Fantasy-Ennui

Die von mir aus Digger-Gründen sehr geschätzte Ursula Vernon hat einen Rant über die Fantasy abgelassen, einem Genre, dem sie eigentlich sehr wohlwollend gegenübersteht. Zusammenfassen lässt sich das Ganze etwa so: Kein Bock mehr auf Fantasy, das ehemalige Lieblings-Genre, weil immer die gleichen Kapuzenheinis von den immer gleichen Büchern mit eurozentrischen, mittelaltertümelnden Settings starren, in denen die immer gleichen Klischees bemüht werden. Pure Langeweile im Buchladen. Pure Langeweile im Buchregal. Alles schon gesehen, und wenn man Klischeefigur A oder Stereotyp-Ausgangslage B nicht einen ganz besonderen Twist verleiht, lockt einen das nicht mehr aufs Sofa. (Komplett nachzulesen hier.)
Das alles klingt unheimlich vertraut – ich habe auch schon lange keinen Spaß mehr in der Fantasy-Abteilung der Buchläden, und im bp-Forum konnte man schon mehrfach ganz ähnliche Klagen lesen. Nun kommt bei Ursula noch der Aspekt hinzu, dass sie selbst Fantasy schreibt, also tiefer als andere ins Genre eintaucht und sich mit den zugrundeliegenden Strukturen beschäftigt. Aber dieser Blickwinkel dürfte etlichen der hier Lesenden auch vertraut sein.

Ich frage mich nun: Liegt dieses Gefühl, dass das Genre immer seltener etwas wirklich Interessantes zu bieten hat, wirklich am mangelhaften Angebot, an den glattgebügelten Titeln, die massenweise mit austauschbaren Phrasen angepriesen werden? Oder hängt es schlicht mit der zunehmenden Leseerfahrung zusammen?

Ausklammern kann man letzteres bestimmt nicht. Ennui ist kein Problem der Jugend, und auch wenn „große Genre-Erfahrung“ netter klingt als die Erkenntnis, dass man mit kleinen Pausen seit über 25 Jahren Fantasy-Leserin ist, lässt sich der Verdacht nicht von der Hand weisen, dass in so einer Zeitspanne alles Abnutzungserscheinungen bekommen kann. Und selbst wenn die reale Fantasy das klischeefreie Wunderland der Möglichkeiten wäre, das sie theoretisch sein könnte (und manchmal sogar ist), hätte sich vermutlich eine Vertrautheit mit (dann eben unkonventionelleren) Mustern eingeschlichen, die dem Ganzen die Spannung raubt.
Immerhin geht es mir wie Ursula: Ich finde schon immer wieder Sachen, die mich begeistern. Ich finde sie nur nicht mehr so oft, und vor allem nicht an Stellen, an denen ich sie früher ziemlich sicher gefunden hätte. Das ist weg, und dahin kann man auch nicht mehr zurück.

Fantasy war und ist ein „junges“ Genre. Jeder, der länger dabei bleibt, kennt vermutlich etliche Aussteiger, die die Fantasy irgendwann als Schritt zum Erwachsenwerden hinter sich gelassen haben. Und überhaupt etliche kritische Instanzen, die die Fantasy als Kinderkram abstempeln. Ich glaube kaum, dass die es einfach besser wussten und schneller gelangweilt waren. Aber dass sich ein großer Teil des Publikums ständig erneuert, könnte schon etwas damit zu tun haben, dass immer wieder die gleichen Klischees reproduziert werden können. Die ersten 50 Mal macht ja vieles noch Spaß.
Dass es in den aktuellen Verlagsprogrammen oftmals nicht so überwältigend gut aussieht, lässt sich nicht abstreiten, wenn „gut“ auch innovativ, experimentell und unkonventionell beinhalten soll. Falls da wirklich nur Generation Leseerfahrung+ aus mir spricht, wäre das ganz schön bitter.
Und alle an erwachsenen Stoffen interessierten Leser und Leserinnen, die dem Genre den Rücken kehren (oder hinter den Kapuzenumhängen die Bücher nicht finden, die sie interessieren könnten) verschärfen das Problem.

Ich finde es allerdings manchmal schon schwer, die evtl. nostalgisch verklärte Lesebegeisterung meines weniger übersättigten früheren Ichs und die gegenwärtige Unlust beim Betrachten der Neuerscheinungen richtig einzuordnen. Aber ich hoffe sehr, man wird trotz allem nur zu alt für den Scheiß. Und niemals für die richtig guten Sachen.

