Zum 60. Geburtstag von Thomas Ziegler

Bibliotheka Phantastika erinnert an Thomas Ziegler, der vor knapp zwei Wochen 60 Jahre alt geworden wäre. Wobei Thomas Ziegler eigentlich nur das Pseudonym des am 18. Dezember 1956 in einem kleinen Dorf unweit der Stadt Uelzen im nordöstlichen Niedersachsen geborenen SF-Autors und -Übersetzers Rainer Friedhelm Zubeil war, unter dem seine wichtigsten Werke (und auch der weitaus größte Teil seiner Übersetzungen) erschienen sind. Ziegler debütierte 1976 mit der SF-Story “Unter Tage” in der Anthologie Zukunftsgeschichten? und war von da an mehr oder weniger regelmäßig in den Anthologien vertreten, die Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre noch vergleichsweise häufig in den SF-Reihen der großen Taschenbuchverlage zu finden waren. Mit seinen zumeist gesellschaftskritisch und/oder satirisch angehauchten sowie stilistisch und atmosphärisch beeindruckenden Stories erschrieb sich Ziegler binnen kürzester Zeit den Ruf, das größte SF-Talent seiner Generation zu sein. Interessanterweise war sein erster Roman jedoch – schon am Titel erkennbar – in einem anderen Genre angesiedelt: Eisvampire (1977) ist ein in Alaska spielender Horrorroman (und möglicherweise deswegen unter dem von Ronald M. Hahn “ausgeliehenen” Pseudonym Henry Quinn erschienen), in dem nicht nur die titelgebenden Eisvampire (und Zombies) auftauchen, sondern erstaunlicherweise auch die Umweltzerstörung thematisiert wird, die die Jagd nach immer neuen Bodenschätzen mit sich bringt.
So betrachtet ist es fast schon naheliegend, dass Thomas Ziegler – dieses Mal als Robert Quint – zwei Jahre später zum Hauptautor der “grünen” SF-Serie Die Terranauten wurde, für die er insgesamt 31 Heftromane (1979-81) und drei Taschenbücher (1982-84) verfasste, die wiederum die Macher der Konkurrenz anscheinend so beeindruckten, dass er anschließend (mehr oder weniger überraschend) wie so manch anderer hoffnungsvoller junger deutscher SF-Autor bei Perry Rhodan landete. Zur unendlichen Saga um den “Erben des Universums” steuerte er 13 Heftromane (1983-85) und drei Taschenbücher (1982-85) bei und war – nach dem Tod von William Voltz – zeitweilig zusammen mit Ernst Vlcek auch für die Exposés verantwortlich.
Am See der Finsternis von Thomas ZieglerWährend Ziegler als Serien-Autor für Die Terranauten und Perry Rhodan tätig war, hat er die ganze Zeit parallel dazu Autor/innen wie Philip K. Dick, Michael Moorcock, Joanna Russ oder Cordwainer Smith übersetzt und dann und wann serienunabhängige, anspruchsvollere Romane und Erzählungen wie Zeit der Stasis (1979, mit Uwe Anton), Alles ist gut (1983), “Die Stimmen der Nacht” (in Michael Görden (Hrsg.): Phantastische Literatur 83 (1983; gleichnamige Romanversion 1984, rev. als Stimmen der Nacht (1993)) und Erdstadt (1985, wiederum mit Uwe Anton) geschrieben. Und er hat einen Abstecher in die Fantasy gemacht – was der eigentliche Grund ist, warum er heute hier auftaucht.
In Sardor (1984), dem ersten von ursprünglich sechs geplanten Bänden, gerät der deutsche Jagdflieger Dietrich von Warnstein mit seinem Doppeldecker in einen Gewittersturm – und wird auf unbekannte Weise in eine Welt versetzt, auf der im Kirschlicht einer roten Riesensonne eine Schlacht zwischen Menschen und entsetzlichen, alptraumhaften Kreaturen, tobt. Als guter Christenmensch greift von Warnstein auf Seiten der Menschen in das Geschehen ein und hilft, die Schlacht zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die Menschen dieser Welt – bei der es sich vermutlich um die Erde viele Millionen Jahre in der Zukunft handelt – halten den deutschen Jagdflieger für ihren von den Toten auferstandenen Gott Sardor, und für sie ist er die letzte Hoffnung in ihrem aussichtslosen Kampf gegen all jene kosmischen Mächte, die sich auf dem Rücken der Menschheit bekriegen … Weitaus interessanter als die Handlung an sich ist die Welt, der Ziegler in der Erzählung “Kirschlicht und Glaspol” (in Jörg Weigand (Hrsg.): Vergiss nicht den Wind (1983)) einen ersten Besuch abgestattet hat und die er in Sardor und dem Folgeband Am See der Finsternis (1985) weiter ausmalt; eine Welt, die ein bisschen – aber nur ein bisschen – wie eine in grelle Farben getauchte Variation der vor- oder endzeitlichen Welten eines Clark Ashton Smith wirkt und auf der sich Monstrositäten wie die Eisenmänner, Gehörnte und Nachtmahre tummeln und die Wiederkehr der Schmerzarchen erwartet wird. Und die Thomas Ziegler mittels einer Sprache zum Leben erweckt, die einerseits Dietrich von Warnstein, diesem bornierten preussischen, seinem Kaiser treu ergebenen Offizier, auf den Leib geschrieben ist, aber mit ihrem Pathos und ihrer überbordenden Bildhaftigkeit der Grenze zur Parodie gefährlich nahekommt bzw. sie auch gelegentlich überschreitet.
Nach zwei Bänden war die Geschichte Sardors dann allerdings schon wieder vorbei; ein dritter Band – Bote des Gehörnten – war zwar noch angekündigt, ist aber nicht mehr erschienen. Ob Ziegler damals selbst die Lust verloren hat, oder ob der Verlag im Nachfolgeprojekt Flaming Bess: Rebellin der Galaxis (einer neun Bände umfassenden Space Opera, 1986/87) mehr Potential gesehen hat, ist heute nicht mehr herauszubekommen. Flaming Bess, die sich auf die Suche nach der Erde, der Urheimat der Menschen, begibt, war dann mehr oder weniger Thomas Zieglers Schwanengesang als SF- Autor (als Übersetzer ist er dem Genre auch weiterhin treu geblieben). Denn ab 1988 hat er fast nur noch Krimis geschrieben, in denen das Lokalkolorit mindestens so wichtig war wie die eigentliche Krimihandlung, und außerdem für das Fernsehen gearbeitet.
Anfang der 90er kehrte er sporadisch zur SF zurück, verfasste die mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnete Erzählung “Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten” (in der von Uwe Anton herausgegebenen Anthologie Willkommen in der Wirklichkeit: Die Alpträume des Philip K. Dick (1990)) und legte mit Stimmen der Nacht (1993) eine erneut überarbeitete, zweite Romanversion der (fast) gleichnamigen Erzählung vor (die auch den Kurd-Laßwitz-Preis gewann).
So richtig ins Genre zurückgekehrt ist er erst 2004, und was mit zwei Heftromanen für Perry Rhodan und einem Taschenbuch für die PR-Miniserie Lemuria (Die letzten Tage Lemurias (2005)) begonnen hat, sollte eigentlich nur der Auftakt einer weitergehenden Mitarbeit an Perry Rhodan sein (an die sich vielleicht dann auch wieder serienunbhängige Stoffe angeschlossen hätten), doch nur wenige Tage nach der Abgabe des Manuskripts für das o.g. Taschenbuch ist Thomas Ziegler überraschend am 11. September 2004 im Alter von 47 Jahren an Herzversagen gestorben.
Daher konnte er auch nicht mehr miterleben, dass Sardor nach knapp dreißig Jahren doch noch “komplett” erschienen ist – zumindest als “Trilogie”. Auf die beiden behutsam überarbeiteten ersten Bände Der Flieger des Kaisers und Am See der Finsternis folgte endlich der so lange nur als Titel existierende Band Der Bote des Gehörnten (alle 2013), den Markolf Hoffmann nach Aufzeichnungen von Ziegler – der die ersten Kapitel bereits geschrieben hatte – beendet hat. Ob man das Ende dieses Bandes als befriedigend empfindet oder nicht, muss jeder Leser / jede Leserin für sich entscheiden (wobei sich natürlich die Frage stellt, inwieweit dieses Ende dem entspricht, was Thomas Ziegler einst geplant hat, als er die Serie auf sechs Bände – sprich: doppelt so umfangreich wie das, was jetzt vorliegt – konzipiert hat).
Sardor von Thomas ZieglerThomas Ziegler war fraglos einer der talentiertesten deutschen SF-Autoren, der mehrfach für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert wurde und ihn insgesamt vier Mal gewonnen hat; eine der ausgezeichneten Erählungen wurde ebenso wie der Roman Stimmen der Nacht bereits genannt – darüber hinaus wurden auch die Erzählungen “Die sensitiven Jahre” und “Die Stimmen der Nacht” 1981 bzw. 1984 prämiert. Seine gesellschaftskritischen Romane von Zeit der Stasis über Alles ist gut bis hin zu Erdstadt sind auch heute noch ebenso lesenswert (und teilweise erschreckend aktuell) wie seine größtenteils in den Bänden Unter Tage (1982), Nur keine Angst vor der Zukunft (1985), Lichtjahreweit (1986) und Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten (1997) gesammelten Erzählungen, und etliche seiner Beiträge zu den Heftserien Die Terranauten und Perry Rhodan gehören mit zum Besten, was in Deutschland an SF im Heftformat erschienen ist.
Sardor ist sicher nicht nur wegen des für Ziegler untypischen Genres sein ungewöhnlichstes Werk, mit dem so mancher Leser und so manche Leserin möglicherweise nichts anfangen kann. Andererseits ist es erstaunlich und nicht wenig faszinierend, dass es in den 80er Jahren in Deutschland möglich war, so etwas wie Sardor zu schreiben und in der Taschenbuchreihe eines Publikumsverlags zu veröffentlichen, während man heutzutage froh sein muss, dass engagierte Kleinverlage wie Golkonda derartige Werke dem Vergessen entreißen.

