Poison

Poison von Sarah PinboroughErst vor kurzem hat der König seine neue blutjunge Königin geheiratet, da ruft ihn der Krieg auch schon wieder auf das Schlachtfeld. Während er im Kampf für sein Königreich steckt, zeigt sich, dass seine Angetraute einen unerklärlichen Hass auf die kaum jüngere Tochter Snow hat. Je mehr Zeit vergeht, desto düsterer werden die Gedanken der Königin …

– She’s too old for that nickname, the queen said. She was standing at the window of the royal bedchamber and looking down at the courtyard below. Morning sun beat on the ground, but the air was still chilly. She shivered. »She needs to start behaving like a lady. A princess.« –
1, Air and Earth, Light and Dark

Man braucht wohl eine spezielle Art Buchgeschmack, um ein Buch wie Poison mögen zu können, denn in diesem Roman ist nichts so, wie man es aus den zahlreich eingeflochtenen Märchen kennt. Das ist doch gut, denkt ihr? Nö.
So eine Märchennacherzählung kann man richtig oder falsch machen. Sarah Pinborough ist letzteres mit absoluter Bravour gelungen – das könnte man freilich auch als Leistung betrachten. Auf der einen Seite jedenfalls ist dieser kurze Roman natürlich tatsächlich völlig anders, als man es erwartet, und es stecken gute Ansätze drin, auf der anderen Seite ist die Geschichte auf nur 200 Seiten derart pervertiert und gestört (und damit meine ich nicht einmal die negativ behafteten Sexszenen), dass man das dringende Bedürfnis verspürt, der Autorin eine Therapie zu spendieren. Harsche Worte, ich weiß, aber harte Zeiten erfordern harte Maßnahmen, nicht wahr? Angesichts dessen, was dieser Roman für Charaktere zeichnet, ist das leider nur einer der vielen unfeinen Gedanken, die einem in den Sinn kommen.

Hat jemand Charaktere gesagt? Gut, dann auf zum wichtigsten, verkorksten Akt dieses Dramas.

Die Charaktere sind eine Katastrophe. Von Anfang bis Ende hat man nie das Gefühl, sie wenigstens halbwegs zu kennen, und sie alle erfüllen mindestens ein nicht tot zu kriegendes Klischee, besser noch mehrere auf einmal. Klar, es ist eine Märchennacherzählung, von der wir hier reden, da ist kein Platz für lange Charakterentwicklung, aber es gibt Kurzgeschichten, die kriegen auf einem Zehntel der Seiten mehr zustande als Poison im ganzen Roman. Es kann also kein Seitenlimit schuld sein, dass Pinboroughs Figuren dermaßen hohl geraten sind wie das Innere einer von Termiten zerfressenen Wand. Wenn sie gerade mal etwas aktiver werden, sind sie gleich ziemlich abstoßend oder verhalten sich völlig anders als noch in der Szene davor, als hätten sie eine gespaltene Persönlichkeit. Die böse Königin ist mal die Inkarnation des Bösen und plötzlich doch wieder nur unglücklich, weil sie so schrecklich missverstanden wird. Schneewittchen ist einerseits das perfekte, brave Prinzesschen und dann doch wieder die wilde, ungezähmte Kraft der Mutter Erde. Prince Charming ist erst der klassische naive junge Mann und schlägt dann plötzlich eine Richtung ein, bei der man nur noch zusehen kann, wie alles weiter den Bach hinuntergleitet. Man weiß einfach nie, woran man bei den Figuren ist. Es gibt keine klare Linie bei der Charakterzeichnung. Die Autorin versucht ihnen teils schwierige Vergangenheiten zu geben, damit sie mehr Tiefgang bekommen, leider bleibt es auch da bei dem kläglichen Versuch.

Eigentlich handelt es sich bei Poison explizit nicht um ein Jugendbuch. Die angekündigten Sexszenen machen das deutlich klar. Komischerweise ist der Rest des Buches dann aber doch eher jugendbuchig. Angefangen bei der märchenhaften Covergestaltung und den verspielten Illustrationen im Innenteil, die man sonst nur in Kinderbüchern antrifft. Inhaltlich hat sich die Autorin mehr an der Disneyvorlage orientiert als am ursprünglichen Märchen (Stichwort: Zwerge mit Namen wie Dreamy und Grumpy). Auch sprachlich ist Poison nicht gerade der weite Wurf, eher auf dem Niveau eines Lesers ab ca. 10-12 Jahren, und das trägt im Gesamtbild dazu bei, dass die Autorin den Eindruck vermittelt, nicht gewusst zu haben, was dieses Buch am Ende eigentlich werden sollte.

Poison ist als Titel vermutlich die einzig gelungene Idee an diesem Machwerk, denn das Buch verstärkt so ziemlich alle negativen Vorurteile, die man gegen das jeweils andere Geschlecht haben kann. Man spürt den Hass praktisch wie Gift durch die eigenen Adern fließen, aber ob das mal so gesund für das Zusammenleben mit anderen ist? Männer jedenfalls sind alle Schweine oder Psychopathen oder Killer oder Vergewaltiger oder alles auf einmal, Frauen sind alle geld-/machtgeil oder Schlampen oder launenhaft oder naiv (oder alles auf einmal …). Noch Fragen? Und entschuldigt die plumpe Wortwahl, es gibt leider Momente, da sollte man es einfach nicht höflich umschreiben.
Wer hier also schon etwas sensibilisiert ist für das Thema, sollte tunlichst die Finger von dem Buch lassen. Schlechte Laune und Abscheu für das andere, aber auch für das eigene Geschlecht, sind garantierte Folgeerscheinungen. Um es kurz zu sagen, Poison liefert ein Happily ever after für die schlechten Menschen ab und lässt alles andere offen, um auch hier noch ein letztes Mal Frustration zu schaffen. Damit ist Poison nicht nur als Märchennacherzählung eine Enttäuschung, es lässt einen auch bereuen, Geld dafür zum Fenster hinaus geworfen zu haben.

Stand: 19. Mai 2014
Erscheinungsjahr: USA 2013
Verlag: Golancz
ISBN: 978-0575092976
Seitenzahl: 208