Sir Gawain und der Grüne Ritter

Cover von Sir Gawain und der Grüne RitterNeujahrstag an König Artus’ Hof. König und Königin, es wird gefeiert. Da stört ein Ritter das Gelage. Er hat die Statur eines Hünen und alles an ihm, selbst sein Pferd, ist grün. Der Grüne Ritter schlägt ein “Weihnachtsspiel” vor: Falls einer der anwesenden Ritter den Mut aufbringe, dürfe er ihm mit voller Kraft mit der Streitaxt einen Schlag versetzen. Nach einer Frist von zwölf Monaten und einem Tag dürfe der Grüne Ritter ihm ebenfalls einen Schlag versetzen, der widerstandslos hinzunehmen sei. Keiner der Ritter meldet sich. Als sich schließlich König Artus selbst anbietet, geht Sir Gawain dazwischen und nimmt den Handel an. Er schlägt dem Grünen Ritter mit einem Hieb den Kopf ab. Unbeeindruckt erhebt sich dieser, erinnert Sir Gawain noch einmal an die Abmachung und reitet von dannen.

– Als das schöne Britannien von diesem berühmten Mann gegründet war, wuchsen dort Recken heran, die den Kampf liebten und früher oft großes Unheil anrichteten. In diesem Reich gab es mehr Wunder zu bestaunen als in irgendeinem andren Land, das ich kenne.
Doch von allen Königen, die in Britannien herrschten, wurde Artus, wie ich hörte, am meisten verehrt.-
2.

Man kann Sir Gawain und der Grüne Ritter (Sir Gawain and the Green Knight) auch einfach als originelle Abenteuergeschichte lesen, sich gut dabei unterhalten und ganz nebenbei eines der großartigsten Werke der englischen mittelalterlichen Literatur kennenlernen. Die Erzählung besticht u.a. durch ihre Naturschilderungen und wirklichkeitsnahen Jagdszenen, und trotz aller Grausamkeit haben die Auftritte des Grünen Ritters durchaus ihre komischen Seiten. So meint man Artus’ kühne Recken vor sich zu sehen, wie sie von einem Fuß auf den anderen treten und verlegen in die Luft starren, Schuljungen gleich, die Angst haben, mündlich geprüft zu werden, nachdem sie von dem streitbaren Eindringling herausgefordert wurden, obwohl der unbekannte Dichter den Leser nur wissen läßt, daß alle in der Halle, ob von hohem oder niederem Rang, noch stiller (wurden). Auch später gibt es komische Situationen, als Gawain bei der Suche nach dem Grünen Ritter auf eine liebestolle Dame trifft und sich ihrer heftigen Annäherungsversuche erwehren muß. Man ließe dieser Geschichte aber Unrecht widerfahren, würde man sie nur als skurrile Aventiure-Erzählung betrachten. Sir Gawain und der Grüne Ritter ist in erster Linie die Geschichte einer Versuchung. Sir Gawain, der dem ideal der Vollkommenheit nachstrebt, dem menschliche Schwächen aber nicht fremd sind, wird mit der unmöglich scheinenden Aufgabe konfrontiert, im christlichen Sinne tugendhaft zu handeln, also keine Sünde zu begehen und gleichzeitig “höflich”, das heißt, dem höfischen Ehrenkodex gemäß, als vortrefflicher Ritter und Held.
Wieso die Darstellung dieses Konfliktes, die Geschichte von Sir Gawain und dem Grünen Ritter zu einem Meisterwerk der englischen Literatur macht, erläutert J.R.R. Tolkien hervorragend in dem beigefügten Essay Sir Gawain und der Grüne Ritter.

Stand: 23. Oktober 2012
Originaltitel: Sir Gawain and the Green Knight
Erscheinungsjahr: 1375/1400, D 2004 (Neuausgabe)
Verlag: Klett-Cotta
Übersetzung: Hans J. Schütz
ISBN: 3-608-93263-1
Seitenzahl: 167