Zum 75. Geburtstag von Michael Moorcock

Bibliotheka Phantastika gratuliert Michael Moorcock, der heute 75 Jahre alt wird. Auch wenn der am 18. Dezember 1939 in Mitcham (damals noch eine Stadt in der englischen Grafschaft Surrey, mittlerweile ein Stadtteil von Greater London) geborene Michael John Moorcock auf dem deutschen Buchmarkt aktuell nicht (mehr) präsent ist (oder genauer: nur in Form einer Comicadaption seines bekanntesten Helden und in Second-Hand-Ausgaben) und ein großer Teil der jüngeren deutschsprachigen Fantasyleserinnen und -leser mit dem Namen möglicherweise gar nichts mehr anfangen kann, ändert das nichts an seiner Bedeutung vor allem für die englische, aber letztlich für die gesamte angloamerikanische SF- und Fantasy-Szene. Egal, ob als Herausgeber des SF-Magazins New Worlds (1964-69), das er praktisch zu einem Sprachrohr der britischen New Wave machte, als Schöpfer des Konzepts des “Ewigen Helden” (dessen erste und bekannteste Inkarnation Elric von Melniboné anfangs ein schlichter Anti-Conan war, der seine ersten Auftritte 1961/62 auf den Seiten des Magazins Science Fantasy erlebte, und dessen Stories erst nachträglich in das Konzept des Ewigen Helden ein- und aus diesem Grund auch teilweise umgearbeitet wurden, was die Elric-Saga zu einem bibliographischen Alptraum macht) und des Multiversums (das in seinem ersten SF-Roman The Sundered Worlds (Magazinveröffentlichung 1962/63 in Science Fiction Adventures, Buchveröffentlichung 1965 bzw. als The Blood Red Game 1970) zum ersten Mal als Begriff auftaucht und als Hintergrund für seine SF- und Fantasywelten dient) oder als Verfasser teilweise locker mit dem Metazyklus um den Ewigen Helden verknüpfter, teilweise davon unabhängiger höchst unterschiedlicher Romane und Zyklen, als da beispielsweise wären: die Kane of Old Mars Trilogy (1965, ein Burroughs-Pastiche unter dem Pseudonym Edward P. Bradbury), der The Elric Saga von Michael Moorcockzumindest von gläubigen Christen als reichlich blasphemisch empfundene Zeitreiseroman Behold the Man (1969; die Erweiterung einer bereits 1966 erschienenen und mit dem Nebula ausgezeichneten gleichnamigen Erzählung), das Cornelius Quartet (1968-72) mit dem anarchistischen und amoralischen, wie eine popkulturelle Ikone des Swinging London der 60er Jahre inszenierten Antihelden Jerry Cornelius (der ein wenig wie eine Parodie des wandelnden Weltschmerz namens Elric wirkt), die Proto-Steampunk-Trilogie um Oswald Bastable (1971-81), die weit in der Zukunft in einem Dying-Earth-Szenario angesiedelte, als Dancers at the End of Time betitelte Sequenz um Jherek Carnelian (die aus einer Trilogie (1972-74) und zwei mit ihr zusammenhängenden Bänden (1976/77) besteht) oder auch der in einem elisabethanischen Fantasy-England (und dort größtenteils in einer Burg) spielende, von unterschwelliger Sexualität durchzogene Fantasyroman Gloriana, or, The Unfulfill’d Queen (1978).
Alle bisher genannten Titel sind – teilweise mehrfach – auch auf Deutsch erschienen, und in den 70er und 80er Jahren war der Ewige Held in seinen Inkarnationen Elric von Melniboné, Corum Jhaelen Irsei, Dorian Hawkmoon und Erekosë alias John Daker auf dem deutschen Buchmarkt ebenso präsent wie Königin Gloriana, der Zeitreisende Karl Glogauer, Michael Kane, Jerry Cornelius, Oswald Bastable und Jherek Carnelian. Doch auch wenn sich hinter diesen Namen eine erkleckliche Anzahl von Büchern verbirgt, decken sie nur einen Teil von Michael Moorcocks Schaffen ab – und zwar bis auf wenige Ausnahmen den Teil, den man den trivialeren nennen könnte. Denn in gewisser Hinsicht hat sich Moorcock eigentlich immer in einem Spannungsfeld aus Anspruch und Trivialität bewegt, hat beispielsweise mit dem Ewigen Helden ein Konzept geschaffen, das deutlich über das hinausgeht, was bis dahin in der Sword & Sorcery üblich war. Die Umsetzung dieses Konzepts ist jedoch nur teilweise gelungen, denn die Geschichten um Elric und die anderen bereits genannten Inkarnationen des Ewigen Helden sind – ungeachtet ihres Unterhaltungswerts – ebenso trivial wie die Stories und Romane, deren Antithese sie eigentlich bilden sollten (nur sind sie manchmal cleverer inszeniert).
Allerdings hat Michael Moorcock sehr wohl Romane verfasst, in denen ein anspruchsvolleres Konzept auch angemessen umgesetzt wurde, die es aber längst nicht alle nach Deutschland geschafft haben. Gloriana, or, The Unfulfill’d Queen gehört dazu, genau wie das Cornelius Quartet, aber dann wird’s allmählich düster. Die interessantesten Inkarnationen des Ewigen Helden dürften die Mitglieder der Familie von Bek sein, doch von den Romanen, in denen sie auftreten, haben die deutschen Leser und Leserinnen nur The Warhound and the World’s Pain (1981) als Die Kriegsmeute (1985) und The Brothel in Rosenstrasse (1982) als Das Bordell in der Rosenstrasse (1988) sowie The Dreamthief’s Daughter (2001) als Tochter der Traumdiebe (2002) und Teil einer neuen Elric-Sequenz zu Gesicht bekommen. Von der vierbändigen Serie Between the Wars (1981, ’84, ’96 und 2006), in deren Mittelpunkt mit Colonel Pyat eine nicht unbedingt sympathische Figur steht, durch deren Augen wir einen Blick auf ein grotesk verzerrtes, aber angeblich wahres 20. Jahrhundert werfen können, ist nur der erste Band Byzantium Endures (1981) als Byzanz ist überall (1984) auf Deutsch erschienen, und Moorcocks vielleicht ambitioniertestes Werk Mother London (1988), mit dem er sich nicht zuletzt seine frühesten Kindheitserinnerungen an das brennende London zu Kriegszeiten von der Seele geschrieben haben dürfte, harrt ebenso noch einer Übersetzung wie so ziemlich alles, was er seit Mitte der 90er Jahre geschrieben hat. Dass Wizardry and Wild Romance: A Study of Epic Fantasy (1987), seine nicht unumstrittene “Abrechnung” mit der Fantasy hierzulande nie erschienen ist, ist einerseits zu verschmerzen, andererseits ein Beleg für die sekundärliterarische Diaspora, die Deutschland in Sachen SF und Fantasy immer noch darstellt.
Wer also nur Michael Moorcocks auf Deutsch erhältliche Zyklen, Romane und Geschichten kennt, kennt nur einen Teil seines Schaffens. Wer sie nicht kennt, kennt einen der wichtigsten und bedeutendsten englischen SF-und Fantasyautoren nicht, der etliche angloamerikanische Autoren und Autorinnen beeinflusst hat und in England und den USA auch heute noch hohes Ansehen genießt. Und das, obwohl einer seiner wichtigsten Helden ein blasser, schwächlicher Jammerlappen ist … 😉

