Die Seuche (Sammelrezension)

Die Seuche Band 2Die Oldis sind ein Volk von Jägern, Sammlern und Handwerkern, das in Frieden leben könnte, wenn nicht die kriegerischen Borun die Nachbarschaft unsicher machen würden – und wenn vor allem die Seuche nicht wäre. Wahllos rafft sie Alte und Junge dahin, und mit keiner Heilmethode ist ihr beizukommen. Der junge Jautry verliert dadurch seinen Bruder, und dessen Mutter Valnes beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Doch da wird ein toter Borun gefunden, und die Vorurteile und gegenseitigen Schuldzuweisungen kochen über.

-»Warum wolltet ihr zu den Albinth?«
»Um herauszufinden, ob sie der Grund unseres Unglücks sind. Wir verdächtigen sie, den Fluss vergiftet zu haben.«
»Wir dachten dasselbe … aber über die Borun.«-
Band 1: Valnes

Fantasy-Comics mit perfektionistischen, leuchtend bunten Zeichnungen gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, und man überlegt sich besser gut, in welche Reihen man einsteigt und welche lediglich “more of the same” bieten.
Bei Die Seuche von Szenarist Gaudin und Zeichner Peynet wird es auf den ersten Blick nicht ganz so exotisch und graphisch atemberaubend, aber die Liebe steckt umso mehr im Detail. Die Dimensionen des konfliktträchtigen Nebeneinander der Borun, Oldis, Albinth und später Brohm werden subtil über den ganzen ersten Band (und Teile des zweiten) hinweg aufgezeigt, und in die Bräuche, Gesellschaftsstrukturen und die Religiosität ist ein für Comic-Fantasy sehr ordentliches Worldbuilding eingeflossen. Die vielen Details, die man teils nicht einmal unbedingt bewusst wahrnimmt, die aber die Unterschiede zwischen den Völkern konstituieren, sind auch zeichnerisch schön umgesetzt. Genauso sind die spätere Interaktion und das Zusammenfinden der Figuren, die sich über ihre Vorurteile hinwegsetzen müssen, in Text und Bild ausgesprochen einfühlsam verarbeitet und dürften jeden ansprechen, der Geschichten schätzt, in denen Freundschaften über Völkergrenzen hinweg entstehen.

Um die handelsüblichen Fantasyvölker handelt es sich dabei übrigens nicht, sondern um differenziert dargestellte Eigenkreationen – nicht einmal die Antagonisten sind eine homogene Gruppe. Bis diese überhaupt gefunden werden, dauert es ohnehin ein Weilchen, denn zunächst einmal müssen alle, die auf der Suche nach dem Ursprung der Seuche sind, die Erfahrung machen, dass ihre Vermutungen meist vorschnell und von Verblendung geprägt waren. Der Zeigefinger ist dabei zum Glück niemals hoch erhoben, und bevor sich das Schema zu oft wiederholt, hat die Geschichte schon ihre Sogwirkung entfaltet.
Im Grunde ist sie nämlich eine geschickt erzählte Abenteuer- und Questengeschichte mit Kämpfen, Reisen und einem ganzen Arsenal an ungewöhnlichen Kreaturen, mit denen Gaudin und Peynet abseits vom stets im Hintergrund lauernden Gespenst der heimtückischen Seuche für Gänsehaut sorgen.

Während die Gruppendynamik und die Queste stets das Spannungslevel hochhalten, macht es vor allem in den ruhigeren (aber erzählerisch nicht minder dichten) Passagen Spaß, nach und nach zu entdecken, dass die Figuren mehr sind als nur ein Vehikel für die anfangs eingeführten Volkseigenschaften. Aufgrund des zurückgenommenen und liebevollen Stils sieht man auch als Leser oder Leserin erst mit der Zeit hinter die Fassade. Valnes, die unerreichte Bogenschützin und Mutter, die auch sonst nie eine Ungerechtigkeit oder emotionale Schieflage auf sich beruhen lässt, hat sich außerdem dadurch einen großen Sympathiebonus verdient, dass sie vom üblichen Comic-Sexismus erfreulich verschont bleibt (was unter anderem daran liegen könnte, dass sie aus einer glaubhaft dargestellten matriarchalischen Gesellschaft stammt).

Wähnt man sich nun allerdings im Fantasy-Wohlfühl-Wunderland, steht ein böses Erwachen bevor. Erzählerisch muss man zunächst ein paar Abstriche durch einen streckenweise etwas zu aufdringlichen Off-Kommentar des Erzählers Jautry in Kauf nehmen, sollte sich aber vor allem auf ein dickes Ende im dritten Band gefasst machen, dem man einerseits applaudieren könnte, weil es den Blickwinkel auf das Gelesene noch einmal radikal verändert und einen auf eine Weise aus dem Hinterhalt packt, dass man Die Seuche vermutlich lange nicht vergessen wird. Andererseits ist es in seiner Gesamtheit ein starker Bruch mit der Sorgfalt, die in die Figuren geflossen ist – das kommt dem Effekt zugute, zerstört jedoch die hoffnungsfrohe Stimmung, die man aus den Vorgängerbänden mitnehmen konnte.
Solange man aber nicht in mit der falschen Erwartung eines harmlosen Abenteuerchens an Die Seuche herangeht, ist die Reihe durchaus ein unterschätztes Juwel im geballten Bling-Bling des Fantasy-Comics.

Stand: 03. Dezember 2012
Originaltitel: Le Feul
Erscheinungsjahr: F 2005-2009, D 2008-2010
Verlag: Bunte Dimensionen
Übersetzung: Astrid Brachlow
ISBN: Band 1: 978-3-938698-74-7