Der weiße Knochen

Der weisse Knochen von Barbara GowdyDas verwaiste Elefantenkalb Matsch wird von einer neuen Herde adoptiert, in der ihr aber längst nicht alle wohlgesonnen sind. Trotzdem wird sie, als sie heranwächst, zur Visionärin der Herde, die mit ihren Ratschlägen der Matriarchin bei der Führung helfen soll.
Doch immer wieder treffen die Elefanten auf ihren Streifzügen durch das trockene Buschland auf Artgenossen, die grausam verstümmelt und abgeschlachtet wurden. Als eine große Dürre das Überleben der Herde gefährdet, beschließt Matsch, einer Vision, einem Mythos zu folgen: Dem weißen Knochen, der den Elefanten den Weg in eine sichere Heimat weisen soll. Doch die Suche nach dem weißen Knochen ist entbehrungsreich und gefährlich.

-Wenn sie lange genug leben, vergessen sie alles.-
Prolog

Elefanten sind Lieblingstiere, Maskottchen, Ikonen. Über ihr erstaunlich ausgeprägtes Sozialleben und ihre teils mystisch anmutenden Fähigkeiten fördert die Wissenschaft ständig Neues zu Tage. Da liegt es eigentlich ganz nahe, ihnen einen Tierroman zu widmen, der sogar thematisch dem Klassiker dieses Genres, Watership Down, nahe ist – in der epischen Suche einer gebeutelten Sippe nach einer neuen, sicheren Heimat.
Die Geschichte aus der Sicht der Elefanten zu erzählen, ist aber auch literarisch ein ehrgeiziges Projekt geworden: Ausgangspunkt für die Entwicklung der Elefantenkultur ist die Vorstellung von einem Lebewesen, das niemals etwas vergißt. Ein bedächtiger und verschlungener Erzählstil ist das Resultat – so ein Elefantenleben verläuft betulich, und auch die Widrigkeiten, denen die Riesen ausgesetzt sind, sind meist schleichende, langsame Gefahren; Hunger, Durst, Krankheiten.
Rasante Action schließt sich in diesem Setting aus Staub und flirrender Hitze damit gänzlich aus, und auch die Spannung bleibt bisweilen auf der Strecke, denn das Dasein der Elefanten in einer Welt, die sie durch die Visionärinnen der Herde zu interpretieren versuchen, aber niemals verstehen – vor allem nicht die Gefahren durch den Menschen -, ist ein einziges, hilfloses Ausgeliefertsein. Eine kaum je gebrochene Trostlosigkeit beherrscht die bedächtige Handlung, so daß das Weiterlesen trotz der spannenden Grundidee nicht immer einfach ist.

Die Lebenswelt der Elefanten bietet alles, was man sich von einem Tierroman erwartet – eine Elefantensprache, die vom einzigartigen Blick der grauen Riesen auf die Welt durchdrungen ist und trotzdem realistisch und mühelos vorstellbar wirkt, und ein soziales System, das ausgeklügelt und durch die Visionärinnen durchaus phantastisch wirkt, aber nicht im Widerspruch zum aktuellen Forschungsstand über Elefanten steht. Hinter dem Roman stand offenbar eine ausführliche Recherche, die den phantastischen Blickwinkel mit realistischen Ansprüchen Hand in Hand gehen läßt. Der Realismus schlägt sich auch in der Handlung nieder, daher kann man auch nicht mit einem Happy End für die Elefanten rechnen, sondern sollte sich auf tragische Wendungen einstellen.
Der abstrakte weiße Knochen als Heilsbringer – manchmal kann man erahnen, wohin er führen sollte – bleibt immer vage, und die Geschichte ist weder tröstend noch phantastisch genug, als daß die Elefanten durch einen mystischen Gegenstand gerettet werden könnten.

Die schönen Ansätze verlaufen somit im wahrsten Sinne des Wortes im Sande und sind bei anderer Tierfantasy runder umgesetzt worden. Für Elefanten-Fans kann es aber durchaus interessant sein, gedanklich in die Lebenswelt der Dickhäuter einzutauchen – wenn man mit der Tragik leben kann.

Stand: 27. Oktober 2012
Originaltitel: The White Bone
Erscheinungsjahr: USA 1998, D 1999
Verlag: Diana
Übersetzung: Ulrike Becker, Claus Varrelmann
ISBN: 345317724X
Seitenzahl: 301