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Zum 35. Geburtstag von C.S.E. Cooney

Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich C.S.E. Cooney, deren 35. Geburtstag fast schon wieder zwei Wochen zurückliegt. Die am 12. Dezember 1981 in Phoenix, Arizona, geborene Claire Suzanne Elizabeth Cooney zählt zu den vielen jungen SF- und Fantasy-Autorinnen, die seit der Jahrtausendwende die englischsprachige Phantastikszene betreten haben – und sie ist ein echtes Multitalent. Denn sie schreibt nicht nur längere und kürzere Erzählungen, sondern auch Gedichte (die sie gelegentlich mit den Banjo Apocalypse Crinoline Troubadours auf der Bühne performt), komponiert und singt und ist als Hörbuchsprecherin aktiv.
Ihre erste professionelle Veröffentlichung war die Story “Stone Shoes” in der Sommerausgabe von Subterranean Online (2007), auf die inzwischen knapp zwei Dutzend weitere Geschichten in Kleinverlagsanthologien oder Online-Magazinen wie Strange Horizons und Apex Magazine folgten. Einige Erzählungen sind auch als Einzelveröffentlichungen – sogenannte chapbooks – erschienen: Den Anfang machte The Big Bah-Ha (2010), in der es um Kinder geht, die in einer post-apokalyptischen Welt ums Überleben kämpfen; die zwölfjährige Beatrice, die gerade eben noch die Anführerin der Barka-Gang war, hat diesen Kampf jetzt hinter sich, denn sie wacht tot in der titelgebenden Nachwelt auf, die sich – trotz der Clowns, die hier herumlaufen – als längst nicht so tröstlich erweist, wie man es ihr immer erzählt hatte – ganz im Gegenteil … Mehr in Richtung eines Märchens (nicht im Sinne der Grimmschen Volksmärchen sondern im Sinne der Fairy Tales) geht Jack o’ the Hills (2011), die aus den Episoden “Stone Shoes” (s.o.) und “Oubliette’s Egg” bestehende Geschichte von Jack Yap (dem seine Mutter einst den Mund zugenäht hat, weil er zu viel gequatscht hat), seinem Bruder Pudding, der Steinschuhe tragen muss, dem Ei eines skinchangers und Prinzessin Oubliette. Bei The Witch in the Almond Tree (2014) und “Witch, Beast, Saint: an Erotic Fairy Tale” (2014, nur online in Strange Horizons) handelt es sich um die ersten beiden Teile einer Reihe erotischer Fairy Tales, die unter dem Obertitel The Witch’s Garden läuft. Und in The Breaker Queen (2014) und The Two Paupers (2015), die beide nur als eBook erschienen sind und zusammen mit einem geplanten dritten Teil einen Zyklus mit dem Titel Dark Breakers bilden, geht es um Elliot Howell, einen jungen begabten Maler, der ins Breaker House eingeladen wird, das in drei Welten gleichzeitig existiert, und um Nyx, die in der einen Welt ein Dienstmädchen und in der anderen eine Königin ist …
Dass viele von Claire Cooneys Geschichten an Märchen erinnern (wobei man nie vergessen sollte, dass Fairy Tales auch durchaus düster und grausam sein können), hat einerseits damit zu tun, dass sie sich stilistisch stark an mündlichen Erzähltraditionen orientiert, andererseits damit, dass sie manchmal auch Märchenstoffe direkt aufgreift und neu interpretiert (man könnte auch sagen, dass sie sie auf den Kopf stellt und kräftig durchschüttelt). Die Themen und Inhalte ihrer Geschichten weisen dabei eine erstaunliche Bandbreite auf; das belegt z.B. der erst vor kurzem in der Kategorie Best Collection mit dem World Fantasy Award ausgezeichnete Sammelband Bone Swans (2015), in dem fünf längere Erzählungen – teils als Erstveröffentlichung, teils als Nachdruck – enthalten sind.
Bone Swans von C.S.E. CooneyBei zwei davon handelt es sich um Neuinterpretationen von Märchen: “The Bone Swans of Amandale” wird von Maurice erzählt, einer Ratte, die sich in einen Menschen verwandeln kann; außerdem spielen eine böse Bürgermeisterin, aus den Knochen von Schwänen hergestellte Flöten, eine Schwanenprinzessin und ein Rattenfänger mit einer magischen Flöte eine wichtige Rolle (die – allerdings um neue Elemente ergänzte und “durchgeschüttelte” – Vorlage dieser für den Nebula Award nominierten Geschichte ist natürlich Der Rattenfänger von Hameln). In “How the Milkmaid Struck a Bargain With the Crooked One” (bereits im November 2013 in GigaNotoSaurus erschienen) kriegt die Milchmagd Gordie in einer Welt, in der das Leben für die einfachen Leute eh schon ziemlich schwierig ist, weil sich Menschen und Feen bekriegen, erst so richtig Probleme, als ihr Vater – ein Trinker – behauptet, sie könne Gold aus Stroh spinnen. Auch wenn diese Geschichte enger an den Ursprungsstoff – na, wie heißt der wohl? – angelehnt ist, schafft Claire Cooney es, ihr ein ebenso überraschendes wie überzeugendes Ende zu verpassen. “Life on the Sun” (EV: Black Gate, Februar 2013) ist zwar die Fortsetzung einer ebenfalls in Black Gate veröffentlichten Geschichte (“Godmother Lizard”, November 2012), die man allerdings nicht kennen muss, um sich in der wüstenartigen Welt mit ihren fliegenden Teppichen und Prophezeiungen zurechtzufinden, in der Kantu gerade eine Schlacht überlebt hat – und in der Opfer eine wichtige Rolle spielen. “Martyr’s Gem” (EV: GigaNotoSaurus, Mai 2013) wiederum ist eine Rachegeschichte, die auf einer Insel spielt, die das letzte Überbleibsel eines einst großen Reiches darstellt. Den Abschluss des Sammelbandes bildet “The Big Bah-Ha”, die bereits erwähnte Erzählung mit den nachweltlichen Clowns (und Spinnen mit Appetit auf Seiltänzerinnen – und dem Flabberghast). Den Geschichten vorangestellt ist eine Einleitung von Claire Cooneys Mentor, bei dem es sich um keinen geringeren als Gene Wolfe handelt, der sinngemäß schreibt, er hätte seiner Schülerin eigentlich gar nichts mehr beibringen können …
Dessen ungeachtet, inwieweit das stimmt, erweist sich Claire Cooney in ihren längeren und kürzeren Geschichten immer wieder als versierte, ungemein stilsichere Erzählerin, die früher oder später über den Status als Geheimtipp hinauskommen wird. Und der Gewinn des World Fantasy Award wird ihr dabei vermutlich mehr helfen als der Gewinn des Rhysling Award für das lange Gedicht “The Sea King’s Second Bride”, das auch in der Gedichtsammlung How to Flirt in Faerieland and Other Wild Rhymes (2012) enthalten ist.
Da ein Großteil von Claire Cooneys Geschichten und Gedichten zuerst online erschienen ist, sind die meisten davon – über die in diesem Beitrag verlinkten Beispiele hinaus – immer noch online. Die entsprechenden Links gibt es auf ihrer Homepage – genauer gesagt hier –, auf der auch einige Videos von ihren Auftritten mit den Banjo Apocalypse Crinoline Troubadours und Trailer zu ein paar Geschichten und ihrem ersten, in Arbeit befindlichen Roman Miscellaneous Stones: Assassins zu finden sind. Nicht – oder nur nach einer längeren Suche – dort zu finden sind die beiden EPs Alecto! Alecto! und Headless Bride, die sie als imaginärer Rockstar namens Brimstone Rhine aufgenommen hat – sie ist eben ein echtes Multitalent –, aber die kann man sich hier ansehen und anhören und herunterladen.

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Zum 65. Geburtstag von Régis Loisel

Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Régis Loisel, der bereits am Sonntag vor einer Woche 65 Jahre alt geworden ist. Im Gegensatz zu so manchem seiner Kollegen – wie etwa Andreas oder Caza – dürfte der am 04. Dezember 1951 in dem Städtchen Saint-Maixent-l’École geborene Régis Loisel seit Mitte der 80er Jahre auch hierzulande all denen, die sich für Fantasy und Comics interessieren, ein Begriff sein. Denn damals erschien mit Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit die deutsche Albenausgabe eines im Original La Quête de l’Oiseau du Temps betitelten vierbändigen Fantasyzyklus, der seinen Machern – dem Szenaristen Serge Le Tendre* und dem Zeichner Régis Loisel – nicht nur in ihrer Heimat den Durchbruch bescherte, sondern auch hierzulande ein großer Erfolg war.
Dieser Erfolg ist Loisel, der von Kindesbeinen an Comiczeichner werden wollte, jedoch nicht in den Schoß gefallen. Nachdem er 1972 aus der Provinz nach Paris gezogen war, musste er sich lange Jahre mit kleinen Auftragsarbeiten über Wasser halten, während er gleichzeitig an der Universität von Vincennes die dort von Comicgrößen wie Jean-Claude Mézières und Jean Giraud gegebenen Kurse für angehende Comiczeichner besuchte und bei dieser Gelegenheit andere aufstrebende Zeichner kennenlernte. Einer dieser Zeichner war Serge Le Tendre, der zu diesem Zeitpunkt – nach einem entsprechenden Ratschlag “aus berufenem Mund” – allerdings bereits mit dem Zeichnen aufgehört hatte und sich auf seine unbestreitbaren Fähigkeiten als Szenarist konzentrierte. Mit ihm und einigen anderen Kollegen gründete Loisel das Comicmagazin Tousse Bourin, das jedoch nach vier Ausgaben aus Geldmangel wieder eingestellt wurde. Auch der Versuch, mit Le Tendre zusammen eine große Fantasygeschichte mit dem Titel “Pelisse: La Quête de l’Oiseau du Temps” zu erzählen, scheiterte im ersten Anlauf, da das ambitionierte SF-Magazin Imagine, in dem sie abgedruckt werden sollte, aufgrund schlechter Verkaufszahlen nach drei Ausgaben wieder vom Markt verschwand.
Der Tempel des Vergessens von Le Tendre und LoiselWenn man die noch in Schwarzweiß gehaltenen Seiten aus Imagine mit denen vergleicht, die sieben Jahre später in dem Comicmagazin Charlie Mensuel – dieses Mal in Farbe – abgedruckt wurden, muss man im Nachhinein sagen, dass der vermeintliche Rückschlag sich letztlich als Glücksfall erwiesen hat, denn erzählerisch und zeichnerisch ist ein deutlicher Qualitätssprung erkennbar. La Quête de l’Oiseau du Temps kam bei der Leserschaft von Charlie Mensuel sehr gut an, und auch die nachfolgenden Albenausgaben (Einzeltitel: La Conque de Ramor (1983), Le Temple de L’oubli (1984), Le Rige (1985) und L’oeuf des Ténèbres (1987)) verkauften sich von Band zu Band besser und schließlich hervorragend. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn die von Le Tendre ersonnene Geschichte ist viel mehr als nur eine Suche nach dem titelgebenden “Vogel der Zeit”, den die Zauberin Mara braucht, um die Welt Akbar vor der Rückkehr des rachsüchtigen Gottes Ramor zu retten. Ramor wurde einst in ein Schneckenhaus verbannt, doch der Fluch, der ihn dort festhält, muss erneuert werden; ihn auszusprechen, dauert allerdings so lange, dass Mara auf den Vogel der Zeit – bzw. dessen Fähigkeit, die Zeit anzuhalten – angewiesen ist. Deshalb schickt sie ihren Jugendfreund, den alternden Ritter Bragon, zusammen mit ihrer (gemeinsamen?) Tochter Pelissa (im Original Pelisse) los, um den Vogel der Zeit und das Schneckenhaus mit dem darin gefangenen Ramor zu suchen. Die Queste, in die neben dem wackeren alten Kämpen und der üppigen Pelissa (die wie der typische, in Fantasycomics häufig zu findende gestaltgewordene feuchte Männertraum wirkt) auch noch Bulrog (ein zum Söldner gewordener ehemaliger Schüler Bragons) und der vor allem für auflockernde lustige Momente zuständige “Unbekannte” verwickelt werden, führt zu von Loisel beeindruckend in Szene gesetzten faszinierenden Orten, an denen sie ebenso faszinierenden, ihnen allerdings nicht immer freundlich gesinnten und teils sehr gefährlichen Wesen begegnen. Dabei liegt der Reiz der Geschichte nicht nur an der spannend inszenierten, mit mehreren verblüffenden Wendungen aufwartenden eigentlichen Queste, sondern auch am komplexen Beziehungsgeflecht der vier Hauptfiguren, deren Schicksal im Verlauf der Handlung mindestens ebenso wichtig wird wie das Akbars. Dazu kommen Loisels detailreiche, manchmal gar überbordende Zeichnungen, die aus Akbar eine wirklich exotische Fantasywelt mit originellen Bewohnern machen. Doch das, was La Quête wirklich zu einem ganz besonderen Fantasycomic macht, der die Möglichkeiten des Mediums wie kaum ein zweiter** nutzt und so zu einem Referenzwerk wird, an dem sich alle anderen Fantasycomics messen lassen müssen, offenbart sich erst im vierten Album …
Grauwolfs letzter Kampf von Le Tendre und LoiselAuch in Deutschland erschienen die ersten beiden Bände von Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit zunächst als Fortsetzungsgeschichte in Comicmagazinen (Band eins in Pilot 18 – 23 (1984), Band zwei in Schwermetall 60-65 (1985)), ehe die vier Alben Schatten über Akbar, Der Tempel des Vergessens (beide 1985), Grauwolfs letzter Kampf (1986) und Das Ei der Finsternis (1988) herauskamen, die teilweise mit neuen Titelbildern mehrfach neu aufgelegt wurden; 1992 folgte schließlich noch eine limitierte Gesamtausgabe unter dem Zyklustitel.
Der Erfolg von La Quête machte Loisel unabhängig, und bei der Arbeit an dem Zyklus war ihm klargeworden, dass er in Zukunft selbst Geschichten erzählen und sie nicht nur als Zeichner umsetzen wollte. Daher nahm er sein nächstes Projekt – eine freie Adaption von J.M. Barries Peter Pan*** – allein in Angriff, und das Ergebnis ist deutlich anders, als man vielleicht hätte erwarten können (vor allem, da Loisel durch den Disney-Fim von 1953 zu seiner Idee inspiriert wurde – Barries Originaltext kannte er damals noch gar nicht). Doch besagter Originaltext war ihm dann zu dünn, zu anekdotisch erzählt, und daher machte er sich in seiner Adaption daran, Peter und den anderen Figuren eine Hintergrundgeschichte zu geben, so dass sein Peter Pan eigentlich ein Prequel ist, das allerdings – da er den im Original verborgenen Subtext an die Oberfläche holt und sichtbar macht – sehr viel psychologischer und düsterer als Barries Version (oder gar der Disney-Film) ausgefallen ist.
Alles beginnt im Winter 1887 in einer Gasse in einem heruntergekommenen Viertel Londons; hier sitzt ein Junge vor einem Bretterverschlag und erzählt einer Horde Kindern auf der anderen Seite des Verschlags Geschichten, erst von Aschenputtel und dann von seiner ihn ach so sehr liebenden, fürsorglichen Mutter. Der Erzähler ist Peter – und die Geschichten über seine Mutter, die seine aus einem nahegelegenen Waisenhaus stammenden Zuhörer so gerne hören, sind frei erfunden. Denn in Wirklichkeit ist Peters Mutter eine Alkoholikerin, die ihren Sohn nur braucht, damit er ihr die nächste Flasche Fusel besorgt. Der einzige Lichtblick in Peters tristem Leben ist der nette alte Mister Kundal, der in einem Zimmer über einem Gasthaus lebt und Peter nicht nur lesen, schreiben und rechnen beigebracht hat, sondern ihn auch mit Essen und Geschichten versorgt. Die anderen Menschen sind nicht so großzügig – und manche sind sogar gefährlich, wie Peter feststellen muss, als er wieder einmal Brandy besorgen soll. Dass er im Gasthaus eine demütigende Situation erlebt (da ihm seine Mutter natürlich kein Geld mitgegeben hat), ist eine Sache, doch dass er auf dem Heimweg nur um Haaresbreite einer Vergewaltigung entgeht, ist noch einmal etwas ganz anderes. Und da seine Mutter ihn anschließend aus dem Haus jagt, ist es kein Wunder, dass Peter mit der Fee Glöckchen (im Original Clochette) und mit Hilfe ihres Feenstaubs einfach davonfliegt, London und die Welt der Erwachsenen mit all ihrer Gewalt, ihrem Sex, ihrer Armut und ihrem Schmutz hinter sich lässt. Glöckchen wiederum hat nach ihm gesucht – oder, genauer: sie hat nach jemandem gesucht, der die Insel Nimmerland und all die Fabelwesen, die auf ihr leben, retten wird. Denn vor der Insel liegt ein Piratenschiff vor Anker, dessen Mannschaft und deren cholerischer Kapitän auf der Suche nach einem Schatz sind, den es auf der Insel geben soll …
Was in groben Zügen im ersten Album Londres (1990) so beginnt, entwickelt sich in den fünf folgenden Alben Opikanoba (1992), Tempête (1994), Mains rouges (1996), Crochet (2002) und Destins (2004) zu einer komplexen Geschichte, deren Peter Pan Gesamtausgabe von LoiselSchauplatz zumeist Nimmerland ist (auch wenn Peter aus unterschiedlichen Gründen noch mehrmals nach London zurückkehrt) und in der u.a. erzählt wird, wie die Lost Boys auf die Insel gekommen sind, der Piratenkäpt’n zu Käpt’n Hook geworden ist oder warum das Krokodil den Wecker verschluckt hat – vor allem aber, wie und warum aus Peter Peter Pan geworden ist und warum er nicht erwachsen werden will (oder werden kann oder werden darf). Grafisch setzt Loisel das Ganze mit einem Strich in Szene, der im Vergleich zum Vogel der Zeit noch ein bisschen dynamischer geworden ist und manchmal fast schon karikierend wirkt, dabei aber – unterstützt durch eine an die jeweiligen Örtlichkeiten und Situationen angepasste Farbgebung – die Geschichte und ihre Atmosphäre immer überzeugend transportiert. Das Ergebnis ist ein sowohl grafisch als auch erzählerisch beeindruckendes Werk – aber auch eines, das teilweise sehr düster und letztlich tieftraurig ist. Aber was will man andererseits von einer Geschichte erwarten, in der es um ungeliebte Kinder geht?
Loisels Peter Pan hat es auch nach Deutschland geschafft. Die ursprünglich erschienenen sechs Alben London (1991), Die Insel (1992), Sturm (1995), Rote Hand (1997), Der Haken (2002) und Schicksale (2005) sind allerdings längst vergriffen, doch dankenswerterweise gibt es statt dessen eine sehr schöne zweibändige Peter Pan Gesamtausgabe (2014/15), in der außerdem ein redaktioneller Teil über Loisels Werdegang enthalten ist (dem auch dieser Beitrag einige bio- und bibliografische Angaben verdankt).
Vierzehn Jahre lang hat Régis Loisel an Peter Pan gearbeitet. Parallel dazu hat er in dieser Zeit am ersten Album des neuen Zyklus um den Vogel der Zeit (bei dem es sich um ein im Original Avant la Quête betiteltes Prequel handelt, das ursprünglich erst als dritter Zyklus geplant war) mitgewirkt, das unter dem Titel L’ami Javin 1998 erschienen ist, wobei mitgewirkt bedeutet, dass er zusammen mit Le Tendre das Szenario entworfen, ein Storyboard erstellt und coloriert hat, während die Reinzeichnungen von Lidwine stammen; eine ähnliche Arbeitsteilung hat auch bei den drei folgenden Alben von Avant la Quête stattgefunden, allerdings hat Loisel sie nicht mehr coloriert und die Reinzeichnungen stammen von Mohamed Aouamri (Le grimoire des dieux (2007)) und Vincent Mallié (La voie du Rige (2010) und Le chevalier Bragon (2013)). Hierzulande ist Avant la Quête als Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit 5-8 (1998-2014) erschienen.
Bereits 2005 hatte Régis Loisel, der zwischenzeitlich nach Kanada (genauer: nach Montreal) gezogen war, wo er sich mit seinem Kollegen Jean-Louis Tripp ein Atelier teilt°, mit besagtem Jean-Louis Tripp mit der Arbeit an einem Zyklus mit dem Titel Magasin général (neun Alben, 2006-2014) begonnen, der ausnahmsweise keinen phantastischen Inhalt hat, sondern in dem es um ein irgendwo im Hinterland von Quebec angesiedeltes Dorf und dessen Bewohner in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts geht (deutsch als Das Nest, neun Alben, 2007-2015). Und 2007 erschien mit L’armes d’abeille das erste Album des Zyklus Le Grand Mort (bislang sechs von wahrscheinlich acht Alben, 2007-2015), für den er gemeinsam mit Jean-Blaise Djian das Szenario schreibt, während die Zeichnungen von Vincent Mallié (s.o.) stammen. Bei Le Grand Mort (deutsch als Der große Tote, bislang sechs Alben, 2008-2016) handelt es sich wieder um einen phantastischen Zyklus, der zwar ein wenig klischeehaft begonnen hat, dessen neuere Alben sich allerdings in eine Richtung entwickeln, die die Hoffnung nährt, dass sich auch die dritte phantastische Comicreihe, an der Régis Loisel beteiligt ist, am Ende als weit überdurchschnittliches oder sogar überragendes Werk erweisen könnte.
Doch unabhängig davon, wie sich Der große Tote letztlich entwickeln wird – Loisel, der beim Internationalen Comicfestival von Angoulême zwei Mal (1991 und 1995) den Alph-Art du public (für das erste bzw. dritte Album von Peter Pan) und 1992 (wiederum für Peter Pan) beim Comic-Salon Erlangen den Max-und-Moritz-Preis gewonnen hat und der 2003 schließlich mit dem Grand Prix de la Ville d’Angoulême – dem wichtigsten französischen Comicpreis – ausgezeichnet wurde, hat seinen Platz im Pantheon der großen phantastischen Comickünstler und Erzähler seit dem Abschluss von Peter Pan längst sicher …