3 Kommentare

Zum 40. Geburtstag von Nnedi Okorafor

Bibliotheka Phantastika gratuliert Nnedi Okorafor, die heute ihren 40. Geburtstag feiert. Als Amerikanerin nigerianischer Abstammung lässt sich die am 8. April 1974 in Cincinnati, Ohio, geborene Nnedimma Nkemdili Okorafor schnell als Autorin einordnen, die vor allem über die Mythen und Traditionen ihrer Vorfahren schreibt und diese als Stoffgeber für Fantasy nutzt. Doch damit würde man dem Ernst nicht gerecht, mit dem Okorafor mögliche Zukunftsentwürfe für Afrika, Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen und afrikanische Magie behandelt, die, fast schon in einer Art Umkehrung des Magischen Realismus, für europäische Leser und Leserinnen sehr viel phantastischer klingt als von der Autorin intendiert.
Schon in ihren ersten beiden Büchern für junge Leser, die sie unter dem Namen Nnedi Okorafor-Mbachu veröffentlichte, kommen ihre Lieblingsthemen vor: in Zahrah the Windseeker (2005) muss ein Mädchen damit umgehen, durch ihre Kräfte zur Außenseiterin zu werden, in The Shadow Speaker (2007) muss sich der Sohn eines Diktators mit seiner Stellung im Dorf auseinandersetzen, während bei beiden der Übergang zwischen Technik und Magie fließend ist.

Okorafors erster Roman für Erwachsene und bisher erfolgreichstes Werk Who Fears Death ist eine Ausnahmeerscheinung in vielerlei Hinsicht. Statt mit eurozentrischem Pseudomittelalter wartet der Roman mit einem post-apokalyptischen Afrika als Schauplatz für eine Handlung abseits aller um Exotik bemühten Akazienromantiken auf. Ein Schauplatz, der geprägt ist von Unterdrückung, Gewalt und Furcht – aber auch von Magie. Denn im Afrika von Onyesonwu, der Protagonistin des Romans, ist Magie immanent und untrennbar mit dem Land, seinen Bewohnern und seiner Kultur verbunden. Ein Schritt zu viel – oder zu wenig –, und schon befinden sich Leserinnen und Leser in den Händen und Klauen von Geistern und Drachen, und beim Umblättern der Buchseiten scheint Sand durch die Finger zu rieseln. Es ist eine Art magischer Realismus, der Leser und Leserinnen da in den Bann zieht und Onyesonwu durch eine Coming-of-Age-Handlung begleitet, die von Tradition und Auflehnung, Frausein und Anderssein erzählt. Who Fears Death ist herausragend, unbarmherzig und einzigartig; es ist nicht nur ein Roman über das Erwachsenwerden, sondern auch über das Mensch-Sein – und es wurde wirklich Zeit, dass dies aus der Sicht einer jungen Afrikanerin erzählt wird, die sich in einen Drachen verwandeln kann.

Lagoon von Nnedi OkoraforNach Who Fears Death kehrte Okorafor mit Akata Witch (2011) wieder ins Jugendbuch zurück und lässt eine jugendliche Protagonistin ihre Magie entdecken, während ganz aktuell der SF-Roman Lagoon (2014) erscheint, in dem sich in einem Lagos der Zukunft eine Marinebiologin und ein Rapper mit etwas Außerirdischem herumschlagen müssen, das ins Meer gefallen ist.
Leider wurde von Nnedi Okorafors Büchern bisher keines auf Deutsch übersetzt, so dass sich man diese auch in Social Networks sehr umtriebige Autorin, die mit einer unverkennbaren Erzählstimme zeigt, was Fantasy auch sein könnte, nur im Original anschauen kann.

Hinterlasse einen Kommentar

Forumos-Übersetzer empfehlen: Karl Edward Wagner – Kane: Der Blutstein

Kane - Der Blutstein von Karl Edward WagnerKürzlich hat eines der spannendsten Projekte das Licht der Welt erblickt, an denen ich letztes Jahr gearbeitet habe, und damit tritt ein Gigant der Sword & Sorcery erneut auf den Plan: Kane, der rothaarige Hüne, der aber kein Barbar ist, sondern ein gebildeter, sogar in dunklen Künsten bewanderter Reisender, ein erfahrener Stratege und ein Kämpfer vieler Schlachten. Darüber hinaus hat er ein paar richtig miese Charaktereigenschaften, die zum Teil schlicht aus Langeweile resultieren, der Mann streift nämlich schon mehr oder weniger seit Anbeginn der Zeit verflucht durch die Welt. Und zwar durch eine ganz großartige: Weit und alt und erhaben, bevölkert von den merkwürdigsten Wesen und voller Magie, von der aber die meisten vernünftigen Leute lieber die Finger lassen, weil man einen hohen Preis dafür bezahlt (und der Sache ohnehin nicht ganz traut).
Magie und der Preis der Macht, den sie verleiht, und die normalen, mehr oder weniger vernünftigen Herrscher zweier Stadtstaaten, die sich in einem guten alten Nachbarschaftskonflikt befinden und eine Intrige nach der anderen spinnen, stellen das Thema des ersten Bandes der Neuauflage der Kane-Romane, Der Blutstein (ISBN: 978-3-942396-91-2). Für einen Mann wie Kane ist so ein Szenario die reinste Spielwiese …

