Zeppelins West

Cover des Buches "Zeppelins West" von Joe R. LandsdaleBullen, Pferde, Planwagen und hunderte von Statisten verschiedener Nationen befinden sich an Bord einer Staffel von Zeppelinen, mit denen Buffalo Bills Wild West Show gen Japan schwebt, um dort vor dem Shogun aufzutreten. Buffalo Bill Cody selbst war allerdings schon einmal besser in Schuss: Nach einem fatalen Zwischenfall ist von ihm nur noch ein Kopf in einem Einweckglas voller Schweine-Urin geblieben, an dem gelegentlich eine Kurbel bedient werden muss, um Cody wach zu halten. Davon lässt er sich jedoch nicht abhalten, nebst der Show noch einen Geheimauftrag bei den Japanern auszuführen.

-If viewed from below, the twelve of them appeared to be brightly colored cigars. It seemed God had clumsily dropped them from his humidor. But fall they didn’t. They hung in the sky, floated on, and from time to time, as if smoked by invisible lips, they puffed steam.-

Zeppelins West stammt aus der Zeit vor der Steampunk-Schwemme, als noch nicht auf jedem dritten Cover ein Luftschiff prangte, und es zelebriert das Genre auf eine Weise, wie es kaum ein aktuelles Werk wagt: Joe Lansdale stürzt sich auf alles, was die Ära hergibt, schert sich nicht um Konventionen oder gutes Aussehen und nimmt seine LeserInnen mit auf eine Achterbahnfahrt, bei der die ganze Maschinerie ein dampfgetriebenes Ungetüm ist, und nicht nur ein paar steampunkige Kulissen herumstehen.
Lansdale beginnt – für die Begriffe dieses Romans noch völlig harmlos –, indem er die ganze Kuriosität der ohnehin schon überkandidelten Wild West Show auf Zeppeline packt und damit auf die Spitze treibt (aber gar nicht mal so sehr, wenn man sich die Dimensionen dieses Spektakels im historischen Kontext zu Gemüte führt). Stück um Stück eröffnet sich alsbald, wie sehr das Szenario von der realen Geschichte abweicht, und über die immer kühneren Entwürfe und Verflechtungen historischer, literarischer und neu erfundener Figuren und Ereignisse wird man Seite um Seite mehr ins Staunen geraten. Bis in kleinste Nebenrollen hinein begegnet man mehr oder weniger bekannten Gestalten, und keine Ikone der Ära ist davor sicher, von Lansdale mitgerissen und auf eine Art präsentiert zu werden, wie man sie bestimmt noch nie erlebt hat: Stoker, Wells, Verne, Shelley und Baum sind die bekanntesten Beiträger für die Episoden von Zeppelins West.

Nur ein famoser Erzähler wie Lansdale kann ein solches Konglomerat sämtlicher Steam-Fantasien durchziehen, ohne den Faden der Erzählung, die in schneller Folge von einem Abenteuer ins nächstgrößere stolpert, gänzlich zu verlieren. Die Wild West Show wird schnell zum Nebenereignis, und nur bei den perfekt sitzenden Dialogen zwischen der Action am laufenden Band und den stetigen Schauplatz- und Perspektivwechseln kehrt manchmal ein Hauch von Ruhe ein.
Mit den Helden der Erzählung – vor allem den Stars der Wild West Show – pflegt Lansdale einen erdig-dreckigen Umgang – Buffalo Bill Codys in Schweinepisse und Whisky eingelegter Kopf ist bei weitem nicht die größte Absurdität des Romans. Nicht nur diesbezüglich, sondern auch in der Bandbreite der Anspielungen und der (wenn auch nicht geographischen) Verortung der Handlung im wilden Westen könnte Zeppelins West ein Seelenverwandter von Jack Yeovils Dark-Future-Romanen sein.

Star des Romans ist neben dem herrlich wortkargen und nur manchmal fragwürdige indianische Weisheiten von sich gebenden, aber stets pragmatischen Sitting Bull vor allem Ned der Seelöwe, ein tierischer Gefährte von Kapitän Bemo (mit solcherlei gutgelaunt-saloppen Verfremdungen ist jederzeit zu rechnen), ein eigenwilliger Charakter, der nicht zuletzt dank der wunderbaren Illustrationen von Mark A. Nelson (die dem Band überhaupt ein sehr gediegenes Äußeres geben) Lesern und Leserinnen schnell ans Herz wachsen wird.
Mit einem guten Schuss Horror sollte man leben können, wenn man Zeppelins West genießen will – es werden mitunter Leute verspeist, zerlegt oder anderweitig unschön aus dem Dasein befördert, aber stets mit einem Hang zum Bizarren statt zum Bösartigen. Der Body-count ist allerdings von Anfang an hoch, und auch sonst geht es immer wird derb zur Sache – im Bett, bei Tisch und an ungewöhnlicheren Orten. Dem gegenüber steht eine der sicher ungewöhnlichsten Romanzen der phantastischen Literatur, die nicht weiter von heteronormativen Zuschreibungen entfernt sein könnte.

Nach x Abenteuern wird es jedoch sichtlich schwer, Zeppelins West mit einem adäquaten Ende auszustatten – irgendwann lassen sich die sich überschlagenden Ereignisse nicht mehr toppen, noch können sie auf simple Weise zum Abschluss gebracht werden; das relativ desolate Finale erscheint jedoch (auch wenn es in Teilen für die Fortsetzung Flaming London revidiert wurde) nach den rauen, aber beinahe naiv übersteigerten Ereignissen zuvor ein wenig hart.
Insgesamt kann aber auch diese Einschränkung nur ein klein wenig an den herrlich bizarren Abenteuern kratzen, die die ohnehin übertrieben-heroischen Lebensläufe der Wild-West-Stars krönen – Freunde des Steampunk und der viktorianischen Abenteuerliteratur sollten also zusehen, ob sie eine Ausgabe auftreiben können (wenn nicht die illustrierte limitierte, dann vielleicht die Gesamtausgabe beider Bände der Reihe, die unter dem Titel Flaming Zeppelins erschienen ist).

Stand: 03. August 2012
Erscheinungsjahr: USA 2001
Verlag: Subterranean Press
ISBN: 1-931081-00-x
Seitenzahl: 168