* – interessanterweise konnte auch Serge Le Tendre erst vor kurzem einen runden Geburtstag feiern – er wurde am 01. Dezember 70 Jahre alt.
** – diese Aussage bezieht sich explizit auf Fantasycomics, denn z.B. die Arbeiten eines Marc-Antoine Mathieu reizen die Möglichkeiten des Mediums noch wesentlich weiter aus.
*** – die Entwicklungs- und Publikationsgeschichte von J.M. Barries Peter Pan ist zu komplex, um sie hier als Fußnote abzuhandeln; bei Interesse empfiehlt sich ein Blick in die deutsche oder englische Wikipedia.
° – sich mit einem oder mehreren Kollegen ein Atelier zu teilen, hat bei Loisel Tradition, die er bereits in Paris begonnen hatte und auch während seiner Zeit in der Bretagne (Ende der 80er bis Anfang der 00er Jahre) fortgeführt hat.

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Zum 65. Geburtstag von Jeff Long

Mit einer Woche Verspätung gratuliert Bibliotheka Phantastika Jeff Long, der am 24. November seinen 65. Geburtstag feiern konnte. In seine Romane brachte der im Jahr 1951 in Bay City, Texas, geborene Jeffrey B. Long immer wieder seine Erfahrungen als Bergsteiger und Kletterer ein, die ihn unter anderem auf Himalayagipfel, aber auch an Krisenschauplätze wie Kambodscha und Tibet geführt haben.
Am eindringlichsten haben sich all diese Erfahrungen in The Descent (1999; dt. Im Abgrund (2001)) niedergeschlagen, das man zusammen mit seinem Nachfolger Deeper (2007) und einigen Stories durchaus als das Magnum Opus von Jeff Long sehen kann – ein Setting und ein Was-wäre-wenn-Gedankenspiel, zu dem es ihn immer wieder hinzieht.
The Descent von Jeff LongDer Roman steigt mit einer klaustrophobischen Sequenz ein, in der eine Bergsteigergruppe unter Führung des mit allen alpinen Wassern gewaschenen Ike bei einem Wetterumschwung in eine überraschend weitläufige Höhle flieht, und dort nicht nur auf völlig unbekannte Schriftzeichen stößt, sondern auf viel Schlimmeres. In den nächsten Kapiteln stoßen auch die Linguistin und Nonne Ali in Afrika und Major Branch, der für die NATO in Bosnien ist, auf Hinweise, dass unter der Erde etwas existieren könnte, das die Visionen von Dämonen und Hölle verschiedenster Kulturen recht glaubhaft erscheinen ließe.
Jahre später wird auch schon ein jegliche Vorstellung übersteigendes Höhlensystem erforscht, das die ganze Welt durchzieht. Wirtschaft, Forschung, Militär – alle haben ein riesiges Interesse an diesem neuen subterranen Raum. Als jedoch die Zwischenfälle zunehmen, wird eine Expedition zusammengestellt, an der auch jene Spezialisten teilnehmen, die schon früh mit der Unterwelt Kontakt hatten, unter anderem Ike, Ali und Branch.
Wie oft, wenn eine Geschichte um Enthüllungen und, wie in diesem Fall, auch Horror-Elemente kreist, ist The Descent am besten, solange das Geheimnis noch intakt ist, man das Monster noch nicht gesehen hat, und die Ausmaße der Veränderung, die durch die Enthüllung in Gang gesetzt wird, sich erst aufklären. So gehören die ersten 100 Seiten des Romans auch mit zu den eindringlichsten Sequenzen, die im Dunstkreis der Genres Abenteuer/Horror und Spannung zu finden sind. Aber auch die anschließende Erforschung der Untergrundwelt und ihrer Natur (und Kultur) hat es in sich. Dass der Roman zum Ende hin etwas zu einer Verschwörungsgeschichte ausdröselt und einige Fäden auch völlig ins Leere laufen, ist zwar bedauerlich (und könnte mit der Tatsache zu tun haben, dass die deutsche Ausgabe offenbar gekürzt wurde, was auch einige der sehr holprigen Übergänge erklären würde), aber mit den spannenden Konzepten und dem ansonsten sehr gelungenen Aufbau von The Descent kann man sich trotzdem sehr gut unterhalten lassen und einem phantastischen Weltentwurf folgen, der weder ganz ins Fantasyreich noch in ein futuristisches Setting führt.
Auch mit den auf The Descent folgenden Romanen, etwa Year Zero (2002, dt. Grauzone (2003) oder Zone des Grauens (2005)), bewegt sich Jeff Long im Umfeld von religiösen Mythen, Wissenschaft und Verschwörungen. In seiner 2015 erschienenen Kurzgeschichtensammlung Too Close to God kehrt er zwischen anderen Geschichten mit Bergsteigerhintergrund auch wieder ins Setting von The Descent zurück, bei dem immer noch die Frage nach einem dritten Teil im Raum steht.

