The King of Attolia

The King of Attolia von Megan Whalen TurnerKönigin Irene von Attolia hat durch ihre Heirat mit einem Cousin der Königin von Eddis außenpolitisch eine Atempause gewonnen. Aber der neue König ist unbeliebt und wird immer wieder zur Zielscheibe von demütigenden Streichen. Niemand geht jedoch so weit wie der Gardist Costis, der dem König einen Fausthieb ins Gesicht versetzt. Sein Schicksal scheint besiegelt, doch er  hat eher die Neugier als den Rachedurst des Herrschers geweckt. Nach und nach bildet sich ein Vertrauensverhältnis zwischen den ungleichen Männern heraus. Costis erkennt, dass er den König unterschätzt hat, dessen wahre Fähigkeiten bald gefordert sind. Denn der machthungrige attolische Adel und die düpierten Meder ruhen nicht …

– Costis took a ragged breath. He wanted to kill the king. He wanted to cry. He dropped to his knees before his queen and lowered his head almost to the floor, covering his face with his hands, still balled into fists, tightening knots of rage and bitter, bitter shame. –
Chapter One

Mit The King of Attolia läuft Megan Whalen Turner zu Höchstform auf und legt ihren bislang vielleicht gelungensten Roman vor, der die Stärken der ersten beiden Teile der Attolia-Reihe kombiniert. Das Spannungsfeld zwischen persönlicher Integrität und politischer Notwendigkeit ist wie im zweiten Band eines der zentralen Themen, doch wie in The Thief herrscht trotz aller Ernsthaftigkeit der Handlung wieder ein von unaufdringlichem Humor gefärbter Erzählton vor. Gerade die Dialoge sind oft spritzig und pointiert, aber auch insgesamt ist die Lektüre ausgesprochen locker und unterhaltsam, ohne in Oberflächlichkeit abzugleiten. Manch subtiler Scherz ist schon in der Namensgebung verborgen. So wird es etwa historisch interessierte Leser nicht wundern, dass ein (ehemaliger) Gardist namens Sejanus für den geplagten Herrscher eher mit Vorsicht zu genießen ist.

Ohnehin erinnern die Gardesoldaten als potentielle Königsmacher ein wenig an die Prätorianer der römischen Kaiserzeit, wie auch überhaupt wieder einzelne Versatzstücke aus mediterranen Kulturen zu einer überzeugenden Welt kombiniert sind, die niemals bloße Kulisse bleibt, sondern mit ihren regionalen und sozialen Gegensätzen die Psyche der liebevoll ausgearbeiteten Charaktere bis ins Detail prägt.

Wie gewohnt dominiert der facettenreiche Gen über weite Strecken unangefochten die Bühne, wobei sein weiterhin sehr direktes Verhältnis zu den Göttern (die auch schon einmal verhindern, dass er angetrunken von der Palastmauer stürzt) für einige Lacher gut ist. Mit dem durchaus sympathisch gezeichneten, aber oft heillos überforderten Costis schenkt Turner dem Leser zum ersten Mal eine klassische Identifikationsfigur, an deren Seite er sich durch das Intrigengewirr am Hof von Attolia tasten kann. Wer allerdings die Reihe in chronologischer Reihenfolge gelesen hat, ist Costis oft um ein paar Schritte voraus, denn die Vorliebe der Autorin dafür, bestimmte Einzelheiten zu verschweigen und manches erst nachträglich in ganz anderem Licht erscheinen zu lassen, ist einem mittlerweile vertraut.

Dass man sich trotzdem nicht langweilt, liegt unter anderem auch daran, dass die bisher eher in außenpolitischem Kontext zum Einsatz gebrachten Winkelzüge hier dazu dienen, die inneren Machtverhältnisse eines Königshofs umzuformen. Was auf den ersten Blick wie eine Beschränkung wirken könnte, erhöht in Wahrheit die unterschwellige Bedrohlichkeit der Atmosphäre, denn die Illusion einer schützenden Trennung von gefahrvollem Aktionsraum und relativ sicherer Heimat entfällt. In dieser Hinsicht geht The King of Attolia thematisch noch über den Vorgängerband hinaus: Die dort begonnene Geschichte des (oft schmerzlichen) Heranreifens von Einzelpersonen wird um den Aspekt der Einfügung des Individuums in die Gesellschaft erweitert und bietet einen ehrlicheren Blick auf das Erwachsenendasein als manch ein anderes Jugendbuch.

Turner verzichtet dabei weiterhin darauf, Szenen auszuschlachten, die sich durchaus auch reißerisch hätten gestalten lassen. Die unaufgeregte Erzählweise vermeidet jeden Voyeurismus, obwohl gefoltert und gemordet wird und sehr schnell feststeht, dass in einer von Machtkalkül geprägten Umgebung auch Friedenszeiten nicht gar so friedlich sein müssen. Trotz dieser durchaus realistischen Sichtweise dürfen die Figuren jedoch ihre Menschlichkeit bewahren. Die Hoffnung, dass zumindest im Kleinen stets auch die Möglichkeit einer Wendung zum Guten besteht, scheint immer wieder auf, so dass man das Buch am Ende nicht angewidert von allen Ränken, sondern in durchaus positiver Grundstimmung aus der Hand legt.

Eine Besonderheit stellt die scheinbar unverbunden zum Rest des Textes eingefügte abschließende Kurzgeschichte dar, die eine Episode aus der Jugend der Königin von Eddis schildert. Es lohnt sich aber, sie aufmerksam zu lesen, und das nicht nur, weil in ihr auf ansprechende Weise Göttersagen und fiktive Realität ineinandergreifen: Manche hier vermittelte Informationen werden im vierten Band der Reihe noch wichtig. Ob man findet, dass eine Integration der Begebenheit in den Roman selbst die elegantere Lösung gewesen wäre, ist wohl Geschmackssache. Man kann es auch als kleinen Leckerbissen betrachten, entdecken zu dürfen, dass Megan Whalen Turner die kurze Form ebenso gekonnt beherrscht wie längere Erzählungen.

Stand: 06. November 2013
Erscheinungsjahr: USA 2006
Verlag: HarperCollins
ISBN: 978-0-06-083579-8
Seitenzahl: 410
Titel der Übersetzung: Der Gebieter