedingt schreiben zu müssen, ergeben eine gefährliche Mischung. Eine Mischung, die vermutlich jahrelang gebrodelt und sich schließlich in einem Akt der Verzweiflung entladen hat, denn am 31. August 1992, am Vorabend seines 34. Geburtstags, hat Richard Burns sich das Leben genommen.
Ob Richard Burns ansonsten noch einmal zur Fantasy zurückgekehrt wäre, lässt sich nicht sagen. Vermutlich schon, wenn er im Genre Erfolg gehabt hätte. Dass seine Vielseitigkeit ihm kommerziell nicht gut getan hat, kann man sich hingegen schon gut vorstellen. Faszinierend an der ganzen traurigen Geschichte ist allerdings auch, dass seine beiden Fantasyromane im einzigen online zu findenden Nachruf noch nicht einmal erwähnt werden. Und derart vollkommen in Vergessenheit zu geraten, haben Khalindaine und Troubadour ganz gewiss nicht verdient.

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