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Zum 75. Geburtstag von Caza

Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Caza, der bereits heute vor zwei Wochen seinen 75. Geburtstag feiern konnte. Caza ist das Kürzel, unter dem der am 14. November 1941 in Paris geborene Philippe Cazaumayou seine Arbeiten veröffentlicht, die ihn in der Frühphase des Die große Außenwelt von Caza(damals innovativen) Comicmagazins Métal Hurlant zu einem der wichtigsten Vertreter des neuen phantastischen französischen Erwachsenencomics machten. Seine Bedeutung lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass Les Humanoïdes Associés (der Verlag, in dem Métal Hurlant erschien) ihm 1979 einen Caza 30×30 betitelten Bildband (“30×30” verweist auf das ungewöhnliche LP-Format) gewidmet hat – eine Ehre, die außer ihm nur Moebius alias Jean Giraud und Phillippe Druillet zuteil geworden ist.
Bevor sich Caza einen Namen als Comic-Künstler gemacht hat, hat er zehn Jahre als Grafiker in der Werbung gearbeitet. Da ihn diese Tätigkeit auf Dauer nicht befriedigte, wandte er sich ab Ende der 60er Jahre den Comics zu und veröffentlichte 1970 mit Kris Kool ein erstes Album, das inhaltlich von Jean-Claude Forests Barbarella (der Vorlage für den vermutlich hierzulande bekannteren gleichnamigen Film mit Jane Fonda) beeinflusst war, während es grafisch ganz in der Tradition der Pop-Art-Alben Guy Peellaerts stand.
Ab Anfang der 70er Jahre begann er, Innenillustrationen und bald vor allem Titelbilder für die französischen SF-Magazine Galaxie und Fiction und SF- und Fantasyromane zu schaffen und entwickelte binnen kurzer Zeit den typischen Stil, der ein Caza-Cover unverkennbar macht und ihn zu einem der gefragtesten Titelbildzeichner auf dem französischen Buchmarkt werden ließ, der bis vor kurzem in diesem Bereich durchgängig aktiv war. Parallel dazu veröffentlichte er erste kurze Comics in Pilote, die sich grafisch deutlich von seinem ersten Album unterschieden.
Mitte der 70er Jahre zog Caza in die Cevennen, und dieser Rückzug aus der Zivilisation scheint seine Kreativität enorm beflügelt zu haben, denn die Kurzgeschichten, die er ab 1975 für das gerade gestartete Métal Hurlant – anfangs in Schwarzweiß, bald darauf dann auch in Farbe – zeichnete, machten ihn rasch zu einem der Stars des Magazins (s.o.). Während Caza sich in Métal Hurlant mit phantastischen Themen austobte – die immer häufiger auch einen erotischen Touch hatten – entstanden für Pilote satirische Geschichten, die meist ins Phantastische oder Surrealistische lappten (und in denen Caza selbst auftritt); sie wurden in drei Alben als Scènes de la vie de banlieue (1977-79; 2003 auch als “Intégrale” aka Omnibusausgabe) gesammelt veröffentlicht*.
Les Remparts de la Nuit von CazaNach seiner Rückehr in die Zivilisation wandte Caza sich auch in den Geschichten für Pilote endgültig voll und ganz der Phantastik zu: die kurz nach der Magazinveröffentlichung in den Alben Les Habitants du crépuscule (1982) und Les Remparts de la nuit (1984) unter dem Obertitel L’Âge d’ombre (unter diesem auch als Intégrale (1998)) gesammelten Geschichten hätten sowohl grafisch wie inhaltlich auch bestens in Métal Hurlant gepasst und verbreiten eine mal mehr, mal weniger düstere Endzeitstimmung. Eine dieser Geschichten (“Equinoxe”) hat der Regisseur René Laloux zusammen mit Caza als kurzen Zeichentrickfilm adaptiert – das Ergebnis kann man sich hier anschauen, und auch wenn sich Comic und Film in mehrfacher Hinsicht unterscheiden, kann man auch in dem Film ein paar typische Merkmale von Cazas phantastischen Comics erkennen, etwa seine Vorliebe für titanische Bauwerke, unbekleidete Frauen … und verrätselte Inhalte.
Auch die Inhalte der für Métal Hurlant entstandenen Geschichten – die in den Alben Arkhê (1982) und Laïlah (1988) gesammelt wurden – erschließen sich nicht unbedingt auf Anhieb, und das gilt ebenfalls für Cazas magnum opus, die aus neun Alben bestehende Reihe Le Monde d’Arkadi. Schauplatz des 1989 mit Les Yeux d’Or-Fé begonnenen und mit Le Grand Extérieur (1990), Arkadi (1991), La Corne rouge (1992), Les Voyageurs de la mer morte (1993), Noone (1996), Le Château d’Antarc (2004), Pierres de Lune (2007) und Le Jour de l’arche (2008) fortgesetzten (die lange Pause zwischen Band sechs und sieben war u.a. einem Verlagswechsel geschuldet) und um einen Prolog – Nocturnes (2000) – ergänzten Zyklus ist eine Erde in ferner Zukunft, die umgeben von einem zum Asteroidenschwarm zerfallenen Mond ihre Rotation längst eingestellt hat, so dass es auf einer Seite immer hell ist, während die andere in ewiger Dunkelheit liegt. Nur in der Zwielichtzone können die auf eine primitive Kulturstufe zurückgefallenen Menschen überleben. Einer von ihnen ist Arkadi, der Sohn des Kriegers Arkas, der von mehreren Gefährten begleitet zu einer Queste aufbricht, die ihn nach Dité führen soll, der Kuppelstadt mitten im Herzen der Dunkelheit. Dort leben – umgeben von einer Hochtechnologie – ebenfalls Menschen, um die sich Titanen genannte Cyborgs kümmern. Einer dieser Cyborgs – ein Dichter namens Or-Fé – ist für den Fortbestand von Dité sehr wichtig – was allzu deutlich wird, als er verschwindet …
Pierres de Lune von CazaDie mittels abwechselnd im “Draußen” und in Dité spielender Handlungsstränge und grafisch in einem vor allem im Hinblick auf die Figurendarstellung ein bisschen näher an Moebius gerückten Stil erzählte Geschichte erschließt sich erst sehr allmählich (wobei der nachgelieferte Prolog – wie schon im Fall der Rork-Geschichten von Andreas – das Ganze etwas einfacher macht); das gilt allerdings nicht für deutschsprachige Leser und Leserinnen, denn die deutsche Ausgabe des Zyklus Die Welt von Arkadi wurde nach vier Alben – Die Augen von Or-Fé (1995), Die große Außenwelt, Arkadi (beide 1996) und Das rote Horn (1998) – abgebrochen. Was bedauerlich ist, da Caza ein farbiges und detailreiches, phantastisch umgesetztes Setting geschaffen hat, das weit mehr ist als eine Kulisse für eine durchaus originelle Geschichte.
Aber was Veröffentlichungen in deutscher Sprache betrifft, hat Caza ohnehin noch nie zu den (ganz) Glücklichen gezählt – aber auch nicht zu den (ganz) Unglücklichen, denn immerhin ist ein Großteil seiner frühen Arbeiten für Pilote und Métal Hurlant in ihren jeweiligen deutschen Pendants Pilot und Schwermetall erschienen und in fünf Caza betitelten und von eins bis fünf durchnummerierten Alben (mit dem Untertitel “Gesammelte Werke beim Volksverlag”, alle 1984) nachgedruckt worden**; dazu kommt der Band Die Träume des Caza (1979), der Geschichten enthält, die nicht in den Magazinen veröffentlicht wurden.
Was wäre noch über Caza zu sagen? Dass er für die zeichnerische Umsetzung von Gandahar (1988) verantwortlich war, einem 83-minütigen Zeichentrickfilm von (wieder) René Laloux, bei dem es sich um die Adaption des Romans Les Hommes-machines contre Gandahar von Jean-Pierre Andrevon handelt? Oder dass er das Szenario für den sogar noch etwas längeren Zeichentrickfilm Les Enfants de la pluie (2003) geschrieben hat, der eine freie Adaption des Serge-Brussolo-Romans À l’image du dragon darstellt? Oder dass er sich auch als Comic-Szenarist betätigt hat, und zwar für die vierteilige Albenreihe Amiante (1993-97, Zeichnungen Patrick Lemordan)?
Aber da sich Cazas Œuvre ohnehin nicht in ein paar dürren Zeilen erfassen lässt, soll an dieser Stelle einfach der Hinweis genügen, dass er ein leider hierzulande viel zu wenig bekannter Comickünstler ist, dessen phantastische Bilder – im eigentlichen und im übertragenen Sinn – einem lange im Gedächtnis bleiben.

* – lustig ist, dass die Cover der Alben bei Neuauflagen jeweils ausgetauscht wurden, so dass man Cazas Entwicklung und/oder Vermarktung hier sehr schön erkennen kann (einfach durchklicken)
** – ich kann leider nicht sagen, was in welchem Band ist, meine mich aber erinnern zu können, dass nur die letzten beiden Alben durchgängig farbig sind

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Zum 45. Geburtstag von Sofia Samatar

Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Sofia Samatar, die bereits vor gut zweieinhalb Wochen ihren 45. Geburtstag feiern konnte. Bevor die am 24. Oktober 1971 im amerikanischen Bundesstaat Indiana geborene Sofia Samatar ab 2011 zunächst mit Gedichten, doch bald darauf auch mit Rezensionen, Essays und Erzählungen auf sich aufmerksam machte, hatte sie eine akademische Ausbildung hinter sich gebracht (in deren Rahmen sie u.a. Arabisch studiert hat) und anschließend mehrere Jahre als Englischlehrerin im Sudan und in Ägypten gearbeitet. Im Sudan – genauer: in Yambio, einer Stadt in der seit 2011 vom Sudan unabhängigen Republik Südsudan – ist auch der erste Entwurf ihres ersten Romans entstanden, der viele Jahre und Bearbeitungsstufen später – und nur noch halb so lang wie anfangs geplant – als A Stranger in Olondria (2013) auf den Markt kam und gleich die wichtigsten Preise des Genres abgeräumt hat.
“As I was a stranger in Olondria, I knew nothing of the splendor of its coasts, nor of Bain, the Harbor City, whose lights and colors spill into the ocean like a cataract of roses. I did not know the vastness of the spice markets of Bain, where the merchants are delirious with scents. I had never seen the morning mists adrift above the surface of the green Illoun, of which the poets sing; I had never seen a woman with gems in her hair, nor observed the copper glinting of the domes, nor stood upon the melancholy beaches of the south while the wind brought in the sadness from the sea …” Mit diesen Sätzen beginnt Jevick, der Ich-Erzähler von A Stranger in Olondria, seine Geschichte, und sie stimmen uns stilistisch und inhaltlich auf das ein, was folgen wird. Jevick lebt als Sohn eines wohlhabenden Pfefferhändlers in dem Dorf Tyom auf einer der Tea Islands, einer Inselgruppe im Süden des mächtigen Reichs Olondria. Eines Tages bringt sein Vater von einer seiner Reisen einen Hauslehrer aus Olondria mit, der Jevick nicht nur die olondrische Sprache sondern auch das Lesen beibringt – etwas, das auf den Tea Islands unbekannt ist – und ihn mit Lesestoff in Form der großen olondrischen Epen versorgt. Jevick begeistert sich für die “Magie” des Lesens und den Stoff, den er zu lesen bekommt, und als sein Vater überraschend stirbt, kann er es kaum erwarten, an dessen Stelle nach Bain zu reisen und in der Hauptstadt Olondrias all das, was er bisher nur aus Büchern kennt, mit eigenen Augen zu sehen. Seine Begeisterung ist so groß, dass er nicht einmal merkt, wie sehr er sich bereits von seinen mitreisenden Landsleuten entfremdet hat, die er aufgrund ihrer Unkenntnis der olondrischen Sprache verachtet. In Bain angekommen, ist Jevick schier berauscht von all den Eindrücken, die auf ihn einprasseln, und die ihren Höhepunkt im “Feast of Birds” – einem Fest zu Ehren von Avalei, der Göttin der Liebe und des Todes – finden. Doch die Ernüchterung folgt spätestens, als er kurz nach dem besagten Fest vom Geist Jissavets (einer jungen Frau aus seiner Heimat, die er auf der Überfahrt kennengelernt hatte) heimgesucht wird und dadurch ins Visier der Repräsentanten der in Olondria vorherrschenden Religion gerät, denn für die Priester des “Stone” ist jeder, der Geister – oder “Engel” – sehen kann, eine Gefahr, weil solche Menschen von den entmachteten und verfolgten Priestern des konkurrierenden Avalei-Kults als Heilige betrachtet werden. Jevick muss schmerzhaft erkennen, wie wenig er letztlich von Olondria, von den politischen und religiösen Gegebenheiten des Reiches weiß, und ihm wird bewusst, dass er noch immer ein Fremder in Olondria ist – und es auch im weiteren Verlauf seiner Abenteuer, die ihn weit von Bain wegführen, bleiben wird …
A Stranger in Olondria von Sofia Samatar Mit A Stranger in Olondria ist Sofia Samatar ein wundervoller, kluger Roman gelungen, der in sich Elemente des Entwicklungsromans (oder gar des Bildungsromans), des Reiseromans und der Geistergeschichte vereint – und präsentiert wird das Ganze in einer nur als berückend schön zu bezeichnenden poetischen Sprache (von der man sich hier anhand des ersten Kapitels einen Eindruck verschaffen kann). Doch in A Stranger in Olondria geht es nicht nur um die Reise eines anfangs naiven jungen Mannes an überaus plastisch und atmosphärisch geschilderte exotische Orte, sondern auch sehr zentral um die Kraft des geschriebenen Wortes. Oder, etwas genauer: um die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können. Es geht um die Räume, die sich dadurch eröffnen, aber auch um die Barriere, die zwischen denen entsteht, die diese Fähigkeit beherrschen, und denen, die sie nicht beherrschen; und um die Gefahren, die daraus erwachsen können, dass man das geschriebene Wort für die einzige Wahrheit hält. Vor allem die Behandlung dieser Thematik mit all ihren Nebenerscheinungen macht A Stranger in Olondria weit über die wunderbare Sprache, die Exotik und die Atmosphäre hinaus zu einem wirklich lesenswerten Roman, der völlig zu recht mit dem World Fantasy Award und dem British Fantasy Award aka Robert Holdstock Award ausgezeichnet wurde und als weiteres Beispiel dafür gelten kann, was heutzutage in der Fantasy abseits von tolkienesken Questen und Metzeleien im Grim-&-Gritty-Stil möglich ist.
Inzwischen ist Sofia Samatar mit The Winged Histories (2016) noch einmal nach Olondria zurückgekehrt, und die bislang veröffentlichten Rezensionen deuten stark darauf hin, dass es ihr gelungen ist, das Niveau ihres Erstlings nicht nur zu halten, sondern sogar zu übertreffen. Was die Tatsache, dass besagter Erstling bislang noch nicht übersetzt wurde (und vermutlich so bald auch nicht übersetzt werden wird), umso bedauerlicher macht.