5 Kommentare zu Zum 75. Geburtstag von Michael Moorcock

  1. Raskolnik sagt:

    Ich weiß, du hältst nicht viel von “Wizardry and Wild Romance”, Gerd, aber ich denke schon, dass das Büchlein hier und da ein paar interessante und z.T. auch ganz richtige Gedanken enthält. Dem Anspruch, einen kritischen Überblick über die Entwicklung des gesamten Genres zu liefern, wird es natürlich nicht gerecht. Unter diesem Blickwinkel betrachtet wirkt es eher peinlich. Und viele der Bewertungen anderer Autoren & Autorinnen, die der gute Michael da so von sich gibt, sind in meinen Augen ebenfalls ziemlich daneben. Dennoch finde ich, dass es sich um eine durchaus anregende Lektüre handelt.

  2. gero sagt:

    Hat molo/Alex dir das erzählt? 😉

    In dem Text da oben habe ich es ja bewusst offen formuliert, und ich glaube, man kann sich darauf einigen, dass die Artikelsammlung eher eine Abrechnung als ein kritischer Überblick über die Entwicklung des Genres (und als solche halt nicht unumstritten) ist. Dass in dem Band ein paar interessante und richtige Gedanken drinstehen, sehe ich auch so, und die Tatsache, dass man es verschmerzen kann, dass er nie übersetzt wurde, bezieht sich eigentlich darauf, dass es mMn bessere Sekundärwerke zur Fantasy gibt, die bislang auch nicht übersetzt wurden. Grundsätzlich hätte ich gegen eine Übersetzung aber nichts einzuwenden, denn alles, was die Genre-Diskussion hierzulande voranbringen kann, ist zunächst mal willkommen.

