Entropia

Entropia von Christian Lorenz ScheurerAus einer Sammlung seltener Briefmarken von der Welt Etropia erfährt man Details aus der turbulenten Herrschaftszeit von Königin Pingo der Jungen, die ihr Reich durch schwere Zeiten und in eine Ära des Wohlstands geleitet hat. Nebenbei lernt man Entropias Regionen, Sehenswürdigkeiten, Fauna und Kultur kennen.

-The Bay of Takashiro is famous for its magnificent breaching Firefish.-

Entropia ist ein Artbook, das mit seiner Idee glänzt. Eigentlich möchte man jedes Mal aufs Neue staunen, wenn man sich mit dem Konzept beschäftigt: Durch die Abbildung einer Briefmarkensammlung wird die Geschichte, Kultur und Gesellschaft eines Reiches erzählt und gezeigt – und das Konzept zieht sich von der ersten bis zur letzten Seite durch: eine Poststempelsammlung und eine Einleitung der Philatelistengesellschaft stehen am Anfang, eine Karte und eine Zeitleiste liefern den nötigen Hintergrund, und dann folgt auf jeder Doppelseite eine (vergrößerte) Briefmarke, die auf dem schwarzen Hintergrund gut zur Geltung kommt, und ein kurzer, erklärender Text zu jedem Schaustück.
Die einzelnen Marken ergeben, auch wenn sie anfangs zusammenhanglos erscheinen, eine komplette Geschichte: Die Lebensgeschichte der letzten und größten entropischen Königin Pingo. Einerseits ist es charmant, dass tatsächlich nicht nur die einzelnen Briefmarken etwas zu erzählen haben, sondern auch ein größeres Ganzes dahintersteht, so dass die Bilder einen wirklichen Kontext erhalten, allerdings schränkt dieser enge thematische Bezug auch ein. Jede der abgebildeten Marken trägt ein Stück zur Geschichte bei, es bleibt weder ein Geheimnis offen, noch gibt es groß Inhalte, die aus den engen Grenzen der Geschichte hinausweisen. Der ein oder andere Beweis, dass Entropia größer, älter und vielseitiger ist, als der gezeigte geschichtliche Ausschnitt ahnen lässt, hätte der Welt dringend nötige Tiefe verleihen können. So überwiegt der Eindruck einer Pappkulisse, bei der es weder Schauplätze noch Personen oder eine geschichtliche Tradition gibt, die unabhängig von Pingos Geschichte existiert.

Leider ist es auch so, dass diese Geschichte selbst nicht übermäßig mitreißen kann. Sie verläuft harmlos-kindgerecht (auch wenn nicht eindeutig ist, dass Entropias Zielgruppe Kinder sein sollen – das Briefmarkenkonzept lässt eigentlich anderes vermuten), es gibt keine Überraschungen und keinerlei Subtext. Falls sich hinter jenen Briefmarken, die den entropischen Modewahn oder erfolgreiche Nonsens-Showacts oder Ferienparadiese zeigen, leise Kritik verbergen soll, ist sie recht zahm geraten. Die politische Hintergrundgeschichte von Tyrannei und Demokratisierung verläuft ausgesprochen stereotyp. Manche der Einzelideen sind ganz charmant – es reicht aber nie zum lauthals Lachen, genauso wenig zum gespannten Weiterlesen.

Auf der Seite der Illustrationen sticht die schöne Präsentation der Briefmarken ins Auge: sie sind liebevoll mit verschiedenen Stempeln verziert, die auch ihren Teil zur Geschichte beitragen, manchmal gibt es auch thematisch passende Brandlöcher. Schade ist hier allerdings die geringe Variationsbreite – fast alle gezeigten Briefmarken sind in einem skizzenhaften Stil mit einer ausgeprägten, unscharfen Linienführung gezeichnet, und die comichaften Gesichter und Tiere findet man bei beinahe jeder Darstellung , nur die Farbtönung wechselt je nach Motiv. Authentischer wären sicher verschiedene Stilrichtungen und Medien gewesen, wie man sie auch von richtigen Briefmarken kennt.

Auch wenn die inhaltliche Umsetzung im Detail enttäuscht, ist Entropia ein interessanter Entwurf, vor dessen Idee man nur den Hut ziehen kann. Für das Gefühl, anhand der Briefmarken tatsächlich in eine lebendige fiktive Welt eintauchen zu können, bleibt es jedoch zu sehr an der Oberfläche, zu sehr einer einzigen Geschichte verhaftet und stilistisch zu eindimensional.

Stand: 06. Juni 2012
Erscheinungsjahr: USA 2005
Verlag: designstudio press
ISBN: 1-933492-04-x
Seitenzahl: 126