Die Sammelbände mit den Kane-Geschichten waren jahrelang nur gebraucht erhältlich, und das nicht einmal zu ganz kleinen Preisen. Nochmal (oder auch überhaupt) sollte man sich Der Blutstein aber nicht nur wegen der schicken einheitlichen Aufmachung kaufen, sondern vor allem, weil der Text im Vergleich zur alten Fassung nicht nur kosmetisch behandelt, sondern komplett angepasst und vervollständigt wurde. Eine Übersetzung vom Ende der 1970er, als der Band ursprünglich auf Deutsch erschien, kann man mit heutigen Übersetzungen nicht vergleichen: Sie waren nicht selten gekürzt (z.B. um bestimmte Längenvorgaben nicht zu überschreiten), manchmal hatte auch der Jugendschutz seine Finger im Spiel und nicht zuletzt waren die Recherchemöglichkeiten deutlich geringer. Die Übersetzung wurde bisweilen um ganze Szenen ergänzt und vollständig durchgesehen, und auch der ursprüngliche Übersetzer Martin Baresch hat sie noch einmal überarbeitet – man bekommt also einen wirklich rundum überholten Kane.

Aber auch, wenn man Kane noch nicht im Regal hat, lohnt es sich durchaus, ihn kennenzulernen. Damit erkundet man nicht nur ein Stück Genre-Historie, sondern hat einen alles in allem gut gealterten, stilistisch ansprechenden Roman mit viel Action, wunderbaren Beschreibungen und einem schönen Figurenensemble, denn die Herrscher der Stadtstaaten, sei es der gebildete, als unmännlich verunglimpfte Dribeck oder sein Rivale, der rustikale Haudrauf Malchion, machen viel Spaß, ebenso ihre Schergen, und vor allem die faszinierende Hauptfigur Kane. Besonders hervorzuheben ist auch die weibliche Hauptfigur, die heute noch progressiv wirkt und eine tragende (und schlagkräftige) Rolle spielt – anders als der düstere, abgehobene Kane ist sie auch eine für Leserinnen und Leser zugängliche Figur.
Da das Original ziemlich harter Tobak ist, gibt es sozusagen keine bessere Gelegenheit, sich einen der ambivalentesten Helden der Sword & Sorcery einmal anzuschauen!

2 Kommentare

The Shadow of the Torturer

The Shadow of the Torturer von Gene WolfeMit unserem Buch des Monats April liefern wir keinen lockeren Aprilscherz, sondern ein Genre-Schwergewicht. Gene Wolfes The Shadow of the Torturer (1980; Der Schatten des Folterers, 1984) ist der Auftaktband der Tetralogie Book of the New Sun, zu der Wolfe später mit The Urth of the New Sun noch einen als Coda fungierenden fünften Band geliefert hat.

Severian, ehemaliger Geselle der Gilde der Folterer, erzählt rückblickend von seiner Jugendzeit im Gildenturm. Damals geriet er zufällig in politische Affären, was dazu führte, dass er seine Heimatstadt, die Metropole Nessus, verlassen musste, um in einer entlegenen Stadt im Norden einen Posten als Folterer anzutreten.
Was auf den ersten Blick kaum so wirkt, als könnte es einen Roman füllen, erweist sich rasch als dichtes, aber auch forderndes Leseerlebnis. Dies liegt einerseits an Wolfes Erzählweise, andererseits an der faszinierenden Welt. Denn die geschichtsträchtige, aber (wohl sinnbildhaft für die gesamte Welt) im Niedergang begriffene Stadt Nessus ist ein faszinierender Schauplatz, reich an Relikten längst vergangener hochtechnisierter Zeiten – als Leser/in kann man sich durchaus den Spaß machen (und die Zeit nehmen), zu enträtseln, worum es sich bei den einzelnen Artefakten handelt, das sorgt nicht nur für Erfolgsgefühle, sondern trägt auch viel zum Flair der Welt bei. Es erwarten einen aber noch zahlreiche weitere Rätsel, denn Wolfe bedient sich ausgiebig archaischer und fremdsprachiger Begriffe, die man aber glücklicherweise nicht alle ergründen muss, um der Handlung folgen zu können.

