Catherynne M. Valente

portraitiert von Fremdling

Catherynne M. Valente

Catherynne M. Valente wurde am 5. Mai 1979 in Seattle geboren, schloss die High School mit 15 Jahren ab und studierte an der UC San Diego und der Edinburgh University Klassische Philologie, B.A. mit Schwerpunkt auf altgriechischer Sprachwissenschaft. In einer Reihe wissenschaftlicher Artikel setzte sie sich kritisch mit weiblichen Archetypen in griechischer und römischer Literatur auseinander.

Als ihr Mann, der damals bei der Navy tätig war, nach Japan versetzt wurde, zog sie mit ihm dorthin und verbrachte zwei Jahre allein in den Bergen, was ihre beiden Romane Yume no Hon: The Book of Dreams und The Grass-cutting Sword tief beeinflusste.

Valente ist eine preisgekrönte Lyrikerin und veröffentlicht immer wieder Gedichtbände. Dies prägt auch ihren Prosa-Schreibstil, sie ist bemüht, Sprache in ihren belletristischen Werken ebenso konzentriert und bewusst einzusetzen wie in ihrer Dichtung. Dies machte, in Kombination mit stilistischen Spielereien, ihre frühen Werke zu einer Herausforderung für geneigte LeserInnen, die im Gegenzug aber mit einer wunderschönen Sprache belohnt wurden. Ihre neueren Bücher sind zugänglicher, die Handlung ist klarer strukturiert, allgemein versucht sie nun einen Mittelweg zwischen sprachlich ausgefeilt und lesbar zu finden.

Im Jahre 2006 prägte sie den Begriff “Mythpunk“ für Phantastik, die Mythen, Sagen und Märchen mit postmodernen Stilmitteln sowie feministischen und multikulturellen Perspektiven vermischt. Sie selbst steht dem Postmodernismus ambivalent gegenüber und findet die anschließende Rekonstruktion spannender als die reine Dekonstruktion klassischer Narrative. Ihre Twitter-Definition von Postmodernismus lautet übrigens: Break it. It will be beautiful.

Das Neu-Zusammensetzen der Folklore macht für Valente auch den entscheidenden Teil des “Mythpunk“ aus. Dabei geht es ihr darum, jene Menschen, die von der westlichen, gesellschaftlichen Norm abweichen und daher in der Folklore nicht vorkommen, in diese Erzählungen einzubringen. Wichtig ist ihr, jene, die bisher keine Stimme hatten, in ihren Werken sprechen zu lassen.  Sie persönlich fühlt sich angezogen von weiblichen Archetypen, die in traditionellen Narrativen als Bedrohung dargestellt werden oder nicht ins Schema passen: Hexen, Amazonen, alles andere als hilflose Jungfrauen etwa. Auch in diesem Zusammenhang wird deutlich, dass sie sich der gender-Thematik bewusst ist. Wie man an ihrem vielfältigen Oeuvre sieht, sind Genregrenzen für sie nebensächlich.

Neben Gedichten und Romanen schreibt Valente auch Kurzgeschichten – ein Genre, zu dem sie sich ursprünglich nicht hingezogen fühlte. Diese werden nicht nur klassisch in Magazinen und Anthologien publiziert, sondern sie beschreitet auch alternative Distributionspfade. So hat sie das Omikuji Project ins Leben gerufen, bei dem sie Kurzgeschichten verfasst, die dann per Mail oder per Brief (mit rotem Wachssiegel!) an die Abonnenten verschickt werden. Diese wiederum sind nicht bloß Käufer, sondern bringen auch Feedback und Geschichtenwünsche ein, sodass eine eigene Gemeinschaft entstand, mit der Valente auch persönliche Kontakte pflegt. Die Geschichten sollten ursprünglich nur dieser community zugänglich sein, werden nun aber auch als Paperback veröffentlicht.

Seit The Orphan’s Tales arbeitet Valente außerdem mit der Sängerin SJ Tucker zusammen und organisiert Veranstaltungen rund um ihre Bücher, die eine Vielfalt künstlerischer Gestaltung, bis hin zu Schmuck, inkludieren. Auch für diese Kooperationsform zwischen verschiedenen Künstlern hat sich ein eigener Begriff gefunden: interstitial art.

