Zum 60. Geburtstag von Lawrence Watt-Evans

Bibliotheka Phantastika gratuliert Lawrence Watt-Evans, der heute 60 Jahre alt wird. Der am 26. Juli 1954 in Arlington, Massachusetts, geborene Lawrence Watt Evans, der für seine Arbeiten entweder die Bindestrich-Schreibweise seines Namens (ein Vorschlag von Lester del Rey, um ihn von einem anderen Autor namens Lawrence Evans abzugrenzen) oder – wenn er sich in Franchise-Universen bewegt – das Pseudonym Nathan Archer benutzt, zählt du den Autoren, die seit ihrem ersten Auftreten immer präsent und aktiv waren und auf ein umfangreiches Oeuvre zurückblicken können, denen aber der ganz große Durchbruch bzw. Wurf nie gelungen ist. Was Watt-Evans zu einem typischen Midlist-Autor macht – und das ist eine Spezies, die derzeit ziemlich ums Überleben kämpfen muss. Der Löwenanteil seiner knapp 50 Romane zählt – einschließlich zweier eigenwilliger Fantasy-SF-Hybrid-Zyklen – zur Fantasy (um die es im Folgenden gehen wird), dazu kommen ein paar SF- und andere Romane, während es sich bei seinen knapp 130 Stories größtenteils um SF handelt, von denen eine – “Why I Left Harry’s All-Night Hamburgers” – 1988 mit dem Hugo ausgezeichnet wurde.
The Lure of the Basilisk von Lawrence Watt-EvansWatt-Evans’ Karriere begann 1980 mit der Veröffentlichung von The Lure of the Basilisk, dem ersten Band des mit den Romanen The Seven Altars of Dûsarra (1981), The Sword of Bheleu (1983) und The Book of Silence (1984) fortgesetzten Zyklus The Lords of Dûs. Im Mittelpunkt der vier Romane steht der Overman Garth, Mitglied eines künstlich geschaffenen menschenähnlichen Volkes, das hoch im Norden auf der Halbinsel Ordunin lebt. Garth will, dass nach seinem Tod etwas von ihm überdauert, dass sein Name nicht vergessen wird, und die Weisen Frauen seines Volkes, an die er sich mit diesem Anliegen wendet, schicken ihn daraufhin nach Süden, in die Welt der Menschen, wo er sich an den “King in Yellow” wenden soll, der ihm Aufgaben stellen wird, die ihm – wenn er sie zur Zufriedenheit seines Auftraggebers erfüllt – unsterblichen Ruhm einbringen werden. Natürlich findet Garth den King in Yellow dank der Angaben der Weisen Frauen problemlos; als problematischer erweisen sich da schon die Aufgaben, die er zu erfüllen hat – angefangen damit, den legendären Basilisken einzufangen und zum King in Yellow zurückzubringen – und der Umgang mit den Menschen, deren Sitten und Gebräuche ihm fremd sind. So richtig problematisch wird die Sache allerdings, als Garth allmählich dahinterkommt, wer sich hinter seinem Auftraggeber verbirgt – und wohin es letztlich führt, ihm zu dienen … Der vierteilige Zyklus um den Übermann Garth, der unter dem Titel Die Herren von Dûs – Einzeltitel: Der Blick des Basilisken, Die sieben Altäre von Dûsarra (beide 1987), Das Schwert des Bheleu und Das Buch der Stille (beide 1988) – auch auf Deutsch erschienen ist, bietet durchaus originelle Heroic Fantasy, was in erster Linie Garth zu verdanken ist. Denn der Hüne aus dem Norden ist weder der typische Barbar, der sich mit der gleichen Begeisterung in eine Kneipenschlägerei wie in eine blutige Schlacht stürzt, noch der entweder von den Göttern (oder wem auch immer) verfluchte oder durch die Umstände dazu gewordene einsame Wanderer, der seiner Umwelt meist mehr oder weniger entrückt ist. Garth mag starrköpfig und stoisch und der vielleicht größte Utilitarist des Genres sein, aber er ist auf seine Weise auch geradlinig und nachdenklich und verlässt sich bei der Erfüllung seiner Herkules-Aufgaben keineswegs nur auf seine übermenschlichen Körperkräfte oder sein pantherähnliches warbeast Koros.
The Lords of Dûs sind ein ziemlich typisches Beispiel für Watt-Evans’ Fantasy. Einerseits ist der Vierteiler kompetent geschrieben (vor allem, wenn man bedenkt, dass Watt-Evans gerade mal Mitte 20 war, als der erste Band erschienen ist) und wandelt ein bekanntes Thema auf originelle Weise ab; andererseits fehlt ein bisschen was, um aus Garth’ Abenteuern einen wirklich überragenden Zyklus zu machen. Solides Lesefutter für Heroic-Fantasy-Fans ist er aber allemal.