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Zum 40. Geburtstag von Ben Peek

Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Ben Peek, der bereits heute vor einer Woche seinen 40. Geburtstag feiern konnte. Seine ersten literarischen Gehversuche machte der am 12. Oktober 1976 in Sydney im australischen Bundesstaat New South Wales geborene Benjamin Michael Peek ab 1996 in verschiedenen australischen Fanzines und Magazinen, wobei das inhaltliche Spektrum seiner Stories von SF über Horror und Fantasy bis hin zum Slipstream reichte. Ab Mitte der 00er Jahre wurde die eine oder andere Geschichte in den australischen Best-of-Anthologien nachgedruckt, und ungefähr um die gleiche Zeit erschienen auch seine ersten beiden Romane, von denen einer – nämlich Black Sheep (2007), in dem Peek das düstere Bild eines zukünftigen,von einem bizarren Apartheid-System beherrschten Australien entwirft – der SF zuzurechnen ist, während es sich bei Twenty-Six Lies/One Truth (2006) um eine fiktionale Autobiographie handelt.
The Godless von Ben PeekDanach wurde es – abgesehen von ein paar vereinzelten Stories – zunächst einmal ruhig um Ben Peek, bis 2014 mit The Godless der erste Band der The Children Trilogy auf den Markt kam. Auch wenn weder das Cover der englischen noch der amerikanischen Ausgabe darauf hindeuten, handelt es sich bei The Godless – bzw. der gesamten Trilogie, deren Einzelbände ursprünglich andere Titel tragen sollten* – um Epic Fantasy, die mit einem der originellsten, ehrgeizigsten und phantastischsten Konzepte, das man in den letzten Jahren in diesem Subgenre zu Gesicht bekommen hat, punkten kann (und in der Umsetzung bedauerlicherweise wieder ein paar Punkte verliert). Aber der Reihe nach:
The Godless spielt auf einer Welt, auf der es – Nomen est in diesem Fall nicht Omen – sehr wohl noch Götter gibt, allerdings sind diese seit einem fünfzehntausend Jahre zurückliegenden verheerenden Götterkrieg tot, und ihre gigantischen (manchmal dann doch nicht ganz so toten) Körper bilden zum Teil die geographischen Strukturen dieser Welt. Außerdem sickert aus ihnen so etwas wie ihre göttliche Essenz, die manchen Menschen merkwürdige Kräfte verleihen kann, was von deren nicht auf diese Weise “beglückten” Mitmenschen nur gelegentlich als Geschenk, sondern zumeist als Fluch betrachtet wird. In dieser Welt lebt die junge Kartographin Ayae, die plötzlich feststellen muss, dass sie nicht mehr durch Feuer verletzt werden kann, was ihre Situation in einer Zeit, in der ihre neue Heimat, die auf dem Körper eines toten Gottes erbaute Gebirgsstadt Mireea, von einem feindlichen Heer bedroht wird, nicht unbedingt leichter macht. Auch die Bekanntschaft mit dem viele tausend Jahre alten geheimnisvollen Zaifyr, der mehr über die Geschichte seiner Welt weiß als die meisten anderen Menschen, nützt ihr nicht viel, denn Zaifyr hat seine eigenen Pläne und Ziele – und er ist nicht der einzige. Und dann wäre da noch der Söldnerführer Bueralan, der versucht, mit seinen Männern die feindliche Armee zu infiltrieren, um etwas über deren Schwächen herauszufinden, und dabei viel mehr zu sehen bekommt, als er sich jemals gewünscht hat …
Das Konzept, das hinter The Godless steht, ist neu, faszinierend – und sehr ambitioniert. Und eigentlich macht Ben Peek auch Vieles richtig, entwirft nicht nur ein phantastisches, farbiges Setting, sondern stellt mit Ayae, Zaifyr und Bueralan auch drei Figuren in den Mittelpunkt der Handlung, die interessant genug sind – alle drei haben über ihre aktuellen Probleme hinaus eine Vorgeschichte, die z.T. in kurzen Rückblenden angerissen wird –, um die Geschichte eigentlich tragen zu können. Doch dazu verläuft ihre Entwicklung zu sprunghaft – oder, anders gesagt: alle drei haben innere Konflikte, doch diese Konflikte werden entweder im Off oder zu leicht gelöst. Zudem durchzieht das ganze Buch nicht zuletzt durch die schnellen Schauplatzwechsel und die extrem kurzen Kapitel eine gewisse Atemlosigkeit und Hektik, die – sofern man sich von ihr mitreißen lässt – genau das verhindert, was dieser gelegentlich sehr fragmentarisch erzählte Roman eigentlich braucht: dass man innehält, um selbst die Brücken zu schlagen, mit denen sich diese Fragmente verbinden lassen, und um den tieferen Schichten nachzuspüren, die unter der Oberfläche verborgen sind. Denn die gibt es sehr wohl – manche Autoren hätten aus dem, was Ben Peek in The Godless gepackt hat, locker eine Trilogie gemacht. Was letztlich auch bedeutet, dass dieser Roman ausnahmsweise mal eher zu dünn als zu dick ist (er ist – für Epic-Fantasy-Verhältnisse – tatsächlich nicht sehr dick).
Trotz der o.g. Einwände ist dieser erste Band der Children Trilogy ein lesenswerter Roman, dessen Stärken seine Schwächen mehr als aufwiegen. Darüberhinaus ist Ben Peek ein noch vergleichsweise junger, entwicklungsfähiger Autor, dem hoch anzurechnen ist, dass er nicht auf Nummer Sicher gegangen ist und einen GRRM- oder Joe-Abercrombie-Klon geschaffen hat, sondern versucht hat, seine originellen inhaltlichen Ideen auch erzählerisch ein bisschen anders als gewohnt umzusetzen. Und last but not least geht es in The Godless um eine Menge Themen, die weit über den Buchinhalt hinaus Relevanz besitzen (ohne dass die Analogien zum Hier und Heute allzu penetrant daherkommen).
Mit Leviathan’s Blood – zu dem es hier einen Trailer gibt – ist in diesem Jahr der zweite Band der Children Trilogy erschienen, der dritte Band mit dem Titel The Eternal Kingdom soll nächstes Jahr veröffentlicht werden. Fast zeitgleich mit den Originalausgaben sind hierzulande die Übersetzungen der ersten beiden Bände als Verflucht (2014) und Gefallen (2016) – unter dem Zyklustitel Ära der Götter – herausgekommen.

* – die ursprünglich geplanten Titel lauteten Immolation, Innocence und Incarnation

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Spendenaktion für die Phantastische Bibliothek Wetzlar

Die Phantastische Bibliothek Wetzlar verfügt mittlerweile über einen Buchbestand von mehr als 270.000 Titeln und ist damit die weltweit größte öffentlich zugängliche Sammlung phantastischer Literatur – und für alle, die an SF, Fantasy, Utopien, Phantastik und Horror, aber auch an Sagen und Mythen, Märchen oder Reise- und Abenteuerliteratur interessiert sind, ganz gewiss eine Reise wert (wie alle bestätigen werden, die schon einmal dort waren).
Doch in Zeiten des knappen Geldes sind allein schon die Verwaltung und der Unterhalt einer so gigantischen Sammlung schwierig, und deshalb haben mehr als 40 bekannte Autorinnen und Autoren aus allen Bereichen der phantastischen Literatur gemeinsam einen Spendenaufruf initiiert, den wir an dieser Stelle gerne weiterverbreiten wollen.
Hier findet man nicht nur eine Galerie bzw. eine Liste der an der Aktion beteiligten Autorinnen und Autoren, sondern auch alle sonstigen wissenswerten Details.

Phantastische Bibliothek Wetzlar
Da wir eine so ausladende Büchersammlung in echt und zum Anfassen großartig finden und die Phantastische Bibliothek auch schon einmal im Rahmen eines Forentreffens besichtigen konnten, möchte auch Bibliotheka Phantastika einen kleinen Beitrag leisten: Näheres dazu (und zur Möglichkeit, sich an der BP-Spende zu beteiligen), findet ihr im Forum.