  3. Raskolnik sagt:

    Hi hi 😉 Ja und nein. Alex hat mir das nicht selbst erzählt, aber in den Archiven des Forums bin ich irgendwann mal über einen kleinen Wortwechsel zwischen euch beiden gestoßen, bei dem es um “Wizardry and Wild Romance” ging.

    Dass es sicher bessere Sekundärliteratur zur Fantasy gibt als Moorcocks Essays, steht auch für mich außer Zweifel. Wie das allerdings 1987 ausgesehen hat, als “Wizardry and Wild Romance” erstmals erschien, da habe ich keine Ahnung. Erleuchte mich!

    Der Versuch, 2004 eine “aktualisierte” Fassung herauszugeben, war möglicherweise ein Fehler, denn sonderlich “aktuell” oder repräsentativ wirkt das Material, das Moorcock zusätzlich behandelt hat, nicht. Was mich nicht wirklich verwundert, macht der gute Mann in Interviews doch kein Hehl daraus, dass er in der neueren SFF nicht sonderlich gut belesen sei.

  4. gero sagt:

    Ja, ja, die Archive des Forums. Wenn man tief genug gräbt, findet man derartige Wortwechsel öfter, weil Alex und ich uns damals ziemlich oft in die Haare gekriegt haben. Mittlerweile ist das bei mir natürlich schwierig. 😉

    Wie das mit Sekundärliteratur zur Fantasy vor 1987 ausgesehen hat, kann ich auf die Schnelle nicht sagen, das müsste ich mich auch erstmal schlau machen. Es hat ganz sicher eine Menge einzelner Artikel gegeben, und vermutlich auch schon das eine oder andere Buch, in dem derartige Artikel gesammelt veröffentlicht wurden, aber wie gesagt, da muss ich selbst mal nachforschen. Aber mal unabhängig davon, wie das 1987 ausgesehen hat – die kaum veränderte Version von 2004 macht das nicht weniger deplatziert.

    Generell nervt mich an WaWR vor allem ein Kapitel (du kannst dir bestimmt denken, welches), und das ist mir natürlich auch vor allem in Erinnerung geblieben. So betrachtet, sollte ich vielleicht doch mal wieder reinschauen, vielleicht revidiere ich meine Meinung dann (zumindest ein bisschen ;)).

    Meine etwas ambivalente Haltung Michael Moorcock gegenüber hat übrigens nur zum Teil etwas mit seinem Werk an sich zu tun (da gibt’s Sachen, die ich gut finde, und andere, die ich nicht gut finde, aber das geht mir bei vielen Autoren und Autorinnen so); zu einem erheblichen Teil liegt es auch an der Rezeption Moorcocks in betimmten Leserkreisen hierzulande zu Zeiten der AST und SFT. Da galten Moorcocks Figuren – auch seine Fantasy-Inkarnationen des Ewigen Helden – dann halt als coole Säcke, wohingegen die meisten anderen Fantasy- (bzw. vor allem Sword-&-Sorcery-) Helden Faschos oder zumindest Kryptofaschos waren. Aber klar, Moorcock war ja ein linksintellektueller Autor, der musste solche Sachen einfach richtig machen. Ich habe das für Blödsinn gehalten (und halte es immer noch dafür), und ich schätze, ein Teil der Abneigung, die ich der rein ideologiekritischen Lesart von SF und Fantasy damals entgegengebracht habe, hat sich auch auf das eine oder andere Lieblingskind der Kritiker übertragen. Shit happens …

  5. Elric sagt:

    Soo lange schon ist der Artikel her…
    Hihi, ich find es auf jeden Fall toll, dass du dir – trotz eher wenig Zuneigung zu “meinem Namensgeber” – die Mühe gemacht hast alles zusammenzuschreiben.
    Und ich sehe es als sehr guten Hinweis, dass ich vielleicht mal was auf Englisch von Moorcock lesen sollte.
    Fast alle deutschen Sachen stehen zu Hause im Regal! 😀
    In diesem Sinne – wenn auch verspätet: Happy Birthday, Herr Moorcock, der du immer einen besonderen Platz in meinem Regal haben wirst, weil du mein Grund für die Fantasy bist! 🙂

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