Diese gibt sich ebenso gern geheimnisvoll, denn Severian ist zwar durch sein (angeblich) unfehlbares Gedächtnis zum Erzähler prädestiniert, allerdings tendiert er dazu, zwischen verschiedenen Zeitebenen zu springen, Hintergrundwissen häppchenweise einzuflechten und die Leserschaft dann doch auf später zu vertrösten, womit er desöfteren für mehr Konfusion als Klarheit sorgt. Als zutiefst ambivalente Figur, die trotz des brutalen Gewerbes ihre romantischen und verletzlichen, aber auch ihre kalten, machohaften Seiten und einen Hang zu übernatürlichen Erscheinungen hat, fügt er sich wunderbar in den Reigen skurriler Gestalten und phantastisch-absurder Szenen, die Leser und Leserinnen allenthalben erwarten.
The Shadow of the Torturer ist somit in etwa wie ein Besuch in einer Wunderkammer, das Rätselhafte und Wunderbare gehören ebenso dazu wie das Grausame und Faszinierende. Es ist daher beileibe keine leichte Lektüre, aber wer sich darauf einlassen mag, wird mit einer faszinierenden Welt und einer vielversprechenden Hauptfigur belohnt, deren Reise gerade erst begonnen hat.

Hinterlasse einen Kommentar

Neu rezensiert: Der Feigling und die Bestie

Der Feigling und die Bestie von Barış MüstecaplıoğluPerg ist eine Inselwelt voller unterschiedlicher Kulturen, doch Fürst Asuber schickt sich an, die Inseln zu unterwerfen: Er wird vom Buch Tshermons verführt, das Asuber schreckliche Zauber lehrt. Nur der Zauberer Geryan weiß, wie man das Unheil aufhalten kann, doch er schafft es nicht ohne Hilfe. Leofold, ein einstiger Ritter, der inzwischen in ein Ungetüm verwandelt wurde und sich ständig fürchten muss, die Kontrolle zu verlieren, und der Bauer Guorin, der nicht den Mut hatte, zum Krieger zu werden und seine Heimat zu verteidigen, schließen sich ihm an.

Zur Rezension bitte hier entlang.

