Die Landkarte der Zeit

Die Landkarte der Zeit von Félix J. PalmaSie planen eine Zeitreise? Besser, Sie packen eine passende Landkarte ein! Zeitparadoxa sind in diesem Roman vorprogrammiert und laden den Leser dazu ein, sich irgendwo in der Zeit zu verlieren.
In drei Episoden folgt man einem jungen Mann, der seine Geliebte an Jack the Ripper verloren hat und in die Vergangenheit reist, um das Verbrechen zu verhindern; dann trifft man auf Claire, die sich in ihrer Gegenwart des 19. Jh. fehl am Platz fühlt und sich ins Jahr 2000 flüchtet, wo sie sich unerwartet verliebt; zuletzt begleitet man Inspektor Garrett bei der Jagd nach einem Mörder, dessen Waffe noch gar nicht erfunden wurde – und alles läuft zusammen bei H.G. Wells höchstpersönlich …

– Andrew Harrington wäre gern mehrere Tode gestorben, wenn er sich unter all den Pistolen, die sein Vater in den Vitrinen des Salons aufbewahrte, nicht für eine einzige hätte entscheiden müssen. Entscheidungen waren nicht seine Stärke. Genau besehen erwies sich sein Dasein als eine Kette von Fehlentscheidungen, deren letzte ihren langen Schatten bis in die Zukunft zu werfen drohte. Doch mit diesem wenig beispielhaften Leben voller Fehlgriffe war jetzt Schluss. –
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Die Landkarte der Zeit (El mapa del tiempo) ist kein leicht zu rezensierendes Buch, denn es steckt voller Gegensätze. Autor Félix J. Palma spielt mit den Erwartungen seiner Leser, führt sie bewusst hinters Licht, nur um sie dann mit der nächsten Wendung zu überraschen. Manchmal macht er das sehr geschickt, dann wieder sehr bemüht, manches ist entweder ein schlauer Kniff oder eine bittere Enttäuschung. Das Buch ist außerdem Liebesroman, Science Fiction, Krimi, Historischer Roman und Drama in einem. Der ein oder andere wird jetzt vielleicht schon ahnen, dass Die Landkarte der Zeit die ausgeprägte Fähigkeit besitzt, Meinungen zu spalten.

Der Roman besteht aus drei Teilen. Jeder davon hat andere Hauptfiguren und erzählt eine eigene Geschichte, die in sich abgeschlossen ist. Es gibt dabei aber Charaktere, die in allen Teilen auftauchen und eine interessante Verstrickung der Geschichten offenbaren. Nebenfiguren werden zu Hauptfiguren und umgekehrt, je nachdem, wessen Geschichte man gerade folgt. Dabei ist dieser Roman recht intelligent aufgebaut und ab und an blitzt auch der köstliche Humor des allwissenden Erzählers durch, der an den (Film-)Erzähler von Per Anhalter durch die Galaxis erinnert.

Weltenbau und Charaktere sind ebenfalls allesamt sehr lebendig gezeichnet mit einer deutlichen Liebe fürs Detail. Es ist ein Leichtes, sich das viktorianische Setting der Erzählungen vorzustellen – die schmutzigen Gassen Whitechapels, die prachtvollen Herrenhäuser Londons, die feinen Teesalons, die massiven Heldenstatuen, die Zeitmaschine von H.G. Wells … Gerüche und Figuren werden lebendig, hier erweist sich auch der spielerische Umgang mit der Sprache als großer Vorteil.

Auf der anderen Seite gibt es oft Längen und Monologe, in denen man das Gefühl hat, der Autor hört sich einfach gerne selbst reden. Jene Monologe sind besonders deswegen so störend, weil sie in der Regel nur 1:1 nacherzählen, was kurz vorher erst geschehen ist oder geschichtliche Ereignisse werden unnötig genau zusammengefasst – als rechnete man mit plötzlicher Amnesie oder eklatanten Bildungslücken beim Leser. Manches ist dabei auch zu leicht vorhersehbar, was die Stärken des Romans leider ab und an in den Schatten stellt. Durch diese starken Gegensätze von intelligenter Unterhaltung und langweiligen Seitenfüllern schwankt der Lesegenuss öfter mal vom einen ins andere Extrem und am Ende weiß man nicht, ob man dieses Buch mag oder nicht.

Die Landkarte der Zeit ist auch ohne die erwähnten Längen kein spannungsgeladenes Buch. Es ist eine ruhige Geschichte mit kniffligen Verknüpfungen und teils abenteuerlichen Entwicklungen. Wer Zeitreisen sucht, muss sich vor allem ihren theoretischen Möglichkeiten stellen und sich darüber im klaren sein, dass es kein Zukunftsroman ist und die Haupthandlung 1896 stattfindet. Vielmehr ist Die Landkarte der Zeit daher ein Buch für Nostalgiker, die gerne durch die Vergangenheit schlendern und hier und da ein paar Schlenker durch die Zeit schlagen wollen.

Wer gefallen an der Erzählung findet, kann sich mit Die Landkarte des Himmels außerdem über eine Fortsetzung freuen. Dieser erste Band ist aber in sich abgeschlossen und besteht auch problemlos als Einzelband.

Stand: 23. November 2012
Originaltitel: El mapa del tiempo
Erscheinungsjahr: E 2008, D 2010
Verlag: Rowohlt
Übersetzung: Willi Zurbrüggen
ISBN: 978-3463405773
Seitenzahl: 715