Die Elementare von Calderon

Die Elementare von Calderon von Jim ButcherDer junge Tavi, der anders als die Bewohner der Dörfer im Grenztal von Calderon ohne die Magie der Elementare leben muss, derer sich jeder außer ihm bedienen kann, passt beim Schafehüten nicht auf, und als er zusammen mit seinem Onkel einem in die Irre gegangenen Schaf hinterherjagt, geraten sie den feindlichen Marat in die Quere. Tavis Onkel wird verletzt, so dass es an dem Jungen liegt, Hilfe zu holen und die Nachricht von der sich anbahnenden Invasion weiterzutragen. Gleichzeitig wird Amara, die als Agentin ausgebildet wird, in eine Intrige gegen den alten Herrscher von Alera verwickelt. Sie kann sich befreien und flieht, doch die Verfolger sind ihr auf den Fersen.

-Der Lauf der Geschichte wird keineswegs von Schlachten, Belagerungen oder dem Sturz von Herrschern bestimmt, sondern durch die Handlungen einzelner Personen.-
Prolog

Die Elementare von Calderon markiert den Aufbruch des bereits für seine Urban Fantasy beliebten Jim Butcher in die High Fantasy, ein Experiment, das im Auftaktband der sechsbändigen Codex-Alera-Reihe teilweise geglückt ist: Handwerklich ist der Roman solide gewobenes Unterhaltungsgarn, das sich angenehm und flott lesen lässt. Woran es allerdings auf beinahe allen Ebenen mangelt, ist Größe.
Nun ist die Fantasy für “kleine” Geschichten, die sich auf wenige Figuren konzentrieren, die nicht gleich die Grundfesten der Welt erschüttern und die ohne Bombast und Pathos auskommen, ein durchaus geeignetes Genre, das zeigen etliche gelungene Beispiele – das Problem ist jedoch, dass Butcher mit seiner Saga um das Reich Alera, das von außen und innen bedroht wird, durchaus Großes im Sinn hat, aber der Ausführung fehlt es zumindest im ersten Band schlicht an Fleisch, um dieses Versprechen zu halten.

Die Welt wirkt zunächst erfreulich bunt, es gibt viele Farbtupfer durch eine eigene Flora und Fauna, und als Alleinstellungsmerkmale sowohl die im Ansatz recht innovative Magie der Elementare als auch die Anlehnung der Zivilisation Aleras an das römische Imperium (irgendwo im Hintergrund wird sogar eine Herleitungsgeschichte dieses Umstands angedeutet – die Bewohner Aleras stammen aus unserer Welt). Unterm Strich bleibt es aber leider bei der Nennung einiger Namen und (militärischer) Titel, weitere kulturelle Nachwirkungen oder Überreste der römischen Herkunft gibt es nicht. Auch die Magie läuft bald wieder in relativ gewohnten Bahnen, wenn man davon absieht, dass die magischen Handlungen mit Hilfe der Elementare erreicht werden – Verkörperungen von Wasser, Erde, Feuer, Metall, Wind und Stein, die jeder Bewohner Aleras an sich binden kann. Mit ihnen werden ganz banale Alltagserleichterungen erwirkt, aber auch – je nach Macht des Einzelnen – beeindruckende Effekte. Außerdem wirken die elementaren Kräfte auch frei in der Welt. Die Elementare, die auch ein Stück weit Persönlichkeit und Eigenständigkeit aufweisen, bringen Codex Alera definitiv einen Extra-Sympathie-Punkt ein, aber innovativ ist das Ergebnis dieser Magieanwendung spätestens auf den zweiten Blick nicht mehr, erst recht nicht für Leute, die schon einmal mit einem High-Magic-System Rollenspiel betrieben haben.
Damit heben sich die Magie, das im Auftaktband eine große Rolle spielende Dorfleben und auch die im Hintergrund immer wieder aufblitzende Welt der Mächtigen weder im Detail noch im Groben vom Standard ab und wirken eher statisch als lebendig – Alera ist keine Welt voller Geschichte und Geschichten.

Ähnlich zielstrebig – und das kann man hier durchaus als Gewinn sehen – geht es bei der Handlung zur Sache. Butcher hält ein hohes Spannungsniveau von Anfang bis Ende durch: Die Helden sehen sich durch dreierlei Feinde bedroht; durch einen egoistischen Grobian, dem die Welt um sich herum völlig gleich ist, die feindliche Barbarenhorde und eher grob intrigierende Verräter sind sie ständigem Druck ausgesetzt und kommen nie zur Ruhe. Protagonist Tavi, als Einziger magielos in dieser magischen Welt, dessen kleiner Dorfkosmos akut bedroht ist, ist die Identifikationsfigur des Lesers, Amara, die angehende Spionin, die sich plötzlich verraten sieht und ihren Dienst für das Reich auf eigene Faust fortsetzen muss, schafft Verbindung zur größeren Geschichte jenseits des beschaulichen Lebens im Grenztal von Calderon.
Butcher erzählt seine Handlung in mehreren Strängen, lässt sie überkreuzen und wieder auseinanderlaufen und gewährt auch Blicke über die Schultern seiner Fieslinge. Er führt den Leser dabei gekonnt durch die Ereignisse. Cliffhanger und ein klassischer Aufbau mit einer spannend erzählten Schlacht am Ende sorgen dafür, dass man theoretisch an den Seiten kleben bleibt, was praktisch vor allem bei Lesern funktionieren dürfte, vor deren Augen ähnliche Geschichten noch nicht allzu oft durchexerziert wurden. Nur wenn zwei Handlungsstränge am selben Ort spielen, wird es hin und wieder etwas ungelenk – gerade an den rasanteren Stellen will man nur ungern in der Zeit zurückspringen und das Geschehene noch einmal von einer anderen Seite aufgerollt sehen.

Butcher setzt auch bei den Figuren vor allem auf Bewährtes, ureigene Aspekte kann er diesen Elementen aber nicht abgewinnen – der vom Dorffiesling geplagte, vom netten Onkel und der netten Tante unterstützte Außenseiter-Held, die tüchtige Jungspionin, die durchschaubar intrigierenden gefährlicheren Gegner und der gütige Herrscher spielen ihre Rolle, und sogar ein edler Wilder hat einen Gastauftritt.
Es scheint, als ließe sich das Konzept, das bei Harry Dresden funktioniert, nur bedingt auf High Fantasy übertragen: den schnellen, dynamischen und in wenig erzählter Zeit abgehandelten Ereignissen – die ganze Sache ist innerhalb weniger Tage gelaufen – fehlt ein Unterbau.

Da sich Die Elementare von Calderon aber auch als Einzelabenteuer lesen lässt (solange man sich damit zufrieden gibt, dass einige Rätsel mit nur einer Andeutung der Lösung in den zweiten Band gehievt werden), eignet sich der Roman trotz seiner Mängel als Entspannungslektüre, die nicht groß fordert und spannend unterhält, wenn man auch als Leser nicht zu viel fordert. Sprachlich ist der Roman eine runde Sache, von einem patenten Erzähler in Szene gesetzt, nur Neues, Großartiges, einen Mehrwert oder eine Wirkung, die über die reine Lesezeit hinausgeht, sollte man sich davon nicht erwarten.

Stand: 10. September 2012
Originaltitel: Furies of Calderon
Erscheinungsjahr: USA 2004, D 2009
Verlag: Blanvalet
Übersetzung: Andreas Helweg
ISBN: 978-3-442-26583-1
Seitenzahl: 608