Vogelherz

Cover von Vogelherz von Clive WoodallIn Vogelland haben die Elstern die Macht übernommen. Mit ungezügelter Blutgier haben sie sich daran gemacht, alle anderen Vogelarten auszurotten. Besonders zu leiden haben die kleineren Vogelarten, aber auch die größeren, wie Eulen oder Adler, können in ihrer Minderzahl kaum noch etwas gegen die grausamen Unterdrücker ausrichten. Das Rotkehlchen Kirrick, einer der wenigen Überlebenden der Massenmorde, bringt trotz aller erlittenen Verluste den Mut auf, gegen die Elstern in den Kampf zu ziehen, indem er in einem Plan, den die Eulen zur Ausrottung der Schreckensvögel entworfen haben, eine wichtige Rolle annimmt.

-Soweit Kirrick wusste, war er selbst nun das letzte überlebende Rotkehlchen in ganz Vogelland. Auch viele andere ehemals verbreitete Vogelarten – Spatzen, Drosseln, Amseln – waren bereits ausgelöscht und lebten nur mehr in der Erinnerung fort. Die Elstern beherrschten das ganze Land.-
Kapitel 1

Aus reiner Machtgier und mittels grenzenloser Brutalität schwingt sich eine Elster zum Vogeldiktator auf und führt die begeisterten oder gefügig gemachten Elsternschwärme in den Kampf zur Ausrottung anderer Rassen. Eine Parabel aus dem Geschichtsunterricht? Nein, nur aus reiner Freude an überflüssigen Tötungsszenen hat der Autor einen besonders brutalen Bösewicht geschaffen. Wer sich dazu Fragen wie “Warum” und “Wozu” stellt und nicht schon immer gewusst hat, dass Elstern die widernatürlichsten, gewalttätigsten Vögel unter der Sonne sind, hat Pech gehabt. Rotkehlchen Kirrick erklärt die plötzliche (!) Boshaftigkeit der Aasfresser damit, dass sich ihre Population durch die steigende Zahl totgefahrener Tiere am Straßenrand übermäßig ausbreiten konnte. Was dieser Hinweis erklären sollte, sei dahingestellt. Falls es für das Urteil platter-als-eindimensional noch kein passendes Beispiel gibt, kann Vogelherz (One For Sorrow, Two For Joy) getrost dafür herhalten. Dies kann man an drei Punkten festmachen:

1) Die Gut-und-Böse-Verteilung dieser Geschichte: Um sich Anstrengungen der Fantasie zu ersparen, wird Ober-Elster Traska schlicht als “der Inbegriff des Bösen” charakterisiert. “Herzlos waren sie mit ihr umgegangen – und herzlos waren manche von ihnen im wörtlichen Sinn, wenn Traska mit ihnen fertig war.”

2) Die gnadenlos einsilbige, einfallslose sprachliche Gestaltung. Eine Schwäche, die so schwer wiegt, dass der Lesefluss mangels Lesefreude ernsthaft beeinträchtigt wird. Der Satz “Das Ende kam rasch und blutig” stellt eine vollständige Tötungsszene dar – nicht nur ein Beispiel für die staubtrockene Sprache, sondern auch für den lieblosen Umgang mit dem Handlungsverlauf, was zugleich den dritten Punkt darstellt.

3) Die dahingeklatschten Szenen kümmern sich nicht um den roten Faden. Der Plot ist so löchrig, dass er allernorts mit merklich spontanen, zusammenhanglosen Ideen gestopft wird. So erfährt man von wichtigen Figuren und örtlichen Gegebenheiten erst dann, wenn sie plötzlich gebraucht werden. Das überrumpelt den Leser und wirkt jeglichem Spannungsaufbau entgegen. Allein die David-gegen-Goliath-Idee lässt noch vermuten, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Aber als nach und nach immer mehr Überlebende, die es anfangs doch kategorisch nicht gab, aus dem Nichts erscheinen, wirkt Kirrick als David überflüssig. Er tut nichts Besonderes, was seinen Heldenstatus aus Sicht des Lesers rechtfertigen würde. Die Heldenrolle wird ebenso wie die des Bösewichts auf ein beliebiges Tier gestempelt.

Die Moral der Geschichte ist arg bedenklich: Zwischen den Extremen des plakativ Guten und Bösen existiert nur das Entweder-Oder. Das Böse rottet das Gute aus, also muss das Gute das Böse ausrotten. Die Logik, dass sich so am Ende alle ausrotten, wird dadurch untergraben, dass die Guten schwarmweise – glücklich und zufrieden – aus dem Nichts wieder auftauchen. Um den Leser nachdrücklich auf Gut zu polen, tötet im Epilog ein kleiner Junge eine Elster.

Stand: 27. Oktober 2012
Originaltitel: One For Sorrow, Two For Joy
Erscheinungsjahr: UK 2002, D 2005
Verlag: Heyne
Übersetzung: Anja Schünemann
ISBN: 3-453-01200-3
Seitenzahl: 335