Variationen – und zwar durchaus originelle und unerwartete Variationen – bekannter Themen und Motive ist auch das Motto, unter das man die mittlerweile zwölf locker miteinander verknüpften Romane der unter dem Titel Legends of Ethshar laufenden Reihe stellen könnte. So steht im ersten Band The Misenchanted Sword (1985) – dem einzigen, der als Das verhexte Schwert (1989) auch auf Deutsch erschienen ist – ein mit einem Zauber belegtes Schwert im Mittelpunkt, das allerdings demjenigen, dem es gehört, dank besagten Zaubers nur noch sehr begrenzt Freude macht (was nachvollziehbar ist!). Die weiteren Bände With a Single Spell (1987), The Unwilling Warlord (1989), The Blood of a Dragon (1991), Taking Flight (1993), The Spell of the Black Dagger (1993), Night of Madness (2000), Ithanalin’s Restoration (2002), The Spriggan Mirror (2006), The Vondish Ambassador (2007), The Unwelcome Warlock (2012) und The Sorcerer’s Widow (2013) sowie der Storyband Tales of Ethshar (2012) drehen sich um ähnliche, zwar nicht unbedingt auf den Kopf gestellte, aber aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachtete typische Topoi des Genres.
Parallel zu den Lords of Dûs erschien mit The Cyborg and the Sorcerers (1982) der erste Band des fünf Jahre später mit The Wizard and the War Machine (1987) abgeschlossenen Zweiteilers War Surplus, eines ungewöhnlichen SF-Fantasy-Hybriden, in dem Watt-Evans Elemente aus Military SF und Sword & Sorcery miteinander vermischt. Eine ähnliche Genre-Mischung – wenn auch unter einer völlig anderen Prämisse – bietet der wahlweise Three Worlds oder World of Shadow betitelte, aus den Romanen Out of This World (1994), In the Empire of Shadow (1995) und The Reign of the Brown Magician (1996) bestehende Dreiteiler, in dem Menschen unserer Erde in den Konflikt zwischen einem Galactic Empire, das der Pulp-SF der 30er oder 40er Jahre entsprungen sein könnte, und der Realm of Shadow, in der Magie funktioniert, hineingezogen werden.
Weitere, wieder eher “normale” Fantasy-Zyklen (wenn auch mit dem typischen Watt-Evans-Twist) sind The Obsidian Chronicles (Einzeltitel: Dragon Weather (1999), The Dragon Society (2001), Dragon Venom (2003)), deren erste beide Bände als Sommer der Drachen (2000), Die Drachenbrüder (2001), Der Drachenorden und Angriff der Drachen (beide 2002) – das Ganze unter dem Obertitel Die Obsidian-Chroniken – übersetzt (und gesplittet) wurden, sowie die aus den Romanen The Wizard Lord (2006), The Ninth Talisman (2007) und The Summer Palace (2008) bestehenden Trilogie The Annals of the Chosen. Sein neuester Zyklus ist ein wahlweise nach seiner Hauptfigur Anrel Murau oder auch The Fall of the Sorcerers betitelter Zweiteiler, dessen Held seine in A Young Man Without Magic (2009) und Above His Proper Station (2010) geschilderten Abenteuer in einem Mantel-&-Degen-Szenario erlebt.
Touched by the Gods von Lawrence Watt-EvansNeben all diesen Zyklen hat Lawrence Watt-Evans auch ein paar Einzeltitel verfasst, darunter The Rebirth of Wonder (1992) und Split Heirs (1993) ein in Zusammenarbeit mit Esther M. Friesner entstandener humoristischer Roman in absurd-phantastischer Monty-Python-Manier, der es als Das schwarze Wiesel oder Der Erben drei verderben den Brei (1997) auch nach Deutschland geschafft hat. Am interressantesten von diesen Einzelromanen – und vielleicht eine Möglichkeit, Watt-Evans’ “klassische” Fantasy kennenzulernen – ist Touched by the Gods (1997), die Geschichte eines Mannes, der von Geburt an von den Göttern auserwählt wurde, der Meisterkämpfer und Verteidiger seines Volkes zu sein. Allerdings möchte Malledd lieber das Leben eines einfachen Schmieds führen – vor allem, da dem Reich keine Gefahr zu drohen scheint. Doch die Zeiten ändern sich, und letztlich muss Malledd sich entscheiden, ob er seiner Bestimmung gerecht werden will, auch wenn das bedeutet, eine Marionette zu sein, an deren Fäden andere ziehen… Geschichten um widerwillige Helden sind nicht neu, aber was in diesem Fall gut funktioniert, sind die nachvollziehbaren Gedanken und Beweggründe eines Mannes, der nie gefragt wurde, ob er überhaupt irgendeine “Bestimmung” haben will.
Alles in allem lässt sich sagen, dass man von den Werken Lawrence Watt-Evans’ zumeist gut und solide unterhalten wird, dass ihnen aber trotz ihrer immer leicht abseits des Mainstreams gelegenen Herangehensweise an klassische Themen und Motive das schwer zu definierende Etwas fehlt, das sie entweder regelmäßig auf den Bestsellerlisten auftauchen lassen oder die Kritiker zu Jubelstürmen hinreißen oder Watt-Evans einen Status als Kultautor verleihen würde.

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