Hinterlasse einen Kommentar

Zum 180. Geburtstag von William Morris

Bibliotheka Phantastika erinnert an William Morris, dessen Geburtstag sich heute zum 180. Mal jährt. Der am 24. März 1834 in Walthamstow, Essex, geborene William Morris war vieles – Autor, Dichter und Künstler, Verleger und enger Freund der Präraffaeliten um Dante Gabriel Rossetti und Edward Burne-Jones, Mitbegründer der englischen Socialist League und Verfasser der sozialistischen Utopie News from Nowhere, or An Epoch of Rest (1890; dt. Kunde von The Sundering Flood von William MorrisNirgendwo (1900) und gerade erst von einem unserer Lieblingsverlage neu aufgelegt) – doch an dieser Stelle soll uns nur seine Rolle als einer der unumstrittenen Gründerväter der modernen Fantasy interessieren. Wobei das eine sich nicht so ohne weiteres vom anderen trennen lässt, denn einer der Gründe, warum Morris in seinen letzten Lebensjahren Werke geschaffen hat, die man mit einer gewissen Berechtigung als eskapistische Wunscherfüllungsphantasien bezeichen könnte, dürfte vermutlich seine Enttäuschung über die Entwicklung der englischen sozialistischen Bewegung gewesen sein.
Einen allerersten Prosa-Ausflug in zumindest so etwas Ähnliches wie Fantasy-Gefilde hatte Morris allerdings schon sehr viel früher mit der allegorisch angehauchten Geschichte “The Hollow Land” (1856; dt. “Das hohle Land” (1985)) unternommen, und auch The House of the Wolfings (1889) und The Roots of the Mountains (1889) – zwei noch in einem pseudo-historischen Setting angesiedelte Romane, in denen sich stilistisch und inhaltlich bereits andeutete, wohin die Reise wenig später gehen sollte – sind noch vor News from Nowhere – jenem Werk, in dem er seinen Ideen von einem idealen sozialistischen Staat in Romanform Ausdruck verliehen hat – erschienen.
Doch erst The Story of the Glittering Plain, or the Land of Living Men (1891; dt. Das schimmernde Land (1985)) lässt sich trotz der nordischen Namen und Elemente als Fantasy im modernen Sinne betrachten, denn die Geschichte spielt zumindest teilweise in einer Sekundär- oder Anderswelt. Das titelgebende schimmernde Land ist ein von Unsterblichen bewohntes Utopia, das angeblich nur schwer zu erreichen ist. Letzteres gelingt dem Helden Hallblithe allerdings erstaunlich leicht – doch vor Ort erweist sich das Utopia alsbald mehr als ein Gefängnis als alles andere, sodass Hallblithe alles daran setzt, das Land, das so lange das Ziel seiner Träume war, so schnell wie möglich wieder zu verlassen.
Auch Walter, der Held von The Wood Beyond the World (1894; dt. Die Zauberin jenseits der Welt (1984)), verlässt seine Heimatstadt, um in jenes Land zu gelangen, das er zu Hause in seinen Visionen gesehen hat, und wie in The Glittering Plain sind die fantastischen Gefilde nur mittels einer Seereise zu erreichen. Als er – nach einem Schiffbruch und einer langen Reise über Berge und durch Wüsten – dort ankommt, verstrickt er sich rasch in das Beziehungsgeflecht aus der über Hexenkräfte verfügenden Herrscherin, ihrem zwergenhaften Diener, ihrer jungen Schutzbefohlenen und ihrem derzeitigen Liebhaber, der wie Walter ein Auge auf die junge Maid geworfen hat. Nach einigem Hin und Her gelingt es Walter und der jungen Maid zu fliehen … und kurz darauf geraten sie ganz zufällig in eine Stadt, deren Bevölkerung geschworen hat, den nächsten Fremden, der dort auftaucht, zu ihrem König zu machen.
In seinem nächsten Roman The Well at the World’s End (1896; dt. Die Quelle am Ende der Welt (1981)) sollte William Morris nicht nur die Schwächen – wie etwa das allzu aufgesetzt wirkende Ende – von The Wood Beyond the World überwinden, sondern er stattete den Roman darüber hinaus mit einer geschlossenen einheitlichen Geographie aus, statt die magischen Gefilde an bisher unbekannten Küsten unserer Welt anzusiedeln. The Well at the World’s End erzählt die Geschichte von Ralph, dem jüngsten Sohn des ziemlich bedeutungslosen Königs von Upmead, der auszieht, um Ruhm und Ehre zu gewinnen, und dem es – nachdem er viele Hindernisse überwunden und ebensoviele Abenteuer überstanden hat – nicht nur gelingt, aus der titelgebenden Quelle (deren Wasser eine lebensverlängernde Wirkung hat) zu trinken, sondern auch mit einer angemessenen Gemahlin heimzukehren. Doch ehe er triumphal heimkehren kann, muss er in die entlegensten Winkel der Welt reisen, und auch die Magie, die anfangs kaum wahrzunehmen ist, spielt zeitweise eine wesentlich größere Rolle. Am Ende fügt sich schließlich alles zusammen – alles, was Ralph auf seinem Weg zur Quelle getan hat, erlangt eine eigene Bedeutung und führt zu Entwicklungen, die seine Heimkehr in jeder Hinsicht zu einem Triumhzug machen und dem Buch zu einem mehr als befriedigenden Abschluss verhelfen.
The Well at the World’s End sollte der letzte seiner Fantasyromane sein, dessen Veröffentlichung Morris noch miterleben konnte, denn The Water of the Wondrous Isles (1897) und The Sundering Flood (1897; dt. Das Reich am Strom (1980)) wurden erst nach seinem Tod am 03. Oktober 1896 veröffentlicht. Keiner von beiden kann mit einem ähnlich phantastischen Panorama aufwarten, bei dem dem Land eine ähnlich tragende Rolle zuteil wird, wie dies bei The Well at the World’s End der Fall war. Während die “wundersamen Inseln” in einem großen See liegen The Well at the World's End von William Morrisund eher wie Fremdkörper als wie ein Teil eines großen, einheitlichen Weltentwurfs wirken, geht es in The Sundering Flood um ein vom deutschen Titel sehr treffend bezeichnetes, überschaubares pseudo-mittelalterliches Reich an einem Strom. Immerhin gibt es in The Water of the Wondrous Isles etliche phantastische Elemente wie ein quasi von Geisterhand angetriebenes Boot oder eine gestaltwandlerische Hexe, die die Angewohnheit hat, ihr missfallende Menschen in Tiere zu verwandeln, wohingegen der Fantasygehalt von The Sundering Flood eher marginal ist, wenn man von Dingen wie dem nicht alternden Mentor des Helden oder seinem magischen Schwert absieht.
Was William Morris – dessen Werke sowohl C.S. Lewis wie auch J.R.R. Tolkien nach eigener Aussage beeinflusst haben – in die Fantasy eingebracht hat, ist das Motiv der Queste – und die Welt (das englische Landscape trifft es wesentlich besser – man bedenke auch die Bedeutung und Häufigkeit von Landschaftsdarstellungen auf den Titelbildern vor allem englischer Fantasyromane in den 70er, 80er und 90er Jahren), die in ihrer Beschaffenheit und Gesamtheit eine wesentliche Rolle in der Geschichte spielt. Stilistisch sind vor allem seine ersten beiden dem Genre zuzurechnenden Romane für heutige Verhältnisse ziemlich harter Stoff, weil er sich in ihnen noch an einem “mittelalterlichen”, an Thomas Malory angelehnten Sprach- und Erzählduktus versucht. The Well at the World’s End hingegen ist auch heute noch mit Vergnügen lesbar, wenn man bereit ist, sich auf eine gewisse Langatmigkeit und Märchenhaftigkeit einzulassen und mit Figuren zu leben, deren Charaktereigenschaften recht überschaubar sind.
In den USA hat es William Morris vor allem Lin Carter und der Ballantine-Adult-Fantasy-Reihe zu verdanken, dass seine Werke Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch einmal ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt wurden. Und dass es immerhin vier seiner fünf Fantasyromane zu einer Übersetzung ins Deutsche gebracht haben und darüberhinaus mit Die goldene Maid (1986) noch ein Sammelband mit Erzählungen erschienen ist, bei dem es sich um eine Originalzusammenstellung zu handeln scheint, ist beeindruckend. Es zeigt allerdings auch ein bisschen, wie sehr sich die Fantasylandschaft in Deutschland seit den 80er Jahren verändert hat, denn das Morris’ Werke heutzutage hier noch einmal veröffentlicht würden, scheint schlicht undenkbar.