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Zum 65. Geburtstag von Robert Hood

Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Robert Hood, der bereits am Sonntag vor einer Woche seinen 65. Geburtstag feiern konnte. Schon wieder so ein Autor, von dem ich noch nie gehört habe, mag der eine oder die andere jetzt vielleicht denken, aber bei dem am 24. Juli 1951 in Parramatta im australischen Bundesstaat New South Wales geborenen Robert Maxwell Hood handelt es sich um einen immer noch aktiven und sehr produktiven Autor, der nur hierzulande praktisch unbekannt sein dürfte; in seinem Heimatland sieht das ganz anders aus, dort hat sich Hood mit weit über 100 Kurzgeschichten und Erzählungen für Erwachsene sowie einer aus vier Bänden bestehenden Jugendbuchserie und einer gemeinsam mit einem Co-Autor verfassten neunbändigen Kinderbuchserie den Ruf erschrieben, einer der wichtigsten Horrorautoren des Landes zu sein, dessen Geschichten häufig auf den Nominierungslisten für den Ditmar und den Aurealis Award auftauchen.* Hier und heute soll es allerdings weder um Hoods phantastische Erzählungen für Erwachsene, noch um seine Kinder- oder Jugendbücher gehen – und auch nicht um die von ihm herausgegebenen Anthologien – sondern um seinen bislang einzigen romanlangen Ausflug in die Fantasy.
Besagter Roman ist 2012 unter dem Titel Fragments of a Broken Land: Valarl Undead auf den Markt gekommen und hat 2014 prompt den Ditmar in der Kategorie “Best Novel” gewonnen – und das, obwohl er zweifellos zu den ungewöhnlichsten und seltsamsten Werken zählt, die das Genre bisher hervorgebracht hat (und somit auch zu denen, die sich kaum mit einigen wenigen Sätzen beschreiben lassen). Was nicht zuletzt daran liegt, dass ein ebenso originelles wie fremdartiges und merkwürdiges Setting als Bühne für eine fast schon typische Queste dient, mit der allerdings eine metaphysische Komponente verwoben ist, die für die Welt, die Figuren und die Handlung von zentraler Bedeutung ist.
Tharenweyr ist eine ungewöhnliche Welt, denn an ihrem Himmel scheint tagsüber keine Sonne, und nachts leuchten dort keine Sterne. Die Tage auf Tharenweyr werden von einer Energiewoge erhellt, die von Süden nach Norden über das einer festen Decke gleichende Firmament wandert, während der Nacht herrscht am Himmel nichts als absolute Schwärze. Aber das sind nur die äußeren Merkmale einer Welt, deren metaphysischer Überbau durchaus für Alpträume sorgen kann. Unter solchen leidet etwa die junge Remis Sarsdarl, die gerade ihre Ausbildung als Spellbinder abgeschlossen hat und nun versucht, sich in Koerpel-Na, der Hauptstadt des durch Handel reich und mächtig gewordenen Landes Vesuula, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Doch aus ihrer Idee, Zaubersprüche und magische Talismane an die Einwohner Koerpel-Nas zu verkaufen, wird nichts, da die mächtigen Handelshäuser keine Konkurrenz – sprich: keine unabhängigen Spellbinder – in der Stadt dulden, und so steht Remis alsbald vor den Trümmern ihrer gerade erst begonnenen beruflichen Existenz. Ihren Nachbarn, den ebenfalls beruflich alles andere als erfolgreichen Schmied Arhl Mogarni, plagen keine Alpträume; stattdessen wird er vom Geist seiner toten Mutter heimgesucht, was ihm auch nicht unbedingt Trost spendet. All das ist jedoch nichts im Vergleich zu den Träumen, denen Sevthen Ulart-Tashnark, der Sohn eines behördlich zugelassenen reichen Sklavenhändlers, jeden Abend dadurch zu entkommen versucht, das er sich fast bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt. Nicht, dass das viel ändern würde, denn er träumt trotzdem immer wieder davon, ein Krieger namens Bellarroth zu sein, der auf einer selbst im Vergleich zu Tharenweyr merkwürdigen anderen Welt, in der Schlangen auf Bäumen wachsen (und bei der es sich eigentlich um das sich durch die Leere bewegende kosmische Ungeheuer Tammenallor handelt) unterwegs zu einem Ziel ist, das er ebensowenig kennt wie den Auftrag, den er zu erfüllen hat. Die Wege dieser drei Figuren kreuzen sich eher zufällig – oder auch nicht – kurz nachdem Remis versehentlich einen untoten Leichnam aus seinem Todesschlaf erweckt hat und dadurch die Aufmerksamkeit der Akolythen eines Dunklen Gottes auf sich gelenkt hat – und nur wenig später stecken Remis, Arhl und Tashnark mitten drin in einem Schlamassel, in dem nicht nur ihr eigenes Überleben auf dem Spiel steht, sondern das Schicksal von ganz Tharenweyr …
Dass ein Autor wie Robert Hood, bei dem der Schwerpunkt seines Schaffens bislang im Bereich des Horrors lag, ein vergleichsweise düsteres Setting und Szenario ersinnt, ist letztlich nicht weiter verwunderlich, dass es außerdem auch eins der bizarrsten ist, die die Fantasy bis heute hervorgebracht hat, schon eher. Denn bizarr ist Tharenweyr – vor allem, wenn man seinen metaphysischen Überbau miteinbezieht – zweifellos, und zwar so bizarr, dass es schwerfällt, etwas auch nur annähernd Vergleichbares zu finden. Am ehesten kommen einem da noch die Welten eines Clark Ashton Smith, William Hope Hodgsons Millionen Jahre in der Zukunft um eine erloschene Sonne kreisende Erde in The Night Land (1912; dt. Das Nachtland (1982)) oder Tormance, der Handlungsort von David Lindsays A Voyage to Arcturus (1920; dt. Die Reise zum Arcturus (1986)) in den Sinn, wobei “vergleichbar” sich hier jeweils weder auf das Setting noch auf den Stil oder den Erzählduktus bezieht, sondern auf die Einzigartigkeit (und somit eigentlich die “Unvergleichbarkeit” 😉 ), die alle diese Werke auszeichnet.
Doch trotz der Horroreinflüsse und der Düsternis gehört Fragments of a Broken Land: Valarl Undead nicht in die Kategorie Grimdark oder Grim & Gritty, sondern ist eigentlich in einem ganz besonderen Setting angesiedelte Heroic Fantasy. Was in erster Linie an den Figuren – an Remis, Arhl, Tashnark (und noch einigen anderen, denn die Gruppe wächst und schrumpft im Laufe der Queste) – liegt, denen der Zynismus, der sich in so vielen modernen Fantasywerken finden lässt (vor allem, wenn sie versuchen, besonders grim & gritty zu sein), vollkommen fremd ist. Remis, Arhl, Tashnark und die anderen mögen Gescheiterte sein, sie mögen alle ihre Schwächen und ihre Geheimnisse haben, aber sie haben auch einen moralischen Kompass und wissen um die Bedeutung von Freundschaft, von Selbstlosigkeit und Mitgefühl. Das macht aus Fragments jetzt keinen fröhlichen Roman, aber immerhin einen, in dem bei aller Düsternis und Verzweiflung immer ein Silberstreifen am Horizont – und mag er noch so blass und schmal sein – sichtbar ist. Und der – nebenbei bemerkt – überaus spannend ist, sobald er so richtig in Gang gekommen ist.
Es muss allerdings auch ganz klar gesagt werden, dass Fragments of a Broken Land: Valarl Undead es seinen potenziellen Lesern und Leserinnen nicht leicht macht (vor allem, wenn man kein native speaker ist). Das fängt bei dem teilweise überaus dichten Stil an, setzt sich mit den größtenteils alles andere als eingängigen Namen fort und endet bei all den (zumindest anfangs absolut unverständlichen) Träumen und Verweisen, die sich auf den metaphysischen Überbau beziehen. Besagter, inzwischen mehrfach erwähnter Überbau fußt nämlich auf den Visionen und Bildern des englischen Dichters, Malers und Mystikers William Blake, dessen Werk wohl nur den wenigsten deutschsprachigen Lesern und Leserinnen ein Begriff sein dürfte. Es ist nicht so, dass man dieses Werk unbedingt kennen muss, damit die Geschehnisse einen Sinn ergeben – aber es hilft, wenn man weiß, wo einige der Bilder und Ideen herkommen, die Robert Hood in seinem Roman verwendet.**
Ungeachtet all dessen, was im vorangegangegen Absatz steht, gibt es für Leser und Leserinnen, die wissen wollen, was mit und in der Fantasy möglich ist, wenn sie das immer noch gern und häufig genutzte, entweder als Grundlage für eine idealisierte Wohlfühl-&-Wunscherfüllungs-Phantasie oder für einen vorgeblich “realistischen” Blick in eine vor allem dreckige, grausame und vom Recht des (zumeist amoralischen) Stärkeren oder Höhergestellten beherrschte Welt dienende pseudomittelalterliche Setting verlässt, nur wenig Beispiele, die ähnlich weit weg vom Fantasy-Mainstream angesiedelt sind wie Robert Hoods Fragments of a Broken Land: Valarl Undead. Manchen mag es auch zu weit weg davon sein. Ob man mit dieser Art von Fantasy etwas anfangen kann, lässt sich problemlos feststellen, ohne dass man den Roman kaufen muss, denn auf Robert Hoods für Fragments geschaffener Webseite finden sich – neben u.a. einem Beitrag zu William Blake, in dem Hood auch erklärt, wie er überhaupt auf die Idee gekommen ist, Blakes Visionen und Bilder für seinen Roman zu verwenden – drei Erzählungen, die man kostenlos downloaden kann: “Tamed” (Hoods erster Ausflug nach Thamenweyr, der in der Anthologie Dreaming Down-Under (1998) erschienen ist), “Dark Witness” (ursprünglich in Fragments als Flashback enthalten, aber während des Editionsprozesses dort gestrichen) und “Garuthgonar and the Abyss” (eine Story, die zeitlich lange vor dem Roman angesiedelt ist und die Abenteuer des Vaters von Shaan – einer weiteren Hauptfigur aus dem Roman, die aus Umfangs- und Übersichtlichkeitsgründen im obigen Text nicht erwähnt wurde – erzählt).

* – Ditmar und Aurealis Award werden für Werke aus den Bereichen SF, Fantasy und Horror vergeben.
** – ich selbst kannte vorher auch nur das Gedicht The Tyger und ein paar Bilder, habe mich dann aber parallel zur Lektüre von Fragments ein bisschen über Blake und sein Werk schlau gemacht; aber wie gesagt: das muss man nicht tun (auch wenn’s durchaus spannend ist). Der deutsche Wikipedia-Eintrag zu Blake ist übrigens … sagen wir dürftig, aber ich habe auf die Schnelle keine deutschsprachige Seite gefunden, die etwas dezidierter auf Blakes Werk – vor allem auf dessen mystische Komponente – eingeht.