Ihr Debüt in phantastischer Prosa war The Labyrinth, mehr ein langes Prosagedicht als ein Roman, in dem Valente den Rahmen einer Questenhandlung dafür nutzte, die Fiktionalität von Questen aufzuzeigen und sie als Mittel zur Sinnproduktion zu entlarven. Ihre nächsten beiden Bücher Yume no Hon: The Book of Dreams und The Grass-cutting Sword waren geprägt von ihrem Japanaufenthalt. Während sich ersteres um eine Einsiedlerin im alten Japan dreht, die sich in ihren Träumen in mythologische Welten zurückzieht, ist letzteres eine Neuinterpretation der alten japanischen Sage um Yamata-no-Orochi, den achtköpfigen Drachen, und Susanoo-no-Mikoto, Gott der Winde, der aus dem Himmel verbannt wurde. Beide steuern in fataler Weise aufeinander zu und die acht Töchter einer Bauernfamilie spielen ebenfalls eine große Rolle.

Ihr bekanntestes Werk dürfte allerdings der Zweiteiler The Orphan’s Tales sein. Ursprünglich als Novelle geplant, entwickelte es sich zu einer vierbändigen Serie, die schließlich als Duologie veröffentlicht wurde (In the Night Garden, Cities of Coin and Spice). Die Bücher erinnern, was ihre Struktur und ihr Flair betrifft, stark an 1001 Nacht und sind ein Geflecht ineinander verwobener Geschichten. Valente wollte es außerdem schaffen, eine fiktive Kultur in Gestalt ihrer ebenfalls fiktionalen Folklore vor den Leser/die Leserin treten zu lassen. Der erste Band gewann den James Tiptree Jr. Award “for the expansion of gender and sexuality in speculative fiction” und die Serie als Gesamtwerk erhielt den “Mythopoeic Award for adult literature”.

Mit Under in the Mere legte Valente einen Artus-Roman vor, der aus der Sicht von 10 eher unbekannten Rittern der Tafelrunde erzählt wird, wobei das moderne Kalifornien als Anderswelt dient.

Neben The Orphan’s Tales ist ihr bekanntestes Werk wohl Palimpsest, das aus einer Kurzgeschichte für die Anthologie Paper Cities, herausgegeben von Ekaterina Sedia, entstand. Der Roman ist die größere Version der darin enthaltenen Kurzgeschichte und bietet mehr Perspektiven und Hintergrundinformationen zur namensgebenden Stadt und ihrer Geschichte. Er dreht sich um vier Personen, die zufällig(?) Zutritt zu Palimpsest erlangen, das man nur betreten kann, nachdem man Sex mit jemandem hatte, der bereits dort war, und jedesmal erhält man Zugang zu einem neuen Stadtteil. Es etabliert sich eine eigene Gemeinschaft in unserer Welt, die mit kultischen Zügen versucht, immer mehr von dieser Stadt zu erkunden. Auch hier findet sich Valentes Streben, marginalisierte Gesellschaftsgruppen ins Zentrum der Erzählung zu rücken.

Das Jugendbuch The Girl Who Circumnavigated Fairyland In A Ship Of Her Own Making hat eine ganz eigene Entstehungsgeschichte. Es begann als Buch im Buch Palimpsest, das eindeutig ein Buch für Erwachsene ist, und sollte ursprünglich auch nicht mehr sein als das dort enthaltene erste Kapitel. Aus finanziellen Nöten begann Valente jedoch, das Buch tatsächlich zu schreiben, und während des Schreibprozesses Stück für Stück online zu veröffentlichen. Gegen eine Spende erhielt man Zugriff auf die Texte. Nicht nur war dieses Projekt finanziell erfolgreich, die Geschichte, in deren Mittelpunkt die zwölfjährige September steht, wurde auch mit dem CultureGeek Award und dem Andre Norton Award ausgezeichnet. Inzwischen wurden Septembers Abenteuer längst als Paperback veröffentlicht und haben mit The Girl Who Fell Beneath Fairyland and Led the Revels There und The Girl Who Soared Over Fairyland and Cut the Moon in Two auch schon zwei Fortsetzungen gefunden. Darüberhinaus haben sie Valente außerdem unter dem Titel Die wundersame Geschichte von September, die sich ein Schiff baute und das Feenland umsegelte ihre erste Veröffentlichung in Deutschland beschert, auf die im Herbst 2014 mit Die wundersame Geschichte von September, die unter das Feenland fiel und mit den Schatten tanzte die zweite folgen wird.