1 Kommentar

Zum 45. Geburtstag von David Anthony Durham

The Sacred Band von David Anthony DurhamBibliotheka Phantastika gratuliert David Anthony Durham, der heute seinen 45. Geburtstag feiert. Mit seiner Acacia-Trilogie, die erzählerisch und konzeptionell frischen Wind in die Traditionen der epischen Fantasy einbrachte, rangiert der am 23. März 1969 in New York geborene Autor bei etlichen bp-Team-Mitgliedern weit oben in der Bestenliste, weshalb wir ihm zur Feier des Tages gleich ein Portrait erstellt haben. Wer wissen will, warum man Acacia unbedingt gelesen haben sollte, wenn man sich ein bisschen für Fantasy interessiert, die von dynastischen Narrativen, einem großen Weltentwurf und einem Plot geprägt ist, bei dem es ums Ganze geht, kann sich dort ausgiebig informieren.

Hinterlasse einen Kommentar

Zum 40. Geburtstag von Ari Marmell und zum 45. Geburtstag von Alexander C. Irvine

Bibliotheka Phantastika gratuliert Ari Marmell, der heute 40 Jahre alt wird. Nachdem der am 22. März 1974 in New York City geborene Ari Marmell einen Creative-Writing-Studiengang abgeschlossenen hatte, arbeitete er in diversen Jobs, die er nach eigener Aussage gehasst hat, ehe er mit einem Abenteuer für das Rollenspiel World of Darkness – Vampire: The Masquerade seine ersten Schritte als freiberuflicher Kreativer machte; von daher ist es nur folgerichtig, dass auch sein erster Roman in diesem Setting angesiedelt war: Mit Gehenna: The Final Night (2004; dt. Gehenna: Die letzte Nacht (2004)) verfasste er den Band, mit dem die alte Welt der Dunkelheit ihr Ende gefunden hat. Auch sein zweiter Roman Agents of Artifice (2009) war Teil eines Spielwelt-Settings – in diesem Fall dem von Magic: The Gathering.
The Conqueror's Shadow von Ari MarmellDanach schien Marmell erst einmal genug davon gehabt zu haben, sich immer nur in von anderen erdachten Szenarien auszutoben, denn mit The Conqueror’s Shadow (2010) und The Warlord’s Legacy (2011; dt. Der Dämon des Kriegers und Die Tochter des Kriegers (beide 2011)) erschienen seine ersten vollkommen eigenständigen Werke. Im Mittelpunkt der beiden Romane steht der ehemalige Söldnerführer Corvis Rebaine, der sein blutiges Handwerk längst hinter sich gelassen hat und inzwischen unter einem falschen Namen ein friedliches Leben führt – bis die Umstände ihn zwingen, seine alten Freunde um sich zu scharen und wieder zu dem zu werden, was er dereinst war: jene schier unbezwingliche Gestalt und Führerfigur, der die Menschen den Beinamen “der Schrecken des Ostens” verliehen hatten. Doch weder an Corvis noch seinen ehemaligen Mitstreitern sind die Jahre spurlos vorübergegangen, und die Rückkehr in ihr altes Leben – zu der Einige ohnehin nur widerwillig bereit sind – gestaltet sich als schwieriger als erwartet … Was vom Konzept her vielleicht nicht unbedingt originell klingt, aber Raum für eine spannende Abenteuerhandlung böte, erweist sich in der Umsetzung nur als bedingt erfolgreich; blasse Figuren und eine holpernde Handlung, in die immer wieder an Rollenspielabenteuer erinnernde Szenen eingestreut sind, sorgen dafür, dass das zweifellos vorhandene Potential der Geschichte nie so richtig ausgeschöpft wird.
The Goblin Corps (2011; dt. Die Horde: Die Schlacht von Morthûl (2012)) bietet ein mehr oder weniger klassisches, fantasy-typisches Gut-gegen-Böse-Szenario, mit dem Unterschied, dass wir in diesem Fall auf der Seite der Bösen in die Schlacht ziehen – ein Ansatz, den man heutzutage auch nicht mehr sonderlich originell nennen kann. Mit Darksiders: The Abomination Vault (2012; dt. Darksiders – Die Kammer der Macht (2012)) hat Ari Marmell sich wieder ein Stück auf seine Wurzeln zubewegt, denn der Roman spielt in der Welt des Videospiels Darksiders, wohingegen er mit den Widdershins Novels (Thief’s Covenant, False Covenant (beide 2012) und Lost Covenant (2013)) erneut Neuland betreten hat, denn bei ihnen handelt es sich um in einem Pseudo-Renaissance-Setting angesiedelte Abenteuerfantasy für jugendliche Leser.
Auch weiterhin scheint Ari Marmell (mindestens) zweigleisig fahren zu wollen, denn während er mit The Fall of Llael: In Thunder Forged (2013) – dem ersten Roman in der Rollenspielwelt der Iron Kingdoms – wieder ganz bei seinen Wurzeln angekommen ist, wird in Hot Lead, Cold Iron (Mai 2014) Mick Oberon seinen ersten Auftritt haben und versuchen, sich in der Lesergunst einen Platz neben Harry Dresden und Peter Grant zu erobern.
Ari Marmell ist ein Autor, dessen Werke – zu denen noch der von ihm selbst verlegte Story-Band Strange New Words: Tales of Heroism, Hi-Jinks, and Horror (2013) zu zählen wäre – mitten im Genre angesiedelt sind und gelegentlich seinen Rollenspielhintergrund etwas zu deutlich durchschimmern lassen. Andererseits steht er immer noch ziemlich am Anfang seiner Karriere, deren weitere Entwicklung sich heute noch nicht abschätzen lässt.