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Zum 90. Geburtstag von Richard Meade

Bibliotheka Phantastika erinnert an Richard Meade, der heute vor zehn Tagen 90 Jahre alt geworden wäre. Nachdem wir vor kurzem mit Norvell W. Page an einen Autor erinnert haben, dessen Name vermutlich kaum jemand ein Begriff war, ist heute ein Autor an der Reihe, dessen Name sehr wahrscheinlich niemandem etwas sagt. Und daran würde sich vermutlich auch nichts ändern, wenn wir statt an Richard Meade an Quinn Reade, Ben Elliott, William Kane, Sam Webster, Ben Haas, Thorne Douglas oder John Benteen erinnern würden – es sei denn, es gibt ein paar Westernfans in unserer Leserschaft, denn denen könnte zumindest der letzte Name ein Begriff sein. Der Western war nämlich das Hauptbetätigungsfeld des am 21. Juli 1926 in Charlotte, North Carolina, geborenen Benjamin Leopold Haas, der seine Romane teils unter Ben Haas, die meisten allerdings unter einem der o.g. Pseudonyme (es gibt noch ein paar mehr) veröffentlicht hat. Haas war ein ungemein fleißiger Autor, der in seiner knapp sechzehn Jahre dauernden Autorenkarriere rund 130 Romane veröffentlicht haben soll; in erster Linie Western, aber auch Arztromane, Thriller und historische Romane – und drei Sword-&-Sorcery- bzw. Heroic-Fantasy-Romane (zwei davon unter dem Pseudonym Richard Meade, was erklärt, warum wir an Richard Meade und nicht an Ben Haas erinnern und warum Haas hier heute überhaupt auftaucht).
The Sword of Morning Star (1969), der erste dieser Romane unter dem (bereits mit Romanen aus anderen Genres eingeführten) Pseudonym Richard Meade, eröffnet eine kurze, aus zwei Bänden bestehende, Gray Lands genannte Sequenz. Das Setting ist – wie häufig bei derartigen Romanen aus dieser Zeit – eine postapokalyptische Erde, auf der sich Jahrtausende nach einem vernichtenden, in den Legenden der Menschen als Worldfire präsenten Atomkrieg wieder eine pseudomittelalterliche Feudalgesellschaft etabliert hat und auf der Magie existiert. Ohne diese Magie hätte Helmut allerdings reichlich schlechte Karten, treibt er doch verstümmelt und nicht bei Sinnen auf einem Kahn den Jaal hinunter und genau auf die Sumpflandschaft der Wetlands zu, in denen schreckliche Ungeheuer hausen. Dass der zwölfjährige Helmut überhaupt in dieser Situation ist, hat damit zu tun, dass er der Bastard von Sigrieth ist, dem kürzlich verstorbenen König von Boorn und Emperor der Gray Lands – und dass der anstelle von Helmuts ebenfalls noch minderjährigem Halbbruder Gustav, dem Thronerben, als Regent eingesetzte Albrecht von Wolfsheim finstere Pläne verfolgt, die ihn selbst auf den Thron bringen sollen. Doch zum Glück gibt es den Magier Sandivar, der Helmut nicht nur aus dem Fluss fischt und aufpäppelt, sondern ihm auch alles beibringt und verschafft, was er braucht, um sich an Albrecht rächen zu können – auch wenn er ihn dazu in eine ganz besondere Art von Hölle schicken muss …
The Sword of Morning Star ist im Prinzip eine schlichte Rachegeschichte, die allerdings mit ein paar recht originellen Einfällen aufgepeppt ist. Dazu gehören u.a. der dem Magier Sandivar als Reittier und Leibwächter dienende riesige Bär Waddle oder auch besagte Hölle, in der die Zeit vielfach schneller vergeht als in der eigentlichen Welt, so dass Helmut – dessen von Albrecht abgetrennte Schwerthand im weiteren Verlauf der Geschichte durch den titelgebenden Morgenstern ersetzt wird – nicht ewig auf seine Rache warten muss. Und dazu gehört auch, dass der finstere Albrecht von Wolfsheim nicht nur einfach König anstelle des Königs werden will, sondern viel weitergehende Pläne verfolgt, so dass es im entscheidenden Kampf zwischen ihm und Helmut um viel mehr geht als um die Rache eines Bastards. Für amerikanische Leser haben darüber hinaus vermutlich auch Namen wie Helmut, Gustav und Albrecht (oder Orte wie Wolfsheim und Marmorburg) eine gewisse Exotik transportiert, die man als deutschsprachiger Leser eher nicht so empfindet (die jedoch dafür sorgen, dass man das Geschehen in einem – natürlich nach der großen Katastrophe entsprechend veränderten – Europa verortet).
Exile’s Quest (1970), der zweite Roman unter dem Meade-Pseudonym, ist ein Prequel, in dem König Sigreith sich noch bester Gesundheit erfreut und tut, was Könige eben so tun. Etwa einen aus gewissen Gründen in Ungnade gefallenen Adligen – nämlich Gallt, den Baron der Iron Mountains – auf eine selbstmörderische Mission zu schicken: Gallt soll mit einer Gruppe aus ehemaligen Gefangenen aus den Verliesen des Königs in die Unknown Lands vordringen und herausfinden, was mit der vorherigen Expedition passiert ist, die diesen Auftrag hatte – und so ganz nebenbei auch noch den mystischen und geheimnisvollen Stone of Power zurückholen …
Auch in Exile’s Quest gibt es einen am Anfang nicht unbedingt absehbaren Plottwist, der den Roman zu ein bisschen mehr als Hack & Slay durch diverse, durch das Worldfire entstandene Monster und Mutanten macht, die in diesem Roman eine wesentlich größere Rolle als im ersten Band spielen.
Interessanterweise finden sich auch in Ben Haas’ drittem S&S-Roman Quest of the Dark Lady (1969), den er unter dem Pseudonym Quinn Reade verfasst hat, etliche Parallelen zu den beiden Romanen um die Gray Lands, vor allem zu Exile’s Quest. Fünfhundert Jahre nach einem alles verwüstenden Krieg unter Magiern herrscht der gütige König Langax über die Iron Lands, den letzten Landstrich, der noch von normalen Menschen bewohnt wird und in dem aus angesichts der Vorgeschichte naheliegenden Gründen Magie verboten ist. Doch die Iron Lands werden von den schrecklichen Kreaturen aus dem Terrible East bedroht, die durch den besagten Krieg entstanden sind, und zu denen beispielsweise die Slimy Ones – riesige, blutsaugende Schnecken – gehören. Bislang ist es den Mounted Bladesmen des Königs gelungen, die in ihrer Gesamtheit als Other Things bezeichneten Kreaturen immer wieder zurückzuschlagen, doch jetzt haben sich die Dinge geändert, denn die bislang immer einzeln angreifenden Monstren sind plötzlich zu koordinierten Aktionen fähig. Dies und die Tatsache, dass Langax von einem Zauberspruch eines Magiers aus dem Terrible East niedergestreckt dahinsiecht, sorgt dafür, dass er mit Wulf of Niedrigaard seinen ehemaligen Hauptmann der Mounted Bladesmen in den Terrible East schickt, um die Dark Lady – seine einzige Rettung – von dort zu holen. Begleitet von Delius, Langax’ Arzt – der sich alsbald als Magier entpuppt – und seiner Geliebten Reen, die sich zuvor als Straßenräuberin einen Namen gemacht hat, bricht Wulf in den Terrible East auf, wo sie nach einiger Zeit nicht nur der Dark Lady, sondern auch dem King of the Eastern Lands begegnen, der standesgemäß in einem aus schwarzem Stein erbauten und schwarz möblierten Palast lebt. Natürlich versucht Wulf, seinen Auftrag zu erfüllen – doch das erweist sich als schwieriger als ohnehin schon vermutet …
Die drei vorgestellten Romane von Ben Haas sind in mehrfacher Hinsicht typische Beispiele des im Gefolge der Conan-Taschenbuchausgabe bei Lancer Books entstandenen S&S-Booms der späten 60er und frühen 70er Jahre mit all ihren Stärken und Schwächen: Sie sind schnell und actionorientiert erzählt, und in ihnen agieren eher grob charakterisierte Figuren in einem nur partiell wirklich ausgearbeiteten (und nicht immer stimmigen) Setting. Zudem vereinen sie Elemente der Sword & Sorcery – oder eigentlich eher der Heroic Fantasy, denn Haas’ Figuren unterscheiden sich durchaus von den eher selbstsüchtig agierenden Abenteurern und Söldnern vom Conan-Typus – mit Elementen aus Abenteuergeschichten oder, wenn man so will, den erst später aufkommenden tolkienesken Questen (was dazu passt, dass Haas’ Vorbilder Autoren wie Frank Yerby und eben nicht Howard & Co. waren). Natürlich können diese Romane nicht mit den Werken der “Großen Drei” der Sword & Sorcery mithalten, funktionieren aber besser als manche anderen Hervorbringungen dieser Epoche. Und letztlich ist auch ein Vergleich mit z.B. den dreißig Jahre zuvor entstandenen Prester-John-Romanen des gerade erst abgehandelten Norvell W. Page oder auch den etliche Jahre später erschienenen, thematisch ähnlich gelagerten Romanen eines Clifford D. Simak – vor allem im Hinblick auf die Interaktion der Figuren – nicht uninteressant (wenn man denn auf sowas Lust hat 😉 ).
Im Gegensatz zu seinen Western – von denen vor allem die Reihen um das Cheyenne-Halbblut Sundance und den zu Beginn des 20. Jahrhunderts an den Brennpunkten der Welt agierenden Abenteurer Fargo unter Westernfreunden sehr geschätzt werden* – haben es die Fantasyromane des am 27. Oktober 1977 an einer Herzattacke verstorbenen Ben Haas nie nach Deutschland geschafft. Das ist letztlich zwar kein echter Verlust, aber in Anbetracht der Tatsache, dass z.B. ein Heuler wie Lin Carters Thongor komplett auf Deutsch erschienen ist, dann doch fast wieder ein bisschen bedauerlich.

* – einen Artikel zur deutschsprachigen Ausgabe von Fargo findet man z.B. hier.

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