Ein weiteres Projekt ist die Reihe The Dirge for Prester John, in der Valente die Legende des Priesterkönigs Johannes aufgreift. Dessen Königreich wird in ihrer Version von einer unendlichen Schar mittelalterlicher Sagenwesen bevölkert. Dazu erschien ebenfalls eine Kurzgeschichte, diesmal in Interfictions, herausgegeben von Delia Sherman und Theodora Goss.
Die Handlung des ersten Bandes The Habitation of the Blessed wird durch die Literatur des fiktiven Königreiches erzählt, wobei die Textsorte von Kapitel zu Kapitel wechselt. Eigentliche Hauptfigur der Romane ist Prester Johns Ehefrau Hagia. Die Geschichte wird also vielstimmig erzählt und Valente spielt damit, wie sich die Geschichte, abhängig vom Erzähler, verändert.

Im Gegensatz zu den Fairyland-Romanen, die Catherynne Valentes Karriere einen kräftigen Schub gegeben haben (vor allem in kommerzieller Hinsicht), scheint The Dirge for Prester John unter einem deutlich schlechteren Stern zu stehen, denn seit dem Erscheinen des zweiten Bandes The Folded World liegt dieses Projekt auf Eis. Über die genauen Gründe hierfür ist nichts bekannt; es scheint zu Differenzen zwischen Valente und dem Verlag (in diesem Fall Night Shade Books) gekommen zu sein, die ihre Ursache möglicherweise schon in den gleichen Problemen hatten, die wenig später zum sog. Night Shade Books Disaster geführt haben, das die us-amerikanische Phantastikszene im Frühjahr 2013 erschütterte.


Links:

Homepage der Autorin
Interview auf strangehorizons.com
Interview auf fantasybookcritic.com

Bibliographie:

  • 2004: Music of a Proto-Suicide (Gedichtband)
  • 2004: The Labyrinth
  • 2005: Apocrypha (Gedichtband)
  • 2005: Oracles: A Pilgrimage (Gedichtband)
  • 2005: Yume no Hon: The Book of Dreams
  • 2006: The Grass-Cutting Sword
  • 2006: The Descent of Inanna (Gedichtband
  • 2006: In the Night Garden (The Orphan’s Tales 1)
  • 2007: Cities of Coin and Spice (The Orphan’s Tales 2)
  • 2009: Palimpsest
  • 2009: Under in the Mere
  • 2010: Ventriloquism (Sammelband)
  • 2010: This Is My Letter To The World (The Omikuji Project Cycle One; Sammelband)
  • 2010: The Habitation of the Blessed (The Dirge for Prester John 1)
  • 2011: Deathless
  • 2011: The Girl Who Circumnavigated Fairyland in a Ship of Her Own Making (Fairyland 1)/ Die wundersame Geschichte von September, die sich ein Schiff baute und das Feenland umsegelte
  • 2011: The Folded World (The Dirge for Prester John 2)
  • 2011: Myths of Origin: Four Short Novels (Sammelband)
  • 2011: Silently and Very Fast
  • 2012: The Girl Who Fell Beneath Fairyland and Led the Revels There (Fairyland 2) / Die wundersame Geschichte von September, die unter das Feenland fiel und mit den Schatten tanzte
  • 2013: The Girl Who Soared Over Fairyland and Cut the Moon in Two (Fairyland 3)
  • 2013: The Melancholy of Mechagirl
  • 2013: The Bread We Eat in Dreams
  • 2013: Six-Gun Snow White
  • 2014: Indistinguishable from Magic

Rezensionen:

[Rezis von]Valente@Catherynne M.[/Rezis von]
Stand: 05. Mai 2014