Außerdem gratulieren wir Alexander C. Irvine, der heute 45 Jahre alt wird. Ganz im Gegensatz zu seinem fünf Jahre jüngeren Kollegen hat es der am 22. März 1969 in Ann Arbor, Michigan, geborene Alexander Christian Irvine, dessen Werke teilweise auch unter Alex Irvine erscheinen, bislang noch nicht auf den deutschen Buchmarkt geschafft. Was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass seine Geschichten (die ersten erschienen zu Beginn des neuen Jahrtausends u.a. im Magazine of Fantasy & Science Fiction), vor allem aber seine Romane teilweise schwer zu klassifizieren und/oder einem Marktsegment zugehörig sind, das in Deutschland überhaupt nicht funktioniert.
So hat sich Irvine in seinen ersten beiden Romanen beispielweise ein gutes Stück weit auf Tim-Powers-Territorium begeben, denn in ihnen tauchen Motive und Elemente auf, die man auch in einigen Romanen von Powers finden kann. A Scattering of Jades (2002) ist eine wilde, teilweise im New York des Jahres 1843 spielende Parallelweltgeschichte, in der eine Verschwörung der amerikanischen Hochfinanz, eine irgendwo in den Bergen von Kentucky versteckte alte Mumie, eine aztekische Gottheit und das Opfer, das benötigt wird, um besagte Gottheit wieder zum Leben zu erwecken und das Zeitalter One King One Soldier von Alexander C. Irvineder Sechsten Sonne einzuläuten, die Hauptrollen spielen, während es sich bei One King, One Soldier (2004) um einen modernen Gralsroman handelt, in dem ein Koreakriegsveteran und ein Baseballspieler einen ebenso wichtigen Part spielen wie Arthur Rimbaud, der das Dichten aufgegeben hat und nun einer gänzlich anderen Passion frönt (und ja, es gibt zwei Zeitebenen). Ebenfalls mehr als ungewöhnlich ist auch The Narrows (2005), ein Alternativweltroman, in dem zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs Golems statt Arbeitern an den Fließbändern der Autofabriken von Detroit stehen.
Mit The Life of Riley (2005) und Buyout (2009) wandte Irvine sich der SF zu. Parallel dazu fing er außerdem an, Romane über Superhelden wie Batman, Iron Man oder The Ultimates zu schreiben. Arbeiten für Franchise-Universen waren ihm allerdings auch zuvor schon nicht fremd, denn bereits 2004 hatte er mit Have Robot, Will Travel einen Band zu der Reihe Isaac Asimov’s Robot Mysteries beigesteuert. 2009/2010 folgten weitere Romane zu Dungeons & Dragons, Supernatural und The Transformers, und 2013 war er der Autor der Novelisation des Guillermo-del-Toro-Blockbusters Pacific Rim. Darüber hinaus hat er sich noch stärker im Bereich der Comics engagiert und nicht nur The Vertigo Encyclopedia (2008) – ein Kompendium zum vielleicht wichtigsten und interessantesten Label des amerikanischen Comicmarkts – verfasst, sondern auch etliche Comic-Miniserien getextet.
Es wäre bedauerlich, wenn ein Autor wie Alexander Irvine, dessen Vielseitigkeit sich z.B. in dem Kurzgeschichtenband Pictures from an Expedition (2006) feststellen lässt, und der mit dem Kurzroman Mare Ultima (2012) bewiesen hat, dass er sich auch in einem typischen Fantasy-Setting wohlfühlt und auf vergleichsweise engem Raum eine Geschichte erzählen kann, die einerseits sehr klassisch, andererseits fast schon postmodern wirkt, dem Genre mehr oder weniger verlorenginge, weil seine genuinen Texte in einer Zeit, in der fast alles sang- und klanglos untergeht, was nicht dem gerade angesagten Genre-Mainstream entspricht, zwar von seinen Kollegen und Kolleginnen sowie der Kritik gewürdigt werden, aber nicht den Leserzuspruch finden, der es ihm ermöglichen würde, auch weiterhin welche zu schreiben.

3 Kommentare

Zum 70. Geburtstag von Roger Eldridge

Bibliotheka Phantastika erinnert an Roger Eldridge, der heute 70 Jahre alt geworden wäre. Der am 21. März 1944 in Isleworth in der damaligen englischen Grafschaft Middlesex geborene und am 04. November 2007 verstorbene Roger Martin Eldridge hat in seinem Leben nur zwei phantastische Romane verfasst, was nicht weiter verwunderlich ist, da er hauptberuflich als Journalist und Mitarbeiter einer Bildagentur (davon zwei Jahre lang als deren geschäftsführender Direktor) tätig war. Dass er an dieser Stelle überhaupt erwähnt wird, hat praktisch nichts mit seinem in einem postapokalyptischen Setting angesiedelten Erstling The Shadow of the Gloom-World (1977) – einem Jugendbuch mit einer für dieses Genre typischen rebellischen jugendlichen Hauptfigur – zu tun, sondern ausschließlich mit seinem wesentlich ambitionierteren, sich an Erwachsene richtenden zweiten Roman.
The Fishers of Darksea von Roger EldridgeThe Fishers of Darksea (1982) erzählt die Geschichte eines unter schwierigen Bedingungen lebenden und überlebenden Eskimo-Stammes mit ausgeprägter schamanischer Tradition, dessen Schamanen die Fähigkeit besitzen, in Trance Dinge “sehen” können, die für normale Menschen nicht wahrnehmbar sind. Doch die Monster, die sie “sehen”, sind eigentlich etwas ganz anderes – und die Wahrheit, die sich beim Fortschreiten der Handlung allmählich enthüllt, macht aus The Fishers of Darksea einen ziemlich düsteren, bedrückenden Roman. Denn was anfangs als Fantasy in einem zugegebenermaßen ziemlich selten benutzten Setting daherkommt (wobei das Ganze in der TB-Ausgabe durch die Aufmachung und die Reihe, in der das Buch erschienen ist, noch verstärkt wird), erweist sich schließlich als SF mit einer mehr als bitteren Pointe. Allein schon dafür, wie geschickt und stimmig Roger Eldridge die Erzählmodi einsetzt bzw. wechselt und wie klar er aufzeigt, dass man nur erkennen kann, was man kennt, hat er verdient, an dieser Stelle noch einmal erwähnt zu werden, auch wenn The Fishers of Darksea weder ins Deutsche übersetzt wurde noch in der englischen SF- und Fantasyszene einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Hinterlasse einen Kommentar

Neu rezensiert: Blackbirds

Blackbirds von Chuck WendigMiriam Black hat eine dunkle Gabe: sie kann Zeit und Art des Todes eines Menschen sehen, sobald sie dessen Haut berührt. Verhindern konnte sie einen Tod nie. Meist sieht Miriam sie im hohen Alter sterben, manche verunglücken bei einem Unfall, selten beobachtet Miriam einen Mord. Als sie den hilfsbereiten Trucker Louis trifft, sieht sie jedoch genau das – Louis’ brutale Ermordung in wenigen Wochen. Was sie jedoch am meisten schockiert ist, dass sie dabei sein wird, wenn es passiert. Was hat das zu bedeuten und hinter wem sind die Killer wirklich her? Kann Miriam seinen Tod verhindern, wenn sie sich von ihm, so weit es geht, fernhält? Oder steht das Schicksal fest geschrieben und jeder Versuch, es zu ändern, muss scheitern?

Zur Rezension bitte hier entlang.

Hinterlasse einen Kommentar